Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 „Appassionata“
Claudio Arrau, Klavier
AD: 1970 Bonn, live DVD
Spielzeiten: 10:26-6:37-8:04 – 25:07 in.;
Claudio Arrau ist in diesem Konzert 1970 beim Beethovenfest in Bonn förmlich in seinem Element, und das Publikum strömt derart zu ihm, dass sogar auf der Bühne ganz nahe bei ihm noch eine vollkommen gefüllte Zuschauertribüne aufgebaut ist, was den Maestro aber nicht im Geringsten stört.
Auch in diesem Konzert geht er wieder temporal nach dem Motto „So schnell wie nötig“ (Allegro assai) und „so dynamisch wie möglich“ zu Werke. Dabei fallen nicht nur seine dynamischen Spitzen, die in den Takten 17, 20 und 22 durchaus mal bis ff/fff gehen, auf, sondern sein insgesamt dynamisch sehr sorgfältiges Spiel, d. h. hier sehr kontrastreiches Spiel. Auch ist Arrau ein Meister der Tonfärbung, so dass in den ersten 34 Takten, bis zum Dolce, die Subito forte Piani in den Takten 26 und 30 sowie die Triller in der hohen Oktave durchaus mal einen grellen Anstrich bekommen, womit er das Drama schon in der Exposition zusätzlich anfacht.
Den wenigen Dolce-Takten von 35 bis 41 ringt er ein Höchstmaß an lyrischer Tongebung ab, bis die beiden Forteakkorde in Takt 42 dem wieder abrupt Einhalt gebieten. Und so klingt dann auch die absteigende Piano-Figur in Takt 43 schon tieftraurig, und die drei Trillertakte bringen zusätzlich Schmerzhaftes ins Spiel.
Nach der daran anschließenden absteigenden Achtelkette, sehr schön legato gespielt, kommen die unerbittlichen Sechzehntel bis zur Durchführung, auch wieder sehr kontrastreich gespielt. Diese spielt er zunächst sehr schön zögerlich mit den dynamisch akzentuierten Trillern, bevor sich die Sechzehntel wieder Bahn brechen. In diesem zweiten, längeren Teil der Durchführung zerpflückt er beinahe „brutal“ das Dolce-Thema, bevor er die „verlangsamende“ Achtelpassage wieder mit einem lyrischen Anstrich versieht, der in Takt 109 bis 11 in 2 ½ „quasi“-Dolce-Takte hineinführt, aber in Wirklichkeit die nächst höhere dramatische Stufe erreicht, wo er sich wirklich zu einem Höchstmaß an Expressivität und Dynamik hinreißen lässt, vor allem in den Takten 123 bis 129- hinreißend!!
Dann spielt er ebenso hinreißend die Reprise, bis das ritartando-adagio zur Coda führt, jenem wundersamen pyramidenförmigen Gebilde, das er zunächst in dynamisch-rhythmisch-temporaler Raserei ansteigen lässt, um danach den genau umgekehrten Weg in ein „morendo“-artiges Ende zu gehen- faszinierend!!
Das „Andante con variazioni“, wie ich es einmal mozartinisch nennen möchte, ist ebenso grandios wie seine beiden Vorgänger, vielleicht hier live noch eine Spur spontaner und auch mehr als eine halbe Minute schneller- vielleicht, dass Arrau live eher etwas schneller spielt als im Studio- wer weiß:
Ganz große Pianokunst!!
Gleiches gilt für das Finale, wo Arrau volles Risiko geht, temporal zwar noch zurückhaltend, getreu der Satzüberschrift „Allegro ma non troppo“, aber dynamisch die äußersten Kontraste suchend, kein ff/fff scheuend: der umgekehrte Zauberlehrling: hier hat der Meister die Besen gerufen und treibt sie zum Teufelstanz! Besonders faszinierend ist die Stelle mit dem ff-Gewitter bis 182 und dem anschließenden p-dim-sempre pp- bis Takt 210!!
Dann folgt die genauso großartige Reprise, wo wieder das Drama pur herrscht und das Arrau anschließend als zweitem Teil der „seconda parte“ selbstverständlich wiederholt. Ich hatte ja schon einmal in einer anderen Besprechung gesagt, dass Arrau keinen von Beethoven komponierten Takt unterschlägt.
Krönung ist natürlich das Wahnsinnspresto, auch in Arraus denkwürdiger 1970er-Aufführung, was auch dem Publikum wohl bewusst war.
Die sicherlich bis dahin beeindruckendste von Arraus sämtlich referenzwürdigen Aufnahmen!
Liebe Grüße
Willi