Der Anschlag auf dem Klavier

  • Mit Anschlag ist nicht ein terroristischer Überfall gemeint, sondern wie die Finger des Pianisten beim Drücken der Klaviertaste den Ton erzeugen. Das ist ein austariertes Zusammenspiel von Muskelkraft und Mechanik.


    Klavier und Interpret bilden eine Einheit, wenn es zum Klingen gebracht wird.


    Die Mechanik des Tasteninstrumentes Klavier erlaubt einen differenzierten Anschlag, wenn man eine Taste drückt. Generationen von Klavierbauern haben bis zum heutigen Entwicklungsstand sich einiges einfallen lassen, um dies zu ermöglichen.


    prinzip_tonerzeugung.jpg


    Klavierpädagogen widmen dem Anschlag der Tasten besondere Beachtung. Die Fingerfertigkeit, die dazu nötig ist, wird stundenlang über Jahre trainiert.


    Dieser Thread soll der sachlichen Diskussion dienen, wie die Klanglichkeit am Flügel erzeugt wird.



    Der Wikipedia-Artikel bietet das Grundwissen zum Thema der Klaviermechanik.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Klaviermechanik

    .

    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • Neu war für mich nach dem Studium des Wikipedia Artikels, dass wie im Autobau Zulieferer die Tastenmechanik der Klaviatur den Klavierbauern liefern.


    Ob das auch bei Edelmarken so ist, frage ich mich.


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    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • Ich bin wahrlich kein Spezialist, kenne aber zwei Fakten.


    Die Firma Steinway verwendet schon seit langem Mechaniken der Firma Louis Renner. Diese Firma wurde laut des Wikipedia-Eintrages im Jahre 2019 von Steinway gekauft, so dass jetzt alles wieder im Hause ist :)


    Louis Renner


    Die allerdings mittlerweile historische Firma Erard baute eigene Mechaniken, die damals wohl auch recht bekannt waren.


    Von Érard stammt auch die Entwicklung des Double Echappements am Hammerklavier 1821[1], was eine wesentliche Leistungssteigerung dieses Instrumentes bedeutete. Die Erfindung wurde nur noch in Details von Henri Herz verbessert. Ihre Ausführung bildet bis heute die Basis der gegenüber dem Hochklavier wesentlich besseren, viel schneller möglichen Anschlagswiederholung eines Flügels. Diese sogenannte „doppelte Repetition“ oder „doppelte Auslösung“ nach Patent Erard mit dem wesentlichen Element des Repetierschenkels, der den rückprallenden Hammer fängt und noch vor komplettem Rückhub der Taste ein erneutes Anschlagen gestattet, gehört zu den wichtigsten Erfindungen der Klavierbaugeschichte.


    Eine Freundin von mir bekam vor einiger Zeit Schwierigkeiten mit ihrem Erard-Flügel, so dass ich ziemlich unfreiwillig mit den Eigenheiten der Mechanik vertraut wurde :)


    Hier ein Bild dieser historischen Mechanik


    1808_erardmechanik.jpg

  • Neu war für mich nach dem Studium des Wikipedia Artikels, dass wie im Autobau Zulieferer die Tastenmechanik der Klaviatur den Klavierbauern liefern.


    Ob das auch bei Edelmarken so ist, frage ich mich.

    Ja, das ist auch bei den Edelmarken so. Der mit Abstand wichtigste Hersteller von Mechaniken und Hammerköpfen ist die Firma Renner in Gärtringen, die u.a. Steinway, Bösendorfer und Fazioli beliefert (wobei die Mechaniken bei Fazioli noch modifiziert werden), aber auch kleinere bzw. weniger exklusive Hersteller wie Petrof, Seiler, August Förster, Blüthner, Grotrian Steinweg, Schimmel usw. verbauen Renner-Mechaniken. Ausnahmen sind vor allem die japanischen Hersteller Yamaha und Kawai. Außer der Klaviatur werden auch Gussplatten und zum Teil Basssaiten (wieder nicht bei Fazioli) von den Herstellern in der Regel nicht selbst produziert sondern zugekauft. Bechstein hat vor ein paar Jahren angefangen, eigene Hammerköpfe zu bauen, wohl auch, um die Abhängigkeit von einem einzigen Hersteller zu umgehen.


    (Zum eigentlichen Thread-Thema der Erzeugung von Klangfarben am Klavier habe ich an anderer Stelle alles geschrieben, was dazu aus meiner Sicht zu sagen ist.)

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Lieber ChKöhn


    Ich danke für deine Ausführungen zum Thema Zulieferer. Diesen Thread hatte ich aus zwei Gründen eröffnet:


    a) Sucht man zum Bereich Anschlag und Klavier-Klang Informationen, sind die Informationen nun unter einem Titel im Forum zu finden.

    b) Die Entflechtung der Beiträge zum Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli mit dem Anschlag-Thema.


    LG moderato

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  • In der SZ stand am Wochende ein sehr lesenswerter Artikel über das Klavierduo Lucas und Arthur Jussen (leider hinter der Bezahlschranke, Link weiter unten). Darin ist unter anderem die Rede davon, dass die Brüder von Maria Joao Pires unterrichtet wurden oder bei Ihr einen Meisterkurs hatten. Und Pires erzählt: "Um Arthur habe ich mir ein wenig Sorgen gemacht, weil er keinen Sound hatte. Er spielte wunderbar, aber sein Sound war ganz, ganz klein."

    Das musste sie ihm erst beibringen - und da beide Brüder sehr talentiert sind, ging das auch schnell. Der Sound, so Pires, hängt vor allem ab von "der Stellung des Rückgrats, dem Bauch, wie man sitzt, wie man atmet" (ähnlichliches kann man bei Arrau nachlesen). Und sie empfahl ihrem Schüler, "tief in die Tasten zu greifen".


    Und weiter: "Das Klavier ist immer nur das zweite Instrument, das erste ist der Körper."


    Ich mag ja gar nicht anzweifeln, was ChKöhn hier im Forum dargelegt hat:

    "Grundsätzlich ist es bei einem Klavier oder Flügel aufgrund der Funktionsweise der Mechanik vollkommen unmöglich, ein und denselben Ton ohne (rechtes oder linkes) Pedal zweimal in derselben Lautstärke, aber in verschiedenen Klangfarben zu spielen. Ein einzelner Ton ist immer nur lauter oder leiser, aber niemals bei gleicher Lautstärke "härter" oder "weicher", egal ob dieser Ton von Michelangeli oder von seinem Friseur angeschlagen wird."


    Aber in der Praxis geht es ja auch nie um die Entstehung eines einzelnen Tons (wenngleich das der Ausgangspunkt der Diskussion war), sondern was uns hier glaube ich vor allem interessiert oder was mich jedenfalls fasziniert, ist, dass unterschiedliche Pianisten sehr unterschiedliche Klänge erzeugen, mitunter sogar auf dem gleichen Instrument (ich hatte von einer Einspielung von Amandine Savary auf einem Arrau-Flügel berichtet).


    Und jetzt sagt Pires, dass man tief in die Tasten greifen müsse, um einen "Sound" (sie meint damit nicht nur die Lautstärke) zu erzeugen. Das ist sehr faszinierend und hier meines Erachtens noch nicht hinreichend besprochen worden.


    Auch könnte man sich ja fragen, wie jemand wie Arcadi Volodos so einen wunderschönen, leuchtenden und zugleich samtigen Sound erzeugt. Hängt es mit seinem Gewicht zusammen?


    Viele Grüße

    Christian


    Hier noch der Link:

    https://www.sueddeutsche.de/pr…ach-e332513/?reduced=true

  • Man muss unterscheiden zwischen dem physikalischen Vorgang der Klangerzeugung und der Spieltechnik. Pires redet (wie Arrau) von letzterer. Dass man physikalisch nicht "tiefer" in eine Taste greifen kann, sollte eigentlich klar sein, denn der Tastentiefgang ist eine fest vorgegebene Eigenschaft des Instruments. Trotzdem kann es hilfreich sein, sich das vorzustellen, weil es helfen kann, die muskulären Verhältnisse passend zum gewünschten Klang einzustellen. Aber mit welcher Technik auch immer: Klangfarben entstehen letztlich immer durch Mischungen von Lautstärken sowie die Verbindung mit Pedalbehandlung. Ideal ist es, wenn ein Pianist die Technik so weit beherrscht und verinnerlicht hat, dass die Vorstellung eines Klangs reicht, um die Hammerköpfe differenziert mit dem richtigen Schwung zur Saite zur schleudern. Ich bin aber der Meinung, dass es - vor allem auf dem langen Weg dahin - nicht schadet, wenn er auch über die physikalischen Eigenschaften seines Instruments Bescheid weiß, denn sonst besteht bei weniger begabten Pianisten die Gefahr, dass die Klangunterschiede mehr mit dem Gesichtsausdruck als mit dem Instrument erzeugt werden.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Zitat

    ...,dass die Klangunterschiede mehr mit dem Gesichtsausdruck als mit dem Instrument erzeugt werden.

    ;)


    Nicht zu vergessen sind auch die mächtigen Ausholbewegungen, die fast an Rudern erinnern.

  • Die Ausholbewegungen haben, wenn man sie zielgerichtet einsetzt, schon ihren Sinn:

    Um den Hammerkopf mit verschiedenen Geschwindigkeiten an die Saite zu bringen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Man kann entweder den Beschleunigungsweg vor dem Anschlag verlängern, oder man kann auf einem gleichbleibenden Weg mehr beschleunigen. Also ungefähr so, wie beim Fußball ein Elfmeterschütze mit mehr oder weniger Anlauf schießen kann. Das Problem ist: Wenn man, um verschiedene Klangfarben zu erzeugen, gleichzeitig mehrere Hammerköpfe mit verschiedener Geschwindigkeit an die Saite bringen will, sind beide Methoden unzureichend. Mit den Fingern einer Hand gleichzeitig drei oder mehr unterschiedlich große, aber kontrollierte Ausholbewegungen zu machen und dabei dennoch gleichzeitig anzuschlagen, ist physiologisch fast nicht möglich, und beim Spielen von der Taste ist der Beschleunigungsweg bis zum unteren Druckpunkt so kurz, dass man das Maß an Beschleunigung zwar bei Einzeltönen differenzieren aber bei mehreren gleichzeitigen Anschlägen kaum präzise kontrollieren kann. Deshalb funktioniert eine sinnvolle Spieltechnik anders: Man stellt die Finger muskulär vor dem Anschlag entsprechend der gewünschten Lautstärke härter oder weicher ein und macht dann - mit dem Handgelenk, dem Arm oder dem ganzen Oberkörper - eine gemeinsame Ausholbewegung, von deren Impuls je nach muskulärer Einstellung ein dosierter Anteil an der Taste und damit an der Saite ankommt. Zusätzlich kann man die Ausholbewegung rechts anders (meist größer) als links machen. Man kann auch eine Hand leicht nach innen oder außen drehen, um den entsprechenden Fingern einen größeren Anteil am Impuls zu geben und so weiter. Natürlich beschäftigen sich fast alle Pianisten viel mehr mit solchen spieltechnischen Fragen als mit den eigentlichen physikalischen Vorgängen, aber diese letzteren sind es, die am Ende den Klang erzeugen, und ich halte es für sehr sinnvoll, wenn man sich über beides vollkommen im Klaren ist.

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  • Beim Van Cliburn Klavierwettbewerb 2013 ist mir Wadym Cholodenko nachhaltig in Erinnerung geblieben.


    Die dazu entstandene Doku zeigt junge Pianisten und ihr Auftreten.


    Ohne den Sieger vorab zu kennen, war für mich - allein an der Haltung des Pianisten - klar, wer da eine Zukunft hat.

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  • Dass der "Anschlag", mit welcher Spieltechnik er auch immer erfolgt, nichts anderes als die Geschwindigkeit der Hammerköpfe steuert, kann man übrigens auch an der Funktionsweise moderner Selbstspielsysteme erkennen: Bei denen werden die Tasten gar nicht "angeschlagen" sondern nur am hinteren Ende durch eine Art Stößel in Bewegung gesetzt. Dabei wird eine einzige physikalische Größe differenziert: die Geschwindigkeit, bei Steinway Spirio z.B. in mehr als 1000 Abstufungen. Die Ergebnisse sind vom Original nicht zu unterscheiden.

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  • Wo das mit dem Anschlag nun doch physikalisch ziemlich klar ist, fragt man sich nach Techniken und Vorstellungen beim Spielen. Hier habe ich etwas gefunden, was vielleicht in diesem Zusammenhang interessieren könnte. Die Dame hat bei György Sándor studiert und berichtet über fünf elementare Bewegungen, die sie von ihm gelernt hat...