CARMEN-Neuinszenierung in Stuttgart

  • Eine Pausenszene ist typisch für die Neuinszenierung der CARMEN in Stuttgart durch den Opernneuling NÜBLING. Eltern erklären ihrem Sprößling die wahre Handlung der Oper. Vermutlich haben sie ihr Kind noch liebevoll auf diesen Opernabend vorbereitet. Aber dann..


    Schon während der Ouvertüre viele Versatzstücke des sog. "modernen" Regietheaters: Geöffneter Vorhang während der Ouvertüre, Don José im weißen Feinripp-Unterhemd vor dem Fernsehgerät (bleibt das ganze Stück über auf der Bühne, meist ist ein sich öffnendes oder schließendes großes Auge zu sehen), Carmen liegt geschlagene 25 Minuten tot vor Don José, im Kreuz hat er einen Laubfrosch-Clown (Stuttgarter Nachrichten meinen, es sei ein Kobold), der bis auf eine kurze Zeit (wenn ihn Escamillo von der Bühne vertreibt) ständig seine "Späßchen" auf der Bühne treibt (u.a. holt es im 3. oder 4. Akt Chormitglieder noch vorne, um sich variantenreich mit ihnen zu kopulieren). Der Boden ist voller Müll und Dreck (wohl kein "Eurotrash")


    Häufig wurde völlig gegen die Musik inszeniert (z.B. Auftritt und Abgang der Michaela im Akt)


    Dies ist eher die Karrikatur des "modernen" Regietheaters. Ein völlig mißlungener Einstieg des neuen Intendanten Puhlmann.


    Schade, denn musikalisch (die beiden Hauptprotagonisten, Dirgentin Jones und Orchester, Chor) war es durchaus eine gute Opernaufführung

  • Ah, das ist schön, das hier schon jemand das Thema "Carmen" in Stuttgart aufgreift. Mich würde interessieren, wie die beiden Grazer Diskutanten diese Aufführung in Stuttgart einschätzen würden.


    Schiral hat ja schon kleine Hinweise gegeben, was auf der Szene zu sehen ist: nichts, was an Spanien erinnert, auch nichts was nur annähernd gängige Bilder der Oper "Carmen" heraufbeschwört.


    Es ist eine sperrige Inszenierung geworden, eine, die eher auf das Innenleben der Personen abzielt und sich dabei einer Bildsprache bedient, die in ihrer Haltung sehr konsequent ist.


    Eigentlich reduziert Sebastian Nübling das Personal im wesentlichen auf die Figuren Carmen, José, Micaela und Escamillo, so dass alle Beteiligten, auch der Chor, immer wieder als kollektive Carmens, Josés, Micaelas und Escamillos auftreten.


    Die von Schiral beschriebene Figur des grünen Kobolds (er sieht aus wie der "Grinch" - ich glaube so heisst der Film -) ist eine Art Albtraumich von José, soetwas wie ein pervertierter Clown, einer, der statt Spass Schrecken bringt.


    Tatsächlich sieht der Zuschauer hier quassi das Ende am Anfang: José in seinem Zimmer mit der toten Carmen, dem sein dunkles Ich personifiziert im Nacken sitzt.


    Josés Gedanken spinnen dann den Handlungsfaden weiter: wie José dieser Frau verfällt, mit ihr nicht sein kann, aber ohne sie erst recht nicht.


    Für mich besonders beeindruckend: wenn am Ende Micaela mit ihrem José vorm Fernseher sitzt und man das Gefühl hat, hier hat ein Mann seine Mutti geheiratet. Klar, das es ihn zur Carmen hinzieht.


    Weil mir die Aufführung gut gefallen hat, möchte ich gerne auch noch etwas weiter in das Thema einsteigen, würde das aber lieber später nochmal tun, weil sonst die Texte so leseunfreundlich lang werden.


    Zur musikalischen Seite würde ich schon mal sagen, dass Julia Jones eine hörenswerte "Carmen" dirigiert hat, auch der Chor beachtlich war, aber von den Solisten keiner wirklich restlos überzeugen konnte, am ehesten gelang Will Hartmann als José eine auch gesanglich gute Vorstellung.

  • Wofür gibts den "Gestern in der Oper"-Thread ?(


    Zur Inszenierung kann ich natürlich nichts sagen da ich keinerlei Informationen dazu, geschweige denn sie gesehen habe.. Interessieren würd sie mich trotzdem, auch wenn sie wohl eher zu der Sorte gehört die selbst ich für "entbehrlich" halte da ich, zumindest nach den bisherigen Erzählungen, noch keinen Bezug zum Stück an sich feststellen kann.


    LG,
    Michael

  • Es ist selbstverständlich ein unverzeihlicher faux pas, als Anfänger überflüssigerweise ein neues Thema einzurichten. Habe immerhin vorher gesucht, in dieser Themenvielfalt aber nichts gefunden.


    Also, nichts für ungut - wie der Bayer sagt!

  • Zitat

    Original von schiral
    Es ist selbstverständlich ein unverzeihlicher faux pas, als Anfänger überflüssigerweise ein neues Thema einzurichten. Habe immerhin vorher gesucht, in dieser Themenvielfalt aber nichts gefunden.


    Also, nichts für ungut - wie der Bayer sagt!


    Nicht krumm nehmen, sollte kein Vorwurf sein, eher eine sanfte Bitte an die Mods es doch vielleicht zu verschieben.
    Nicht böse sein :(


    LG,
    Michael

  • Hallo schiral,


    ein Faux pas ist dein Beitrag wahrlich nicht,die Stuttgarter Oper ist immer wieder eine Erwähnung wert,wurde sie jüngst schon zum 6.Mal zur Oper des Jahres gekürt.Etwas stolz bin ich auf "meine" Oper schon. :angel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Wie ich gerade erfahren habe, darf ich in drei Wochen die wieder hervorgeholte Carmen-Inszenierung von Sebastian Nübling goutieren. Nach dem was ich hier so lese, wird es wohl kein ungetrübtes Vergnügen werden. :D
    Ich werde berichten.

  • Lieber lutgra,


    herzliches Beileid. Das was Schiral da geschildert hat, ist ja noch weit abartiger als kürzlich die Carmen von Oliver Py. Vergiss also die Augenklappen nicht, vielleicht ist es dann wenigstens musikalisch ein Genuss


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Heute Abend in der Stuttgarter Oper, Carmen in der schon etwas älteren Inszenierung von Sebastian Nübling, wohl seiner ersten Operninszenierung überhaupt.


    Musikalisch eine runde Sache, alle Sänger haben - mit kleinen Abstrichen - ihre Sache gut gemacht. Erin Caves hatte an einigen Stellen etwas Probleme mit der Rolle des Jose, aber die dramatischen Höhepunkte kamen gut rüber, die Carmen von Anaik Morel war stimmlich tadellos, dass sie optisch und darstellerisch eher als Lulu denn als Carmen rüberkam, ist dem Regiekonzept anzulasten. Der Escamillo von Gezim Myshketa und die Michaela der Südafrikanerin Pumeza Matshikiza machten Freude und bekamen auch den grössten Beifall. Leider musste Micaela ihre Arien in einem dämlichen Stewardessenkostüm singen. Marc Soustrot dirigierte routiniert und schwungvoll, auch mit einigen schönen lyrischen Momenten.


    Womit wir bei der Inszenierung wären, der ich nur eines bescheinigen kann: ziemlich bescheuert. Einige wenige ganze gute Ideen wurden durch ein Unzahl von albernen und überflüssigen Einfällen vernichtet. Das ganze spielt als Rückblende in Don Jose's Wohnzimmer, er läuft den ganzen Abend im Feinrippunterhemd herum und der Fernseher läuft ununterbrochen. Carmen liegt gleich zu Beginn tot zu seinen Füssen und wird am Abend noch dreimal getötet. Der Chor besteht aus vervielfältigten Joses oder Carmens, später auch Michaelas und Escamillos. Die Zigeuner und Banditen kommen als Clowns auf die Bühne und machen ziemlichen Klamauk, opera comique? Außerdem hat Don Jose noch ein pantomimisches alter ego, einen grünen Kobold, der ununterbrochen auf der Bühne herumspringt und die Geschehnisse pantomimisch kommentiert. Kennen wir aus Shakespeare's Mittsommernachtstraum, aber warum hier in Carmen? Ab Mitte des zweiten Aktes habe ich jedenfalls meinen Augen mehr und mehr Ruhe gegönnt. Man kann dem Regisseur zu Gute halten, kein expliziter Sex, kein spritzendes Blut, keine ausufernde Gewalt, selbst die dreifache Ermordung der Protagonistin wurde nur angedeutet. Aber reicht das? Und warum muss am Ende die Bühne immer wie eine Müllhalde aussehen?