Austausch über Höreindrücke zu den Sänger-Jubilaren

  • Die slowenische Mezzosporanistin Marjana Lipovsek, zu der das Wiener und das Münchner Opernpublikum eine besonders innige Beziehung haben, feiert heute ihren 71. Geburtstag. "Stimmenliebhaber" hat zu diesem Anlass die Arie "Mon coeur s'ouvre à ta voix" herausgesucht und damit, wie ich finde, eine gute Wahl getroffen, um sich an diese Sängerin anzunähern.
    Lipovsek Stimme ist im besten Sinne des Wortes sinnlich, sie verfügt über eine warme, üppige Mittellage und steuert von da aus mit beinahe stoischer Gelassenheit die Höhe und die Tiefe an, gerät aber aufgrund dieser Ruhe immer ein wenig in die Gefahr, eine gewisse Lethargie auszustrahlen. Außerdem ist ein (wenn auch ganz leichter) s-Fehler zu verzeichnen. "Mon coeur" wird rund angesetzt, etwas mehr piano hätte sie hier durchaus singen können. Das ganz leichte Aspirieren bei "aux baisers" ist zwar kein sehr guter Stil, geht aber gerade noch so als gestalterisches Mittel durch, da - das hat "Caruso41" richtig bemerkt - man an dieser Stelle wirklich nicht weiß, wie ehrlich es Dalila mit Samson meint. Das crescendo auf "Mais, o, mon bien aimé" hat durchaus Biss, könnte noch etwas extremer ausgearbeitet sein. Die erste wirklich bemerkenswerte Stelle finde ich das subito-diminuendo auf der punktierten Achtel bei "Que ta voix..." - hier zeigt sich die erotische Unberechenbarkeit der Figur und zugleich ihre Gefährlichkeit. "Dismoi qu'a Dalila" strahlt Selbstbewusstsein, jedoch keine allzu große Dominanz aus aus, das finde ich für diese Phrase sehr passend, da zwar ein Bekenntnis von Samson eingefordert wird, aber das ganze noch eine spielerische Dimension hat. Die nächsten Phrasen gelingen fließend, wenn man auch auf den ganz langen Atem verzichten muss. Bemerkenswert finde ich das auf einem flirrenden Tonfocus gezogene diminuendo auf "ces serments que j'aimais", das auf diese Weise wahrhaft verführerisch klingt. "Ah! reponds.." ist zwar durchaus "dulce" wie notiert, wird aber aus meiner Sicht etwas zu phlegmatisch angegangen, hat nicht allzu viel von der erotischen Aufladung, die hier stattfinden könnte. Auch der Zwischenatmer vor dem zweiten "reponds" ist etwas schade. Beim tiefen es auf l'ivresse" widersteht sie gekonnt der Versuchung dem Ton durch eine brustige Tongebung eine falsche Sinnlichkeit angedeihen zu lassen. Die zweite Strophe wird wiederum sehr ebenmäßig angegangen: "La flèche est moins rapide" ist mit einem beherzten Zugriff gesungen, was plausibel ist, da es hier eine Steigerung zur ersten Strophe geben muss. "A voler dans te bras" weist eine gelungene Mischung aus überzeugenden Akzenten im ersten Teil der Phrase auf, bevor das auf "bras" wieder ein sehr gekonntes diminuendo zu verzeichnen - sehr gelungen, wie ich finde. Das wiederholte "Ah! reponds!..." ist dem aus der ersten Strophe etwas zu ähnlich, um wirklich aufregend zu sein. Auch finde ich die dynamischen Steigerungen im Schlussteil, die in das forte auf "Ah! verse moi..." münden, etwas zu buchstabengetreu, um der existentiellen Situation gerecht zu werden, in der sich beide Figuren in dieser Szene befinden.
    Unter dem Strich eine sehr gediegene Interpretation mit wenig Ausschlägen in die eine wie die andere Richtung: Agnes Baltsa, ohne die richtige Stimme für die Partie zu haben, veranstaltet großes interpretatorisches Kino, während Hélène Bouvier, in der für mich unerreichten Aufnahme unter Louis Forestier 1946 neben José Luccioni die wahre Gelassenheit einer fin-die-siècle-Deutung an den Tag legt. Marjana Lipovsek manövriert sich gewissermaßen in der Mitte durch, mit viel vokaler Qualität, aber auch einer etwas (zu) gepflegten Routine.

  • Dem wackeren Frank Guarrera, den ich für einen durchaus brauchbaren Escamillo (auch wenn sein Stierfechter eher von der brachialen als von der eleganten Art ist) und Amonasro halte, hat "Stimmenliebhaber" mit der Auswahl von "Cruda funesta smania" keinen allzu großen Gefallen getan, die durchdringende, ganz und gar nicht schmeichelhafte, beinahe penetrante Stimme scheint bei Belcanto-Partien nicht besonders gut aufgehoben zu sein. Bereits die erste Phrase ist mehr buchstabiert als gesungen und dazu zum Teil sehr unschön nachgedrückt. Der Hass, den Enrico seinem Erzfeind entgegenbringt, müsste wahrlich nicht im Zerhacken der Phrasen seine Entsprechung finden. Das e auf "fronte" gelingt zwar kernig, nur leider bellt er danach bei "Colma di tanto obbrobrio" munter weiter drauflos, während diese Phrase doch eine gewisse Zurückhaltung, ein "Durch-die-Zähne-Sprechen" vertragen könnte. "Ah! pria che d'amor si perfido" verkommt durch einen in die Maske gepressten Tonansatz beinahe den Charakter der Karikatur eines Bösewichtes. Die zahlreichen Triolen am Ende der Arie werden mehr herausgestoßen als in eine sinnvolle Phrasierung eingebettet.
    Die Cabaletta ist etwas, wenn auch nicht viel besser. Das vokale Zupacken, mit dem er an die Phrasen geht, entspricht durchaus der dramatischen Situation, ist aber gleichzeitig viel zu handfest und zeigt, dass dieser Enrico kein echter Gegenspieler für Edgardo sein kann. Weiter geht es stilistisch höchst abenteuerlich: "Sciagurati!" derart vokal zu überzeichnen, wäre selbst im Verismo schlechter Geschmack. Immerhin hält er am Schluss das g lange aus, so dass ihm immerhin ein gewisser Applaus sicher ist. Eine Interpretation dieser Szene, die ich wahrlich nicht allzu schnell wiederhören muss...

  • Ich finde es ungewollt frappierend, dass zu Marjana Lipovseks 71. Geburtstag, zu dem ich heute im Erinnerungsthread gratulierte, Stimmenliebhaber und Melomane ihre Interpretation der Arie "Mon coeur s'ouvre a ta voix" aus der Oper "Samson e Dalila" von Camille Saint Saens an dieser Stelle besprochen haben, während ich gestern im "Alternativen Adventskalender" an die 140. Wiederkehr der Uraufführung dieser Oper erinnert habe.


    Mal schaun, ob sich weitere derartige "Kreuzungen" ergeben.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Bevor hier jemand meckert: Ich habe mit diesem Beitrag vor 0.00 Uhr begonnen. :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber "Melomane",


    ich freue mich sehr, dass du dich - in gewohnter Kompetenz - zu zwei der drei von mir eingestellten Videos geäußert hast. Das war sehr interessant zu lesen und gibt mir das Gefühl, mit meinem Urteil in beiden Fällen nicht weit von deinem weg zu sein. :yes: :jubel: :hello:


    Bei der Videoauswahl bin ich nicht immer sehr wählerisch und nehme häufig eines der mir bei Youtube angebotenen oberen. Dass ich bei Frau Lipovsek die Dalila gewählt habem hatte - wie geschrieben - darüber hinaus "autobiografische" Gründe, lieber Willi. :hello:


    Magst du, Willi, auch deinen Höreindruck zur Dalila von Frau Lipovsek beschreiben? ;)
    Du musst dich ja nicht am hohen Niveau des "Melomanen" orientieren, sondern kannst meine deutlich bescheidendere Analyse zitieren und hinter jeden Satz schreiben, ob du das auch so hörst oder nicht. 8o :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Willi hat heute dankenswerterweise in seiner Jubiläumsrubrik Yvonne Minton, die meine erste Schallplatten-Fricka (im Dresdner Janowski-"Ring") war, zu ihrem 79. Geburtstag gratuliert. Stimmlich fand ich sie damals üppig und imponierend, in der Artikulation jedoch zu verwaschen.


    Hören wir uns hier ihre Waldtaube aus Schönbergs "Gurre-Liedern" an:



    https://www.youtube.com/watch?v=uhgebkrdUoA


    Eigentlich ist mein aktueller Höreindruck von der Waldtaube nicht viel anders als mein erinnerter von der Fricka. So streng und herb das Orchester (unter Boulez) auch klingt, die Altstimme klingt üppig und satt, regelrecht süffig, sehr viel deutschen Text verstehe ich aber nicht, was mit einem relativ starken Vokalausgleich und einem Hang zu wundervollen Legatobögen (welche leider die Konsonanten nicht mitnehmen, sondern untergehen lassen) zu tun haben. Klanglich gefällt mir die Stimme in allen Lagen, auch in der etwas sopranig werdenden Höhe. Würde es sich um Vokalisen handeln, fände ich ihren Gesang allererste Sahne, aber Gesang ist nun einmal die Verbindung von Wort und Ton, und die gelingt Frau Minton in der deutschen Sprache nun wirklich alles andere als optimal.


    Bei "Den Sarg sah ich auf Königs Schultern" wird sie sprachlich etwas präsenter, ich verstehe sie mal, aber das hält nicht lange an...


    Den Klang in der Höhe finde ich aber trotz einer gewissen Verhärtung immer noch schön. Eine extrem große Ausrucks- und Gestaltungspalette höre ich jetzt nicht, es gibt nicht viele stimmgestalterische Facetten zu konstatieren, aber in der Stimme schwingt Emotion mit. Unten wirkt die Stimme eher pastos, oben durchaus dramatisch.
    Das einzige, was mir wirklich fehlt, ist die Textverständlichkeit.


    Der absolute Spitzenton gegen Ende (bei ca. 10:44) macht ihr dann doch große Mühe, das ist kein schöner Klang mehr, aber alle anderen Töne sind schon ein klanglich kulinarisches Erlebnis.


    Gibt es andere Meinungen?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Ich habe heute in Willis Gedenkrubrik an den 20. Todestag des Tenors Paul Kuën erinnert, der als Mime und David als der Schrecken der Heldentenöre galt, weil er, obgleich eigentlich Charaktertenor, diese mühelos gegen die Wand singen konnte - so die "Legende". Ist da was dran?


    Hören wir den Eingangsmonolog des Mime aus dem 1. Akt "Siegfried" von Richard Wagner:



    https://www.youtube.com/watch?v=VeheWH3K6i8


    "Zwangvolle Plage, Müh' ohne Zweck" (ab 3:45) - zweifellos eine große, durchdringende Stimme, sehr textverständlich, nicht besonders schön oder edel, aber schön und edel muss ein Charaktertenor ja auch nicht klingen. Muss ein Mime allerdings die Nebensilbe von "Plage" so nachdrücken bzw. so unschön abreißen?


    "Es gibt ein Schwert" - die Tiefe ist zumindest nicht unbegrenzt. Das gilt auch für "Fafner, der wilde Wurm". Das habe ich schon müheloser gehört.
    "Das er nicht zerschwänge" ist fast weggesprochen, die eigentliche Gesangslinie wird hier fast völlig aufgegeben.
    Generell empfinde ich die Stimmführung als zu unruhig, ein nervöses Tremolo hört man fast durchgehend, einige Vokale sind zu offen gebildet. (z.B. das "o" bei "erläge wohl Fafners Leib")
    Die Nervosität und Erregung, ja Verzweiflung der Figur Mime in dieser Szene kommt bei diesem Interpreten allerdings großartig zum Ausdruck.


    "Und ich kann's nicht schweißen" - Power und Attacke hat diese Stimme schon, obwohl er sich diese nicht durch Chargieren abtrotzt wie einige spätere Rollenvertreter, die noch mehr (nur) Charaktertenöre als er waren.


    Der Übergang zur Auftrittsmusik Siegfried ist vom "Team" Keilberth - Kuën natürlich äußerst unglücklich "gelöst"... :pfeif: :stumm:


    Und dann kommt Tamino... 8-) :untertauch:


    Fazit: Paul Kuën ist ein sehr guter, überzeugender Mime, aber mein Lieblingsinterpret in dieser Rolle ist er nicht. Das große legendenumwobene Faszinosum um diesen Mime kann ich zumindest nach dem Hören dieser kurzen Szene nicht ganz nachvollziehen.


    Andere Meinungen zum besprochenen Video-Ausschnitt?


    Es geht hier freilich um Mime, nicht um Siegfried... :!:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der Tenor Franz Völker, an dessen 52. Todestag Willi heute dankenswerterweise in seiner Gedenkrubrik erinnert hat, gilt vielen ja als der ideale Lohengrin. Ich muss gestehen, bislang zu diesem Tenor und seiner Stimme keine große Bindung aufgebaut haben zu können, was vielleicht auch daran liegt, dass ich ihn nicht über seine Studio-Einspielungen, sondern durch einen Live-"Lohengrin" aus dem 1940er Jahren aus der Staatsoper Berlin unter Robert Heger kennen lernte, und da fand ich ihn eher etwas durchwachsen.


    Aber nun höre ich mir einfach mal seine Studio-Gralserzählung (aus Bayreuth 1936) an und äußere mich primär zum bekannten ersten Teil:



    https://www.youtube.com/watch?v=MaWbPrfjX1M


    "In fernem Land, unnahbar euren Schritten" - eine schöne lyrische Tenor-Stimme erklingt, ein bissl dumpf und "ungefähr", aber für diese Stelle am Beginn, die sich ja quasi aus dem Nichts entwickelt, ist das gar alle andere als verkehrt. Am schönsten finde ich seine überirdisch hellen "a"-Vokalfärbungen bei "Land" und "unnahbar".


    "liegt eine Burg, die Monsalvat genannt"- Völker singt das sehr weich, bei "salvat" gar zu weich bzw. ohne das nötige "w" - die Konsonantenformung klingt für heutige Ohren nicht immer ideal, die Vokalfärbungen hingegen finde ich beinahe durchweg ziemlich ideal. Sehr gelungen ist auch seine klingende Formung des Konsonanten "n", zum Beispiel bei "Land", "unnahbar" oder "genannt".


    "ein lichter Temperl stehet dort inmitten" - Völker widersteht hier - im Vergleich zu vielen Fachkollegen - der Versuchung, in dieser angenehmen Lage mehr Kraft zu geben, sondern bleibt auch in der Höhe leicht und damit klanglich wie überirdisch.


    "so kostbar, als auf Erden nichts bekannt." - wunderbar ist auch die Tiefe bei "so kostbar", ohne Druck trotz der unteren Lage hell und frei klingend, schwebend, keine Selbstverständlichkeit, klingt große Klasse! Sehr gelungen auch wieder die klingenden "n"'s bei "Erden nichts bekannt", die die Sonorität des Stimmklangs noch weiter verstärken und die Stimme noch weicher machen.


    "Drin ein Gefäß von wundertät'gem Segen" - Nun geht es langsam weiter hoch. Großartig gelungen finde ich den akzentuierten Einstieg auf "Drin" und das sofortige Zurückgehen auf "ein", wodurch auch das "Gefäß" leise und weich, quasi überirdisch bleibt. Bei "-gem Segen" gibt er dann zwar schon mehr Stimme, aber es ist weniger ein zusätzlicher Kraftaufwand, den man hört, sondern vielmehr einen immer noch angenehmen, edel fokussierten Klang(-zuwachs).


    "wird dort als höchstes Heiligtum bewacht" - sehr schön auf lyrischem Bogen gesungen, allerdings doch ein bissl schlampig artikuliert; "wird dort" ist verwaschen, auch das "bewacht" ist kaum zu verstehen.


    "es ward, dass sein der Menschen reinste pflegen" - die lange Pause, um das Komma und damit den Textsinn zu verdeutlichen, finde ich großartig, ich merke, dass dieser Sänger genau weiß, was er singt, und diesen Sinn auch seinem Publikum vermitteln will. Nach dem Komma-Atmer ein wunderbarer Legato-Bogen. Dass er den Komma-Atmer atemtechnisch nicht nötig gehabt hätte, merkt man an "herab von einer Engelsschar gebracht", wo er mühelos in einem Atem durchsingt. Umso höher rechne ich ihm das hörbare Komma vor "dass sein" an. Leider ist das Wort "gebracht" wieder kaum zu verstehen.


    "Alljährlich naht vom Himmel eine Taube" - die gefürchtete Taube kommt sicher und auch klangschön, aber nicht mit dieser Piano-Entrückung, mit der es einige spätere Interpreten schafften, gerade diese Stelle zu einem besonderen Erlebnis werden zu lassen. Völker gibt auf diesem Ton beinahe die bis dahin stärkste Kraft, die er bislang in der Gralserzählung aufbrachte, was ein bissl schade ist. Ihm scheint es wichtiger, die Tonhöhensteigerungen der musikalischen Linie auch durch die Steigerung der innen Beteiligung und Emphase nachvollziehbar und erlebbar werden zu lassen. Das ist nachvollziehbar, aber überirdisch schön ist ausgerechnet diese Stelle nicht. Stimmt aber auch nur zur Hälfte, denn das leichte Abprasieren auf der Nebensilbe "-be" von "Taube" geht nicht besser!


    "um neu zu stärken seine Wunderkraft" - jetzt wird seine Stimme erstmals in dieser Gralserzählung wirklich heldisch, wenn auch noch gezügelt-kontrolliert, der "u" bei "Wunderkraft" ist nicht ganz optimal gefärbt.


    "Es heißt der Gral" - jetzt erreicht sein Gesang passend zur Stelle seinen heldischen Höhepunkt, fast ein wenig zu forciert schon vor dem Spitzenton, also bei "es heißt der". Der Spitzenton selbst ist freilich sehr gelungen.


    Quasi zu Beginn einer neuen Strophe oder zumindest eines neuen Satzes, einer neuen Aussage, packt er bei "Wer nun dem Gral" mehr zu, wird heldischer.


    Schön, dass er danach wieder zurückgehen kann und die nächsten Passagen wieder lyrischer singt. Der bis dato absolute Höhepunkt ist sein "a" bei "seine heilge Kraft". Ebenfalls ein Höhepunkt ist das zarte offene "a" bei "unerkannt", auch bei "Grales" und "Laien" sind gerade die a-Vokale eine Offenbarung, während das "erkennt" zwar sehr sicher sitzt, der Vokal "e" hier aber eigentlich nocht offen genug geformt wird. Zuvor sind seine geschlossenen "e"'s freilich top!


    Nun hört, nun kommt der absolute Höhepunkt: das "lohne" ist eine klitzekleine Idee zu offen, das stört aber gar nicht, denn man spürt die musikalische Steigerung, die wachsende Emphase des Sängers, die sich auf dem hohen A von "Gral" ganz wunderbar entlädt, wobei auch der "Abgesang" nach diesem Spitzenton ziemlich ideal getroffen wird, was ja gerade bei Tenören, die sich viel zu häufig nur auf die Spitzentöne konzentrieren, alles andere als selbstverständlich ist.
    "Mein Vater Parsifal" - wunderbar, und dann kommt mit der "Krone" noch die absolute Offenbarung, während der "Ritter" eine kleine Idee zu eng ist, wobei der anschließende "Abgesang" danach bis zum "genannt" wieder ziemlich ideal ist.


    Fazit: Trotz minimaler Einschränkungen insbesondere bei der Artikulation ist das eine phantastische gesangliche Interpretation - große Klasse!
    :jubel: :jubel: :jubel: :hail: :hail: :hail:
    Da höre ich mir in diesem Falle doch gerne auch noch den ansonsten wenig geliebten zweiten Teil der Gralserzählung an. :yes: :thumbup:


    Und was meinen die anderen dazu? :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Schön, dass hier an eine sehr bekannte Aufnahme der "Gralserzählung" erinnert wird, die auch beim erneuten Hören wieder eine absolute Offenbarung darstellt. Blendet man die finstere Zeit aus, in der diese Aufnahme entstanden ist, so kann man sich an einer unglaublich hohen Synthese aus klanglicher Vielfalt von sängerischen Möglichkeiten und beseeltem Musizieren erfreuen. Furtwängler und Völker scheinen sich wahrlich blind zu verstehen.


    Völkers Stimme ist rund, von einer klaren, durchaus sonoren Tongebung gekennzeichnet, wenn auch nicht übermäßig ausladend. Schon die erste Phrase "In fernem Land" weist die typische, leicht nasale, aber trotzdem angenehm vibrierende Tongebung auf. "...liegt eine Burg, die Monsalvat genannt." mit strömendem legato, aber etwas schwachen Konsonanten, wie das "v" von Monsalvat, was fast nicht zu hören ist. "Stimmenliebhaber" hat bereits darauf hingewiesen.


    Weiter geht es ohne die ganz großen Ausschläge. Es wird erzählt, und das eher schlicht als blumig. Das "schlicht" ist aber durchaus nicht als Einschränkung zu verstehen, im Gegenteil: Die einzelnen Stationen, wie der "Tempel", aber auch das "Gefäß" und das "Heiligtum" erscheinen in Völkers Interpretation als etwas für Lohengrin völlig Normales, nichts Entrücktes, was nebenbei auch erklärt, weshalb sich Lohengrin in der säbelrasselnden Realität von König Heinrich und den edlen von Brabant nicht dauerhaft behaupten kann. Die Gralswelt, wie sie uns Völker präsentiert, ist keine entrückte mythische Welt, sondern ein Reich des Klanges, der langen Bögen, der erfüllten musikalischen Momente. Gewissermaßen nimmt Völker die erst Jahrzehnte später von Hans Mayer aufgestellte These, dass Lohengrin eigentlich ein unverstandener Künstler ist, mit dieser einfachen, klangvollen, beseelten Singweise bereits vorweg.


    "Es ward, dass sein der Menschen reinste pflegen..." ist von einem derart verschwenderischen legato unterfüttert, dass beim Anhören dieser Phrase sofort klar wird, warum der "Lohengrin" häufig als Wagners "italienischste" Oper bezeichnet wird.


    Auch die "Taube" wird wunderbar im voll tönenden, nicht besonders falsettlastigen piano angesetzt und zu einem fein strömenden mezzoforte aufgezogen. Bravo! "Es heißt der Gral" hat wiederum sehr viel heldentenorale Attacke, vielleicht reißt hier der Ton hier eine Idee zu früh ab. "Wer nun dem Gral..": Hier zeigt sich Völkers etwas zu stark ausgeprägte Haltung, vokale künstlich abzudunkeln, so dass es etwas zu sehr nach "Grol" klingt. Die herzerfrischende Ehrlichkeit, mit der Völker beteuert, dass an dem Diener des Grals "jedes Bösen Trugs verloren" sei, wird durch Furtwängler durch ein minimales, kaum merkliches accelerando unterstützt, so dass an der inneren Bewegung der Figur an dieser Stelle gar kein Zweifel aufkommen mag. Die "heil'ge Kraft" wird wunderbar klangvoll gesungen und nicht gestemmt wie bei einigen allzu schweren Vertretern dieser Partie. Das anziehende Tempo bei "des Ritters drum sollt' Zweifel ihr nicht hegen..." vermehrt die Spannung, auf das Folgende, die kurze, aber wohl gesetzt Pause erfährt in "dann muss er von euch ziehen" eine gleichermaßen entwaffnende wie erhellende Auflösung. Der ungeheure Klangreichtum der "vom Gral ward' ich zu euch daher gesandt" vermittelt einen Eindruck davon wie strahlend Lohengrin diese Sphäre empfindet, es ist wahrlich ein Ritter "aus Glanz und Wonne."


    Auch die zweite Strophe gerät von schlichter, aber nicht weniger eindrücklichen Beredtsamkeit. Wunderbar, wie sich die Stimme bei "ein klagend Tönen" fast unmerklich eindunkelt, während "daraus im Tempel wir sogleich vernommen" wieder die andere, einfache strahlende Tongebung, die weite Strecken der ersten Strophe dominiert, aufweist. Zum Ende der zweiten Strophe, wenn Lohengrin seinen Weg durch "Flüsse" und "wilde Meereswogen" durch die ihn der Schwan zieht, beschreibt, dann kommt im Singen beinahe so etwas wie eine Euphorie des Abenteuers auf, maß- und sinnvoll unterstützt von Furtwänglers ungeheuer intuitivem dramatischen Verständnis, das sich in kleinsten dynamischen Bewegungen und einer fast unmerklich pulsierenden Agogik widerspiegelt. Nein, diese zweite Strophe, entwaffnet Wagners Befürchtung, sie würde einen "erkältenden Eindruck machen" voll und ganz und dass allein durch ihre gesangliche wie interpretatorische Qualität.


    Eine epochale, großartige Deutung der Gralserzählung, die bis heute Maßstäbe setzt in puncto erfüllter Schlichtheit des Musizierens.

  • Lieber "Melomane",


    ich danke dir sehr herzlich für deinen fulminanten Beitrag zu Völkers Gralserzählung! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Einerseits freue ich mich, dass überhaupt jemand geantwortet und meinem Höreindruck den seinen entgegengesetzt hat, andererseits freut es mich natürlich auch, wenn solch ein offensichtlicher Fachmann und Stimmenexperte wie du zu einer ganz ähnlichen (in diesem Fall sehr positiven) Einschätzung kommt wie ich.


    Natürlich würde mich auch deine Meinung zu den anderen Sängerinnen und Sängern interessieren, von denen ich in den letzten Tagen noch Videos eingestellt habe, aber ich verstehe schon, dass die nicht ganz so dankbar sind und sich nicht so gut für überschwängliche Elogen eignen wie im Fall der Gralserzählung von Franz Völker.


    Bis zum nächsten Austausch über Höreindrücke hier! :hail: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da diese Rubrik am heutigen Nikolaustag genau einen Monat alt wird, möchte ich diesen Anlass nutzen, hier alle Jubilare alphabetisch aufzulisten, zu denen hier Höreindrücke geschildert wurden:


    de Angelis, Nazzareno (Beiträge 158, 161)
    Baltsa, Agnes (Beiträge 173, 175, 178, 181)
    Bastin, Jules (Beiträge 314, 315, 316)
    Battistini, Mattia (Beiträge 15, 27, 32)
    Cappuccilli, Piero (Beiträge 43, 44, 45, 46, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 63)
    Escalais, Leon (Beiträge 36, 37, 38)
    Franz, Paul (Beiträge 303, 304, 305, 306, 307, 308)
    Friedland, Brünnhild (Beiträge 105, 107, 108, 111, 112)
    Galli-Curci (Curzi), Amelita (Beiträge 166, 167, 168, 170, 171)
    Goltz, Christel (Beiträge 120, 121, 122, 129, 132, 135, 136, 137)
    Grob-Prandl, Gertrude (Beiträge 87, 93, 95)
    Grümmer, Elisabeth (Beiträge 2, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 20, 27, 29, 86, 87)
    Guarrera, Frank (Beiträge 325, 332)
    Hüsch, Gerhard (Beiträge 241, 245, 246)
    Jurinac, Sena (Beiträge 226, 227, 229)
    Kadinskaya, Klara (Beiträge 138, 139, 140, 145, 146, 147)
    Kollo, René (Beiträge 206, 242, 243, 259, 261, 262)
    Kraus, Alfredo (Beiträge 260, 263, 264, 265, 266, 269, 271, 272)
    Kruscheniski (Kruschelnitzka, Krusceniski), Salomea (Salome) (Beiträge 141, 142, 143, 144)
    Kuën, Paul (Beitrag 336)
    Lang, Petra (Beiträge 297, 298, 299, 301, 302)
    Lipovcek, Marjana (Beiträge 324, 326, 331)
    Lisitsian (Lisitian, Lisizian), Pawel (Beiträge 16, 18, 23, 24, 30)
    Minton, Yvonne (Beitrag 335)
    Pertile, Aureliano (Beiträge 47, 49, 50, 53, 54, 64, 68)
    Plümacher, Hetty (Beitrag 323)
    Popp, Lucia (Beiträge 100, 101, 113, 114, 115, 116, 123)
    Reizen, Mark (Beiträge 281, 282, 284, 286, 291)
    Schlüter, Erna (Beiträge 309, 310, 311, 312, 315, 316, 317, 318, 319)
    Schöffler, Paul (Beiträge 198, 199)
    Scholl, Andreas (Beiträge 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81)
    Schumann-Heink, Ernestine (Beiträge 157, 159, 160, 162, 169, 170)
    Schwarz, Josef (Beiträge 69, 70, 71, 72, 73, 83, 84, 85, 88)
    Söderström, Elisabeth (Beiträge 183, 184, 186, 187, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 200, 201, 202, 203, 205, 207, 208, 209, 210, 217, 219, 221, 223, 230, 231, 232, 233, 249, 255, 256, 257, 258)
    Unger, Gerhard (Beiträge 283, 285, 286)
    Vallin, Ninon (Beiträge 247, 248, 251, 252, 254)
    Völker, Franz (Beitrag 337, 338, 339)
    Vulpius, Jutta (Beiträge 151, 152, 153, 154, 155, 156, 165)
    Wenglor, Ingeborg (Beiräge 172, 176, 181, 182)
    Wohlfahrt, Erwin (Beiträge 296, 299, 300, 301)


    Außerdem wurde auch die Sängerin Trudeliese Schmidt behandelt, ohne dass wirklich Höreindrücke zu ihr geschildert wurden (Beiträge 21, 22, 26).


    Andere Sänger, die keine Jubilare waren, in dieser Rubrik aber erwähnt wurden, führe ich jetzt in dieser Zusammenfassung nicht auf.


    Den Beitrag des "Melomanen" zu Miriam Makeba (Beitrag 65) sehe ich ehrlich gesagt gerade eben erst, der ist mir irgendwie durchgerutscht, aber ich würde die berechtigte Frage, ob sie in diese Rubrik gehört, eher verneinen. Hier soll es um klassische Sängerinnen und Sänger gehen.


    Wenn dies noch gewünscht ist, könnten die entsprechenden Beiträge auch in die jeweiligen Sängerrubriken herüberkopiert werden. Ist aber nicht so einfach, weil manche Beiträge sich mit mehreren Sängern beschäftigen.


    Fazit: Für 30 Tage sicherlich keine schlechte Ausbeute! :)


    Zumindest kann "Caruso41" nun nicht mehr ernsthaft behaupten, dass in diesem Forum sich zu wenig über Stimmen ausgetauscht werden würde! :thumbsup: :hello:


    Ich bedanke mich zuallererst beim "Melomanen" und bei "Caruso41", aber auch bei "Don_Gaiferos", "Orsini" und allen anderen, die hier an einem Austausch über Höreindrücke zu Beispielvideos ausgewählter Jubilare beteiligt waren, indem sie ihre Höreindrücke geschildert haben. Das ist durchaus mit einem gewissen Aufwand verbunden und es ist schade, wenn ausführliche Schilderungen von Höreindrücken keinerlei Reaktion erfahren, aber auch das passiert mal und ist dann halt nicht zu ändern.
    Ich bedanke mich auch noch einmal bei Willi für die "Vorlagen", die er in seiner Erinnerungsrubrik gibt. :hail:


    Ob ich in der bisherigen Schlagzahl hier so weitermachen kann, ist eher fraglich, aber ich werde weiterhin versuchen, jeden Tag vielleicht zu einem Jubilar etwas zu schreiben - und ich freue mich natürlich, wenn andere auch ohne Anstoß von mir hier Sängerjubilare besprechen, indem sie entsprechende Videos zusammen mit der Beschreibung ihrer Höreindrücke hier einstellen - hat ja auch schon ein paar Mal ganz gut geklappt! :yes: :thumbup: :jubel: :hail: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Willi hat heute in seiner Gedenkrubrik dankenswerterweise an den 14. Todestag des Bassbaritons Hans Hotter erinnert. Ich habe mir gerade Wotans Abschied unter Kna aus Bayreuth 1956 angehört und kann mich ehrlich gesagt nicht motivieren, über meine Höreindrücke zu schreiben.



    Möchte vielleicht jemand anderes über seine Höreindrücke zu dieser Szene berichten?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hans Hotter


    Lieber Stimmenliebhaber,
    das ist aber nicht sehr nett, dass Du zum Gedenken an Hans Hotter gerade diese Aufnahme ausgesucht hast :untertauch: - auch wenn der Wotan vielleicht eine der Paraderollen von Hotter war, glaube ich zu verstehen, warum Du wenig motiviert bist, anhand dieses clips etwas zu Deinem Höreindruck zu schreiben...


    Ich habe mir auch nur ein paar Minuten am Anfang und ein paar Takte gegen Ende angehört. Warum?
    Was bei aller technischen Unzulänglichkeit der Aufnahme (live auf der Bühne, 1956, komprimiert für youtube) aus dem Lautsprecher schallt, gibt der Bezeichung "Singdarsteller", die Hotter gerne angeheftet wird, einen eher negativen Beigschmack. Er mag durch die Darstellung auf der Bühne und seinen Gesang großartig gewesen sein, die Tonspur allein in diesem Falle gibt das für micht nicht her :(


    Was ich beim dramatischen Auftakt dieser Szene höre, ist eine unstetige Stimme, gefühlt ohne Kern, die scheinbar durch den Raum wabert (ist das der damaligen Aufnahmetechnik geschuldet?). Die Artikulation ist über weite Strecken mäßig, einzelne Buchstaben werden verschluckt oder bis zur Unkenntlichkeit verschliffen z.B. bei Du meines Herzens heiligster Stolz oder bei Muss ich dich meiden, und darf nicht minnig mein Gruss dich mehr grüssen - das nicht minnig ist ein einziger unverständlicher Klangbrei. Die klangliche Autorität des zürnenden Göttervaters vermittelt sich mir nicht aus dieser Aufnahme...
    Besser die vokale Gestaltung im langsamen Teil beginnend bei Der Augen leuchtendes Paar, das oft ich lächelnd gekost...... hier ist die Stimme viel resonanter, fokussierter, wortdeutlicher und vermittelt vor allem ein Gefühl von Traurigkeit, nun die Tochter zu verlieren. Wunderschön zurückgenommen die Phrase so küsst er die Gottheit von dir!
    Beim Abgesang Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!, wo die Stimme wieder gegen das volle Orchester ansingen muß, ähnliche Eindrücke wie am Beginn... Fazit: ein paar schöne Momente, aber alles in allem ein eher durchwachsener Eindruck.


    Sehr viel lieber höre ich da zur Erinnerung den Liedersänger Hotter mit der Winterreise oder z.B. mit dieser Aufnahme von Im Abendrot:

    Die an sich mächtige Stimme wird stark zurückgenommen, trotzdem hat man nicht den Eindruck, einen Sänger nur mit halber Stimme singen zu hören. Die kleinen Koloraturen werden langsam genommen, Vokale und Konsanten sorgfältig geformt, die Artikulation ist sehr gut. Balsamisch die Stimme bei den letzten Zeilen, besonders beim zweiten "trinkt": ... und dies Herz eh es zusammenbricht, trinkt noch Glut und schlürft noch Licht. Trinkt noch Glut und schlürft noch Licht. Das Lied verströmt eine abgeklärte Wehmut in Hotters Interpretation. Eine meiner Lieblingsversionen.


    Es grüßt,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Lieber orsini, ich darf vielleicht korrigierend hinzufügen, dass "Im Abendrot" kein Lied aus der Winterreise D.911 von Franz Schubert, sondern unter D.799 ein Lied Franz Schuberts mit dem Text von Carl Gottlieb Lappe ist.
    Möglichweise meinst due Hotters Winterreisen-Aufnahme mit Gerald Moore:
    ,
    die ich auch sehr schätze.


    Lieber Stimmenliebhaber,


    das ist ja eine beeindruckende Bilanz, die du hier nach einem Monat gezogen hast.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • auch wenn der Wotan vielleicht eine der Paraderollen von Hotter war, glaube ich zu verstehen, warum Du wenig motiviert bist, anhand dieses clips etwas zu Deinem Höreindruck zu schreiben...


    Ich habe mir auch nur ein paar Minuten am Anfang und ein paar Takte gegen Ende angehört. Warum?
    Was bei aller technischen Unzulänglichkeit der Aufnahme (live auf der Bühne, 1956, komprimiert für youtube) aus dem Lautsprecher schallt, gibt der Bezeichung "Singdarsteller", die Hotter gerne angeheftet wird, einen eher negativen Beigschmack. Er mag durch die Darstellung auf der Bühne und seinen Gesang großartig gewesen sein, die Tonspur allein in diesem Falle gibt das für micht nicht her :(


    Was ich beim dramatischen Auftakt dieser Szene höre, ist eine unstetige Stimme, gefühlt ohne Kern, die scheinbar durch den Raum wabert (ist das der damaligen Aufnahmetechnik geschuldet?). Die Artikulation ist über weite Strecken mäßig, einzelne Buchstaben werden verschluckt oder bis zur Unkenntlichkeit verschliffen z.B. bei Du meines Herzens heiligster Stolz oder bei Muss ich dich meiden, und darf nicht minnig mein Gruss dich mehr grüssen - das nicht minnig ist ein einziger unverständlicher Klangbrei. Die klangliche Autorität des zürnenden Göttervaters vermittelt sich mir nicht aus dieser Aufnahme...
    Besser die vokale Gestaltung im langsamen Teil beginnend bei Der Augen leuchtendes Paar, das oft ich lächelnd gekost...... hier ist die Stimme viel resonanter, fokussierter, wortdeutlicher und vermittelt vor allem ein Gefühl von Traurigkeit, nun die Tochter zu verlieren. Wunderschön zurückgenommen die Phrase so küsst er die Gottheit von dir!
    Beim Abgesang Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie!, wo die Stimme wieder gegen das volle Orchester ansingen muß, ähnliche Eindrücke wie am Beginn... Fazit: ein paar schöne Momente, aber alles in allem ein eher durchwachsener Eindruck.

    Lieber "orsini",


    ich freue mich sehr, dass du auf meine "Provokation" einer Einstellung ohne Schilderung eines Höreindruckes (entgegen meiner eigenen Rubrikregel) angesprungen bist und deine Höreindrücke in einer Art und Weise beschrieben hast, wie ich sie nur voll und ganz für mich bestätigen kann. Bravo! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Sehr viel lieber höre ich da zur Erinnerung den Liedersänger Hotter mit der Winterreise oder z.B. mit dieser Aufnahme von Im Abendrot:
    Die an sich mächtige Stimme wird stark zurückgenommen, trotzdem hat man nicht den Eindruck, einen Sänger nur mit halber Stimme singen zu hören. Die kleinen Koloraturen werden langsam genommen, Vokale und Konsanten sorgfältig geformt, die Artikulation ist sehr gut. Balsamisch die Stimme bei den letzten Zeilen, besonders beim zweiten "trinkt": ... und dies Herz eh es zusammenbricht, trinkt noch Glut und schlürft noch Licht. Trinkt noch Glut und schlürft noch Licht. Das Lied verströmt eine abgeklärte Wehmut in Hotters Interpretation. Eine meiner Lieblingsversionen.

    Dieses von dir eingestellte Lied habe ich mir jetzt auch angehört. Ich gebe gerne zu, dass es wesentlich überzeugender ist als der Wotan (dabei galt er doch als DER Wotan seiner Zeit...), hundertprozentig glücklich bin ich aber auch nicht damit, obwohl auch ich durchaus etwas samtiges höre, trotzdem aber auch einen gewissen Schleier über der Stimme, der mir missfällt (vor allem bei "golden strahlend" auf den Vokalen "o" und "a", auch bei "malend") - ich bin halt im Liedgesang auf die Klarstimmigkeit eines Dietrich Fischer-Dieskau oder Siegfried Lorenz geeicht, ich kann es nicht ändern. Mir klingt Hotter häufig nicht frei genug, aber das ist auch eine Geschmacksfrage und abgesehen von diesem Einwand habe ich eigentlich keine anderen. Manchmal klingt Hotter für mich jedoch, auch in diesem Lied, als würde er mit einer heißen Kartoffel im Mund singen... (viele, zu viele Vokale überzeugen mich in ihrer Färbung nicht, sind mir zu verhangen.)


    Ich schätze, ja verehre Hans Hotter vor allem als Interpret von Richard-Strauss-Opern - als Mandryka in der Salzburger Arabella von 1947 finde ich ihn geradezu unerreicht (da gefällt er mir als "Waldschrat" weit mehr als Fischer-Dieskau), aber auch in den Charakterbass-Rollen wie Morosus und La Roche vermittelt er - trotz einiger stimmlicher Defizite - einfach unendlich viel mehr von den Rollen, als fast alle anderen Sänger seiner Generation, sodass mir diese Emotionalität, diese Zwischentöne in diesen vielschichtigen Rollen unendlich kostbar sind und ich in diesem Fach gerne über Fragen der Stimmschönheit und technischen Makellosigkeit hinweghöre, wenn ich dafür emotional so reich entschädigt werde wie von Hotter. Mag sein, dass es einigen auch bei seinen Wagner-Rollen so geht, aber da geht es mir anders.


    Der Studio-La Roche unter Sawallisch ist eine dieser unglaublichen Rollengestaltungen, die ihresgleichen sucht und die mir daher so unendlich teuer ist - im Vergleich dazu singt Ridderbusch bei Böhm das Telefonbuch runter, während Hotter diesen alten kauzigen Theaterdirektor in all seinen Facetten, seinen Stärken wie seinem Witz, aber auch in seinen Schwächen so wunderbar erlebbar werden lässt, dass man meint, ihn leibhaftig vor sich zu sehen und live zu erleben:



    https://www.youtube.com/watch?v=XTK60A8Qqwo


    Und hier der (wie gesagt) von mir so geschätzte Mandryka, weil sich die von mir empfundenen Schwächen des Sängers in dieser Rolle aufgrund deren Eigenart in Stärken verwandeln:



    https://www.youtube.com/watch?v=v4-umEH4OdQ


    :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Willi,


    das ist mir wohl bewußt ;) Deshalb auch das oder: ich höre ihn gerne mit der Winterreise oder mit Im Abendrot
    Die Winterreise mit Moore ist für mich eine CD für die berühmte einsame Insel. Keiner vermittelt für mich das Verlassensein so wie er.


    Viele Grüße nach Teneriffa,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

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  • Kirsten Flagstad, die vielen bis heute als die größte hochdramatische Sängerin aller Zeiten gilt, starb heute vor 55 Jahren. Über Flagstad und den Charakter ihrer Stimme ist unendlich viel geschrieben worden, u. a. auch, dass Aufnahmen über die wahre Größe und das wahre Volumen ihrer Stimme nur unzureichend Aufschluss geben. Bezüglich ihres Volumens gibt es die sehr bekannte Anekdote, dass sie auf der Hinterbühne der New Yorker Met einst Rosa Ponselle in einer halb scherzhaften, halb ernst gemeinten "Who-can-sing-loudest"-Competition auf die Plätze verwies.
    Ich habe mich heute für eine sehr bekannte Aufnahme entschieden, ihre Senta im "Fliegenden Holländer" unter Fritz Reiner 1937 in Covent Garden. Dieser - leider nicht vollständige - Mitschnitt zeigt uns mit Kirsten Flagstad und Herbert Janssen zwei Ausnahmekünstler auf dem Zenit ihres Könnens - gerade wie beide Stimmen im Duett im zweiten Akt miteinander förmlich verschmelzen, ist ein Meilenstein der Interpretationsgeschichte dieses Werkes. Da es aber in diesem Thread um Soloarien geht, nehmen wir die Senta-Ballade etwas unter die Lupe:



    https://www.youtube.com/watch?v=AeUaQbR2xJY



    Flagstads Stimme erscheint beim ersten Hören immer etwas indifferent, sie hat nicht den gleißenden Strahl einer Birgit Nilsson, sondern ist runder, fast auch etwas unfokussierter, wobei ich das durchaus nicht negativ meine, sondern im Abdecken aller klanglichen Spektren eine enorme Qualität dieser Stimme sehe. Das erste "Johohoe!" klingt im piano angesetzt wie aus einer anderen Welt, Flagstad entführt hier ihre Zuhörer in ein klanglich-mystisches Reich, das sowohl Realität als auch Fiktion sein könnte. Manch einer mag vielleicht etwas den mädchenhaften Ton bei dieser Interpretation vermissen, mir persönlich sagt diese Senta in der Mitte des Lebens (Flagstad war bereits 42 Jahre als, als die Aufnahme entstand) jedoch sehr zu. Der Fermaten auf den d's ("Jo ho ho hoe") stellt sie nicht ewig aus, der Anfang der Ballade erhält so einen sinnlichen Beigeschmack. Die langen Töne ("Schiff", "rot" "hohem" und "Schiffes") dominieren, unterstützt von Reiners getragenem Tempo, klanglich auch die ersten Phrasen, wobei man auch Zeuge von Flagstads etwas verwaschener Konsonantenbehandlung wird, die immer auch auf Kosten der Textverständlichkeit geht. Trotzdem gelingt es ihr m. E. in den folgenden Phrasen ("Hui! Wie saust der Wind...") auf vokaler Ebene eine ungeheure Spannung aufzubauen, besonders durch die gekonnten, gleichzeitig unaufdringlichen Akzente auf die "hui"s, aber auch das beinahe schon majestätisch lang gehaltene a' auf "Ruh". Das folgende "Più lento" ist ein Ausbund von schwärmerischen Farben, die alle glaubhaft vor dem Auge des Zuschauers heraufbeschwören, wie sinnlich Senta sich die Erlösung des Holländers imaginiert - ich nenne stellvertretend das blitzaubere Höhenpiano auf dem hohen g bei "werden", aber auch der unglaublich sehnsuchtsvolle Ton der "Ach, wann wirst du bleicher Seemann es finden?" beigemischt wird.
    Die zweite Strophe wird etwas handfester angegangen und beglaubigt so die dramatische Situation, in der der Holländer sein Seelenheil verlor. Reiner zieht das Tempo etwas an, trotzdem hat "Und Satan hört's" den nötigen Tiefgang, um verständlich zu machen, welche Kräfte hier am Werk sind. Im folgenden "Più lento" beeindruckt einmal mehr, mit wie hoher Kantabilität diese große Stimme bewegt wird. Auch das sehnsuchtsvolle portamento auf "Treue" ist meiner Ansicht nach kein schlechter Geschmack, sondern großes gestalterisches Kino.
    Die dritte Strophe verzeichnet einen gestalterischen Höhepunkt nach dem anderen: Allein das wundervolle ritenuto auf "Er freite alle..." dürfte für das damalige Londoner Publikum sein Eintrittsgeld wert gewesen sein, das im piano angesetzte hohe g auf "noch" und das wunderbare Lento auf "treues Weib" wohl ebenso. Die folgenden "Johohoe"s wiederum geben einen Eindruck davon, wie ungeheur dramatisch diese Stimme trotz ihres weichen Grundcharakters geklungen hat, wobei das accelerando auf "falsche Lieb, falsche Treu" für meinen Geschmack etwas zu extrem ist und die Sätze etwas verwaschen klingen lässt.
    Das abschließende "Ich sei's, die dich durch ihre Treu erlöse" ist von beeindruckenden, blühenden, mühelosen Spitzentönen dominiert, mit dem Triller auf "Treu" stellt sie darüber hinaus auch in der Höhe die Biegsamkeit der Stimme unter Beweis. Die Akzente auf "Durch mich sollst du das Heil" sind beinahe von mirakulöser Prägnanz und das lange f auf "Heil" erscheint dadurch noch strahlender. Das as auf dem nächsten "Heil" ist nicht minder mühelos.
    Mit dieser Senta-Ballade wird Flagstad ihrem weit verbreiteten Ruf als Jahrhundersopranistin mehr als gerecht, wenn man nach Einschränkungen suchen will, wird man hier vor allem in der nicht immer prägnanten Artikulation fündig. Trotzdem eine Aufnahme, die vokal, aber auch gestalterisch über alle Zweifel erhaben ist.

  • Lieber "Melomane",


    sei ganz herzlich bedankt für deine Würdigung von Kirsten Flagstad und deine sehr detaillierte und für mich sehr gut nachvollziehbare Beschreibung deiner Höreindrücke ihrer Senta-Ballade! :jubel: :jubel: :jubel:


    Ich wollte heute auch etwas hier zu ihr schreiben, hatte mich aber für ein anderes Video entschieden, weil ich ihre Senta-Ballada nicht ganz so positiv höre wie du.
    Warum?
    Zu allererst ist die Tonqualität dieses Videos wirklich unterirdisch, hart an der Grenze zur Unterträglichkeit. Natürlich habe ich die Aufnahme auch als CD im Regal und da klingt das meiner Erinnerung nicht ganz so unterirdisch.


    Nun gehört die Senta aber auch nicht zu meinen Lieblingspartien der Flagstad. Warum? Darum:


    Manch einer mag vielleicht etwas den mädchenhaften Ton bei dieser Interpretation vermissen, mir persönlich sagt diese Senta in der Mitte des Lebens (Flagstad war bereits 42 Jahre als, als die Aufnahme entstand) jedoch sehr zu.


    Ja, ich bin so einer, der hier den schwärmerisch-mädchenhaften Ton vermisst, weshalb mir diese Aufnahme nicht so sehr zusagt wie dir. Flagstad hat für mich eine unglaublich volle, dunkel getönte Stimme, ideal für Isolde und Brünnhilde, die sie so mühelos SINGT wie kaum eine andere. Für Senta ist mir ihre Stimme aber eigentlich zu dunkel und auch ein bissl zu steif.
    Ich weiß nicht genau, wie sehr es an der miserablen Tonqualität des Videos liegt, aber einige Töne in der Höhe wie "Trafft" finde ich nicht sehr gelungen, sie scheinen mir nicht ganz sauber zu sein.


    Die Akzente auf "Durch mich sollst du das Heil" sind beinahe von mirakulöser Prägnanz und das lange f auf "Heil" erscheint dadurch noch strahlender. Das as auf dem nächsten "Heil" ist nicht minder mühelos.


    Gerade auch die beiden langen "Heil"-Rufe klingen für mich nicht sauber und total richtig getroffen.


    wobei man auch Zeuge von Flagstads etwas verwaschener Konsonantenbehandlung wird, die immer auch auf Kosten der Textverständlichkeit geht.


    Allerdings! Und gerade das schmerzt mich bei einer Senta noch mehr als bei einer Isolde oder Brünnhilde, wo man ja meistens nicht wahnsinnig viel Text versteht.


    Ich finde, dass die unglaublichen Stärken der Flagstad in folgender, ein Jahr früher entstandener Aufnahme, weit besser herauskommen, und ihre bei der Senta offenbarten Schwächen hier nicht so auffallen:




    https://www.youtube.com/watch?v=3dfbZ6S6DU4


    (Es dürfte genau diejenige Aufnahme sein, die Willi heute in seiner Erinnerungsrubrik als CD-Cover verlinkt hat - eine sehr gut Wahl! :thumbup: )


    In meinen Ohren fühlt sich die Flagstad bei Isoldens Liebestod, in dieser Szene und in dieser Rolle stimmlich wesentlich wohler als in der Senta-Ballade. Die dunkle, mühelos über das Orchester tönende Stimme mischt sich klanglich mit diesem ganz wunderbar, ihre Artikulation finde ich hier auch weit vorteilhafter als in der Senta-Ballde, vermutlich auch deshalb, weil die auszuhaltenden Töne hier viel länger sind, was ihr sehr entgegenkommt.


    Gestern wurde mir hier vorgeworfen, mit Wotans Abschied von Hans Hotter aus Bayreuth 1956 das falsche Beispiel ausgewählt zu haben, dabei war Hotter in den 50er Jahren der unumstrittene führende Wotan des Grünen Hügels - und ich hatte mich ganz bewusst gegen eine spätere Aufnahme aus den 1960er Jahren entschieden.


    Im Falle von Kirsten Flagstad möchte ich diesen wunderbaren Liebestod als wahres Wunderwerk rühmen, das spricht mich klaglich noch mehr an der die berühmteste Nachkriegs-Isolde Birgit Nisllon in der berühmten als LP in den Handel gelangten Bayreuther Aufnahme unter Böhm. Da klingt die Flagstad für mich noch müheloser und, ja, auch mädchenhafter. Ich kann diesen Liebestod in einem einzigen Wort zusammenfassen: Herrlich! :rolleyes:
    Es klingt wirklich wie eine Verklärung - so ist ja auch die Eigenbezeicnung Wagners für diese Nummer.


    Nun wäre es vielleicht noch interessant, die Walküren-Rufe ihrer Brünnhilde (das Video findet sich auch ganz weit oben, wenn man "kirsten flagstad" ins Youtube-Suchfeld gibt) mit den hier kürzlich von dir und mir besprochenen Walküren-Rufen der Schlüter zu vergleichen, aber das wäre vielleicht zuviel für einen Beitrag. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"


  • Zu allererst ist die Tonqualität dieses Videos wirklich unterirdisch, hart an der Grenze zum Unterträglichen. Natürlich habe ich die Aufnahme auch als CD im Regal und da klingt das meiner Erinnerung nach nicht ganz so unterirdisch.


    Ich muss gestehen, dass ich die Höreindrücke anhand der Aufnahme auf meiner Festplatte geschildert habe und das youtube-Video nicht noch einmal kontrolliert habe. Da liegen klanglich tatsächlich Welten dazwischen.

  • "Caruso41" hat ja bei seiner Replik zu Erna Schlüter, dabei zu meinem Leidwesen auf die Schilderung frischer Höreindrücke verzichtend, auf die Verschränkungen der Viten der Flagstad und der Schlüter in der Geschichte der MET hingewiesen - was sich so gar nicht mit den positiven Höreindrücken von mir wie auch des "Melomanen" deckte.


    Höre (und sogar: sehe!) ich mir also jetzt die Walküre-Rufe der Flagstad an und vergleiche meine jetzigen Höreindrücke mit meiner Beschreibung zur Schlüter:



    https://www.youtube.com/watch?v=YC6f8FbnVMQ


    Die Stimme der Flagstad ist dunkler und voller als die der Schlüter, sie klingt heldischer, auch etwas kälter, was aber gut zur "unerkannten" Wunschmaid Wotans passt, während die Schlüter fast wie bereits von Siegfried "erkannt" klingt. Schon der Einstiegston der Flagstad beim ersten "Hojotoho" ist unglaublich imponierend.
    Die Schleifer nach oben nimmt sie im Gegensatz zur Schlüter alle kurz, ein bewusstes Gestaltungsmittel, wobei das auf der Sekundfrequenz nicht so schön und mühelos klingt wie bei der Schlüter. Auch der letzte lange hohe Ton klingt reichlich steif und nicht so schön wie bei der Schlüter. Dafür klingt der anschließende tiefe Ton eine Oktave tiefer wunderbar frei. In dieser Lange scheint sich die Stimme der Flagstad besonders wohl zu fühlen (ich höre ja auch ganz gerne ihre späten Mezzo-Aufnahmen, von Dido bis "Erbarme dich").


    Im rezitativischen Mittelteil finde ich ihre Artikulationsfähigkeit beim deutschen Text erstaunlich gut (beinahe besser als bei der Muttersprachlerin Schlüter!). Die Notenwerte stimmen und vor allem hört UND sieht man, welchen Spaß die Flagstad in dieser Szene hat: Das ist fürwahr eine "lachende Lust!" :thumbsup:


    Großartig gelungen finde ich den letzten Ton dieses bewegten Mittelteiles: "Stich" - was für eine perfekte Tonfärbung! :thumbup:


    Dann die Wiederholung des "Hojotoho"-Teiles wieder herrlich dunkel und mühelos beginnend. Und was für wunderbare "ho"'s immer bei der Wiederholung von "Hojoho": einfach herrlich! Nur die absolute Extremhöhe klingt dann wieder steif und fest, da hat die Schlüter Vorteile - dennoch ist die Flagstad insgesamt die beeindruckendere Heroine!


    (Trotzdem: Ich finde beide großartig - gebt uns EINE, die das heute annähernd so singt!!! :hail: :hail: :hail: )

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich muss gestehen, dass ich die Höreindrücke anhand der Aufnahme auf meiner Festplatte geschildert habe und das youtube-Video nicht noch einmal kontrolliert habe. Da liegen klanglich tatsächlich Welten dazwischen.

    Lieber "Melomane",


    dann kann ich jetzt nachvollziehen, warum du dich trotzdem für dieses Video entschieden hast. Von CD höre ich die Senta-Ballade der Flagstad auch sehr gerne, aber es ist schade für all diejenigen, die deine durchaus nachvollziehbaren positiven Eindrücke nur anhand des Hörens gerade dieses Videos eben nicht nachvollziehen können.


    Ich für meinen Teil höre mir immer erst einmal das betreffende Video an, bevor ich mich entscheide, ob ich es hier verlinken möchte oder nicht.
    Da ist man in der Tat vor Überraschungen tonqualitativer Art nicht gefeit - in beide Richtungen übrigens! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Willi hat heute in seiner Gedenkrubrik dankenswerterweise an den 30. Todestag der Sopranistin Annelies Kupper erinnert.
    Der "Melomane" hat gestern dankenswerterweise in dieser Rubrik Kirsten Flagstad gewürdigt und diese Erinnerung mit seinen Höreindrücken zu ihrer Senta-Ballade gekrönt.


    Da liegt es für mich nahe, heute meine Höreindrücke der Senta-Ballada Annelies Kupper von 1952 (aus der bekannten Gesamtaufnahme mit Metternich unter Ferenc Fricsay) zu beschreiben und zu vergleichen. (Es war vor einem Vierteljahrhundert nach Konwitschny und Dorati meine dritte Gesamtaufnahme dieser Oper, die ich hörte.)



    https://www.youtube.com/watch?v=E_2o14yo-jU


    Tja, was soll ich sagen? Die Kupper singt die Senta-Ballade gewiss expressiver und auch textverständlicher als Frau Flagstad, ist allerdings auch weit davon entfernt, eine solche Ausnahmestimme, wie sie die Flagstad hat, ihr Eigen zu nennen. Und den jugendlich-mädchenhaft-schwärmerischen Ton, den ich bei der Flagstad gestern vermisst habe, hat die Kupper auch nicht. Die Tiefen klingen gut, aber die Höhen mitunter äußerst unschön und strapaziert, eher "altjungferlich" als wirklich mädchenhaft.


    Was im Vergleich zum Flagstad-Video deutlich besser ist, die Tonqualität, also die tontechnische Qualität des Videos. Das war's dann aber auch schon...


    Der Beginn mit dem "Johohohe" und die erste Strophe "Trafft ihr das Schiff" gefällt mir eigentlich sehr gut. Ab "des Schiffes Herr" wird's dann ein bissl matronenhaft.


    "Hui, wie saust der Wind! Johohe!" - Oh, ja, der Wind saust da wirklich, das hört und spürt man förmlich, und es ist sicherlich auch nicht schön und lieblich, wenn der Wind saust, aber die Stimme klingt hier so hässlich, dass ich kein junges Mädchen im behüteten Innenraum, sondern eher eine alternde, strapaziert klingende Heroine auf dem Walküren-Felsen höre - der runde, in sich ruhende Ton der Stimme der Flagstad fehlt hier völlig!


    Darf man zugunsten des Ausdrucks und der Textinterpretation so extrem singen und dabei den Grundcharakter des Stücks vergessen? Wir haben diese Frage ja anhand der "Erlkönig"-Ballade von Frau Söderström in dieser Rubrik bereits diskutiert - mir ist das auch hier viel zu extrem.


    "wie ein Pfeil zieht er hin ohne Ziel ohne Rast ohne Ruh" - ja, es klingt rastlos und ohne Ruh, aber eben auch irgendwie "ausgemergelt", was mehr zum Beschriebenen als zum beschreibenden jungen Mädchen passt.


    Im B-Teil "Ach, könnt dem bleichen Manne Erlösung einstens noch werden" - das klingt für mich viel zu wenig mädchenhaft, sondern extrem altjüngferlich, auch die Höhe beim "werden" klingt für meine Ohren äußerst unschön.


    Das "Ach, könntest du" liegt ihr weit besser in der Stimme.


    Bei der Wiederholung des A-Teils schmerzt mich der jeweils hohe Eröffnungston der Phrase schon sehr. Das geht einmal bei "Trafft ihr das Schiff", aber permanent bei jedem hohen Toneinsatz???


    Die Wiederholung des B-Teils singt sie etwas lyrischer, aber richtig schön klingt sie da auch nicht, und beim tiefen "Heil" stößt sie spürbar an Grenzen.
    Der "bleiche Seemann" klingt im Gegensatz dazu wieder wesentlich erfreulicher.


    Dann die zweite Wiederholung des A-Teils: "Vor Anker alle sieben Jahr ein Weib zu frein, geht er ans Land. Er freite alle sieben Jahr, doch nie ein treues Weib er fand": auch hier finde ich den jeweiligen Phraseneinstieg zu forciert, es sind ja doch eher Nebenworte, die hier von Wagner durch seine Musik zweifellos akzentuiert werden, aber das muss man ja nicht noch zusätzlich so betonen, sondern kann auch versuchen, das ein bissl auszugleichen. Das "doch" gefällt mir dann gut.


    Bei "Hui, die Segel auf" wird es dann wieder ganz dramatisch.


    Den Schluss "Ich sei's" ist dann sehr emphatisch, aber auch in der Höhe hörbar an Grenzen stoßend gesungen. Die langen "Heil"-Rufe und die anschließende abfallende Linie auf "Heil" sind schon ziemlich unschön anzuhören. Der Vokalausgleich ist auch fast durchgehend sehr extrem, in der Höhe scheppert die Stimme hier beinahe - gleichzeitig beschreibt sie durchaus glaubhaft, in welcher Ausnahmesituation innerer Erregung sich die Rolle hier befindet.


    Fazit: Für mich wirklich ein Fall Söderström-"Erkönig", nun aus dem Bereich der Oper. Rational kann ich diese Interpretation durchaus erklären und aus dem Text heraus begründen (der "Satan" klingt wirklich nach Satan usw.), aber ich höre sie trotzdem nicht besonders gerne in dieser Rolle, sorry! :(


    Und im Vergleich mit der Flagstad-Senta-Ballade war ich dann gestern (auch wegen der schlechten Tonqualität des eingestellten Videos) zu kritisch und muss der norwegischen Jahrhundertsängerin für meine Einschätzung ihrer Senta-Ballade Abbitte leisten! :hail: :hail: :hail:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Heute vor 30 Jahren starb die Sopranistin Annelies Kupper. Kupper, eine der führenden zunächst lyrischen, später jugendlich-dramatischen Soprane ihrer Zeit, war zwischen 1946 und 1966 20 Jahre lang eine wichtige Stütze im Ensemble der Bayerischen Staatsoper. In Bayreuth trat sie als Eva (zu den Kriegsfestspielen 1944) und als Elsa (1960 in einer einzigen Aufführung) auf. Bis heute genießt sie Berühmtheit, da sie 1952 in der (nachgeholten) Uraufführung der "Liebe der Danae" in Salzburg die Titelpartie sang. Da sie besonders für ihre Strauss-Interpretationen gerühmt wird, habe ich mich für die Ariadne entschieden:



    https://www.youtube.com/watch?v=OxI2aS2JXCM


    Wir begegnen einer nicht allzu großen, durchaus apart-verhangenen, wenn auch nicht übermäßig individuell timbrierten Stimme. Gleich der erste Satz "Es gibt ein Reich" ist deklamatorisch gut, die Stimme spricht in der Mittellage gut an, strömt und hat einen angenehm unangestrengten Klang. Die beiden tiefen as' auf "Totenreich" gelingen souverän, nicht allzu brustig, aber doch mit einigem Effekt. "Bald aber naht ein Bote, Hermes heißen sie ihn." gefällt mir nicht schlecht - das leicht angesetzte hohe b auf "Hermes" weiß durchaus zu überzeugen. Der nächste Teil, der von Strauss mit der Ausdrucksbezeichnung "In sanfter, extatischer Bewegung" überschrieben ist, zeigt für mich mehr Sanftheit als Extase. Das subito-Piano auf "stiller Gott" ist auf der Habenseite zu verbuchen, insgesamt gelingt der Vortrag hier für meinen Geschmack etwas zu routiniert, um Ariadnes erregte Todeserwartung beglaubigen zu können. Auch "Ach von allen wilden Schmerzen" klingt mir etwas zu vordergründig und zu wenig ambivalent. Wenn sie sich imaginiert wie Hermes' Hand auf ihrem Herzen sein wird, ist das in dieser Interpretation eine sehr keusche Überlegung, fern von jeglicher erotischer Konnotaion. Bei "In den schönen Feierkleidern..." ist sie hörbar um ein kultiviertes Piano bemüht, trotzdem habe ich diese lange Sequenz auf einem Ton schon beseelter gehört. Auch die "atemlose Seele" begegnet uns allzu irdisch, hat keinen flirrend-subversiven Beiklang. "Schön geschmückt und ganz allein" mit feiner Pianokultur und einem beeindruckenden calando gefällt mir hingegen sehr gut.
    Im Schlussteil wird allerdings deutlich, dass Kupper zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht über die große dramatische Wirkung verfügte um derartigen Passagen neben der vokalen Bewältigung eine Leuchtkraft angedeihen zu lassen: Zwar gerät der Vortrag über weite Strecken erfreulich unforciert, die großen Bögen wie bei "befreien" gelingen jedoch nur höchst rudimentär, die Spitzentöne werden zwar erreicht, klingen aber etwas eng und haben nicht die fließende Leichtigkeit ihrer Mittellage. "Du nimm es von mir" klingt dann dazu noch seltsam introvertiert, hat nichts von der "großen Steigerung", die Strauss an dieser Stelle einfordert. Das b auf "mir" klingt etwas schrill, die etwas zurückgenommene nachfolgende Phrase "An dich werd' ich mich ganz verlieren..." promt etwas dünn und substanzlos. Auch das letzte, tief beginnende "Bei dir wird Ariadne sein" ist sehr nüchtern dargeboten, die Entrückung der Figur findet vokal kaum statt.
    Bei allen Verdiensten, die Annelies Kupper zweifelsohne hat, kommt diese Aufnahme nicht einmal in die Nähe meiner Lieblingsinterpretationen dieser Arie. Vieles klingt mir zu wenig beseelt, ein inneres Feuer ist selten zu spüren und auch die rein technische Bewältigung der Arie lässt Grenzen erkennen.

  • Lieber "Melomane",


    lustig, dass wir jetzt zeitgleich über die Kupper geschrieben haben! :thumbsup:


    Ich glaube, bei Mozart und Strauss war sie wirklich besser aufgehoben als bei Wagners Senta! Die Stimme bleibt jedoch in ihrer besonderen Individualität auch eine besondere Geschmackssache, meinem Sängergeschmack entspricht sie eher nicht, und die scheint es ja bei deinem Hören ihrer Ariadne ähnlich gegagngen zu sein. :yes: :hello:


    Hier gefällt sie mir allerdings besser denn als Senta (zumindest am im ersten Teil):



    https://www.youtube.com/watch?v=Y1buorqpl6c


    Lieber "Melomane", das von dir eingestellte Ariadne-Video werde ich mir auch noch in Ruhe anhören, versprochen! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber "Melomane",


    nun habe ich mir auch das von dir eingestellte "Ariadne"-Video angehört und finde deine Besprechung trotz aller nachvollziehbaren geäußerten Kritik beinahe noch zu wohlwollend. Mich überzeugt dieser Ariadne-Monolog gar nicht, im Vergleich dazu ist die Senta-Ballade regelrecht gelungen.


    Am meisten stört mich, dass sie nicht in der Lage ist, die vielen Tonwiederholungen in diesem Monolog irgendwie auf Linie zu singen.
    "Es gibt ein Reich, wo alles rein ist, es hat auch einen Namen" - ich finde das nicht schön gesungen.


    Das "Totenreich" ist dann wirklich gelungen.


    Aber auch das "zu allem" ist so ältlich gefärbt, ebenso der "Bote", während das "Hermes" unter einem zu großen Vokalausgleich leidet. Das "Gott" ist nicht offen genug gesungen usw. usf. - nein, die Stimme der Kupper gefällt mir da gar nicht, klingt für meine Ohren unfrei und verhangen, auch manieriert.


    "In den schönen" - wieder so eine eng geführte Tonwiederholungsstelle, die mir nicht sehr gefällt.


    "meine Seele" - warum kann man die drei Töne von "meine" mit mit mehr Legato miteinander verbinden?


    "dunkel wird auf meinen Augen" - jetzt wirds ganz gruselig... :stumm:


    Zu den fehlenden großen Bögen gegen Ende hast du ja schon alles notwendig Kritische gesagt. Die Stimme spreizt hier im Klang an einigen Stellen wirklich sehr unangenehm.


    "nimm es von mir" - schaurig! ;(


    "bei dir wird Ariadne" - viel zu eng und unfrei gesungen. In der tieferen Wiederholungsstelle fühlt sie sich dann wieder wohler.


    Sorry, aber ich kann diesem Ariadne-Monolog so gar nichts abgewinnen! :no: Dann eher noch Senta... :untertauch:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Willi hat gestern am späten Abend in seiner Gedenkrubrik an den 43. Todestag des Bassisten Ludwig Weber erinnert. Ähnlich wie Georg Hann gehört Weber ein bissl zur von Frick-Greindl-Böhme verdrängten Vorgängergeneration großer deutscher Bassisten. Man kennt seinen Studio-Ochs unter Erich Kleiber, man kennt seinen Gurnemanz von der Eröffnung Neu-Bayreuths und man kennt seinen Hagen vom Furtwängler-Scala-Ring 1950, an Studioaufnahmen ist er jedoch nicht so präsent vertreten wie die besagten drei Bassisten (ja, es gibt noch zahlreiche Studioaufnahmen von Weber, weiß ich, aber nicht so zahlreich wie von Frick, Böhne und Co und weniger bei den großen Labels vertrieben).


    Hören wir seinen Wachtgesang des Hagen aus dem 1. Akt "Götterdämmerung":



    https://www.youtube.com/watch?v=PrPLaF_GsrI



    "Hier sitz ich zur Wacht, wahre den Hof, wehre die Halle dem Feind."


    Der Beginn "Hier sitz ich zur" wird so schlank und beinahe hell gesungen, dass man dem Trugschluss einer Schmalspurstimme erliegen könnte. In Wahrheit handelt es sich um eine bewusst gesetzte Steigerung. Eine wichtige Zwischenstufe ist dabei das "Hof", während der ausladeste (und dennoch völlig unforciert gesungene) Ton das "Feind" ist.


    Und trotzdem: Eine so auslandende breite schwarze Basstimme wie Andresen, Frick, Böhme oder Salminen hat Weber nicht.


    Gerade in der Höhe singt Weber sehr fokussiert mit schon fast baritonaler Klangfarbe. Die "i"-Vokale klingen alle sehr hell, was ja auch nicht verkehrt ist ("Wind" usw.).
    Auch das "Held" ist sehr bairtonal gefärbt, wobei die Vokalfärbungen - abgesehen davon, dass sie größtenteils nicht mehr bassig klingen - ziemlich getroffen sind. Beim Vokal "a" ("eigne Braut" oder "Rhein") hört man schon einen schwarzen Bass, beim "Ring" wieder eher einen Bariton.


    "Ihr freien Söhne, frohe Gesellen" - diese Glissandi-Schleifer bei "Söhne" und "Gesellen" wirken heute ein bissl antiquiert.


    "segelt nur lustig dahin" - die Tiefel klingt generell sehr frei und entspannt, was ich als sehr angenehm empfinde.


    das "dient" ist zuerst ein bissl eng und wird dann furchtbar unschön nach unten geschiffen.


    "des Niblungen Sohn" - das "Ni" bereitet ihm mit der eher bemühten Entspanntheit schon Probleme und flattert beinahe davon, bei "blungen Sohn" klingt die Stimme aber wieder wunderbar fei und wirklich entspannt.


    Fazit: Eine Stimme, die in ihren unterschiedlichen Lagen auch sehr unterschiedlich klingt, die allerdings die Töne zu wunderbaren Legatobögen verschmelzen lassen und somit großartig phrasieren kann (wenn man von den drei beschriebenen Unarten-Stellen absieht) und deren nahezu ideale Vokalfärbungen viel zu der sehr guten Textverständlichkeit beitragen, zumal ich immer das Gefühl habe, dass er ganz genau weiß, was er da gerade singt.


    Also nicht unbedingt eine Stimme, die sich selbst in den Vordergrund spielt und für ein Aufjauchzen beim Hörer sorgt, sondern die von einem wissenden Sänger ganz im Dienste der Rollengestaltung eingesetzt wird. So habe ich bei seinem Hagen-Monolog wirklich das Gefühl, dass es sich um einen Monolog, um ein Gespräch mit sich selbst, handelt. Für ein solches Selbstgespräch braucht man nämlich eigentlich gar keine forcierte Stimmpower, weil man sich selbst meistens ganz gut hört... :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Willi hat gestern am späten Abend in seiner Gedenkrubrik an den 43. Todestag des Bassisten Ludwig Weber erinnert. Ähnlich wie Georg Hann gehört Weber ein bissl zur von Frick-Greindl-Böhme verdrängten Vorgängergeneration großer deutscher Bassisten.

    Als ich Georg Hann heute vormittag im Zusammenhang mit Ludwig Weber erwähnte, wusste ich noch nicht, dass Willi heute in seiner Gedenkrubrik an seinen Todestag erinnert. Jetzt, wo ich es weiß, ist es natürlich naheliegend, auch diesen Bassisten hier zu hören und meine Höreindrücke dabei zu beschreiben.
    Bei Youtube findet man viele Beispiele aus dem humorigen Bereich, die bei Hann nicht selten derbhumorig und chargierend geraten, wie man das heute eigentlich nicht mehr so hören will. Daher entscheide ich mich ganz bewusst für eine seriöse Arie, um den Blick aufs Material nicht zu verstellen:



    https://www.youtube.com/watch?v=6K7f4yhEAhM


    Wenn man den Schock über das exrem langsame Tempo dieser Aufnahme der ersten Sarastro-Arie überwunden hat, kann eine wahrlich imposante, makellose schwarze Basstimme genießen! Das beginnt schon mit dem Auftakt auf "O" und setzt sich bis in die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen fort - balsamisch! Dieser Eindruck verstärkt sich dadurch, dass der Sänger in der Lage ist, die aus seinem imposanten Material gewonnenen Töne zu wunderbaren Legatobögen zu verbinden.
    Die Textverständlichkeit ist sehr gut, auch wenn manche Konsonanten zugunsten der Linie etwas schwächer gebildet wird - dafür sind die Vokale jedoch perfekt gefärbt.


    Das einzige, was man im Vergleich zu Ludwig Webers Hagen vielleicht kritisch anführen könnte, ist, dass Hann sein wahrhaft imponierendes Material wirklich ausstellt, "tönt" und es weniger in den Dienst einer Rollengestaltung als eben Weber, der aber freilich auch das bescheidenere Material hat. Und was solls: Wer so eine "Wow-Stimme" sein Eigen nennt wie Georg Hann, der soll damit auch nicht geizen! Für mich eine Jahrhundertstimme, ein ganz Großer! :yes: :jubel: :hail:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe gerade dein eingestelltes Hörbeispiel gehört, lieber Stimmenliebhaber, zumal dies Arie zu meinen Lieblingsarien zählt, auch weil ich schon häufiger,wenn sie in unserem Chor aufgeführt wurde, im Chor der Priester dabei war. Bei allen Aufnahmen, die ich habe, achte ich auch immer auf den Schlusston.
    Der ist ja, wie übrigens die ganze Arie, m. E. grandios gesungen, und ich kann daher deine Einschätzung voll und ganz bestätigen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das ist ein sehr interessanter Thread! Vielen Dank an alle Autoren!

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Georg Hann


    Lieber stimmenliebhaber,
    Deinem Wow zu Georg Hann kann ich mich vollumfänglich anschließen. Diese Stimme ist eine wahre Wohltat für die Ohren: volltönend, dunkel, tiefreichend... und das alles bei vorbildlicher Wort-Text-Behandlung (die ich heutzutage häufig schmerzlich vermisse, selbst bei Muttersprachlern) und durchdachter Phrasierung und Bindung.


    Kennen und schätzen gelernt habe ich G. Hann vor vielen Jahren als ich in den Besitz einer LP mit der deutsch gesungenen "Luisa Miller" gekommen bin. Hann singt einen herrlich intriganten Wurm, mir Schrecken erregender schwarzer Stimme (und Seele...) - ein Musterbeispiel von einem Opernbösewicht. Der untenstehende Link führt auf ein Duett zwischen Georg Hann und Kurt Böhme - ein stimmgewaltiges Duell zwei Bass-Giganten. Der deutsche Verdi-Stil der 40er Jahre wirkt auf heutige Hörer vielleicht antiquiert... als Denkmal einer großartigen Stimme aber von bleibendem Wert.
    https://youtu.be/1-8bRDfvg6U?t=1h2m34s


    beste Grüße,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Achtung, jetzt kommt wieder ein "Brüll-Tenor!" :D


    Nein, also ob ich wirklich dieser Meinung bin, wird sich erst bei der Beschreibung meiner Höreindrücke erweisen - aber ich würde gerne auch mal wieder gegenteilige Höreindrücke provozieren wollen, so sehr ich mich über Zustimmung wie im Fall von Georg Hann freue - das "Salz in der Suppe" sind doch beim Austausch über Höreindrücke gerade auch unterschiedliche (freilich wirklich beschriebene und so begründete) Hör-Eindrücke, und da kommt momentan etwas wenig: "Caruso41" ist immer noch abgetaucht und hat viel nachzuarbeiten, wenn er wieder "auftaucht", während der "Melomane" entweder momentan keine Zei für's Forum hat oder mir verübelt, dass ich ihm bei Annelies Kupper um 2 Minuten zuvorgekommen bin. :D


    Also jetzt zu einem, den ich lange für mich als "Brüll-Tenor" abgespeichert habe, weil ich ihn über diese Aufnahme kennen und nicht unbedingt schätzen lernte:



    Die Rede ist natürlich von Giacomo Lauri-Volpi, an dessen 125. Geburtstag Willi heute dankenswertrweise in seiner Gedenkrubrik erinnert hat.
    Die eingestellte "Hugenotten"-Aufnahme ist von 1956, da war Lauri-Volpi demnach 64 oder eher 63, aber das ist schon ein stattliches Alter für einen Tenor, der jahrzehntelang das erste Fach gesungen hat.


    Wenn ich ihn jetzt hier also bespreche, dann fairerweise nicht im französischen Fach und auch nicht im leichten italienischen Fach, also mit Bellini oder als Alfredo Germont, sondern schon mit einer Arie, die einem "Brüll-Tenor"(???) eher angemessen ist - und fairerweise eine Aufnahme aus früherer Zeit, denn die Stimmen jüngerer Sänger sind halt klangschöner und biegsamer als die reiferer Herren, die zwar häufig noch die nötige Power haben, klanglich mitunter aber schon etwas abgesungen sind ("Caruso41" und ich haben solch einen Fall gerade erst in Berlin erlebt) ...


    Also entscheide ich mich für Manrico, und zwar nicht für eine Aufnahme von 1954, sondern für eine frühe (Trichter-) Aufnahme von 1923, als der Sänger höchstens 31, eher erst 30 war.



    https://www.youtube.com/watch?v=fRR3JZ0FSjU


    Natürlich muss man hier Abstriche beim "Orchester" machen, natürlich sind die Comprimari und der Chor weggespart, was einige Absonderheiten dieser eingespielten Fassung erklärt (kein "all'armi" usw.), aber dafür hört man eine junge, frische, klangschöne Stimme mit einem kurzen Vibrato, wie ich es von Calleja kenne und schätze, während beim reifen Lauri-Volpi nicht mehr viel davon übrig ist.


    Lauri-Volpi singt das Cantabile "Ah si, ben mio" sehr klangschön auf Linie, phrasiert mitunter sehr schön ab, einen gewissen heldischen Aplomb lässt er allerdings auch in diesem lyrischen Arienteil schon durchhören. An einigen Stellen ist das Geschmackssache... Mein größerer Kritikpunkt ist allerdings, dass ich nicht besonders viele Worte vom italienischen Text verstehe....


    Dennoch ist diese frische strahlende Stimme eine Wohltat, wenn auch partiell schon etwas zu heldisch - und der eine Spitzenton wird natürlich viel zu lange ausgestellt, von der Kadenz ganz zu schweigen, die sich schon deutlich von dem entfernt, was Verdi komponiert hat.


    Das ist beim "Di quella pira" damals natürlich auch zu erwarten gewesen. Beeindruckend finde ich, wie leicht und locker Lauri-Volpi diese Stretta singt, was man auch an den mühelosen, leicht "meckernden" Fiorituren merkt - alles ganz leicht und unforciert, der Klang dominiert, nicht die Kraft, und das selbst bei den gut fokussierten, blendenden Spitzentönen.


    Man wird auch mit zwei Stretta-Strophen verwöhnt und hört die zweite mindestens so gerne wie die erste, nicht nur, weil hier nur das erste hohe "C" eingelegt wird - und zwar so, als wäre das gar nichts! Und weil wir keinen Chor für's "all'armi" haben, kommt stattdessen noch ein völlig müheloses zweites hohes "C" aufs letzte "morir".


    Mein Fazit: Das ist schon ganz große italienische Gesangskunst! :jubel: :jubel: :jubel:


    Als ich übrigens nicht schnell genug abgeschaltet habe, wurde ich bei Youtube zur gleichen Szene, gesungen von Herrn Grigolo, umgeleitet... :stumm:


    Da ich es mir heute bei der Videoauswahl nicht so leicht machen wollte wie manchmal sonst, habe ich bei Youtube in einiges von Lauri-Volpi reingehört und reingesehen und dabei dieses hochinteressante Video gefunden, wo man ihn auch singen sieht, und das auch noch zu seiner großen Zeit, vor dem zweiten Weltkrieg:



    https://www.youtube.com/watch?v=BC4qLbDUFtA


    Ja, das ist zwar jetzt doch wieder der Raoul in den "Hugenotten", aber auf einem ganz anderen Level als 1956. Natürlich singt er den Raoul stilistisch nicht perfekt, auch wenn es sich (selbstverständlich!) um eine italienischsprachige Aufführung handelt!


    Natürlich klingt die Romanze furchtbar gebrüllt, Stentor im Fortissimo bei der Romanze im 1. Akt geht eigentlich gar nicht! Andererseits ist es imponierend, dass er so Meyerbeer zu einer populären Breitenwirkung (in der vollbesetzten Arena di Verona!) verhalf, die ihm heute abgeht - so, als wäre es nicht Meyerbeer, sondern Verdi.
    Im Duett-Ausschnitt zeigt er dann aber wirklich grandios, das er nicht nur brüllen, sondern in der Höhe sogar pianissimo singen kann! :hail: :hail: :hail:


    (Dass wir dieses tolle Dokument von Ausschnitten einer Meyerbeer-Oper in der Arena di Verona vom Sommer 1933!!! ausgerechnet deutschen Filmern zu verdanken haben, die auf diese Weise den jüdischen Komponisten ins "Dritte Reich" zurückholten, dieses "Kuriosum" kommentiere ich jetzt mal besser nicht... :stumm: )


    Ist Giacomo Lauri-Volpi also ein "Brüll-Tenor"? Er war auch das, und in zunehmendem Alter zunehmend und nicht sehr vorteilhaft. In seiner großen Zeit war er aber ganz offensichtlich weit mehr als das, nämlich ein stimmlich und auch klanglich herausragender Sänger, der sowohl forte als auch piano singen konnte! :yes: :jubel: :hail:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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