Die Kieler Oper ist immer mal für eine Überraschung gut und von mir in etwa einer Stunde zu erreichen, weshalb ich das Programm hier immer im Auge behalte. Der gestrige Opernabend hat meine gute Meinung der Kieler Oper wieder einmal bestätigt: Einer der besten Opernabende des Jahres! Und das wo der "Rosenkavalier" mit Sicherheit nicht unter meinen Lieblingsopern Strauss' ist. Für meine Begriffe braucht es drei Dinge für einen guten Rosenkavalier: Eine hervorragende Marschallin, einen präsenten und witzigen Ochs und gutes Schauspiel aller Beteiligten. Alles drei kam gestern glücklich zusammen, so dass Abstriche an anderen Stellen kaum ins Gewicht fallen.
Gesangspartien
Die Hauptrollen wissen allesamt zu überzeugen. Wie von Hans Heukenkamp schon angedeutet, ist Agnieszka Hauzer eine hervorragende Marschallin. Kräftig und gleichzeitig fatalistisch-verletzlich an den richtigen Stellen ("Die Zeit ist ein sonderbar Ding"). Der Einsatz von relativ viel Vibrato passt zum Gestrigen der Figur. Im 3. Akt an einigen Stellen offensichtlich sehr abhängig von der Souffleuse - kann passieren. Dafür aber wunderbar gespielt, zunächst eher die herrische Fürstin, dann die verzichtende Hans-Sachs-Figur. In einem kleineren Haus wie Kiel, kann man auch von Gestik und Mimik mehr mitbekommen, als in Hamburg oder an der Berliner Deutschen Oper.
Die Französin Clara Fréjacques gibt einen agilen Ocatvio. Sehr lyrisch und darstellerisch wandelbar ist sie gelegentlich ein wenig zu leise. Aber der 'Doppel-Rolle' ist sie absolut gewachsen. Und der Ochs von Jörg Sabrowski ist absolut spektakulär! Ein echter Sänger-Darsteller spielt und komödiert er, dass es nur so eine Freude ist. Jede Geste sitzt, vieles davon ist nicht nur aus dem Handbuch des Komisch-Spielens, sondern wirkt echt und aus dem Moment heraus. Er hat die Lacher auf seiner Seite und singt dazu sehr präsent und sicher. Dazu schafft er es als einziger im Cast auhentisch (für meine Ohren) zu Wienern. Etwas weniger überzeugt mich Xenia Cumentos Sophie, die zart mit leise verwechselt und ein wenig hölzern spielt. Im berühmten Schluss-Terzett und -Duett klingt das aber alles sehr schön.
Die meisten Nebenrollen sind ebenfalls zufriedenstellend besetzt und spielen fast alle mit viel Freude und Lust am Schauspiel. Besonders im 1. Akt während des Levers wird das sehr deutlich. Lediglich Oleksander Kharlamov hat mir überhaupt nicht gefallen, weil vollkommen unidiomatisch unterwegs.
Orchester
Das Philharmonische Orchester Kiels gehört natürlich nicht zu den ganz großen Orchestern des Landes. Über so einige Intonierungsschwächen bei den Bläsern sehe ich hinweg. Insgesamt gelingt dem Orchester unter Gabriel Feltz ein überzeugender Strauss, schön phrasiert, an den richtigen Stellen voller Schmelz, in anderen Momenten aber auch akzentuiert und spitz mit z.B. wunderberen Walzer-Momenten. Manchmal, besonders bei den recht leisen Stimmen Fréjacques' und Cumentos' deckt Feltz die Stimmen etwas sängerunfreundlich im dichten Strauss-Klang zu.
Inszenierung
Mir gefällt die Sam-Brown-Inszenierung und die gesamte Ausstattung ganz hervorragend. Die drei Bühnenbilder sind opulent und besonders das riesige, bühnenfüllende Bett in einem herrschaftlichen, mit Chinoiserien dekorierten Zimmer finde ich schlicht und ergreifend wunderschön. Beim Nachsinnen der Marschallin über die Zeit fährt der Kronleuchter herunter und wird zum riesigen Uhrenpendel. Hach - so etwas möchte ich doch gerne sehen! Dabei ist die Inszenierung nicht nur historisierend, sondern stellt eher das Zeitlose des Strauss/Hofmannsthalschen Erfolgsstückes heraus. Zum einen stellen die Kostüme anachronistische Gegenstücke zum Rokoko-Zimmer dar, ohne jedoch zu verstören (Ochs wirkt in seinem Tweed-Anzug eher wie ein Sherlock). Auch in den anderen Akten gibt es gut eingepasste, aber eben 'störende' Elemente, wie ein Swimmingpool im Anwesen Faninals oder die Konzeption der Kneipe als Stundenhotel im 3. Akt. Diese Ausstattung atmet z.B. den Dunst der 60er Jahre, passt aber dennoch perfekt zum Liebesritter Ochs. Zeitlosigkeit wird somit grade durch die gelungene und harmonische Kombination von verschiedenen Jahrhunderten in der Ausstattung erreicht. Und außerdem finden in genau dieser Szenerie die Komischen und Melancholischen Elemente dieses Stückes zusammen bzw. dürfen nebeneinander bestehen. Ich finde: So muss man den Rosenkavalier machen - Sich gleichzeitig ernst und unernst nehmen.
Diese Umgebung fördert sichtbar die Spielfreude der Akteure. Im 1. Akt findet das gesamte Lever auf dem riesigen Bett der Fürstin statt - es ist ein Kommen und Gehen, Palavern und Scherzen, Gestikulieren und Interagieren wie ich es selten in solcher Vollendung erlebt habe. Das ist sozusagen feinstes Musiktheater!
Hinzu kommen viele schöne Kleinigkeiten. Beispiel: Aus dem Mohren wird eine weiße, androgyne Mo.
Fazit
Wie gesagt: Einer meiner besten Opernabende des Jahres. Das hat sehr, sehr viel Spaß gemacht und war zudem auch immer wieder einfach schön. So wünsche ich mir den Rosenkavalier, der in der Liste meiner liebsten Strauss-Opern wirklich eher in der zweiten Hälfte steht.
In der Saison ist er noch 6mal zu sehen, vielleicht bin ich sogar nochmal dabei. Und wer Kiel in der Nähe hat - dem empfehle ich diesen Rosenkavalier in der Sam-Brown-Inszenierung wärmstens!