Herz mit zwei, Spiel drei, Schneider vier
Regisseur Tobias Kratzer hat ein glückliches Händchen an der Deutschen Oper Berlin. Sein Zwerg (Alexander v. Zemlinsky) ist überraschend und sehenswert, und auch seine Arabella sollte man nicht verpassen! Beide Inszenierungen stehen in der kommenden Spielzeit auf dem Plan.
Strauss' kleine Ehekomödie hat er nach Berlin verlegt, wahrscheinlich in einen der Kieze, wo die Arrivierten wohnen und man eine zahlreiche Dienerschaft hält. Christine Storch und Baron Lummer rasseln also nicht auf der Skipiste, sondern auf der Straße zusammen, wo Lummers Kleinwagen Storchs SUV touchiert.
Maria Bengtsson singt die tragende Partie des Abends, die der Kapellmeistersgattin Christine Storch. Ich habe einen guten Strauss-Sopran gehört - silbrig, wie es gerne heißt, mit schönen Piani und Legati. Nicht immer jedoch dringt sie durch das Orchester, und ihre Sprechstimme war manchmal kaum zu verstehen. Ihre Erscheinung - groß, blond, sportlich - ist sehr anziehend, aber Kratzer zeichnet sie doch recht toxisch. Die Zeile des Kommerzienrats: "Ich mit einer solchen Frau säße längst im Irrenhause!" wird an ihr unmittelbar plastisch.
Was aber bei Strauss nur ein heftiger Flirt auf dem Ball beim Grundlseewirt ist, wird bei Kratzer zum Vollzug ehelicher Untreue durch Christine mit Lummer im Hotelzimmer. Der Regisseur wollte hier nachschärfen, aber die Ambivalenz der Komödie leidet darunter. Die leichte Unbestimmtheit, der milchige Schleier, der über ihr liegt, wird an dieser Stelle zerrissen, und das ist schade. Erstens, weil es nicht vom Libretto beglaubigt ist und Christine abwertet. Der Baron charmiert, aber er ist ein Nichtsnutz und Versager, also Christine keineswegs ebenbürtig, was diese ja auch weiß. Zweitens, weil das im Stück fein austarierte Verhältnis zwischen Storch und seiner Frau gestört wird. Es ist gerade deshalb so ein guter Detektor für feinste Erschütterungen, weil es sich im Gleichgewicht befindet, die beiden Figuren einander in der Summe ihrer Stärken und Schwächen ebenbürtig sind.
Thomas Blondelle singt den klammen Bagatelladligen. Er gibt ihn als klebrigen Schnorrer, aber eben nicht nur abstoßend. Ein feines Porträt!
Storch, der Kapellmeister, reist zu Beginn mit einem Berg Koffer ab, die ihm seine Gattin mitgibt. Philipp Jekal, zuletzt als Beckmesser in den Meistersingern am Haus zu sehen, zeichnet einen sehr kollegialen Musiker und seiner Frau gegenüber unbedingt loyalen Mann. Selbst bei ihren giftigsten Angriffen darf er höchstens "Genug der Komödie!" rufen, nie wird er selbst ausfällig. Jekals Kapellmeister ist jung, erfolgshungrig und selbstsicher. Die Szenen, die die Gattin ihm macht, regen ihn an, nicht auf, solange er in Ruhe arbeiten kann. Erst die angedrohte Scheidung treibt ihm den Schweiß auf die Stirn. Jekals kerniger Bariton hat keinerlei Probleme, gegen das Orchester zu bestehen. Mir hat er als Storch sehr gut gefallen.
Kratzer läßt sich bei seiner Inszenierung von einem wesentlichen musikalischen Element des Intermezzos anregen, dem Selbstzitat. Christine und Lummer probieren bei einem Treffen Kostüme aus Strauss-Opern, deren Motive man auch hört, durch: Marschallin/Octavian, Salome/Jochanaan und Ariadne/Bacchus, aber Lummer bleibt ein selbstgefälliger Hanswurst mit einem Pantherfell. Man kann neben diesen auch weitere musikalische Zitate vernehmen, etwa Tristan und Parsifal beim Skat, und auch die Meistersinger blitzten auf.
Höhepunkt dieser Maskeraden und auch des Abends ist die Szene, in der Christine, gewandet wie Elektra, mit der Langaxt beim Notar (Markus Brück) aufkreuzt, um die Scheidung einzuleiten. Wie der korpulente Jurist sich vor ihren Axthieben in Sicherheit bringt, mit Slapstickeinlagen der wirbelnden Waffe entgeht und dabei auch noch die juristische Beratung der problematischen Klientin durchführt, ist eine großes Vergnügen.
Auf den Videoleinwänden flimmern immer mal wieder berühmte Inszenierungen auf: der Rosenkavalier mit Gwynneth Jones und Brigitte Fassbaender, die Salome und die Arabella in Kratzers eigener Regie. Während der namensgebenden Intermezzi ist dort das Orchester unter Donald Runnicles und unter Kapellmeister Storch zu sehen. Dem Dirigenten kann man so besonders gut bei der Arbeit zusehen, die ihm sichtlich Vergnügen bereitet. Er muß es in den Dialogszenen im Dienste der Textverständlichkeit zügeln, aber in den Zwischenspielen beim Szenenwechsel und in der Praterszene, die hier im Flugzeug auf Reiseflughöhe spielt, läßt er es von der Leine. Der scheidende Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin beweist auch guten Humor, denn der Schwerenöter Kapellmeister Stroh, dessen Affäre mit Mieze Meier nebst Namensverwechslung zur Ursache der Turbulenzen in Storchs Ehe wird, ist ihm direkt nachgezeichet.
Eine heiteres, gelungenes Intermezzo. Sehr beschwingt sind wir aus der Deutschen Oper in die warme Dämmerung auf der Bismarckstraße getreten.