Das finde ich einen hoch interessanten Gedanken! Sie tut also das gleiche wie Cherubino, der ja das Band aus eben diesem Grunde behalten möchte!
Das zeigt auch wieder, dass es gut ist, wenn man sich mit Sekundärliteratur beschäftigt, statt sich auf das reine Hören zu beschränken.
Ich habe jetzt noch weiter recherchiert, wie ein Wilder herumübersetzt und unterschiedliche Versionen gesucht.
Zuerst einmal eine wichtige Info, die ich nachreichen möchte: der schlechte Übersetzer, von dem ich sprach, heißt Franz Dingelstedt (1814-1881). Wenn du auf einen deutschen Figaro von Beaumarchais stößt, und liest, dass die Übersetzung von ihm ist, gleich vergessen und wieder zurückstellen. Ich zeige dir gleich warum. Wenn du auf eine deutsche Übersetzung von jemand anderem stößt, bitte gib mir Bescheid!
Ich habe mir weitere Aussagen aus dem Stück angesehen, und da wird tatsächlich deutlich, dass das Band für die Gräfin wichtig ist. Nachdem der ganze Aufruhr um die verschlossene Türe vorbei und die Gräfin alleine ist, sagt sie folgendes:
ZitatAh! mon cher ruban , va , tu ne me quitteras plus. Tu me rappelleras la scéne oú ce malheureux enfant... Ah ! Monsieur le Comte , qu´avez-vous fait ? (Elle met la ruban dans son sein).
Ah! mein liebes Band, komm schon, du wirst mich nicht wieder verlassen. Du wirst mich an die Szene erinnern, wo dieses unglückselige Kind... Ah! Herr Graf, was haben Sie getan? (Sie legt das Band in ihre Brust.)
Das ist schon ziemlich deutlich, finde ich. (Bei Mozart fehlt das übrigens komplett, ich glaube, bei ihm ist dann keine Rede mehr davon)
Eine andere französische Analyse, die ich wiederum habe übersetzen lassen, erzählt noch mehr von dem Band:
ZitatAm 1. Akt stahl Cherubin von Suzanne das "Nachtband" der Gräfin. Dieses Stück Stoff, das die Haare seines Idols in der Nacht umgibt, nimmt ihm die Bedeutung eines intimen Gegenstandes, dessen Besitz ihn dem geliebten Menschen näher bringt.
Am zweiten Akt entdeckt die Gräfin ihr mit Blut beflecktes Band auf Cherubins Arm. Sie gibt vor, ihn für den Diebstahl zu schimpfen, und brachte ihre Absicht zum Ausdruck, sie an der Seite zu halten, indem sie die medizinischen Tugenden des jungen Mannes für den begehrten Gegenstand beanspruchte. Sie werde sie an ihren Dienstmädchen testen, sagte sie. Tatsächlich gibt sie diesem blutbefleckten Band tatsächlich den intimsten, sentimentalsten Wert. Das Band wird im II. Akt zum Symbol der Attraktion der Gräfin zu Cherubim.
Die folgenden Auftritte des Farbbands bestätigen diese Interpretation. Am Ende des zweiten Aktes nimmt die Gräfin das Band von der Hirtin, rollt es um und schiebt es gegen ihr Herz und sagt: "Du wirst mich nicht mehr verlassen". Im IV. Akt ließ die Gräfin das Band, das sie fest am Herzen hielt, fallen, während sie ihr Levit abnahm, um nach einer Anstecknadel zu suchen. Sie weigert sich, ihn Suzanne anzuvertrauen, damit sie ihn reinigen kann und behauptet, dass sie ihn Fanchette anbieten wird, wenn das Mädchen ihm das nächste Mal einen Strauß bringt. Als Cherubin dann als Mädchen verkleidet hereinkommt, versteckt sie schnell das Band. Alle diese Ereignisse unterstreichen den Preis, den die Gräfin dem Band gibt. Ihre Lüge an Suzanne zeigt ihr, dass sie sich der Schuld dieser Verbundenheit bewusst ist. Das Band symbolisiert nun die Versuchung des Ehebruchs.
Was hältst du davon?
Hier, wie versprochen, etwas zu der schlechten Übersetzung. Ich zitiere noch einmal den (deutsch übersetzten) Text des Originals:
ZitatAh! mon cher ruban , va , tu ne me quitteras plus. Tu me rappelleras la scéne oú ce malheureux enfant... Ah ! Monsieur le Comte , qu´avez-vous fait ? (Elle met la ruban dans son sein).
Ah! mein liebes Band, komm schon, du wirst mich nicht wieder verlassen. Du wirst mich an die Szene erinnern, wo dieses unglückselige Kind... Ah! Herr Graf, was haben Sie getan? (Sie legt das Band in ihre Brust).
Und jetzt lies mal, was Dingelstedt daraus macht:
ZitatSieh da, mein Band, mein liebes Band, dich hätt' ich fast vergessen! Ich werde dich nicht mehr von mir lassen, du sollst mich an den armen Knaben erinnern, der hier vor mir kniete, dort (auf das Fenster deutend) sein Leben für mich wagte! ... Cherubin! (Sie wickelt das Band auf.) Herr Graf, was haben Sie gethan? Was thu' ich selbst in diesem Augenblick?
Fürchterlich, oder?
Was ich mich aber frage: wenn Mozart und Da Ponte es tatsächlich weniger um Politik ging, und sie sowieso zensurbedingt viel streichen mussten, wieso haben sie dann auch solche Szenen wie diese rausgenommen? Sogar Harnoncourt meinte, dass es in dieser Oper nur um die Beziehungen zwischen den Figuren ging.
LG,
Hosenrolle1