LOTTE SCHÖNE - Charme, Seele und Gesang

  • So brachte der bedeutende französische Musikwissenschaftler und -kritiker, André Tubeuf, der zeitweilig in seinem Heimatland Kulturminister war, seine Eindrücke über Lotte Schöne auf den Punkt. Das Foto zeigt die Sängerin im Jahr 1935.


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    Lotte Schöne wurde geboren am 15. Dezember 1891 in Wien und starb, 86-jährig, am 23. Dezember 1977 in Paris. Sie war eine der ganz wenigen Opernsängerinnen der Zwischenkriegszeit, die zu Weltruhm kamen, ohne ihre künstlerischen Heimstätten, Wien und Berlin, bis auf kurze Gastspiele jemals zu verlassen. Die Salzburger Festspiele, Auftritte in Frankreich und einige Gastspiele in London, Florenz und Budapest führten sie - selten genug - auch zu anderen Wirkungsorten. Sie wurde zum Star, nicht zuletzt dadurch, daß sie in Wien unter Franz Schalks Ägide und später bei Bruno Walter, der sie in Salzburg kennenlernte, in Berlin arbeiten durfte. Die Treue zu "ihren Häusern" (447 Auftritte in Wien, 476 in Berlin) machten weite Reisen für sie überflüssig, zumal sie auch ein harmonisches Familienleben führte, was in Künstlerkreisen ja keineswegs selbstverständlich ist. So war es ihr ein leichtes, ihre künstlerischen Fähigkeiten voll zu entfalten und ihr Repertoire von anfänglichen Rollen im Soubrettenbereich rasch zu erweitern. Ihr glänzendes Aussehen, ihre exquisite Kopfstimme und ihr Legato waren wie geschaffen für Rollen wie Cherubino und Susanna, Rosina, Musetta und Norina, und, nicht zuletzt, für die Adele in der "Fledermaus". Ihr Mentor in Berlin, Bruno Walter, erspürte schon bald die funkelnde Heiterkeit ihrer Koloraturen und wählte für ihre Auftrittsrolle an der Charlottenburger Oper Puccinis Mimì. Ihre acht Berliner Jahre waren die frühe Erfüllung ihrer Karriere, die so tragisch durch Verfolgung und Exil abgeschnitten wurde. Hier sang sie nicht mehr die Papagena, sondern die Pamina, und sie sang ihre erste Melisande, sowie die Liù in der deutschen Erstaufführung von "Turandot". In diesen Rollen konnte sie ihre ganze Seele und Feinfühligkeit zum Einsatz bringen. Als Pamina erntete sie bei den Salzburger Festspielen wahre Triumphe, in London wurde ihre Liù zu einem sensationellen Erfolg, und in Frankreich wurde sie zu der Melisande schlechthin erkoren. Sie wurde zu einer begehrten Butterfly und versprühte ihren Witz in Partien wie Annina in "Eine Nacht in Venedig", Adina in Donizettis "Liebestrank", Despina und Angelina. Alle diese Rollen sang sie in ihren letzten Berliner Jahren. Bei ihrer Abschiedsvorstellung als Gilda am 12. Juni 1933, unter der Leitung von Leo Blech, brachte ihr das Berliner Publikum eine rührende Huldigung dar. Die Menschen waren sich bewußt, daß sie, die Jüdin, gehen mußte, und sie wußten auch warum, und deshalb nahmen sie stehend Abschied von ihr in mitfühlendem und hilflosen Schweigen. Anschließend ging sie nach Paris, um der Verfolgungswut der Nazis zu entgehen.


    Der als sehr kritisch bekannte deutsche "Stimmenpapst" Jürgen Kesting lobt sie beinahe enthusiastisch als "einen zaubrischen, lyrischen Sopran von großer Flexibilität und federnder, lichter Brillanz". Weiter schreibt er: " .... ihre Stimme lag, wie bei nur wenigen deutschen Sängerinnen, perfekt auf dem Atem und drang dank exemplarischer Projektion selbst durch große Räume (....) Fast jede ihrer Aufnahmen verzaubert den Hörer (....) Als Norina in DON PASQUALE distanziert sie im Duett mit Malatesta (Willi Domgraf-Fassbaender) selbst die meisten italienischen Rivalinnen (....) ihre Liedaufnahmen bergen allen Zauber jener Kunst, die Kunst verbirgt. Eine große, eine bedeutende und zentrale Sängerin. Bemerkenswert, daß sie selbst in der höchsten Lage die Worte dem Atem zuführen und dadurch perfekt artikulieren kann."


    Bis zum "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich 1938 konnte Lotte Schöne noch in Salzburg auftreten. In Paris wurde sie sowohl an der Grand Opéra als auch an der Opéra Comique engagiert, im übrigen hielt sie sich auch durch Gastauftritte in Frankreich, Holland und der Schweiz über Wasser. Nach einem Liederabend lobte ein französischer Musikkritiker "die Farbe ihres Ausdrucks, die Beredtheit ihres Stils, ihre geistvolle Mimik und die kapriziöse Leichtigkeit ihrer Stimme."

    Nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich 1940 blieb ihr nur die Flucht in ein kleines französisches Dorf, wo sie sich versteckte und nur mühsam unter großen Entbehrungen überlebte. Nach dem Krieg nimmt sie ihre Arbeit als Konzertsängerin wieder auf und gibt sogar im zerbombten Berlin 1948 einen Liederabend. Doch sie konnte an ihre großen Vorkriegserfolge nicht mehr anknüpfen und beendete ihre künstlerische Laufbahn endgültig 1953. Danach widmete sie sich in Paris ausschließlich gesangspädagogischen Aufgaben.


    Am 22. Dezember 1977 starb Lotte Schöne in Bobigny bei Paris, von der Musikwelt weitgehend unbeachtet. Es ist PREISER RECORDS in Wien hoch anzurechnen, daß sie mit zwei 30 cm-Langspielplatten, die nach ihrem Tod in der verdienstvollen Reihe "Lebendige Vergangenheit" erschienen, die liebenswerte Künstlerin der Vergessenheit entrissen hat. Eine davon befindet sich in meiner Sammlung:

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    Sie enthält ein breites Spektrum ihres Opern-Repertoires, mit Auszügen u.a. aus "Così fan tutte", "Zauberflöte" (Mozart), "Don Pasquale" (Donizetti), "Manon" (Massenet), "Madame Butterfly", "La Bohème" und "Turandot" (Puccini). Ich weiß nicht, ob diese Langspielplatte auch auf CD überspielt wurde.


    Und auf dieser CD ist sie zusammen mit Richard Tauber zu erleben:

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    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Es ist PREISER RECORDS in Wien hoch anzurechnen, daß sie mit zwei 30 cm-Langspielplatten, die nach ihrem Tod in der verdienstvollen Reihe "Lebendige Vergangenheit" erschienen, die liebenswerte Künstlerin der Vergessenheit entrissen hat.


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    Preiser ist auch dieses Album zu verdanken, das die Vielseitigkeit dieser Sängerin eindruckvoll abbildet: Oper, Operette, Lied. Naturgemäß gibt es Überschneidungen mit den einzelnen Platten der Firma. Mir gefällt Lotte Schöne, weil sie nicht in allen Momenten technisch absulut perfekt ist. Sie gönnt sich auch gewisse Freiheiten. Die Register sind nicht immer perfekt verblendet, extreme Höhen etwas knapp. Eines ihrer Markenzeichen ist eine üppige Tiefe, die sie gelegentlich ironisch oder sogar verführerisch einsetzt. Manchmal stört sie mich auch - beispielsweise bei der Gilda. "Charme, Seele und Gesang." Das Zitat hat nemorino im Eingangsbeitrag sehr treffend gewählt. Diese Reihenfolge finde ich sehr passend.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger,


    wie ich sehe, bin ich mit meiner Verehrung für Lotte Schöne nicht ganz allein! Vielen Dank für Deine Antwort und den Hinweis auf die Doppel-CD von Preiser, die ich sofort auf meine Merkliste gesetzt habe. Obwohl ich häufig auf die Suche nach alten Aufnahmen gehe, war mir diese bislang nicht bekannt. Ich habe inzwischen sogar die Auflistung des Inhaltes aufgefunden. CD 1 enthält vorrangig Operettenaufnahmen, während CD 2 weitgehend identisch ist mit der mir vorliegenden LP mit der alten Bestell-Nr. LV 6.


    Liebe Grüße,

    Nemorino :hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Zu Lotte Schöne ist noch nachzutragen, daß ihr weitgespanntes Repertoire u.a. auch die Micaela in Bizets "Carmen", Marzelline (Fidelio), Blonde (Entführung), die sie 1937 unter Bruno Walter bei einem Gastspiel beim Maggio Musicale Fiorentino sang, sowie Sophie (Rosenkavalier) und die Titelpartie in Webers "Oberon" umfaßte. Letztere sang sie 1934 in Salzburg und ein Jahr später am selben Ort die Zerlina in Mozarts "Don Giovanni", beide wiederum unter Bruno Walters Leitung.


    Kurze Zeit später erlitt die Sängerin einen schweren Nervenzusammenbruch, der sie zu einer fast einjährigen Pause zwang. Vermutlich waren Überbelastung sowie die schwierigen politischen Zustände, die für sie persönlich eine langsam, aber sicher zunehmende Bedrohung darstellten, die Ursachen.


    Wie weiter oben schon vermerkt, war Lotte Schöne eine geborene Wienerin, und das veranlaßte André Tubeuf in seinem Plattenkommentar zu der Aussage: "Lotte Schönes Stimme war durchaus wienerisch in der Führung. Derselbe Charme, dasselbe strahlende Lächeln, dieselben herrlich strömenden, weichen hohen Töne, dieselbe Stimmqualität, die auch Elisabeth Schumann auszeichneten - eine ebenso typische Wiener Stimme, auch wenn sie nur Wahlwienerin war."


    Es ist bedauerlich, daß der Kreis der Freunde schöner Stimmen in diesem Forum inzwischen sehr klein geworden ist. Das sollte aber nicht davon abhalten, Sängerinnen und Sängern von bleibendem Rang zumindest hier ein Denkmal zu setzen. Höchst erstaunlich und auch enttäuschend empfinde ich die Tatsache, daß Jens Malte Fischer in seinem umfangreichen Werk "Große Sänger" (Suhrkamp, 1995) Lotte Schöne zwar unter der Rubrik "jüdische Sänger" namentlich aufführt, ihr aber ansonsten mit keinem Satz Beachtung schenkt.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Hallo, Nemorino und Rheingold1876!


    Schön, dass Ihr an Lotte Schöne erinnert, die von den Berlinern „Schöne Lotte“ genannt wurde. (Ihr 'privater' Name war Charlotte Bodenstein.) Der im vergangenen Jahr mit 90 Jahren verstorbene Kritiker André Tubeuf war von ihrer Stimme und ihrem Gesang besonders angetan; in mehreren Ausgaben der französischen Opern-Magazine "Opéra", „Lyrica“ und „L'Avant-Scène“ hat er stets sehr enthusiastisch über ihre Aufnahmen geschrieben.


    Ich habe seit etlichen Jahren 'nur' ca. 70 ausgewählte Schallplatten aus dem riesigen Angebot der Serie 'Lebendige Vergangenheit' der Firma 'Preiser'; die Platten bekam man früher nur über Importdienste, sie waren auch recht teuer und mir waren damals - ehrlich gesagt - die aktuellen Sänger 'meiner Zeit' (50er und 60er Jahre) wichtiger. Aber ich habe auch die Platte LV 6 mit Aufnahmen von Lotte Schöne (auf der Hülle als „Butterfly“ mit einem Text aus dem „Kutsch-Riemens“-Lexikon, siehe Beitrag Nr. 1).


    Bei einem meiner mehreren Wien-Besuche erstand ich einmal bei einem 'Abverkauf' im Lager von 'Preiser' u. a. eine 'Lotte-Schöne'-Platte aus der 'LV'-Serie mit einem Cover-Privatfoto der Sängerin von 1925 und einem ausführlichen Aufsatz von André Tubeuf. Erst nach Rückkehr von der Reise stellte ich zuhause fest, dass es sich um eine Doublette (bei gleicher Katalognummer LV 6) handelt; der 'Inhalt' ist bei beiden Platten gleich.


    Ist es bei 'Preiser' öfter vorgekommen, dass es doppelte 'LV'-Platten (mit zwei verschiedenen Hüllen) gab? Auch die Numerierung der Platten – beginnend mit LV 1 bis LV 299, fortfahrend mit LV 1300, dazwischen 500er Nummern und 2000er für Doppelalben – ist etwas verwirrend. (Alfred_Schmidt versucht ja zur Zeit, Licht in das Dunkel der Veröffentlichungen historischer Aufnahmen bei 'Preiser' zu bringen.) Die im Beitrag Nr. 1 erwähnte zweite Platte – vermutlich LV 1324 „Lotte Schöne II“ - ist mir nicht bekannt und die 'Preiser'-Box 89224 „The Art of Lotte Schöne“ - zwei CDs mit vierzig, teilweise akustisch aufgenommenen Arien und Duetten aus den Jahren 1924 bis 1931 - habe ich nicht.


    Carlo

  • die Marston-Box "The Complete Lotte Schöne"

    Hallo, Calatrava,


    vielen Dank für den Hinweis auf diese 5 CD-Box, die allerdings z.Zt. nur sehr teuer (über 70 US-Dollar) zu haben ist. Ich habe sie mir trotzdem mal vorgemerkt und warte darauf, daß sich der Preis vielleicht einmal in einen moderateren Bereich bewegt. Auf dem deutschen Markt wird sie wohl gar nicht angeboten.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Nachtrag:


    Ich vergaß zu erwähnen, dass auf der Erstausgabe von LV 6 vom Januar 1967 (mit dem „Butterfly“-Foto auf dem Cover) keine Angaben zu dem begleitenden Orchester – Staatsoper Berlin – und den Dirigenten abgedruckt sind; diese wichtigen Details findet man nur in der späteren Version von LV 6 mit dem Hüllentext von André Tubeuf:


    „Lebendige Vergangenheit – Lotte Schöne“ (LV 6)


    „Cosi fan tutte“ (Wolfgang Amadé Mozart): Schon ein Mädchen von fünfzehn Jahren* (1928) / „Die Zauberflöte“ (Mozart): Ach, ich fühl's, es ist verschwunden* (1928) / „Don Pasquale“ (Gaetano Donizetti): Pronto io son° (mit Willi Domgraf-Fassbaender; 1931) / „Die lustigen Weiber von Windsor“ (Otto Nicolai): Nun eilt herbei, Witz, heit're Laune° (1930) / „Die Fledermaus“ (Johann Strauß): Mein Herr, was dächten Sie von mir?+ (1928) / „Ein Maskenball“ (Giuseppe Verdi): Mit starrem Angesicht blickt sie nach oben+ (1929) / „Manon“ (Jules Massenet): 's ist für ihn... Leb' wohl, mein liebes kleines Tischchen+ – Folget dem Ruf, so lieblich zu hören+ (1929) / „La Bohème“ (Giacomo Puccini): Quando m'en vo soletta+ (1929) / „Madame Butterfly“ (Puccini): Eines Tages seh'n wir+ – Deine Mutter soll dich im Arme tragen+ (1928) / „Turandot“ (Puccini): Signore, ascolta* – Tu, che di gel sei cinta* (1928 und 1927).


    Die Dirigenten sind Fritz Zweig*, Erich Orthmann° und Leo Blech+. Die Arien aus „La Bohème“ und „Turandot“ sowie das Duett Norina-Malatesta aus „Don Pasquale“ werden in italienischer Sprache gesungen; sämtliche Aufnahmen wurden von 'HMV' gemacht.


    Carlo

  • „Lebendige Vergangenheit – Lotte Schöne“ (LV 6)

    Ich besitze die spätere Ausgabe mit den Details zu Dirigenten und Orchestern und dem Begleittext von André Tubeuf, dem ich auch einzelne Passagen zu meinem Eingangsbeitrag entnommen habe.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).