Adriana Lecouvreur, Deutsche Oper Berlin, 04.09.2019, mit Anna Netrebko

  • Gleich zu Beginn der Spielzeit gab es den ersten herausragenden Opernabend. Anna Netrebko hat sich gestern nach ihrer Pause, der die Elsa in Bayreuth zum Opfer gefallen war, in allerbester Verfassung präsentiert. Die Adriana scheint dabei für sie die derzeit optimale Partie zu sein: in der Höhe blüht ihre Stimme auf (gelegentlich mit Ladehemmungen), ihre Tiefe ist üppig. Für Yusif Eyvazov muss ich an dieser Stelle mal eine Lanze brechen. Dass seine Stimme irgendwie blechern klingt und nicht unbedingt Wohlklang verbreitet, ist bekannt. Dafür hat er den Maurizio sehr kultiviert und zuverlässig gesungen. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen (ja, ich weiß, Beczala, aber sonst?). Mich hat es ehrlich gesagt überrascht, wie gut er phrasiert hat. Das hatte ich so nicht in Erinnerung. Eine Entdeckung war Olesya Petrova als Principessa di Bouillon mit ihrem satten Mezzo. In der Höhe klang die Stimme zwar stellenweise etwas spröde, aber das hat den insgesamt sehr positiven Gesamteindruck nicht weiter getrübt. Ebenfalls eine Entdeckung war das neue Ensemble-Mitglied Patrick Guetti als Principe di Bouillon mit seinem wohltönendem Bass. Der junge Amerikaner (31) hat ein großes Versprechen für die Zukunft und die aktuelle Spielzeit abgegeben. Großen Unterhaltungswert hatte der Auftritt von Alessandro Corbelli als Michonnet. Dass seine Stimme in der Höhe etwas matt geklungen hat, mag man dem inzwischen fast 67-jährigem Sänger, der seine Karriere überwiegend mit Partien von Rossini und Donizetti bestritten hat, nachsehen. Am Pult stand ein Dirigent, dessen Namen ich nie zuvor gehört hatte: Michelangelo Mazza. Er hat die Aufführung souverän, sängerfreundlich und mit viel Esprit geleitet und hat mit seinem Dirigat ein Plädoyer für dieses wunderschöne Werk gehalten. Es war ein insgesamt hervorragender Opernabend, der trotz Anna Netrebko nicht ganz ausverkauft war (anderswo hätten die relativ hohen Preise sicher nicht abgeschreckt).

  • Lieber Kapellmeister, ich war schon auf Deinen Bericht gespannt und bedanke mich! Fr. Netrebko habe ich als Adriana in der Übertragung aus der MET gesehen, und das hat mir auch sehr gut gefallen. Warum wurde die A. eigentlich konzertant gegeben? Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Herzlichen Glückwunsch, lieber Kapellmeister, zu einem beneidenswerten Opernbesuch. Leider kenne ich die Adriana live nur von einer konzertanten Aufführung aus Chemnitz (mit Swetlana Katchour und Wladimir Solodownikow), aber die ließ mich den musikalischen Genuß voll erleben. Ich war sehr begeistert.

    Dann habe ich sie im TV gesehen aus London mit Angela Gheorghiu und einem sehr guten Jonas Kaufmann, ich hatte es aufgezeichnet und wohl beim Wechsel der externen Festplatte versiebt. Ärgere mich jetzt noch, denn hier stimmten für mich Sänger und Inszenierung. Mir wurde darin bestätigt, daß Angela Gheorghiu besonderes Talent zum Sterben hat. Keine stirbt so schön wie sie, man möchte sie in die Arme nehmen und wieder zum Leben bringen, als Violetta, als Mimi oder eben als Adriana. Aber man weiß ja, daß es nur Theater ist und sie am Ende wieder umjubelt vor die Bühne tritt und sich verbeugt, lebendig und live.


    Ich glaube Dir, daß Anna Netrebko in dieser Rolle voll aufgeht. Und ich nehme Dir auch ab, daß ihr Ehemann nicht als schlechter Tenor in die Annalen eingehen wird. Als Andre Chenier hat er mir auch zugesagt, als Manrico weniger. Allerdings hätte ich meine Zweifel gehabt, ob ihm der doch etwas lyrisch eingestellt Maurizio liegt. Deine Auffassung bestätigt mir, daß er mehr Potential haben muß als nur als "Brüller" zu gelten.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • in der Höhe blüht ihre Stimme auf (gelegentlich mit Ladehemmungen), ihre Tiefe ist üppig.

    Mein lieber "Storch",


    in einer Rezension, die ich gelesen habe, las sich das mit den "Ladehemmungen" so:


    Zitat

    Sicher, Netrebkos Ton benötigt ab und an ein Momentchen, um auf die korrekte Höhe einzuschwingen.

    Und bei lauten Spitzentönen – eigentlich bei allen lauten Tönen über dem System – scheint sich Netrebkos Stimme nicht (mehr) ganz wohl zu fühlen.


    https://konzertkritikopernkrit…ko-in-adriana-lecouvreur/


    Aber insgesamt ist die Kritik für sie so positiv wie deine und alle anderen auch.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    Ihre Intonation hat mich gestern nicht gestört. Dass sie nicht immer astrein singt, ist kein Geheimnis, es ist mir jedoch nicht weiter aufgefallen. Das Einschwingen würde ich eher der Tonbildung als der Intonation zuordnen.

  • Lieber Kapellmeister, ich war schon auf Deinen Bericht gespannt und bedanke mich! Fr. Netrebko habe ich als Adriana in der Übertragung aus der MET gesehen, und das hat mir auch sehr gut gefallen. Warum wurde die A. eigentlich konzertant gegeben? Es grüßt Hans

    Gerne. Die Antwort ist einfach: die Aufführungen wurden explizit für Anna Netrebko angesetzt.

  • Lieber La Roche,


    Ich freue mich, dass ich mit meinem Bericht alte Erinnerungen bei Dir wecken konnte. In Berlin gab es vor einigen Jahren sogar eine konzertante Adriana mit Gheorghiu, die ich jedoch verpasst habe. Ich hatte die Oper bisher nur einmal 1989 in München mit Freni und Domingo szenisch erlebt.


    Herzliche Grüße


    Kapellmeister Storch

  • Warum wurde die A. eigentlich konzertant gegeben?


    Die Antwort ist einfach: die Aufführungen wurden explizit für Anna Netrebko angesetzt.


    Oder anders gesagt: Sie wollte vermutlich weder vorher lange (szenisch) proben noch nach der Premiere lange bleiben (um noch viele Reprisen zu singen), das wäre für das Haus wahrscheinlich auch zu teuer geworden, also kam sie nur für zwei konzertante Aufführungen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Aber erklärt, warum wir in Berlin seit dem Mauerfall (und vermutlich noch länger) keine konzertante "Adriana Lecovreur" erleben können. 1994 sollte eine an der Berliner Staatsoper kommen, dann wurde aufgrund von Sparmaßnahmen eine "Tosca"-Serie draus...

    Du hattest das Glück, diese Oper bei deiner ersten Live-Begegnung szenisch zu erleben, wie du geschrieben hast. Das hätte ich auch gerne. Unbekannte Opern erstmals konzertant zu erleben, das macht für mich nicht so viel Sinn, wie ich festgestellt habe (zuletzt im Februar 2018 auch in der DOB bei dieser Calleja-Sache - wie die Oper hieß, habe ich vergessen...)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Gegen die Sternstunde gestern war die tolle Aufführung am Mittwoch fast wie eine Generalprobe. Alle haben noch einmal eine Schippe drauflegen können. Vor allen Dingen Anna Netrebko hat sich in bestechender Form präsentiert. Was für ein Opernabend!