Beethoven: Klaviersonate Nr. 26 op. 81a „Les Adieux“ - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Alfred Brendel, Klavier
    AD: Juli 1962
    Spielzeiten: 6:12-3:09-5:30 -- 14:51 min.;


    Alfred Brendel spielt in seiner ersten Aufnahme der Les Adieux-Sonate das Adagio noch sehr rasch. Es ist anzunehmen, dass ein großer Teil des Spielzeitunterschiedes zu seiner zweiten, 15 Jahre später entstandenen Aufnahme, deren Kopfsatz eine Minute länger ist, genau darauf beruht, aber das werden wir in der nächsten Besprechung genauer erfahren. Hier spielt er das Adagio in 65 Sekunden, d. ist nach meiner Erinnerung die kürzeste Spielzeit aller von mir bisher besprochenen Aufnahmen. Wie dem auch sei, Brendel spielt sehr klar und transparent, entsprechend den dynamischen Vorgaben.
    Auch im Allegro legt Brendel ein flottes Tempo vor. Er lässt sich dynamisch noch Raum nach oben, vergrößert aber die Spannweite nach unten, indem er im Decrescendo ab Takt 38 bis ins pp geht.
    Sein Vortrag ist auch in dieser frühen Sonatenaufnahme schon sehr lyrisch.
    Nach der Wiederholung der Exposition trägt er auch die Durchführung nach dem Forte-Auftakt sehr zart im p-pp-Bereich vor, besonders besticht das transparente sempre diminuendo.
    Auch die Reprise huscht hurtig dahin mit allen dynamischen Hebungen und Senkungen, kristallin in den hohen Lagen.
    Bestechend ist in der Coda der besonders temporal kontrastreiche langsame Teil ab Takt 181, melancholisch verhangen, tastend, fragend- herrlich dann sein Dolce ab Takt 197 mit den wunderbaren Legatobögen ab Takt 200, endend im Takt 222 in einem vorbildlich musikzierten diminuendo, in dem er gleichzeitig sehr wirkungsvoll retardiert.- Der Rest, ab Takt 223, ist einfach grandios!


    Auch sein Andante, hier noch um Einiges rascher als 15 Jahre später, ist frei von dynamischen Extremen. Alles bewegt sich in den ersten vierzehn Takten zwischen pp und mp, ist dennoch durch die dynamische Verlagerung nach unten mit genügender Spannweite klug strukturiert und vermittelt den Eindruck von stiller Melancholie und leisem Abschiedsschmerz. Alles ist beherrscht, auch die vier Sforzandi (Takt 11 bis 12- in der Besprechung Ashkenazys hatte ich versehentlich Takt "82" geschrieben) sind moderat.
    Das Cantabile ist wunderbar, im danach wieder eintretenden c-moll steigert Brendel die Dynamik etwas, drückt aber zwischen den Sforzandi in Takt 19 und 20 in den begleitenden Zweiunddreißigsteln sehr schön die Diminuendi aus, steigert aber weiterhin ab Takt 24 den dynamischen Bogen, erreicht dann in den nächsten vier Sforzandi doch das Forte, spielt dann eine weitere "traurige" Zweiunddreißigstel-Kette mit einem prägnanten abschließenden Crescendo in den vier Portato-Noten in Takt 30- nach neuerlichem Cantabile dann der letzte Moll-Einschub mit dem nach Dur gewandelten letzten Takt 42


    rauscht dann das jubelnde Vivacissimamente herein, das Brendel sehr schön fließen lässt, wobei er auch der Begleitung den nötigen Raum lässt.
    Auch seine "Glockenschläge" passen wunderbar in sein dynamisches Konzept, das auf die letzten Dynamikspitzen verzichtet.
    Seine Trillerpassage (Takt 45 bis 52) ist besonders keck gespielt, seine Legatobögen vorbildlich und licht in den hohen Lagen , die Begleitung in den tiefen Lagen prägnant und sehr rhythmisch.
    Die Durchführung mit ihren himmlischen Legatobögen spielt er mit beinahe jenseitigem Ausdruck, und das Klangbild bleibt jederzeit transparent.
    In der Reprise erweitert Brendel den dynamischen Spielraum um eine Stufe nach oben, fast bis zum ff, so dass seine Glockenschläge diesmal noch etwas mehr "Körper" haben. Seine Trillerpassage kommt genauso spritzig wie beim ersten Mal, desgleichen perlen die Legatobögen und die Sechzehntelläufe wunderbar dahin.
    Sehr schön ist auch seine poco ritartando-Coda, schneller als schon gehört, aber durchaus der Satzbezeichnung entsprechend mit sehr schön ausgedrückten Hebungen und Senkungen und einem innigen poco ritartando vor dem Tempo I-Abschluss.


    Brendel stellt unter Beweis, dass man auch mit etwas schnellerem Tempo und etwas weniger dynamischer Wucht ein hohes Maß an Ausdruck schaffen kann.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    der Auftakt zu dieser neuen Serie von Besprechungen ist Dir wirklich gelungen - wunderbar in seiner leidenschaftlichen und einfühlsamen Art! Das ist ein großes Vergnügen zu lesen und anregend zum Nachhören! Mal sehen, was ich bei Gelegenheit dazu beisteuern kann. Ich kann leider nicht jede Sonate gleich intensiv behandeln. Das Leben ist eine Zeitfrage... :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Danke, lieber Holger,


    und gleichzeitig gebe ich dir in der Zeitfrage Recht. Da ich ja jetzt Zeit genug habe, habe ich beschlossen, sie auf diese Weie sinnvoll zu nutzen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Alfred Brendel, Klavier
    AD: Juni 1977
    Spielzeiten: 7:15-3:56-5:50 -- 17:01 min.;


    In der Tat geht die eine Minute, die der Kopfsatz von Brendels zweiter Aufnahme länger ist, nur zum Teil auf das Konto eines "langsameren" Adagios. Brendel braucht hier 1:21 min. Sein p ist m. E. hier etwas kräftiger. Ich meine, dass er auch das Allegro etwas langsamer spielt. Außerdem behält er die geringfügig gesteigerte Dynamik bei. Allerdings geht er auch in Richtung pp weiter tief hinunter, so dass man insgesamt von einem gesteigerten Dynamikumfang sprechen kann. Am Ausdruck seines Spiels hat sich nichts geändert.
    Auch die Durchführung ist wieder sehr eindrucksvoll, die sempre diminuendo-Passage vielleicht noch etwas mehr in die nicht nur dynamische sondern auch ausdrucksvolle Tiefe gehend.
    Das Gleiche gilt für die Reprise, die durch die gesteigerte Dynamik etwas dramatischer wirkt als ihre Vorgängerin. Die absteigende Überleitungssequenz zur Coda ist ihrer wieder pp-Sprache vom Feinsten. Sehr schön auch wieder die sog. "Atempause mit den Ganzen und Vierteln, die direkt in die Dolce-Stelle mit den nachfolgenden Bögen mündet, die ihrerseits wieder an den "Hornrufen" ab Takt 223 enden. Diese letzte "Coda in der Coda" spielt Brendel ebenfalls zum Niederknien.
    An dieser Stelle möchte ich feststellen, dass ich in dieser meiner neunten Besprechung von Les Adieux endlich gemerkt habe, warum die vielen wunderschönen ätherisch hohen Töne in der Partitur nicht zu finden waren und ich bisher immer leicht erstaunt darüber hinweggegangen war.
    Irgendwann wurde es in dieser Besprechung bei mir zur Gewissheit, dass all diese Töne genau eine Oktav höher waren als gezeichnet. Der Rest war einfach: in der Suche "Oktavzeichen" eingegeben, und schon hatte ich es. Nun fehlen mir nur noch wenige Tage an der Vollendung meines 68. Lebensjahres, und ich lerne immer noch etwas dazu. Erstaunlich!


    Das Andante espressivo spielt Brendel wesentlich langsamer als in seiner früheren Aufnahme. Es ist hier auch ehren- und bedeutungsschwerer, und der "Gang" der Zweiunddreißigstel vor dem Cantabile hat schon etwas Unerbittliches. Insofern ist der Kontrast zum himmlisch gespielten Cantabile doch enorm, das seinerseits wieder in das triste Moll zurückfällt mit den klopfenden Sechzehnteln und den begleitenden Zweiunddreißigsteln. Der folgende Abschnitt ab Takt 21 führt bei dieser Brendelschen Lesart noch tiefer in die Tristesse und in den vier Sforzandi in die Unerbittlichkeit (mit der das Schicksal am Zurückgebliebenen nagt), und auch di zweite Folge der vier Portatonoten wird durch die Oktavierung noch verstärkt. Auch die weiteren Figurationen, selbst das Cantabile sind etwas eindringlicher. Auch in dieser Aufnahme sind die letzten Übergangstakt ab dem Diminuendo in Takt 36 auf der Zwei wieder grandios gespielt. Wenn es das gäbe, würde ich dem letzten Ton (a''') pppp verleihen.


    Insofern ist der Kontrast zu dem attacca einsetzenden Forteakkord des Vivacissimamente schon enorm. Die Einleitung selbst gestaltet sich völlig unspektakulär. Auch schiebt er die dynamische Obergrenze nicht weiter hinauf. Er lässt das musikalische Geschehen schön fließen und schließt im ersten Übergang kräftige, aber nicht zu laute "Glockenschläge" an.
    Seine Trillerpassage ist passend zur ganze rhythmisch-dynamischen Anlage dieser Aufnahme etwas körperhafter und schwerer, desgleichen die nachfolgenden Legatobögen, die nichts desto trotz vorbildlich gespielt sind. Im Ganzen ist auch dieser Satz etwas langsamer als derjenige in der früheren Aufnahme. Brendel wiederholt natürlich auch hier die Exposition, wie er bei Beethoven im Gegensatz zu Schubert (ich hatte das an anderer Stelle schon mal ausgeführt) die Wiederholungszeichen immer beachtet.
    In der deutlich langsameren Durchführung zeigt Brendel einmal mehr seine überragenden lyrischen Gestaltungsfähigkeiten. Auch in der Reprise , die wieder deutlich schneller und dynamischer daherkommt,, eilen die Sechzehntel und Achtel grazil und beinahe schwebend dahin. In der Wiederholung ab Takt 131 wirken die Triller wieder schlanker und leichter, und ein weiteres Mal fließen agil die Legatobögen an uns vorbei und streben die Sechzehntelfiguren in der linken Hand, diesmal kontrastiert von den Achteloktaven in der rechten Hand, dem Ende, sprich der Coda zu.
    Das wunderschöne Poco andante zelebriert Brendel regelrecht, wobei ihm auch nicht die kleinste dynamische Wendung entgeht, aber auch nicht die Tempovorschrift "poco ritartando", an die sich die letzten sechs Takte Tempo I anschließen.


    Wieder eine großartige Aufnahme Alfred Brendels.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Alfred Brendel, Klavier
    AD: Juni 1994
    Spielzeiten: 7:06-3:30-5:57 -- 16:33 min.;


    Alfred Brendel vermittelt auch in seiner dritten Einspielung mit weiter verinnerlichter Dynamikanschauung und moderaten Steigerungen, wiederum der Ausweitung nach unten, ein Höchstmaß an Ausdruck. Temporal ist er deckungsgleich mit seiner zweiten Einspielung, wenigstens, was das Adagio angeht. In den Sätzen zwei und drei wird er wieder geringfügig schneller. Aber den ersten Schauer am Rücken kann man schon in diesem einleitenden Adagio verspüren.
    In der Exposition, die er in etwa dem gleichen Tempo wie in der zweiten Einspielung schön fließen lässt und sein dynamisches Konzept weiter verfolgt, ist wieder um ein runder, transparenter Klang mit gut strukturierter Begleitung zu vernehmen. Der dynamische Kontrast im Auftakt-Forte-Akkord ist natürlich nicht deshalb so groß, weil der Akkord so laut ist, sondern weil der letzte Akkord des Adagios so leise ist. Auch hier im Dur-Teil, den er in den hohen Lagen regelrecht zum Schweben bringt, klingen in der Begleitung, vor allem im Espressivo fragende, unsichere Momente durch. Was wird die Zukunft bringen?
    In der Durchführung kommt dies Seite der Musik durch die Unterbrechung des musikalischen Flusses, vor allem im geheimnisvollen, ein wenig düsteren sempre diminuendo, dass er noch etwas zögernder, fragender spielt, noch deutlicher zum Vorschein. In der Reprise erkenne ich dieses Mal keine nennenswerte dynamische Steigerung.
    Auch in der Coda behält er das bei. Wunderschön auch hier die Ganzton-Sequenz, die wieder sehr schön die Unsicherheit und Zukunftsangst zum Ausdruck bringt. Hier spielt er noch mal traumhaft die langen Legatobögen, die in der Oktavierung in Takt 217 bis 219 auf der Eins und 247 bis 253 die langsam in der Ferne Entschwindenden symbolisieren könnten. Auch dieses Schlusssequenz mit den Hornrufen ab Takt 223 ist meisterhaft gespielt.


    Im Andante espressivo, in dem er temporal einen Mittelweg zwischen seiner frühen schnelleren und seiner zweiten langsameren Version beschreitet, ist meines Erachtens in der Musik wieder ein stärkeres Trauergefühl ausgedrückt, das wieder von einem lichten, sehr trostreichen Cantabile kontrastiert wird, im Wechsel mit dem fragenden, bohrenden Schmerz des Zurückgebliebenen, sehr schön in den klopfenden Sechzehntelakkorden und den eindrucksvoll gespielten unterlegten Diminuendi in den Zweiunddreißigsteln der Begleitung. Die nächste Sequenz spielt Brendel mit der gleichen Stringenz wie in seiner zweiten Aufnahme. und die Überleitung ab dem diminuendo (Takt 36) genau so grandios.


    Das Vivacissimamente spielt er in dem gleichen Tempo wie in der zweiten Aufnahme. Schön lässt er die Sechzehntel in der Einleitung rauschen. In der Exposition hebt dann ein ganz entspanntes Musizieren an mit den von der rechten in die linke Hand wechselnden Melodie und den wunderbar begleitenden Sechzehnteloktaven. Auch die Glockenschläge stören das freudige Geschehen nicht durch übertriebene Lautstärke. Auch die Triller hüpfen wie eh und je, und die schönen Legatobögen und Sechzehntelläufe schließen sich an. Auch hier sei noch einmal gesagt, dass die von tieferem Level ausgehende Dynamikspannweite nicht bedeutet, dass Brendel die Dynamik einebnen würde. Das ist nicht der Fall. Auch den rhythmischen Anforderungen der Partitur genügt er voll und ganz.
    Die Durchführung schließt sich dem hohen interpretatorischen Niveau de bisher dargebotenen an. Herrlich wieder der Legatobogen von Takt 88 bis 93, der mich immer öfter veranlasst, an Schubert zu denken. In Beethovens nächster Sonate, der Nr. 27 e-moll op. 90, wird das im zweiten Satz noch stärker der Fall sein.
    In der Reprise legt Brendel natürlich auch hier dynamisch nochmal zu, so dass die ff-Schläge in den Takten 122, 126 und 130 deutlich zu vernehmen sind, auch die "Glockenschläge" kommen jetzt stärker. Die Triller klingen durch die Oktavierung noch ätherischer. Die Legatobögen in den Takten 146 bis 149 und 154 bis 157 steigen jetzt nur an, und es geht subito ins Piano zurück, alles hervorragend musiziert.
    Die Poco andante-Coda spielt Brendel in dieser Aufnahme genauso hervorragend wie in der vorherigen, und in den Takten 185/186 meine ich den Meister sogar kurz mit summen zu hören. Ein glücklicher Mensch!
    Glücklich auch der, der diese Aufnahme gehört hat.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Rudolf Buchbinder, Klavier
    AD. 02. 01. 2011
    Spielzeiten: 6:42-4:41


    Rudolf Buchbinder spielt das Adagio in der gleichen Zeit wie der mittlere Arrau (1966), also in 1:34 min., sehr ruhig und dynamisch sehr ausgewogen. Für ihn ist das Adagio auch ein langsames Stück. Das Allegro stellt temporal einen sehr großen Kontrast zum Adagio dar, er spielt es nämlich recht schnell, schneller als Brendel in seiner zweiten und dritten Aufnahme. Vor allen Dingen aber spielt er ein veritables Forte, auch in den Sforzandi. Die Steigerungen und die Bögen spielt er ebenfalls vorzüglich, produziert einen transparenten Klang, legt viel Struktur frei. Auch die zahlreichen Reibungsstellen kommen bei ihm schön zur Geltung.
    Er arbeitet auch schön das Zögern, Stocken, das Unsichere, Fragende in der Durchführung heraus, wobei sein sempre diminuendo m. E. auch sehr flott gespielt ist.
    In der Reprise hält er die hohe dynamische Obergrenze, gestaltet aber eine enorme dynamische Spannweite, weil er auch ein schönes pp spielt.
    Die Coda legt noch einmal an Expression zu, die Sequenz mit den Ganzen und Vierteln scheint mir sehr flüssig, stetig und geht organisch in das Dolce und die sehr eindrucksvoll gestalteten Legatobögen über, in einem vorbildlich gespielten Diminuendo endend, worauf sich die Hornruf-Passage anschließt, die er ebenso die die Viertelfolge, nur von einem Minicrescendo unterbrochen, in einem großartigen Pianissimo gestaltet.


    Buchbinder wählt für das Andante espressivo ein noch etwas langsameres Tempo als Barenboim, was den schmerzlichen Empfindungen nicht nur eine Erdenschwere verleiht, vor allem in der unerbittlichen Sforzandokette, sondern auch eine Stich ins Lethargische hat. Die Spitzentöne in den Zweiunddreißigsteln wirken hier auf mich wieder etwas kälter, aussichtsloser. Das sehr ausdrucksvolle Cantabile verheißt für einen Augenblick Trost, aber auch nur zögerlich, bevor es in den pochenden Sechzehnteln wieder dahin geht. Diesmal scheint es noch schlimmer, ja geradezu existenziell bedrohlich für den Zurückgebliebenen, wovon die vier Sforzandi jetzt in veritablem Fortissimo zeugen, und auch das Crescendo auf den vier Portatonoten wirkt fast wie ein Schrei. Auch jetzt ist das wunderbare Cantabile aber immer noch nicht die Lösung, denn es geht wieder tief in die Depression, allerdings färbt sich hier der Klang ab Takt 38 hörbar ins Warme, Positive, nur von einer letzten Dissonanz in Takt 39 auf der Eins getrübt, und dann geht es nur noch aufwärts: der Wartende scheint die Rückkehrer schon zu riechen, bevor er sie sieht:


    Nun tut sich nicht nur temporal, sondern auch emotional ein sehr großer Kontrast auf, was nicht nur auf das langsame voraufgegangene Tempo zurückzuführen ist, sondern auch auf Buchbinders Fähigkeit, dieses langsame Tempo mit Spannung und Ausdruck zu füllen. Auch dynamisch ist bei Buchbinder alles im Lot. In der Exposition gestaltet er vom Crescendo ab Takt 17 an eine große Steigerung praktisch über die nächsten 20 Takte, tief ins Fortissimo hinein bis hin zu den Glockenschlägen, die hier auch im Nachbartal noch zu hören sind.
    Er drückt die Trillersequenz etwas erdiger aus, dynamisch etwas höher stehend, bringt ab Takt 53 die linke Hand als mindestens gleichwertig ins Spiel, was vor allem durch die drei Sforzandi in den Takten 77, 78 und 79 schön zum Ausdruck kommt. ich erinnere mich nicht, das schon so deutlich gehört zu haben.
    Auch in der kurzen Durchführung geht es voran, die Legatobögen klingen, etwas stärker gespielt, auch ganz vorzüglich, mit ein paar Extrastrahlen auf den Spitzentönen. Auch in der Reprise geht es zur Sache, und man muss auch mal sagen, dass Buchbinder diese virtuosen Passagen bravourös bewältigt. Und wieder läuten die Glocken über Berg und Tal, und die koboldhaften Triller klingen jetzt in der Oktave etwas vorwitziger und leichter. Die Bögen und die Sechzehntelläufe, die jetzt die Seiten gewechselt haben, rauschen unaufhörlich dem Ende, sprich der Coda zu,
    Diese, im Poco andante, spielt er wesentlich rascher als das Andante aus dem zweiten Satz, aber gleichfalls sehr ausdrucksvoll. , wie auch das abschließende Tempo I.
    Dies war eine Interpretation von ganz anderem dynamischen Zuschnitt mit einem ungewöhnlichen Andante espressivo, aber gleichfalls meisterhaft.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Aldo Ciccolini, Klavier
    AD: 1997
    Spielzeiten: 7:20-4:15-6:05 -- 17:40 min.;


    Aldo Ciccolini spielt das Adagio im Tempo wie Arrau, mit einem eher anfänglichen pp als p, einem sehr intimen, beseelten Klang, aber durchaus im Crescendo auch in höhere dynamischen Regionen steigend, die kurzen Akzente in Takt 14 und 15 aber dynamisch sehr begrenzend. Sein Ansatz drückt m. E. keine herzzerreißende Abschiedsangst aus, sondern ein stilles, aber übersehbares Angstgefühl.
    Im Allegro wählt er auch, ähnlich wie der mittlere Brendel, ein etwas langsameres Tempo, wobei er auch einen recht großen dynamischen Spielraum aufbaut, durchaus von f bis pp, mit markigen Sforzandi und schönen Abstiegen ins pp. Er produzierte einen warmen, etwas abgedunkelten, dennoch transparenten Klang, in dem auch die Begleitung zu ihrem Recht kommt. Sein Spiel ist auch in den Bögen sehr ausdrucksvollen der Durchführung geht er sehr schön in Takt 73 subito auf das p/pp und das zögernde, stockende Spiel in der Durchführung stellt einen starken Kontrast zu dem vorherigen Fluss dar, alles im Pianissimo, aus der das Crescendo ab Takt 90 um so größer hervor wächst. Sehr schön ist auch seine sempre diminuendo-Passage.
    In der Reprise herrscht wieder dieses für "Les Adieux" so typische seltsame Fließen vor, dass gelegentlich abrupt von Pausen unterbrochen wird, teils in der rechten, teils aber auch in der linken Hand. Wo es geht, lässt Ciccolini es aber schön fließen.
    Die Wiederholung des Hauptthemas in moll z. Beginn der Coda gestaltet er kraftvoll und durchaus herb und mit raschen dynamischen Wechseln, bis er nach der letzten Oktavierung in Takt 180 wieder subito, ja, ins pp zurück geht, ähnlich wie Barenboim auch hier den Kontrast geschickt vergrößert und die Wirkung dieser rätselhafte Passage (Takt 181 bis 195 mit dem wunderschönen nur aus drei Noten bestehenden Übergang zur Dolce-Passage . Diesen ganzen letzten Teil mit den Legatobögen, den hingetupften Ganzen-Akkorden in der Begleitung und der Hornrufpassage und dem herrlichen Schlusscrescendo spielt er einfach grandios.


    Im Andante espressivo ist er etwas schneller als Barenboim und Buchbinder, aber noch deutlich über vier Minuten. Seine Lesart drückt m. E. eine stille Trauer aus, die aber dennoch tief geht. Er drückt diese "Stille" auch dadurch aus, dass er die Crescendi sehr moderat hält, dagegen wirkt das Crescendo ab Takt 11 mit den vier folgenden Sforzandi auch wie ein Aufschrei, dem allerdings dann wieder rundere Zweiunddreißigstel im Sinne dieser stillen Trauer folgen mit einem ebenfalls sehr moderaten Crescendo auf en vier Portatonoten in Takt 14 auf der Vier. Das Cantabile ist berückend,
    aber kurz, wie wir inzwischen wissen, und es führt natürlich wieder in den Grundtenor mit dem erneut starken Kontrast in den Sforzandi, wobei am Ende der Zweiunddreißigstelkette in den vier Crescendo-Portato-Oktaven nun ein stärkeres Crescendo folgt, wieder das berückende Cantabile, die Diminuendo-Sechzehntel und der Übergang, in dem sich auch hier das "gute" Ende schon andeutet.


    Während Ciccolini in den ersten beiden Sätzen etwas schneller war als Barenboim, ist er im Vivacissimamente etwas langsamer, lässt es aber trotzdem schon in der Einleitung wunderbar hell und klar fließen. Auch er begreift die ganze Passage ab Takt 17 bis 36 als ein zwanzig Takte langes, kraftvolles Crescendo, an dessen Ende ab Takt 37 die Glockenschläge in vollem Fortissimo ertönen,
    an die sich schön kontrastierend ganz entspannt gespielte Triller anschließen. Sehr schön sind auch die sich anschließenden Legatobögen, in denen er die dynamischen Veränderungen sehr schön ausspielt, auch das wiederum lange Crescendo in der zweiten Hälfte der Exposition. Auch die begleitenden synkopischen Figuren in der rechten Hand ab Takt 69 setzt er wunderbar.
    Auch die Gestaltung der Durchführung gestaltet er wunderbar, ja geradezu träumerisch. Auch die Hebungen und Senkungen fallen in diesem durch und durch lyrischen Teil (wann sagt man das schon mal von einer Durchführung) naturgemäß moderat aus.
    Den ersten Teil der dynamisch natürlich höher stehenden Reprise spielt Ciccolini, auch rhythmisch, atemberaubend, und die Glockenschläge tönen wieder über Berg und Tal, wozu auch die in der Wiederholung oktavierten Triller, hier wieder mit Körper, wunderbar passen, dann wieder die wunderbaren Legatobögen und die Synkopen, teilweise im Staccato mit einer starken Begleitung (Ciccolini scheint wohl eine starke Linke zu haben).
    Die Poco andante-Coda spielt Ciccolini dynamisch sehr verhalten, mit sehr viel Ausdruck, schon in den Takten 180 und 181 sehr schön retardierend, aber natürlich auch in Takt 190, dann noch mal 6 kraftvolle Abschlusstakte.


    Eine grandiose Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Bruno Leonardo Gelber, Klavier
    AD: 9./10. Juni 1988
    Spielzeiten: 6:43-3:56-


    Auch Bruno Leonardo Gelber gibt dem einleitenden Adagio die Zeit die ihm gebührt (1:39 min.) und baut einen großen Spannungsbogen auf mit nur einem markanten Akzent auf dem Sforzando in Takt 6 auf der Eins. Ansonsten bevorzugt er auch das p bzw. pp.
    Im Allegro greift er beherzt zu und vergrößert seinen dynamischen Spielraum eminent, weil er natürlich auch in den Passagen ab Takt 39 wieder bis in das pp geht. Er spielt auch eine starke Begleitung, lässt viel von der Struktur erkennen. Am Ende der Exposition lässt er die Achtel und Dreiachtel ganz weich nach unten gleiten (fast ein Glissando und baut den Übergang zur Wiederholung aus dem pp auf.
    Auch er spielt die Durchführung in aufregend, stockender, geheimnisvoller Weise und gestaltet auch das sempre diminuendo vorbildlich.
    In der Reprise vergrößert er wieder die Dynamik und spielt die Bögen überlegen und in den Oktavierungen sehr luzide aus.
    Im ersten Teil der Coda geht es wieder dynamisch bewegter zu, wobei er auch immer weiter Wert auf eine gut durchhörbare Begleitung legt.
    In der "Atempause dann spielt er die Ganzen und Viertel ganz zart und verhalten melancholisch mit einer wunderbaren Auflösung nach Dur in die Dolce-Passage hinein. Diese spielt er dann mit den Legatobögen grandios, ebenso wie die nachfolgende Hornruf-Sequenz und die himmlische Schlusssequenz. Das ist höchste Klavierkunst.


    Das Andante espressivo spielt er etwas schneller als seine Vorgänger, aber wesentlich langsamer als die deutschen großen "Alten" Backhaus und Kempff, die beide in dem kurzen Satz eine Minute schneller sind. In seiner dynamisch niedrig stehenden, pianistisch aber auf höchstem Niveau befindlichen Spielweise breitet er ein sehr zartes, aber emotional tief-trauriges musikalisches Gebilde vor uns aus, das auch in der Sforzando-Passage dynamisch tiefer bleibt, aber emotional noch stärker wird. Auch die Zweiunddreißigstel bleiben in einer runden Form, aber traurig, gefolgt von einem von innen mild leuchtenden, ans Herz gehenden Cantabile, das wiederum von einer etwas mehr an die Oberfläche kommenden Schmerz in den Sechzehnteln kontrastiert wird. In der zweiten Sforzando-Passage verstärkt Gelber die Dynamik, wie um eine stärkeres Schmerzgefühl auszudrücken, was auch durch das stärkere Crescendo in den vier abschließenden Portato-Oktaven manifestiert wird.
    Wiederum folgt ein beinahe jenseitiges Cantabile, dessen soghafte Wirkung Gelber m. E. nur durch die Kombination der äußerst glücklichen Tempowahl mit seinem überragenden ausdrucksvollen Anschlag erzielt. Den Übergang zum Vivacissimamente treibt Gelber vollends auf die Spitze, in dem er seine Diminuendo bis an die untere Hörgrenze treibt. Das ist ganz überragend.


    Auch der Forte-Auftakt im Vivacissimamente bleibt im dynamischen Rahmen. Das Tempo in der Einleitung ist durchaus flott. Auch in der Exposition setzt sich dies fort, wobei er die dynamische Grenze durchaus nicht übertrieben nach oben schiebt. Wieder fällt auf, dass rechte und linke Hand, die sich ja mit der Melodie durchaus abwechseln, gleichberechtigt sind. Die "Glocken" klingen in normaler Lautstärke. Die Triller flitzen hurtig dahin und werden von den ebenso hurtigen "Achtel-Schrittmachern" eindrucksvoll begleitet.
    Die legato-Passage ist auch sehr eindrucksvoll, wobei die unterlegten Sechzehntel in der rechten Hand sehr schön hervortreten. Natürlich wiederholt Bruno Leonardo Gelber auch die Exposition, in der am Ende zum Übergang in die Durchführung in den tiefen Sechzehnteln ziemlicher Betrieb herrscht.
    Die Durchführung stellt interpretatorisch einen weiteren Höhepunkt dar, was Transparenz und Clarté vor allem in der Begleitung betrifft, wie z. B. in seltener Klarheit die Intervalle von der Terz zur Quart, Quint, Sext und Septim auseinandergleiten und wieder bis zur Quint zusammenstreben. Jedenfalls ist mir das hier zum ersten Mal in dieser Klarheit aufgefallen. All das strömt in entspanntem musikalischen Tun dahin. Gelber spielt in der Reprise ab Takt 116 auch ein stetig ansteigendes Crescendo, auch wenn es nicht so ausgeprägt ist wie bei Ciccolini. Auch läuten in der Wiederholung die Glocken bei Gelber nicht so laut wie bei Ciccolini, dafür aber schneller, und die Triller erhalten durch die Oktavierung einen silbrigen Glanz. Die Synkopen-Sequenz zieht mit starker Begleitung vorüber und führt zum Übergang zur Coda.
    Das Poco andante der Coda ist zum Niederknien schön, und das Tempo I rundet diese große Aufnahme forsch ab.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Lieber Willi,
    endlich komme ich dazu, Dir wenigstens für die vielen schönen Besprechungen einer meiner drei Lieblingssonaten von Beethoven zu danken. Daß Dir Brendel erneut sehr gut gefällt, habe ich mir natürlich fast gedacht. Was besonders schön deutlich wird, ist die Feinjustierung, die Brendel zu seinen früheren Aufnahmen vornahm. Ich will versuchen, wenigstens die neueste Aufnahme am Sonntag noch beizusteuern (morgen muß ich leider arbeiten): denn für mich gehört diese Aufnahme Brendels zu meinen Referenzen dieser Sonate.
    Jetzt lese aber erst einmal die vielen anderen interessanten Diskussionen, die sich während meiner (unfreiwilligen) Abstinenz so angesammelt haben. Sei herzlich gegrüßt
    Jörn

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

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  • Danke, lieber Jörn,


    die Arbeit geht natürlich vor. Wenn ich noch im Dienst wäre, könnte ich auch nur einen Bruchteil dessen schreiben, was ich jetzt schaffe. Hinzu kommt, dass ich seit knapp eindreiviertel Jahren meine Frau nicht mehr zu pflegen brauche, die seit über 20 Jahren an Parkinson erkrankt ist und darüber hinaus seit Ende 2011 an Polyneuropathie in beiden Beinen leidet und daher voll pflegebedürftig ist und in einem nahegelegenen Plegeheim untergebracht ist. Die über sechs Jahre währende Pflegesituation hatte zu meiner etwas früheren (4 Monate) durchgeführten Pensionierung beigetragen und mich darüber hinaus an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.
    Doch nun sind alle meine Kräfte und Bestrebungen auf die Arbeit in meinen Chören und in Tamino gerichtet.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Emil Gilels, Klavier
    AD: 1980
    Spielzeiten: 7.18-3:24-5:43 -- 16:25 min.;


    Bei Emil Gilels zweiter Aufnahme der Sonate Nr. 26, die im Gegensatz zu mancher anderen später entstanden ist als die Berliner Studio-Aufnahmen, tauchen wir in eine ganz andere Welt ein. Temporal stimmt diese Aufnahme im Adagio genau mit der mittleren Brendelschen überein.
    Gilels geht aber ganz anders zur Sache, auch wenn ich vermute, dass die Aufnahmekanäle dieser Live-Aufnahme möglicherweise etwas weiter aufgedreht waren.
    Das ist jedenfalls kein möglicherweise verzagtes, mit Verlustängsten behaftetes Abschied nehmen, sondern ein vorwärts gerichtetes, mit der Hoffnung auf einen positiven Ausgang des Ganzen.
    Auch in der Exposition setzt sich dieser Höreindruck fort. Dieser Darbietung wohnt eine unerhörte Kraft und Dynamik inne. Das ist ein ganz anderer Beethoven, der hier bei Gilels über den konkreten Anlass des Abschied nehmens, Zurückbleibens und Wiedersehens hinaus in Richtung der allgemeinen Situation positive Signale setzt.
    In dieser Lesart ist, komme, was da wolle, in der Exposition schon der Bogen zum Schlusssatz, zum Vivacissimamente geschlagen. Welch ein Optimismus, aber das macht Sinn, ist vielleicht überlebenswichtig. Wie Gilels das hier vorträgt, das ist expressiv bis zur Explosivität. Diese Musik entwickelt eine ähnliche Sogkraft wie sein Waldstein.
    Auch die Durchführung ist viel bewegter, viel weniger zaghaft, als ich das bei anderen gehört habe, aber wie gesagt, das kann auch an einer höheren Aussteuerung bei der Aufnahme lieben. Ich lasse bei meinen Geräten die Aussteuerung unverändert, sonst habe ich keine objektive Vergleichsmöglichkeit. Selbst im sempre diminuendo erreicht Gilels nur schwerlich das Pianissimo.
    Sein mäßiges Tempo im Kopfsatz bringt aber immerhin mehr Struktur in die Abstiege, z. B. in den Übergang von Reprise zur Coda. Dass wir uns nicht falsch verstehen, Gilels hat ebenfalls eine große dynamische Spannweite, aber von "weniger unten nach mehr oben", also praktisch das Gegenteil von dem, was ich zumeist bisher gehört habe.
    Die Coda setzt dynamisch noch eins drauf, zumindest bis Takt 180, nach dem er einen gewaltigen Kontrast eröffnet, weil er in der "Atempause" plötzlich doch bis ins Pianissimo geht und auch der optimistische Impetus an dieser Stelle zumindest infrage gestellt wird, um am Ende im Crescendo doch wieder das" große Besteck auszupacken. Auch sein Dolce ist nicht intim und zurückgezogen, sondern vorwärts drängend und strahlend, auch in den Hornrufen kommen keine wirklichen Angstgefühle auf, und in den Schlusstakten ab 245 offeriert uns Gilels den größten Kontrast, indem er nach einem veritablen Pianissimo (fast ppp) uns in den letzten beiden Takten ein markerschütterndes Forte fortissimo um die Ohren haut.


    Ein großes Rätsel tut sich in Takt 11 und 12 des Andante espressivo auf, das bis dahin unerbittlich klingt und nun doch Schmerz offenbart, wo Gilels dann aber in der Sforzandokette nicht crescendiert, sondern zurücknimmt, dann aber in den Zweiunddreißigsteln crescendiert, und zwar nicht erst in den vier Portatonoten. Das Cantabile hat dann einen gewissen Glanz, ist nicht nach innen gerichtet, und die darauf folgende Moll-Sequenz ist dann aber doch dramatisch, zumal er hier wieder viel Dynamik hineinlegt. Die beiden Spitzentöne, in der Partitur in "des-moll" notiert, klingen bei Gilels wie eingemeißelt. Stärkerer Ausdruck geht nicht.
    In der Wiederholung hebt er die vier Sforzandi nun auch mehr an, desgleichen die vier Portato-Oktaven in Takt 30 auf der Vier, lässt wieder ein klares, kristallines Cantabile ertönen, dem ein herbes Schmerz-Crescendo folgt. Doch auch sein Übergang zum Vivacissimamente färbt sich rechtzeitig ins Dur, und dann---


    explodiert das musikalische Geschehen im Forteauftakt (ff/fff) im Vivacissimamente, und das freudige Wiedersehen (wer hätte bei dieser Lesart je daran gezweifelt?), nimmt seinen Lauf. Die Exposition ähnelt einem dynamischen Steigerungslauf, der sich in Takt 37 ff in machtvollen, weithin zu hörenden Glockenschlägen entlädt, denen entsprechend körperhafte Triller folgen, von kräftigen Achteln begleitet, und wer Gilels schon mal öfter gehört hat, weiß, dass er auch solcher geradezu extrovertierten Interpretationen fähig ist, in denen auch die Begleitung kein Schattendasein fristet, sondern kräftig hervortritt. Und vergessen wir bei diesem Rausch der akustischen Sinne nicht, dass diese nicht die einzige Sonate in Es-dur ist, sondern die hier schon in zahlreichen Rezensionen besprochene Nr, 4, Nr. 13 und Nr. 18, sowie die "Eroica" und die "Missa Solemnis" und dass von daher eine solche Lesart wie diese durchaus ihre Berechtigung hat. Wenn bei solch einem Horrido mal ein Ton danebengeht, wen kümmerts. Live is live.
    Auch die Gilelssche Durchführung fällt etwas rustikaler aus als die seiner Vorgänger (in dieser Reihe).
    Wenn man die gesamte Aufführung betrachtet, ist das ganze gigantische dynamische Kuppeldach in sich vollkommen stimmig.
    Die Reprise nun scheint alles mit sich fortzureißen. Trotzdem haben die Legatobögen nach den oktavierten Trillern etwas von hell leuchtenden Kristallen. Monumental sind auch die Sechzehntel in der Begleitung, die tief greifen und wühlen.
    Noch eine ganz besondere Preziose ist die völlig diesseitige Coda, auch ein Gegenentwurf zu allem bisher gehörten: kraftvoll, klar, klasse!! Das Tempo I natürlich auch!


    Wenn man am Ende einer solchen Aufführung sprachlos ist, hat das natürlich seinen Grund, und der heißt: Emil Gilels.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat William B. A.

    Zitat

    Doch nun sind alle meine Kräfte und Bestrebungen auf die Arbeit in meinen Chören und in Tamino gerichtet.


    Den Rezensionen ist die Akribie und das Vertiefen/ sich Einlassen in die feinsten Verästelungen der Stücke auch immer von der ersten bis zur letzten Zeile anzumerken.


    Zitat William B. A.

    Zitat

    Dieser Darbietung wohnt eine unerhörte Kraft und Dynamik inne. Das ist ein ganz anderer Beethoven, der hier bei Gilels über den konkreten Anlass des Abschied nehmens, Zurückbleibens und Wiedersehens hinaus in Richtung der allgemeinen Situation positive Signale setzt.


    Das hört sich in der Tat nach einer interessanten Lesart an und ich bin immer bereit, verschiedene Lesarten zu akzeptieren. Nun ist aber Les Adieux ja eine der programmatischsten Sonaten Beethovens (dafür stellt er ja allen Sätzen ein Motto voran). Nach Deiner Schilderung vermute ich, daß diese Aufnahme von Gilels mit nicht wird überzeugend können, weil ich mir nicht recht vorstellen kann, daß in einem so kräftigen Ansatz der im Adagio verankerte Gedanke des Motivs der Entfernung, wirklich herauskommt. Ich hoffe, mir die Aufnahme noch zulegen zu können (mal sehen, was das Budget noch hergibt), habe aber fast die Befürchtung, daß mich die Aufnahme eher irritieren wird. Aber auch das muß ja nicht schlecht sein.
    Herzliche Grüße
    Jörn

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Willi,


    da machst Du mir den Mund wässrig! :D Ich habe Gilels ja in den 80igern mit Les Adieux in der Tonhalle Düsseldorf gehört. Leider gibt es keinen Mitschnitt von diesem Programm aus dieser Zeit. Der BBC-Mitschnitt den ich habe enthält die Eroica-Variationen (das absolute Gilels-Glanzstück) und op. 10 Nr. 3, aber nicht Les Adieux!


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Der reguläre Preis für die grüne Gilels-Brilliant-Box ist ein bißchen hoch, aber zu den Gebrauchtpreisen lohnt sie auf jeden Fall!
    Es ist schon etwas länger her, dass ich sie gehört habe und speziell Les Adieux habe ich nicht präsent (meiner Erinnerung nach ist aber die DG-Aufnahme sehr gut, selbst wenn mir Gilels im Finale vermutlich nicht ausgelassen genug ist). Die Klangqualität ist durchwachsen, aber ordentlich, und fast alle Sonaten sind erheblich "spontaner" und "wilder" gespielt als in der makellosen, aber in meinen Ohren in etlichen Stücken etwas "überkontrollierten" DG-Box.


    Gelber hat meines Wissens ein besonders Faible für diese Sonate und sie früher schonmal für EMI aufgenommen. Was ich aus dem leider unvollendeten Denon-Zyklus gehört habe, ist durchweg hervorragend, auch klanglich (wobei ein anderer Forianer die Aufnahmen als zu "hallig" empfunden hat, als sie um 1990 rauskamen galten sie als state-of-the-art-Audiophile).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ich kann das für die bisher gehörten und besprochenen Sonaten Nr. 13, 14 und eben 26 auch nur bestätigen, lieber Johannes.
    Ich habe Bruno Leonardo Gelber kennengelernt, als er vor knapp 20 Jahren an einem Projrkt teilnahm, in dem verschiedenen Pianisten alle Beethoven-Sonaten aufführten, und zwar an meinem damaligen Wohnort (knapp 5000 Einwohner). Das Ganze spielte sich in einer zu einem kleinen Konzertsaal (140 Plätze) umgebauten Tenne eines Bauernhauses ab. Leider habe ich nicht früh genug davon erfahren, um das ganze Projekt mitzubekommen, aber ca. 10 Sonaten habe ich noch mitbekommen. Von den beteiligten Pianisten, die Sonaten gespielt haben, habe ich außer Gelber noch Gerhard Oppitz und Alfredo Perl erlebt. Von Perl weiß ich auch noch das Programm, denn er hat den Zyklus mit den letzten drei Sonaten opp. 109, 110 und 111 abgeschlossen. Im erweiterten Sinne gehörte noch Olli Mustonen dazu, der die Diabelli-Variationen gab. Ich weiß aber nicht, ob er vorher schon in dem Projekt mitgewirkt hatte.
    Ausgehend von dem tiefen Erlebnis, das ich in dem Konzert Gelbers hatte, habe ich ihn später noch verschiedentlich beim Klavierfestival Ruhr erlebt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wie schön, dass hier Gelber erwähnt wird! Ich schätze ihn sehr, konnte ihn aber nur einmal u.a. mit Brahms live erleben.


    Von Gilels erschien 2013 übrigens noch eine zweite Live-Aufnahme der Les Adieux-Sonate, ich besitze und kenne sie allerdings (noch) nicht:



    Viele Grüße,
    Christian

  • Das war ein wertvoller Tipp, lieber Christian. Ich habe die CD sogleich geordert. Von den Ludwigsburger Festspielen habe ich übrigens auch eine schön CD von Swjatoslaw Richter.
    Ich darf mich vielleicht mit einem Tipp bedanken, denn auf der folgenden Live-CD (ein wenig off topic) von den Salzburger Festspielen spielt der die Sonaten Nr 12 und Nr. 16 (dazu Brahms und Schumann):


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81 a "Les Adieux"
    Emil Gilels, Klavier
    AD: Dezember 1974
    Spielzeiten: 7:14-4:03-5:57 -- 17:14 min.;


    War es in anderen Aufnahmen umgekehrt, dass die Live-Aufnahmen aus Russland eher entstanden waren als die Studio-Aufnahmen in Berlin, so ist es hier genau umgekehrt. Die vorher besprochene Live-Aufnahme der Sonate Nr. 26 datiert von 1980, diese entstand im Dezember 1974. Hier sehen wir uns zurückversetzt in die Welt die wir schon kennen: Gilels ist in der Eröffnung eher bei pp, spielt ganz zart, verhalten, was eine beklemmende Wirkung hat. Das Crescendo zum Sforzando steigert er etwa bis zum Mezzoforte. Es ist alles dynamisch eine Nummer kleiner als 6 Jahre später, aber von einer anderen Schönheit. Temporal ist er im Adagio gleichauf mit dem mittleren Arrau.


    Im Allegro nützt er dann die dynamische Spannweite voll aus und stellt einen großen Kontrast zum ätherischen Adagio auf, auch im Allegro selber, wo er durchaus, ausgehend vom Decrescendo in Takt 38 und im Espressivo-Teil bis ins pp hinuntergeht. Aber espressivo ist bei ihm nicht nur der Espressivo-Teil. Auch hier ist wieder der Klang so transparent, dass man die Begleitung mühelos verfolgen kann. Die Durchführung, in der er in Takt 90/91 wieder kräftig crescendiert, vermittelt auch Gefühle des Zögerns und der Unsicherheit über die Zukunftsaussichten. Das sempre diminuendo ist auch sehr schön zurückgehend.


    Auch in der Reprise offenbart er einen großen dynamischen Spielraum vom veritablem Forte in Takt 114/115 sowie in Takt 126 bis hin zum pp im Übergang ab Takt 154.
    Im ersten Teil der Coda von Takt 162 bis 180 bleibt er vorzugsweise im Forte geht aber in den Subitofortepiani schön zurück, in der "Atempause" von Takt 181 bis zum Crescendo ab Takt 193 bleibt er in einem berückenden pp, auch die Dolcestelle mit den langen Legatobögen ist wiederum in ihrer Luzidität grandios gespielt, desgleichen die (fernen, leisen) Hornrufe so leise, dass sie die bereits entstandene große räumliche Distanz zu dem von hinnen Reisenden schmerzlich verdeutlicht und nach den wunderbaren Achteln durch zwei kräftige f/ff-Schläge der Abschied endgültig gemacht wird.


    Das Andante espressivo ist auch hautzart gespielt, wunderschön mit ganz moderate Hebungen und Senkungen und signifikant langsamer als in der späteren Live-Aufnahme. Der Zurückgebliebene leidet hier still, was auch in den moderraten Sforzandi merkbar ist, aber wahrscheinlich nicht weniger intensiv. Das Cantabile ist wunderbar, aber nicht besonders langsam, sondern in einem schönen Fluss, der durch die leise klopfenden Sechzehntel und die Portato-Zweiunddreißigstel wieder gehemmt wird. Durch die leichte Anhebung in der Dynamik gestaltet er auch hier wie sechs Jahre später die Wiederholung des Anfangsteils intensiver in der Aussage des Trennungsschmerzes, auch in der Verlangsamung der Sforzandi und der Anhebung der vier Portatonoten. Sehr schön dann wieder das Cantabile und die Umkehrung in Moll. Sehr schön im Pianissimo dann die Überleitung.


    Im Vivacissimamente ist er nur wenig langsamer als sechs Jahre später, aber er legt gleich mit virtuosem Schwung los. Die Exposition lässt er wunderbar fließen und gestaltet die rechte und die linke Hand gleichberechtigt nebeneinander. Er bleibt auch bei seiner großen Dynamikspanne, was auch an den kraftvollen "Glockenschlägen" abzusehen ist. Die Trillerpassage ziseliert er fein mit der
    Achtelbegleitung darunter. Sehr schön spielt er dann die Legatobögen und auch die Achtelsynkopen mit der Sechzehntelbegleitung ab Takt 69.
    Entzückend ist auch das kobold- und elfenhaft Tanzende in der Durchführung. Sehr großrahmig, auch dynamisch legt er dann das Crescendo in der Reprise ab Takt 116 aus. Das ist dann doch ein veritables Fortissimo, auch in den nachfolgenden "Glockenschlägen". Die nachfolgende lyrische Passage mit den Trillern und den Legatobögen fließt genau so schön wie in der Exposition, nur dass die Dynamik jetzt noch etwas höher steht mit dem ebenfalls wieder lang anhaltenden Crescendo zum Übergang zur Coda.
    Mit der Coda schließt sich der Kreis zum betörenden Anfang im Adagio. Auch sie ist im Gegensatz zur 6 Jahre später entstandenen Aufnahme wieder intim und nach innen gerichtet bzw. von innen heraus leuchtend, was verdeutlicht, dass er durchaus in der Gestaltung des Anfangs und des Endes umgedacht haben mag. Jetzt bin ich ja gespannt auf die Aufnahme von den Ludwigsburger Festspielen 1980, die ja wohl im gleichen Jahr entstanden ist wie die Moskauer Aufnahme. Im Begleittext heißt es ja, dass seine Spätphase von Verinnerlichung geprägt gewesen sei, was aus der Moskauer Aufnahme nicht so hervorging.
    Aber, so wie Gilels es spielt, haben für mich beide Lesarten ihre Gültigkeit.


    Liebe Grüße


    Willi
    :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Im Begleittext heißt es ja, dass seine Spätphase von Verinnerlichung geprägt gewesen sei, was aus der Moskauer Aufnahme nicht so hervorging.


    Lieber Willi,


    vom Konzert damals kann ich das für op. 90 bestätigen. Aber auch für Les Adieux? Ich erinnere mich an ein sehr virtuoses Finale. Ich werde das mal anhand der 1980iger Mitschnitte aus Moskau und der Studioaufnahme nachzuvollziehen versuchen. Wunderbare Besprechungen hast Du uns jedenfalls wieder gegönnt! :hello:


    Einen schönen Sonntagabend wünscht
    Holger

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  • Gilels geht aber ganz anders zur Sache, auch wenn ich vermute, dass die Aufnahmekanäle dieser Live-Aufnahme möglicherweise etwas weiter aufgedreht waren.

    Lieber Willi,


    ich war heute besonders gespannt auf diesen Mitschnitt (Aufnahme Moskau Oktober 1980), da es ja das Programm war (ohne die Eroica-Variationen) mit dem ich Gilels einst in Düsseldorf im Konzert erleben durfte. Es ist richtig, diese Live-Aufnahme ist sehr hoch ausgesteuert - bei der Studioaufnahme muß man den Pegelregler fast auf das Doppelte hochdrehen. Insgesamt fällt auf, dass die Abstufungen nach unten hin im relativ kräftigen Piano enden. Es ist wahr, dass es z.B. im langsamen Satz von op. 10 Nr. 3 in der DGG-Aufnahme zartere Abstufungen gibt und auch bei "Les Adieux" ist die Studioaufnahe von 1975 feiner im Pianissimo und intimer. Man darf dabei aber eines nicht vergessen: den Flügel!!! Ich nehme an, der Mitschnitt stammt aus dem Moskauer Konservatoriumssaal. Das Instrument dort hat wahrscheinlich einige Strapazen hinter sich - die russische Schule nutzt bekanntlich die Dynamik des Instruments voll aus. Wenn das Instrument ein paar Jährchen alt ist, dann ist die Mechanik sozusagen "ausgetreten" und ein wirklich leises Pianissimo nicht mehr zu realisieren. Damit muß auch ein Subtilist wie Gilels fertig werden und hat sich als ein Profi, der er ist, entsprechend auf das Instrument eingestellt. Bei der Studioaufnahme dagegen kommt mit großer Wahrscheinlichkeit ein brandneues und tadelloses Instrument direkt von Steinway aus Hamburg. Man hört in der Studioaufnahme, dass dies ein klanglich wirklich sehr gutes Instrument ist. Zwar schafft es Gilels auch in Moskau, den Steinway zum Blühen zu bringen - aber es geht eben nicht mit den ganz leisen Tönen. Horowitz, Michelangeli, Pollini oder Krystian Zimernan vermeiden bzw. haben solche Komplikationen vermieden, indem sie nur auf ihrem eigenen Instrument spielen.


    Beide Gilels-Aufnahmen sind einfach märchenhaft - das ist wahrlich ganz große Kunst des Klavierspiels, gehört auf den Olymp! :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Horowitz, Michelangeli, Pollini oder Krystian Zimermann vermeiden bzw. haben solche Komplikationen vermieden, indem sie nur auf ihrem eigenen Instrument spielen.

    Die vier waren auch alle keine Russen. Gilels und auch Richter waren froh, dass sie überhaupt ausreisen durften, und dann noch einen eigenen "picobello" Steinway in der Tupolev kreuz und quer durdh die Welt gondeln, das war nicht drin, zumal sie ja auch noch einen nicht unerheblichen Teil ihrer Gagen an Väterchen Staat abgeben mussten. Und wenn sie zu Hause spielten, mussten sie auch nehmen, was auf der Bühne stand.
    Aber dein Vergleich ist gut. Der erinnert mich an die Zeit, wenn die ersten Tasten in der (damals noch mechanischen) Olympia Monika allmählich den Geist aufgaben, haben wir auch so machtvoll auf ihnen rumgedroschen, dabei kam nur ein Buchstabe heraus, kein wie auch immer gearteter Ton, höchstens ein gequältes Geräusch :D:D
    Aber alles Äußere konnte die Güte dieser Aufführung natürlich nicht in Frage stellen. Wenn ich ganz viel Zeit haben (wann wohl?), werde ich die Aufnahme nochmal mit reduzierter Lautstärke hören. Im Moment höre ich alle Aufnahmen mit der gleichen Lautstärkeeinstellung.
    Übrigens auf der Ossiacher DVD von August 1971 ist ja der Gegenbeweis zu bewundern, zu welchen Großtaten Gilels mit einem anständigen Flügel fähig war (opp. 53 und 101, swoei Moazrt K. 310, 398, 387, Schuman op. 23 Nr. 4 und Mendelssohn op. 67 Nr. 4)
    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Im Moment höre ich alle Aufnahmen mit der gleichen Lautstärkeeinstellung.

    Eigentlich müßtest Du einen meßtechnisch genauen Pegelabgleich vornehmen, lieber Willi - wie man das mit einer hochwertigen Vorstufe von heute auch machen kann. (Meine kann das nicht!) Dann ist der dynamische Vergleich wirklich reell.


    Horowitz ist natürlich auch Russe - nur schon 1917 wegen der Revolutionswirren (die Kommunisten warfen den Flügel der Eltern aus dem Fenster, das war dann endgültig zu viel!) in den Westen geflohen. :) Richter mochte es nicht, sich einen Flügel auszusuchen und spielte die fürchterlichsten Kisten - das war ihm alles egal. Zum Glück kam dann später Yamaha und betreute ihn mit einem immer gut präparierten CF3 S. :D


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Ich kann die Lautstärke meiner Soundkarte und des Windows Media-Players nach Zahlen einstellen, lieber Holger, und ich lasse die Einstellung an meinem Verstärker unverändert. Dann passt es schon.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich kann die Lautstärke meiner Soundkarte und des Windows Media-Players nach Zahlen einstellen, lieber Holger, und ich lasse die Einstellung an meinem Verstärker unverändert. Dann passt es schon.


    Ach so, lieber Willi! Alles klar, Du hörst mit geripptem Material! Jetzt habe ich es verstanden - hatte mich ein bisschen gewundert! :D


    Herzliche Grüße
    Holger

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  • Immer noch nicht ganz richtig, lieber Holger. Ich höre über den DVD-Player meines Computers ganz normal die CD's und habe die Soundkarte mit einem guten Kabel mit dem AUX-Ausgang meines Verstärkers verbunden. Die Klangqualität des LG-DVD-Players ist nicht wensentlich von der meine Marantz-CD-Players zu unterscheiden, jedenfalls nicht bei Klavieraufnahmen.
    Auf diese Weise kann ich die Aufnahme jederzeit unterbrechen, etwas dazu schreiben oder eine Stelle nochmal hören. Ich würde ja am liebsten jede Aufnahme vor der Renzension auf meinem CD-Player hören, aber dann müsste ich die Lautstärke-Regelung kräftig zuückdrehen, weil die bei einem relativ hochwertigen CD-Player ja doch bei weitem nicht so weit aufgedreht zu werden braucht.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Francois René Duchable, Klavier
    AD: März 1995
    Spielzeiten: 6:36-3:31-5:28 -- 15:35 min.;


    Duchable ist kaum in meiner Sammlung, schon habe ich ihn zum ersten Mal vergessen, dabei dürfte man schon das einleitende Adagio (1:27 min.), das so in der klassischen Mitte liegt, auch vom Ausdruck her nicht vergessen. Ein klares Klangbild, dynamisch zwischen p und pp, mit moderaten Steigerungen, sehr konzentriert gespielt.
    Das Allegro geht er recht zügig an, jetzt auch dynamisch bis zum Forte steigernd, dabei die Begleitung aber keinesfalls aus den Augen verlierend, was man u. a. auch sehr schön an den variierten Viertelintervallen ab Takt 39 festmachen kann.
    Temporal ist Duchable etwas schneller als Gilels, etwa wie Gelber und Backhaus (1968). Die lyrischen Passagen spielt er auch ausgesprochen ausdrucksstark. Selbstredend wiederholt er die Exposition.
    Auch über seiner Durchführung schwebt ein großes Fragezeichen, ist Unsicherheit ausgedrückt, Angst vorhanden. Auch der Versuch, die Angst zu vertreiben durch den Aufschwung ab Takt 90, misslingt, die Gefühle kommen wieder, vielleicht sogar stärker, das sempre diminuendo nimmt er rasch, fast wie eine Flucht. Die Reprise scheint auch in diese Richtung des Auflehnens gegen die negativen Gefühle zu gehen, die Passage ab Takt 114 bis 130 spielt er dynamisch sehr hochstehend (es kommt mir unwillkürlich das Bild des Pfeifers im dunklen Wald in den Sinn!). Sehr schön spielt Duchable wieder das espressivo, traumhaft in der hohen Oktave.
    Auch er spielt den Beginn der Coda sehr kraftvoll und dennoch immer gut durchhörbar. Die Passage mit den Ganzen und Vierteln spielt er großartig, verhalten und voller Melancholie, sehr schön im Decrescendo-Übergang in Takt 196 in das Dolce hinein. Dieses ist grandios gespielt und die Bögen wunderbar mit der feinsten Feder gezeichnet. Auch seine Gestaltung der Hornrufe ab Takt223 mit den sich anschließenden Achtelläufen, die dann noch mal nach oben oktaviert werden, gehört m. E. zum Besten, was ich an dieser Stelle bisher gehört habe.


    In seinem Andante espressivo liegt Duchable etwa auf der Mitte zwischen dem schnelleren Backhaus und dem langsameren Gilels. Er spielt das in klarem, fast kalten Klang, aber mit viel Ausdruck, nur, dass dieser keine Behaglichkeit vermittelt, sondern Leere und Einsamkeit. Durch das Cantabile wird unvermittelt ein großer Kontrast aufgetan, so warm und tröstlich klingt das, um wieder von den alten, "trostlosen" Gefühlen abgelöst zu werden, die sich nach der Diminuendo-Sequenz in den folgenden Achtel/Sechzehntel/Zweiunddreißigstel-Figuren noch gesteigert zu werden., die höher liegen als am Anfang und dem gegenüber die Begleitfiguren zu der Sforzandokette tiefer liegen als am Anfang. Wie tröstlich schaut dann wieder das Cantabile herein, auch das ebenso wie die Begleitung in der Tonhöhe verschoben, ein letztes Mal das bittere Crescendo und das gespenstische Diminuendo, dann wandelt sich das Bild aber schon in Takt 40 auf der Zwei.


    Die Einleitung des Vivacissimamente wirft dann alle Last ab. Auch Duchable spielt die Exposition sehr hurtig und gestaltet die ganze Passage ab Takt 17 bis 36 als ein große Crescendo, das in kräftige, aber nicht übermächtige Glockenschläge mündet. Seine Trillerpassage ist sehr anmutig, und seine Legatobögen und Sechzehntelpassagen fließen unter den Synkopen munter dahin. Im Zeitablauf ist es nun so, dass Duchable das am schnellsten spielt. Gilels liegt nun in der Mitte zwischen Duchable und Backhaus.
    Die kurzen Durchführung spielt Duchable sehr ätherisch und mit großer Schönheit. Die Reprise hat einen beeindruckenden Aufgalopp in den Melodieoktaven und den begleitenden Sechzehnteln, die schon mal die Seite wechseln. Und die Glockenschläge scheinen in der Reprise auch noch an Durchschlagskraft zugenommen zu haben. Die nun oktavierten Triller verbreiten einen silbrigen Funkenregen. Auch die übrigen musikalischen Figuren aus der Exposition erscheinen nun in leicht veränderter Form und erhöhten dynamischen Vorwärtsdrang in einer wieder sehr langen Steigerung, hin zur
    Poco andante Coda, die er sehr lyrisch und nicht zu leise spielt, die dynamischen Hebungen und Senkungen, wie auch im ganzen Stück, gut beachtend und im Tempo I eine letzten bravouröse Steigerung zum Schluss spielend.
    Eine großartige Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Robert Casadesus, Klavier
    AD: 1953/58
    Spielzeiten: 6:32-3:22-4:13 -- 14:08 min.;


    Robert Casadesus, der ja wohl nicht viele Beethoven-Sonaten aufgenommen hat (ich habe von ihm lediglich die Nr. 2, 14, 23, 24 und 26), liegt temporal mit diesem Adagio im Mittelfeld. Er braucht 1:22 min. Das Klangbild ist etwas dumpf (obwohl remastered), aber ich finde, dass sein Spiel sehr ausdrucksstark und dynamisch ausgewogen ist. Im Großen und Ganzen ist auch eine zufriedenstellende Transparenz vorhanden trotz des anstrengenden Flügelklanges, allerdings wird es in den vielschichtigen Klangbildern in den Takten 50 bis 61 schwierig, alles durchzuhören, aber dafür kann der Pianist ja nichts. Im Allegro dehnt er den dynamischen Spielraum natürlich aus. Die Ausführung der lyrischen Passagen zeigt, dass ihm das als altem Mozartianer liegt. Die Exposition wiederholt er.
    Auch die Durchführung gestaltet er, wie ich finde, in diesem fragenden, unsicheren, ängstlichen Ton und nach dem Crescendo ab Takt 90 dann in dem sempre diminuendo wieder sehr schön zurückgehend und schafft damit nicht nur temporal, sondern auch dynamisch einen sehr schönen Kontrast zum voraufgegangenen Crescendo und der nachfolgenden Reprise. Diese gestaltet er sehr schwungvoll und dynamisch hochstehend, geht aber ab dem p in Takt 180 sehr schön zurück und führt die folgende lyrische Passage sehr ausdrucksstark aus.
    Nach der kurzen Durchführung und fast ebenso kurzen Reprise spielt er auch den Beginn der Coda sehr expressiv. Sein "Lebewohl" ist doch von sehr starken Gefühlen negativer Art durchzogen. Das Ganze klingt doch dramatischer als bei manchem anderen seiner Kollegen.
    Die Passage mit den Ganzen und kontrastierenden Vierteln Takt 182 bis 195 klingt bei ihm doch schon beklemmend und traurig, wird aber von einer wiederum sehr kontraststarken in den oberen Oktaven herrlich flirrenden, abgehobenen Achteln abgelöst, die in die Hornrufe mündet, erst zurückgehend, dann ein letztes Mal anschwellend und wieder zu den flirrenden Achteln übergehend, die von den schauerlich hohl klingenden Bässen kontrastiert werden.
    Bei allen klanglichen Unzulänglichkeiten aufgrund des Alters hat mich dieser erste Satz doch überzeugt.


    Das Andante espressivo hat es wirklich in sich, sehr ausdrucksstark, sehr traurig-schmerzensreich auch in manchen Dissonanzen, die ich meine, noch nicht so gehört zu haben, z. B. sehr stark in Takt 5 auf der Eins. Vielleicht habe ich auch bisher darüber hinweg gehört. Das ist sehr stark, auch in den dynamisch exponierten Takten 11 und 12. Das Cantabile ist sehr schön und das nachfolgende Crescendo und die Sforzandi mit den Diminuendi wieder in sehr starkem gefühlsmäßigen Gegensatz dazu, der sich in den Takten 21 bis 30 noch steigert, mit einem Höhepunkt auf den nochmals dynamisch angehobenen vier Sforzandi in Takt 27/28.


    Das Vivacissimamente ist ähnlich ausgelassen, überwältigend, enthemmt wie das von Gilels 1980 (live), und wenn wir die Tatsache bedenken, dass Casadesus die Exposition nicht wiederholt, dann kommt er ungefähr auf die gleiche Spielzeit wie Gilels, im Andante sind sie sowieso deckungsgleich.
    So sind in diesem "Ungestüm" die Trlller von Takt 45 bis 52 auch nicht silbrig schwebend, sondern erdig sich durchaus zu Wort meldend. Die Achtelläufe sprühen Funken und die Synkopen im Crescendo ab Takt 69 sind kraftvoll, und in der Bässen, die erstaunlich transparent sind, rumort es in den Sechzehntelläufen ab Takt 65 gewaltig. Das ist Lebensfreude pur, da ist alles und sind alle beteiligt.
    Auch die Durchführung ist wunderbar musiziert, man vergisst ganz, dass das nur Mono ist. Jedenfalls ist m. E. auch diese Interpretation ein Beleg dafür, dass dies Lesart auch bei "Les Adieux" zulässig ist, nach dem Motto: Es ist nicht so wichtig, wie das gespielt ist, sondern wie gut es gespielt ist (Ein Kritiker , der es genau umgekehrt meinte, sagte mal vor vielen Jahren über Jascha Heifetz' Interpretation des Beethoven-Violinkonzertes unter Münch und Boston SO 1955, dass dieser (Heifetz) grandios gescheitert sei).
    In der Reprise haut Casadesus (wie Gilels) nach Herzenslust in die Tasten, lässt die Glockenschläge kräftig erklingen, wobei die Triller in der hohen Oktave doch nun etwas weniger Körper und dafür etwas mehr silbrigen Glanz zeigen, und wieder geht es mit flirrenden Sechzehntelläufen dahin, kontrastieren die Synkopen ab Takt 162 wieder kräftig und machen die Sechzehntel in den Bässen ordentlich Betrieb.
    Nach all diesem rustikalen irdischen Ungestüm tut sich im fast überirdischen wunderbaren Poco andante, das gegenüber dem Vivacissimamente wirklich sehr langsam ist, ein herrlicher beinahe jenseitiger Frieden auf, der allerdings nach dem poco ritartando vom Tempo I zum guten Schluss abgelöst wird.
    Ob sie damals die Wiederholung der Exposition gestrichen haben, weil sonst nicht mehr alles auf eine LP gepasst hätte? Jedenfalls ist das Fehlen ein echter Verlust, denn die Aufnahme ist grandios.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD: 1967
    Spielzeiten: 5:54-3:18-5:02 -- 14:14 min.;


    Naturgemäß spielt Gulda das Adagio schneller als die meisten anderen (1:09), aber dynamisch sehr gut austariert und so abgeklärt, dass ein Gedanke an zu schnelles Tempo g nicht erst aufkommt. Das ist gut so, wie es ist. Und vor allem ist es mit eine formidablen Pianokultur gesegnet. Das kann Gulda nämlich auch.
    Im Allegro gibt Gulda natürlich ordentlich Gas, aber bei alledem, der dynamischen Steigerung, steigert er natürlich auch das Tempo enorm, aber nicht auf Kosten der Transparenz, die ist nämlich bei ihm, der durch keine technischen Schwierigkeiten gehemmt wird, selbstredend. Tempo, Rhythmus, Dynamik, alles stimmt. So steuert er zügig und ausdrucksstark durch die Exposition, die er selbstredend wederholt.
    Allerdings vermittelt er in der Durchführung nicht den Eindruck von tiefer Trauer und Abschiedsschmerz, sondern eher von leichtem Unwohlsein, aber verbunden mit der Zuversicht auf ein Wiedersehen. Das ist nicht so aufgewühlt wie bei manch anderem, dynamisch und rhythmisch perfekt, aber von der Kategorie "Wird schon gut gehen".
    In der Coda kommt dann in den Ganzen und Vierteln doch so etwas wie Nachdenklichkeit und Unwohlsein auf. Doch in dem Dolce dreht sich die Fahne wieder. Hier kommt wieder so etwas wie Optimismus, ja Leichtigkeit auf, dass sich alles wohl zum Guten wendet. Die Hornruf-Passage ist dann noch mal vom Feinsten, sprich auf allerhöchstem Niveau:
    Ein durchweg positiver Satz, der durchaus auch eine mögliche Sichtweise darstellt.


    Im Andante espressivo wandelt sich dann das Bild aber deutlich. Jetzt herrscht noch Unsicherheit, Angst und Trauer, die sich in dem Crescendo ab Takt 11 und in den vier Sforzandi Bahn bricht. Auch die Zweiunddreißigstel-Folge passt in dieses Schema. DAs Cantabile bildet dann eine veritable lyrisch-positive Insel in dem Trauermeer, die aber mit dem Crescendo ab Takt 18 schon wieder verlassen wird. Das ist doch wieder sehr deutlich ins Gegenteil verkehrt. In der Wiederholung werden auch in den Sforzandi noch einmal ordentlich negative Schwingungen verbreitet, aber das alles ist noch weit vom Weltuntergang entfernt. So schön auch die vier Portatonoten im Crescendo in Takt 30 wieder gespielt sind, sie verbreiten keinen Schrecken und werden auch flugs wieder vom wunderbar gespielten Cantabile abgelöst. Und, um es noch einmal zu betonen, Guldas Pianissimospiel, das nahe an der Hörgrenze stattfindet, ist einfach berauschend und muss natürlich am Ende des Andante im Übergang zum Vivacissimamente einen gigantischen Kontrast zeitigen, der uns vielleicht sagen will: ich habe es euch doch immer gesagt alles wird gut.


    Und dieses Vivacissimamente verstrahlt von Anfang an einen strahlenden Glanz, der zu allererst auf Guldas unwahrscheinlich gutes transparentes Spiel zurückzuführen ist, auf seine natürliche Tongebung und seinen gleichmäßigen Tonfluss. Natürlich hebt auch er die Dynamik in diesem Satz an, aber nicht alle Dächer stürzen ein, Die Glockenschläge kommen kräftig, aber nicht überbordend. Die Triller sind absolut schwebend- fantastisch! Ebenso großartig sind die Legatobögen und im weiteren Verlauf ab Takt 69 die Synkopen mit den kontrastierenden Sechzehntelfiguren. Das ist bis hierhin Pianistik auf allerhöchstem Niveau- alles ist schlüssig, alles ist richtig. Wer sagt eigentlich, dass man das nicht so schnell spielen darf- Beethoven gewiss nicht. Und vor alledem, bei dem Tempo diese technische Perfektion und diese rhythmische und dynamische Einheit- g ganz große Klasse.
    Und in der Durchführung setzt er noch ein drauf- das ist Klavierspiel in Vollendung, wie er die Staccato-Übergänge mit den Legatobögen verknüpft, allein schon, wie er das spielt- einmalig!
    Auch in der Reprise, wo er einmal den Fortissimo-Hammer schwingt, aber das in dem Riesencrescendo, selbst da verlässt er nie seinen kristallklaren Ausdruck, auch die nun dynamisch höher stehenden Glockenschläge klingen klar wie ehedem, und die kristallinen Triller sind eine Klasse für sich. Selbst gegen Schluss setzt er genauestens die Partitur um und spielt die langen Steigerungen ab Takt 146 und 154 auf das Genaueste und Klarste.
    Und die Poco andante Coda, die bei dem Grundtempo natürlich nicht allzu langsam gespielt werden kann, ist ein weiterer Beweis der lyrischen Kunst Guldas. Natürlich bedeutet dann der Tempo I-Schluss für ihn nicht wirklich eine Schwierigkeit.


    Diese Aufnahme hat mich aus den Socken gehauen- ein Wahnsinn!!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das sind sehr schöne Besprechungen, lieber Willi. Ich sehe, ich muß Duchable nach sehr langer Zeit wieder nachhören (damals hat mir die CD irgendwie gar nicht gefallen!) und auch Dank Deiner euphorischen Kritik Gulda und auch Casadesus!


    Herzlich grüßend
    Holger

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