Dialogues des Carmélites, Wien, 30.5.2023

  • Am Dienstag habe ich vierte Aufführung der Inszenierung von Magdalena Fuchsberger gesehen.


    Bertrand de Billy dirigierte das gut sichtbare Orchester. Der Graben war flach. Mir gefällt das. Ich saß rechts vorn, nah am Schlagwerk. De Billy legte seine Gedanken zur Oper in der Einführungsmatinee und im Programmheft ausführlich dar. Besonders interessant fand ich seine Anmerkungen zur (Leit-) Motivtechnik und Poulencs Tempovorgaben, die er teilweise bewußt mißachtet, um mit höherem Tempo, als vom Komponisten vorgesehen, singen zu lassen. Auch ich Laie würde ein zügiges Dirigat konstatieren. Allerdings klingt manches dabei leichter, als erwartet - insbesondere das Allegro giocoso, mit dem der erste Akt eröffnet.


    Nicole Car sang und spielte die sanfte und verletzliche Blanche, die aber aber auch zur Hoffart fähig ist. Die Australierin gab ein interessantes Rollenporträt. Ihr reiner Sopran klang recht weiß, andere Sängerinnen, etwa Isabel Leonard, habe ich farbenreicher in Erinnerung. Sensationell ist die Mme Lidoine der Maria Motolygina zu nennen. Fr. Motolygina erlebte ich im Februar als Maria/Amelia im Simon Boccanegra an der Deutschen Oper Berlin und möchte sie Weihnachten dort als Gertud in Hänsel und Gretel wiedersehen. Ihre junge Priorin hat mich mit ihrem robusten Sopran beeindruckt. Maria Nazarova singt Sœur Constance und betont den Gegensatz zur bedenklichen Blanche besonders. Aber sie ist auch die Treueste, frei von jedem Zweifel, setzt sie unbedingtes Vertrauen in die Freundin-Schwester. Im Januar 2022 sah ich ihre Najade an der Berliner Staatoper. Ihr vibratorarme Stimme gefiel mir am Dienstag erneut.

    Wenig konnte ich mich der Mme de Croissy von Michaela Schuster anfangen. Das mag an der Regie gelegen haben, aber ihre Stimme kam mir wenig fokussiert vor. Von den Karmeliterinnen möchte ich noch Eve-Maud Hubeaux, Mère Marie, nennen. Sie gibt eine sehr unnahbare Novizenmeisterin, was diese überaus interessante Gestalt vielleicht ein wenig verengt.


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    In den Dialogues des Carmélites braucht man auf der Bühne drei Möbelstücke: Einen Sessel, ein Bett, ein Schafott. Monika Biegler hat den Rohbau einer Stabholzkirche auf die Bühne gezimmert - mehretagig, mit Wendeltreppe und einem funktionslosen Glockenturm. Die Konstruktion dient als markgräfliches Schloß, Kloster und endlich Schafott auf dem Place de la Révolution in Paris. Man bekommt sie von allen Seiten zu sehen, die Drehbühne ist viel in Bewegung. Durch die Latten kann man während der Szene andere Akteure sehen, die darin nicht zu singen und spielen haben. So etwa im ersten Akt, als Blanche ihren Vater vom Entschluß, sich den Karmeliterinnen anzuschließen, unterrichtet. Gleichzeitig sind durch die Stäbe die stummen Nonnen bei einer Zeremonie zu sehen.


    Diese Notenarbeit ist ein ernstes bedeutendes Werk. Es kann uns nicht gleichgültig sein, in welchem Rahmen dieses dargestellt wird!
    Jedennoch bleibt es der Regisseurin summo et unico loco überlassen, welche Arten von Spektakel sie ihren hochansehnlichen Gästen (...) zu bieten gesonnen ist.


    Fr. Fuchsberger hat der Kargheit der Ausstattung, der Konzentration auf den Dialog der Figuren in ihrer Inszenierung eine Absage erteilt. Das ist ein Verlust.


    Dafür ist sie auf den sublimen Gedanken gekommen, diese wüste Insel durch zusätzliches Personal (...) einigermassen anständig staffieren zu lassen.


    So sind zwei Akte lang Gestalten mit Tiermasken unterwegs, die gut in den dritten Akt des Falstaff gepaßt hätten. Sie mischen sich unter die Nonnen und sind auch beim Sterben der alten Priorin zugegen. Auch ein Todesengel in Weiß ist zu bewundern. Meist ist er in der oberen Etage der Holzkonstruktion unterwegs. Dort tanzt er und schwingt sein Schwert.

    Die Nonnen tragen in Wien keine Ordenstracht. Sie haben auch keine Profeß abgelegt, denn sie tragen bürgerliche Frisuren. Dafür haben die revolutionären Milizionäre Perücken und sind mit Culottes bekleidet. Als der Konvent aufgehoben ist, wechseln die Schwestern in champagnerfarbene Negligees, die sie auch im Kerker tragen. Warum nur?

    Wir Opernfreunde haben uns in der Pause schnell verständigt: Die Regisseurin legt Spuren aus, die ins Nichts führen. Es sind bloße Regieeinfälle. Sie beleuchten keine Aspekte der Oper, sondern vernebeln sie.


    Unter dem Konzept leidet der Kern des Dramas, die Dialoge. Einer der schönsten und dichtesten ist die Prüfung Blanches durch Mme de Croissy. Die mutterlose junge Frau trifft auf die tochterlose alte. Bei Poulenc/Bernanos ist das eine gegenseitige Liebeserklärung. Beide: "Du bist, was ich sehnlichst vermißt habe!" Und die junge: "Ich unterwerfe mich dir!"; und die alte: "Ich nehme dich an!" Natürlich wird von Regeln und Illusionen und vom Gebet gesungen. Aber es ist in nuce eine Liebeserklärung. Da finden sich zwei Frauen als Mutter und Tochter für eine kurze Zeit, und diese Szene hat allerhöchste Intensität.

    Das schlägt in dieser Inszenierung völlig fehl. Fr. Schuster muß chargieren, daß es eine Art hat. Hätte sie doch nur in ihrem Sessel sitzen bleiben können! In der Dexter-Inszenierung an der Met saß Karita Mattila durchgängig, barsch jede Hilfe abweisend, Isabel Leonard stand schräg hinter ihr. Kaum ein Blick wurde gewechselt. Die Hochspannung war einzig und allein im Dialog. Ich werde nicht müde, die Szene wieder und immer wieder anzuschauen.


    Es fällt auf, daß die Personenführung die Akteurs ständig in den Nahkampf zwingt. Das ist beim ersten Treffen von Constance und Blanche ein witziger Moment, wenn die kleine Maria Nazarova die große Nicole Car rempelt. Nur hier paßt es. Aber auch Mme Lidoine und Mère Marie haben unfreundlichen Körperkontakt, und am störendsten wird das Genestel, das Anfassen, das den Anderen Zu-Boden-Werfen in der Szene, als der Chevalier seine Schwester zum letzten Mal besucht.


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    Das Salve Regina wird oben auf dem Schafott gesungen. Darunter wälzen sich Komparsen im Staub. Die Schwestern sind entindividualisiert, die Gesichter mit einem schwarzen Schleier verhüllt, die Häupter überreich mit barocken Strahlenkränzen versehen. Das ist Selbst-Apotheose, ein ganz heidnisches Bild! Die Schwestern nehmen den Tod nicht demütig an, sie gehen ihm wie Selbstmordattentäterinnen entgegen.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Danke für diesen wirklich tiefgründig und erhellenden Bericht für eine meiner Lieblingsopern abseits des Mainstreams. Auch dir würde ich gerne ein Frage zur Musik stellen. Das Finale dieser Oper, der Gang zum Schafott, gehört zu den großartigsten Finales der Opernliteratur. Ich habe eine ganze Reihe von Aufführungen gesehen; in der Schlussszene wird jeder Fall des Schafotts musikalisch begleitet durch einen durchdringenden Laut von einem Holz-Schlagwerk.. In allen Aufführungen war der Klang genau gleich, sodass ich denke, dass das in der Partitur stehen muss. Diese Frage konnte bisher niemand beantworten.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • .... In allen Aufführungen war der Klang genau gleich, sodass ich denke, dass das in der Partitur stehen muss. Diese Frage konnte bisher niemand beantworten.

    Im letzten Akt, während der Hinrichtung der Nonnen, wurde die Guillotine in der Partitur für die Mailänder Uraufführung nur mit der Notation "ghigliottina“ und einer Viertelnote "x" ausgedrückt.

    Poulenc überließ es dem Dirigenten und Regisseur zu entscheiden, wie sie die Guillotine als Instrument darstellen wollten.

    Es bleibt also der Interpretation überlassen, wie der Klang der Guillotine entsteht.

    In einer Produktion von „Dialogues“ der "University of Utah" im Jahr 2010 befestigten Orchestermusiker vier Notenständerköpfe mit Klebeband und glitten mit einer Kette und einem Brecheisen über die Köpfe. Dieser metallische Gleiteffekt wurde durch den verhängnisvollen Schlag unterbrochen, der dadurch verursacht wurde, dass ein vier Pfund schwerer Vorschlaghammer auf einen umgedrehten Eimer traf.

    In anderen Produktionen wird der Klang der Guillotine digital erzeugt oder, was ich sehr effektvoll fand, mit der Klinge eines großen Papierschneiders, dessen "Ratsch" digital verstärkt wurde.

    Die entsprechende Stelle der Partitur kann man hier auf einem Photo einsehen.


    https://music.utah.edu/mckay-m…es/Production_History.php

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Ein echter Orfeo! Vielen Dank, auch für den Link. Ich denke jetzt, dass der Irrtum bei mir liegt; ich also immer angenommen habe, es sei der gleiche Ton auf dem gleichen Instrument gewesen, was ein Irrtum war. Ich finde inzwischen auch, dass Poulenc das geschickt gemacht hat, um die Fantasie der Ausführenden zu befeuern. Der Link beweist das deutlich!

    Nach dem letzten "Geplänkel" bin ich froh, wieder auf ein sachliches und kundiges Mitglied zu stoßen. Danke!

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  • Ich ergänze noch um einen Schnipsel, den Maria Nazarova kürzlich veröffentlicht hat.


    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*