Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
György Cziffra, Klavier
AD: Zwischen 1959 und 1986
Spielzeiten: 10:20-7:12-8:42 -- 26:24 min.;
György Cziffra spielt den Hauptsatz ganz anders als viele Andere. Das klingt geheimnisvoll, sozusagen ein Misterioso. Vor allem das Klopfmotiv nimmt er länger und schwerer, drückend- faszinierend.
Und welch ein Kontrast tut sich nach dem poco ritartando im Forte, eher Fortissimo, des "a Tempo" ab Takt 14 mit Auftakt, auf.
Hell und kraftvoll perlen die Sechzehntel in die Abwärtsbewegung, und gleich darauf geht es in den ff-Anstiegen wieder dunkel dräuend ins Ungewisse.
Auch in der Überleitung präsentiert er auf engstem Raum beiden Klangbilder, das Helle, beinahe Elysische im Diskant und das Dunkle romantische Verhangene im Tiefbass.
Ich weiß ja viel zu wenig über die Klavierwerke Franz Liszts und über seinen Landsmann György Cziffra, von dem ich lediglich die ungarischen Rhapsodien und einige kleine Einzelwerke habe, aber mir scheint da eine Verbindung zu liegen zu dieser faszinierenden Interpretation der Appassionata.
Auch das Seitenthema trägt diese duale Ansicht, und in dem neuerlichen Übergang, gleiten die hellen, fast grellen Trillertreppenstufen unerbittlich wieder in den dunklen, geheimnisvollen Tiefbass, die andere Seite der Medaille, die sich in dem machtvoll gespielten Schlusssatz fortsetzt, wieder in den Diskant hinein vorstößt und dann im Diminuendo in Takt 64 fast "morendo" wieder in die Gegenrichtung versinkt. So schlüssig ist mir das eigentlich, wie ich glaube, noch nie aufgefallen.
Und dann spielt er auch atemberaubend den Beginn der Durchführung ab Takt 65, hier noch in Moll, wo die Figur in Takt 66 in Dur aufscheint und bei Cziffra, wie ich finde, fast pastoral leuchtet. Dann lässt er eindrucksvoll die Trilleroktavwechsel folgen (Takt 70 bis 77) mit dem dynamischen Akzent jeweils auf der Mitte, bevor das Thema zwischen Takt 79 und 90 dynamisch sehr hoch stehend die Oktaven wechselt, sozusagen den ersten musikalischen Höhepunkt der Durchführung offerierend und mit den kontrastierenden Sechzehnteln als Kontrast in wilder Hatz zur Weiderholung der Überleitung führend, in der sich das musikalischen Geschehen vorübergehend beruhigt, von Cziffra hier eindrucksvoll wieder gegeben, aber auch, wie ich finde, durch gelegentliche kaum merkliche Temposchwankungen anzeigt, dass die Ruhe nur trügerisch ist, wie wir im Seitenthema noch eindrucksvoller als in der Exposition noch feststellen werden. Das beginnt schon in dem lyrischen Aufschwung ab Takt 105, in dem Cziffra das Crescendo kräftig und klar, ja fast grell gestaltet.
Ebenso schnell geht es in seiner Interpretation mit dem Seitenthema dahin, das innerhalb kürzester Zeit, spätestens ab dem sempre piu forte (Takt 118 mit Auftakt) zerfasert wird und in den wilden Sechzehntelfiguren ab Takt 123 untergeht und in der Überleitung mit den Oktavwechseln des Klopfmotivs unter der Begleitung der sinistren Sechzehntelfiguren nochmal ein dynamischer Höhepunkt entsteht, bevor es in Takt 137 in die Reprise geht.
Jetzt in der Reprise spielt Cziffra interessanterweise das Klopfmotiv in dem schnelleren Tempo, dass auch viele seiner Kolleginnen und Kollegen bevorzugen.
Die nunmehr fünf ff-Aufwärtsbewegungen spielt er mit der gleichen dynamischen Verve wie in der Exposition, auch die neuerliche modulierende Überleitung und das Seitenthema. Noch Eines muss ich hier zum Seitenthema bemerken, dass er den trennenden Takt 181 (42), der sozusagen das "Helle" vom "Dunklen" trennt, wesentlich weicher, ja fast versöhnlicher spielt als etliche seiner Kollegen. Dafür hat sein Achtelabstieg wieder etwas "Endgültiges", einschließlich der massiven Schlussgruppe.
Wunderbar auch wieder sein "singendes" Diminuendo ab Takt 203 (64), aber wie unerbittlich auch sein erneutes Zerbröseln des lyrischen Seitenthemas, das mit unvermindertem Tempo in die grandios gespielten Arpeggien übergeht. Auch das erneut "beruhigende" Ritartando (adagio) spielt er meisterlich, ebenso wie die hämmernde Coda, die er in ein höchst kontrastreiches verdämmerndes "morendo" übergehen lässt.
Im Andante con moto spielt Cziffra den ersten Teil des Themas (Takt 1 bis mit unglaublicher Wärme und moderater dynamischer Akzentuierung. Das ist reiner Gesang.
Im zweiten Thementeil (Takt 9 bis 17)geht die dynamische Kurve merklich nach oben, der erste Akzent Takt 10 noch sehr sanft, der zweite Takt 12 stärker und der dritte mit dem Cresc./Rinf. Takt 13 und 14 noch ein wenig stärker. Es sieht also bis hierhin so aus, als ob er den dynamischen Verlauf kontinuierlich bis zum Ende der letzten Variation steigern will, wie es gehört. So sanft das auch im Thema klingen mag, schon im zweiten Teil lässt Cziffra mit seiner tiefdunklen Bassfärbung schon die Gedanken gelegentlich abschweifen in eine andere weniger sanfte Richtung.
In der unglaublich gespielten ersten Variation tritt dies Gefühl noch stärker zutage. Dieser trotz des langsamen Tempos immer noch schreitende Rhythmus kündigt an, dass es immer nur in eine Richtung geht. Auch im zweiten Teil der ersten Variation (Takt 31) fällt wieder auf, wie sorgfältig György Cziffra jede kleinste dynamische Regung beachtet und dadurch die Struktur ungemein erhellt.
Die zweite Variation singt Cziffra mit seinem Instrument wieder sehr berührend. Wunderbar finde ich die Sechzehntelfigur im Bass in Takt 40 und diejenige in Takt 48. So etwas komponiert nur Beethoven, der Großmeister der langsamen Sätze. Aber in der dynamischen Aufwärtsbewegung macht Cziffra immer noch kleine Schritte.
Aber in der dritten Variation öffnet sich dann die dynamische Schere, wobei hier temporal die Zweiunddreißigstelsequenz erreicht ist. Innerhalb dieser Variation steigert er dann so wunderbar, dass m. E. kein Wunsch mehr offen bleibt, wobei sich die Gelehrten darüber streiten mögen, ob er in Takt 71 und Takt 79 wirklich das Fortissimo erreicht hat. Das ist für mich nicht mehr relevant, wenn das Gesamtkonstrukt so überzeugend ist.
Auch das abschließende Thema, dass hier dynamisch wesentlich kontrastreicher ist als zu Beginn, lässt für mich keine Wünsche offen.
Hier hat ein großer Pianist bewiesen, dass langsame Sätze Beethovens dann optimal wiedergegeben werden können, wenn man sie auch langsam spielt und in einem schlüssigen Tempo sich ganz dem musikalischen Ausdruck hingeben kann.
Im letzten Takt 97: attacca, setzt Cziffra einen trockenen, heftigen ff-Takt, wobei er im Beginn des Allegro, ma non troppo (und die Satzbezeichnung gehört in einer großen Palette verschiedener Tempi ja eher noch zur langsameren Hälfte, was sich natürlich nicht auf die unglaubliche Coda bezieht), das Fortissimo vergleichsweise moderat spielt und erst ab Takt 13 dynamisch so richtig loslegt.
Cziffra gehört zu denjenigen, die die Satzbezeichnung "Allegro, ma non troppo" ernst nehmen. Die andere Fraktion, die das Finale möglichst schnell spielt (einschließlich des "ma non troppo), muss schon über die Ausdruckstiefe eines Swjatoslaw Richter oder eines Lazar Berman verfügen, um in einem so hohen Tempo eine so große musikalische Ausdruckstiefe zu erreichen. Cziffra lässt sich nicht auf das Spiel ein.
Dynamisch setzt er den eigentlichen Beginn nach der Einleitung in Takt in Takt 13 an, der dann dynamisch auch schon etwas herausragt. Dieser dynamisch und rhythmisch so abwechslungsreiche
Verlauf dieses verstörenden Finalsatzes gewinnt in Cziffra Lesart an Transparenz und Struktur. Die dynamische Auf-und Abwärtsbewegungen treten klar hervor, kein Ton fällt dem Tempo zum Opfer.
Am Ende der Exposition legt er in den fünf hackenden Oktavtakten 99, 103, 105, 107, 109 und 111 dynamisch ordentlich zu und geht in la seconda parte.
Diesen zweiten Teil des Finales spielt Cziffra mit der gleichen Ruhe und Konzentration wie den ersten. Man kann ihm höchstens vorwerfen (aber warum eigentlich), dass er sich von der Sogkraft dieses Satzes (die hauptsächlich pianistische Hitzköpfe ergreift), nicht forttragen lässt.
In den berühmten acht Doppeltakten mit den ansteigenden Oktavhämmern (Takt 168 bis 176) ist selten so viel Struktur zu vernehmen wie bei Cziffra und einigen anderen, die in diesem Tempo unterwegs sind.
Aber auch die "Ruhepause" im Diminuendo (Takt 186 bis 211) lenkt trotz des moderaten Tempos Cziffra nicht vom Inhalt dieses Satzes ab, von seiner Unerbittlichkeit, von einem Weg ohne Ausweg, ohne Wiederkehr, wie in der Reprise ab Takt 212 so eindrucksvoll zu hören ist.
Auch die Reprise spielt Cziffra mit der gleichen temporalen Konsequenz wie die Exposition. Auch bei ihm ist im musikalischen Ausdruck die Sequenz in der hohen Oktave ab Takt 260 ein Höhepunkt in diesem Satz.
Natürlich wiederholt Cziffra auch la seconda Parte und gestattet sich lediglich, im Presto das Tempo gewaltig zu erhöhen, weil es ja auch ein Presto ist - im Gegensatz zu einem Allegro ma non troppo.
Aber bei alledem verliert er nie die Kontrolle, spielt von Anfang bis zum Ende kristallklar und, sozusagen, trotz seiner überragenden Fähigkeiten, ohne den Virtuosen herauszukehren, sondern sich ganz in den Dienst der Sache zu stellen.
Eine überragende Interpretation!
Liebe Grüße
Willi