Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
Alfred Brendel, Klavier
AD: Juli 1962
Spielzeiten: 6:12-3:09-5:30 -- 14:51 min.;
Alfred Brendel spielt in seiner ersten Aufnahme der Les Adieux-Sonate das Adagio noch sehr rasch. Es ist anzunehmen, dass ein großer Teil des Spielzeitunterschiedes zu seiner zweiten, 15 Jahre später entstandenen Aufnahme, deren Kopfsatz eine Minute länger ist, genau darauf beruht, aber das werden wir in der nächsten Besprechung genauer erfahren. Hier spielt er das Adagio in 65 Sekunden, d. ist nach meiner Erinnerung die kürzeste Spielzeit aller von mir bisher besprochenen Aufnahmen. Wie dem auch sei, Brendel spielt sehr klar und transparent, entsprechend den dynamischen Vorgaben.
Auch im Allegro legt Brendel ein flottes Tempo vor. Er lässt sich dynamisch noch Raum nach oben, vergrößert aber die Spannweite nach unten, indem er im Decrescendo ab Takt 38 bis ins pp geht.
Sein Vortrag ist auch in dieser frühen Sonatenaufnahme schon sehr lyrisch.
Nach der Wiederholung der Exposition trägt er auch die Durchführung nach dem Forte-Auftakt sehr zart im p-pp-Bereich vor, besonders besticht das transparente sempre diminuendo.
Auch die Reprise huscht hurtig dahin mit allen dynamischen Hebungen und Senkungen, kristallin in den hohen Lagen.
Bestechend ist in der Coda der besonders temporal kontrastreiche langsame Teil ab Takt 181, melancholisch verhangen, tastend, fragend- herrlich dann sein Dolce ab Takt 197 mit den wunderbaren Legatobögen ab Takt 200, endend im Takt 222 in einem vorbildlich musikzierten diminuendo, in dem er gleichzeitig sehr wirkungsvoll retardiert.- Der Rest, ab Takt 223, ist einfach grandios!
Auch sein Andante, hier noch um Einiges rascher als 15 Jahre später, ist frei von dynamischen Extremen. Alles bewegt sich in den ersten vierzehn Takten zwischen pp und mp, ist dennoch durch die dynamische Verlagerung nach unten mit genügender Spannweite klug strukturiert und vermittelt den Eindruck von stiller Melancholie und leisem Abschiedsschmerz. Alles ist beherrscht, auch die vier Sforzandi (Takt 11 bis 12- in der Besprechung Ashkenazys hatte ich versehentlich Takt "82" geschrieben) sind moderat.
Das Cantabile ist wunderbar, im danach wieder eintretenden c-moll steigert Brendel die Dynamik etwas, drückt aber zwischen den Sforzandi in Takt 19 und 20 in den begleitenden Zweiunddreißigsteln sehr schön die Diminuendi aus, steigert aber weiterhin ab Takt 24 den dynamischen Bogen, erreicht dann in den nächsten vier Sforzandi doch das Forte, spielt dann eine weitere "traurige" Zweiunddreißigstel-Kette mit einem prägnanten abschließenden Crescendo in den vier Portato-Noten in Takt 30- nach neuerlichem Cantabile dann der letzte Moll-Einschub mit dem nach Dur gewandelten letzten Takt 42
rauscht dann das jubelnde Vivacissimamente herein, das Brendel sehr schön fließen lässt, wobei er auch der Begleitung den nötigen Raum lässt.
Auch seine "Glockenschläge" passen wunderbar in sein dynamisches Konzept, das auf die letzten Dynamikspitzen verzichtet.
Seine Trillerpassage (Takt 45 bis 52) ist besonders keck gespielt, seine Legatobögen vorbildlich und licht in den hohen Lagen , die Begleitung in den tiefen Lagen prägnant und sehr rhythmisch.
Die Durchführung mit ihren himmlischen Legatobögen spielt er mit beinahe jenseitigem Ausdruck, und das Klangbild bleibt jederzeit transparent.
In der Reprise erweitert Brendel den dynamischen Spielraum um eine Stufe nach oben, fast bis zum ff, so dass seine Glockenschläge diesmal noch etwas mehr "Körper" haben. Seine Trillerpassage kommt genauso spritzig wie beim ersten Mal, desgleichen perlen die Legatobögen und die Sechzehntelläufe wunderbar dahin.
Sehr schön ist auch seine poco ritartando-Coda, schneller als schon gehört, aber durchaus der Satzbezeichnung entsprechend mit sehr schön ausgedrückten Hebungen und Senkungen und einem innigen poco ritartando vor dem Tempo I-Abschluss.
Brendel stellt unter Beweis, dass man auch mit etwas schnellerem Tempo und etwas weniger dynamischer Wucht ein hohes Maß an Ausdruck schaffen kann.
Liebe Grüße
Willi