Einführungstext zur Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklaviersonate" von Ludwig van Beethoven:
Das Erscheinen der Sonate wurde im September 1819 u. a. mit folgenden Worten angezeigt:
"So bemerken wir nur in einigen Zeilen, dass dieses Werk sich vor allen anderen Schöpfungen des Meisters nicht allein durch die reichste und größte Phantasie auszeichnet, sondern dass dasselbe in Rücksicht der künstlerischen Vollendung und des gebundenen Stils gleichsam eine neue Periode für Beethovens Klavierweke bezeichnen würde.
Die beiden ersten Sätze entstanden 1817 und wurden im April 1818 für den Erzherzog Rudolph, dem das Werk gewidmet ist, ins reine geschrieben. Irgendwann im Jahre 1818 war das erste Autograph der großen Sonate fertig:
Die Beschreibung ist so komplex, dass ich der Einfachkeit halber
Aufbau:
1. Satz: Allegro, B-dur, Alla breve: 405 Takte, mit WH Exposition 530 Takte
Exposition:
Hauptthema:
1. Teil: Takt 1 bis 16, 2. Teil Takt 17 bis 34, 3. Teil: Takt 35 bis 38;
Überleitung: Takt 39 bis 46,
Seitensatz 1. Phase: Takt 47 bis 63. 2. Phase: Takt 64 bis 73, 3. Phase: Takt 74 bis 80, Wiederholung: Takt 81 bis 99,
Schlussgruppe, 1. Gedanke: Takt 100 bis 111, Takt 112 bis 125;
Durchführung:
Einleitung: Takt 125 bis 133, Kern der Durchführung: Takt 134 bis 213, Letzter Durchführungsteil: Takt 214 bis 226:
Reprise und Schlussgruppe: Takt 227 bis 349
Coda: Takt 350 bis 405;
2. Satz:
Scherzo, Assai vivace, B-dur/b-moll, 3/4-Takt, 175 Takte
Thema: Takt 1 bis 7, Fortsetzung Takt 8 bis 14,
Mittelteil: Takt 15 bis 22
Wiederholung der Fortsetzung: Takt 23 mit Auftakt bis Takt46;
Trio:
Auflösung des Themas Takt 47 bis 54,, nach Art von zwei Liedstrophen: 1: Takt 47 bis 62/63, 2: 63 bis 80, ab Takt 81 Bestrebungen, vom Trio zum Scherzo zurückzukehren, doch liegt hier der (gewollte) Zusammenbruch der konventionellen Form nahe, wie so oft in Beethovens Spätwerk- nach vielem Hin und Her Rückkehr zum Scherzo ab Takt 121/122 bis Takt 175;
3. Satz:
Adagio sostenuto appassionato e con molto Sentiment, fis-moll, 6/8-Takt, 187 Takte
Hauptthema, Takt 1 bis 18
Wh. des 2. und 3. Melodieteils, Takt 18 bis 26
Takt 27ff. Überleitung zum 2. Thema
ab Takt 45: zweites Thema bis Takt 68
Durchführung: ab Takt 69
Reprise: ab Takt 87
Coda: ab Takt 154
4. Satz:
Largo, Un poco piu vivace, Allegro, prestissimo, 4/4-Takt, Allegro risoluto, 3/4-Takt, 400 Takte
Largo: Takt 1 bis 2
Allegro: Takt 3 bis 10
Allegro risoluto:
Takt 11 bis 15 Abschluss und Übergang zur Fuge:
Gliederung des Allegro Risoluto:
I:. Takt 16 bis 84: Hauptinhalt: Exposition des Themas in B-dur
II:. Takt 85 bis 152: Hauptinhalt: Vergrößerung des Themas (es-moll)
III: Takt 153 bis 207: Hauptinhalt: Rücklauf des Themas (h-moll)
IV: Takt 208 bis 249: Hauptinhalt: Umkehrung des Themas (G-dur)
V:. Takt 250 bis 278: Hauptinhalt: Durchführung des 2. Themas (D-dur)
VI: Takt 279 bis 293: Gleichzeitiger Auftritt des 1. und 2. Themas
....Takt 294 bis 348: Originalgestalt und Umkehrung des 1. Themas gleichzeitig
....Takt 349 bis 366: Schlussankündigende Durchführung des Themas (sämtlich in B-dur)
VII. Takt 367 bis 400: Coda
Die Beschreibung ist so komplex, dass ich der Einfachkeit halber den Text aus dem Wikipedia-Artikel nach hierhin kopiere:
Nach dem „konventionellen“ Sonatenmuster der Wiener Klassik hat die Hammerklaviersonate zwar vier Sätze; Beethoven unterteilt, variiert und erweitert sie jedoch in „atemberaubender“ Weise. Konflikte und Lösungen machen die Sonate gerade in formaler Hinsicht zu einem Meilenstein der Musikgeschichte.
Kennzeichen aller Sätze sind die Terz und der harmonische Gegensatz zwischen B-Dur und h-Moll – majestätisch-mächtig die eine, „schwarz“ (auch für Beethoven selbst) die andere Tonart.[3] Zwar findet die Sonate in jede Tonart, das B/h-Paar kehrt jedoch immer wieder zurück, z. B. in der Reprise, wenn die Fanfaren der Anfangstakte plötzlich in Moll ertönen und das ganze Geschehen in ungeheure Tiefen verlagern.
Erster Satz
Die Anfangsakkorde der Hammerklaviersonate
Allegro (B-Dur, Alla breve) – Als einzige seiner Klaviersonaten hat Beethoven die Große in allen Sätzen metronomisiert. Ob der 1. Satz mit =138 „richtig“ und „spielbar“ sei, diskutieren Pianisten und Musikwissenschaftler seit bald 200 Jahren. Bereits die Wucht des trompetenartigen Eingangsmotivs deutet die neuen Dimensionen musikalischen Ausdrucks an: siebenstimmige Fortissimo-Akkorde als Einleitung, gefolgt von einer Fermate. Danach ein sangliches Thema mit harmonisch höchst mehrdeutigen Mittelstimmen. Alternierende, rasend schnelle Oktaven weiten sich vom Bass bis zum Diskant und führen zurück zur Tonika-Fanfare des Anfangs. Es schließt sich ein eher lyrisches zweites Thema an, nun in G-Dur (von B-Dur eine kleine Terz entfernt), wobei der Schlussteil der Exposition wiederum an den Fortissimo-Beginn anknüpft.
Die sehr intensive Durchführung steht in Es-Dur, der punktierte Rhythmus der Anfangsfanfare wird durch einen immer reichhaltiger werdenden Kanon geschickt, der trotz aller erfolgenden Steigerungen immer wieder auseinander läuft, scheinbar nie zu einem (erlösenden) Ende kommt. Auch die letzte Steigerung in Fortissimo-Akkorden läuft schließlich in einem Ritardando aus und Beethoven moduliert nach h-Moll und -Dur, wobei nun der cantabile Schlussgedanke der Exposition als Überleitung zur Reprise fungiert.
Diese steht nun wieder in der Tonika und wiederholt im Prinzip die Exposition. Und doch ist alles anders: Plötzlich kommen im ersten Thema Nebenstimmen hinzu, alles wird unruhiger, aufgeregter, instabiler. Die Harmonik entfernt sich noch weiter von B-Dur als in der Exposition, um am Ende des ersten Themas in der „Schreckensfanfare“ in h-Moll zu gipfeln. Doch auch an dieser „tragischen“ Stelle macht Beethoven nicht halt, wieder ändert sich die musikalische Richtung, das zweite Thema steht wiederum in B-Dur, hat aber ebenfalls verschiedene Änderungen erfahren.
Die Coda mit ihren gebrochenen Oktaven ist klaviertechnisch sehr anspruchsvoll; nachdem noch einmal die Melodie der Schlussgruppe ertönt ist, schließt der Satz auf einer Fantasie über die Anfangsakkorde im Fortissimo.
Zweiter Satz
Scherzo: Assai vivace – B-Dur/b-Moll, 3/4-Takt
Liebenswürdige und kauzige, hintergründige und bissige Klavierscherzos schrieb Beethoven schon in den Klaviersonaten op. 2, op. 14, op. 26 und op. 31. Nr. 3, aber – vielleicht abgesehen vom 2. Satz der 9. Sinfonie – kein vergleichbar abgründiges. Die punktierten Viertel könnten für „ernste Heiterkeit“ stehen – wenn sie nicht „sehr lebhaft“ gespielt werden müssten. Hier nicht zu hasten (3/4=80), den richtigen Ton zu finden und die dynamischen Vorschriften auf engstem Raum nicht zu überspielen, ist mehr als nur „schwer“. Der b-Moll-Abschnitt mit leeren Tonika-Oktaven in der einen und ausgreifenden Triolen in der anderen Hand treibt das Drama voran. Das brodelnde und zugleich verhangene Semplice baut eine enorme innere Spannung auf, die sich im Presto entlädt: In drei mal acht 2/4-Takten weiten sich die gleichläufigen Piano-Achtel über Sextakkorde zu Fortissimo-Oktaven, die in der F-Dur-Dominante – mit Sforzato auf jedem Viertel – in den Bass stürzen und nach einer Atempause in der F-Tonleiter prestissimo in den Diskant stürmen. Achtel-Fermate, auf die ein tremolierter Dominantseptakkord folgt. Dreiviertel-Pause – und das punktierte Scherzo-Thema ist wieder da – dolce, als sei alles nur ein „Scherz“ gewesen. Dass es keiner war, zeigt sich im viertaktigen Alla breve-Presto. 20 gehämmerte Doppeloktaven fallen schließlich von H auf B. Noch ein dreitaktiger Schatten des punktierten Themas. Schluss im Pianissimo.
Dritter Satz
Den berühmten Eingangstakt – Una corda, mezza voce – schob Beethoven Monate nach der Fertigstellung nach. „Wie aus unermesslicher Tiefe geholt“ (Theodor Adorno), führen die beiden Oktaven in der A-Dur-Terz zu dem überwältigenden fis-Moll-Thema – tiefe Trauer in erhabener Ruhe. Aus ihr steigt in derselben Tonart das zweite Thema. Con grand´espressione singt es machtvoll-stolz über Mittelstimmen und Tonika-Akkorden im Bass.
Zwar wiederum in Sonatenhauptsatzform, ähnelt das Adagio einem Variationssatz, denn alle Themen kehren in immer anderer Gestalt wieder. Beethoven greift dabei „romantischer“ Klaviermusik voraus: Das vielstimmige Eingangsthema erinnert an Schumann oder Brahms. In der Überleitung zum zweiten Thema lässt die Verwobenheit von Begleitung und Melodie an Chopins Nocturnes denken.
Themenveränderungen sind zwar typisch für Beethovens Spätwerk, wie in der Arietta von op. 111 finden sie aber in diesem Adagio zu höchster Ausprägung. Themen werden in Zweiunddreißigstel-Läufe aufgelöst und um Figurationen, Mittelstimmen und Verzierungen „bereichert“. Mit den Modulationen überwindet Beethoven alle – auch seine eigenen – Konventionen. Bei aller Spannung und Weite ist der dritte Satz doch Ruhepunkt und Ausdruck melancholischen Meditierens. Alles Irdische hinter sich lassend, endet er in ätherischem Fis-Dur.
Vierter Satz
Largo, Un poco piu vivace, Allegro, Prestissimo, 4/4 – Allegro risoluto, 3/4
Ein improvisatorisch wirkendes Spiel mit Takt, Tempo, Rhythmus und Tonart führt von den Abgründen des Adagios zur gewaltigen Schlussfuge. Dolce führen sachte F-Oktaven über Des-Dur und b-Moll zum Ges-Dur – dem enharmonischen Fis des Adagios. In Zweiunddreißigstel-Läufen und „ein wenig lebhafter“ geht es zum im Tempo I gehaltenen H-Dur, der Dominante des jetzt versinkenden Fis-Dur. In der Paralleltonart gis-Moll kündigen erst zwei, dann vier Stimmen in fünf Takten die Fuge an. Über schlichte Grundakkorde im Tempo I findet das H-Dur über die Subdominante E-Dur und die Paralleltonart cis-Moll zum A-Dur. Das Tenuto–Zitat des Anfangs fällt in explodierenden Synkopen vom Fortissimo ins Pianissimo und endet, wie die „Einleitung“ begonnen hat – in F-Dur, der Subdominante vom B-Dur des Kopfsatzes und der Fuge.
Das Allegro risoluto (1/4 = 144) beginnt mit leisen Trillern auf dem F-Akkord, die in vier Takten zum Hauptthema der Fuga a tre voci, con alcune licenze führen. Sie ist eines der größten kontrapunktistischen Werke Beethovens und gilt als einer der schwierigsten Sätze der Klavierliteratur. Das Thema basiert auf absteigenden Sechzehntelläufen und wird in unzähligen Varianten in den folgenden fast 400 Takten durchgespielt. Zwischenzeitlich kommt ein zweites Thema in Vierteln hinzu, das mitunter gleichzeitig mit dem ersten erklingt.
Beethoven schickt das Thema hierbei durch alle erdenklichen Veränderungsprozesse, die aus der barocken Fugenkunst bekannt sind: Vergrößerung, Rücklauf (Krebsgang – diese stärkste aller Veränderung steht als einer der Höhepunkte des Satzes in h-Moll), Umkehrung, schließlich sogar Original und Umkehrung zugleich. Das Ganze steigert sich in einer riesigen von Trillern begleiteten Coda, um schließlich mit den gleichen Fortissimo-Akkorden wie die frühe B-Dur-Sonate zu enden.
Literatur
• Joachim Kaiser: Beethovens zweiunddreißig Klaviersonaten und ihre Interpreten. Fischer, 1999, ISBN 3-596-23601-0.
• Siegfried Mauser: Beethovens Klaviersonaten. C. H. Beck, 2001, ISBN 3-406-41873-2.
• Erwin Ratz: Einführung in die musikalische Formenlehre. Universal Edition, 3. Aufl., 1973.
• Jürgen Uhde: Beethovens Klaviermusik. Reclam, 2000, ISBN 3-15-010151-4.
Viel Spaß mit der Lektüre und später mit den einzelnen Aufnahme dieses "sonata assoluta".
Liebe Grüße
Willi