Zunächst einmal an dieser Stelle allen Forumsmitgliedern und -besuchern Frohe und gesegnete Ostern!
Was gibt es Schöneres, als diesen sonnigen 1. Osterfesttag mit einer passenden Bach-Kantate zu krönen?
Zum heutigen Tag präsentiere ich daher eine der wohl ältesten erhaltenen Bach-Kantaten überhaupt (wenn nicht sogar die älteste):
BWV 4: Christ lag in Todes Banden
Kantate zum Ostersonntag ( evtl. Mühlhausen, 24. April 1707 oder 1708 )
Lesungen:
Epistel: 1. Kor. 5,6-8 (Christus ist unser Osterlamm)
Evangelium: Mark. 16,1-8 (Die Auferstehung Christi)
Acht Sätze, Aufführungsdauer: ca. 22 Minuten
Textdichter: Martin Luther (1483-1546)
Choral ( Nr. 2-8 ) aus dem Jahr 1524; Nachdichtung der lateinischen Sequenz „Victimae paschali laudes“
Besetzung:
Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Zink, Posaune I-III, Violino I/II, Viola I/II, Continuo
1. Sinfonia (e-moll) Streicher, Continuo
2. Coro (Versus 1) SATB, Zink, Posaune I-III, Streicher, Continuo
Christ lag in Todes Banden
Für uns’re Sünd’ gegeben,
Er ist wieder erstanden
Und hat uns bracht das Leben;
Des wir sollen fröhlich sein,
Gott loben und dankbar sein
Und singen halleluja,
Halleluja.
3. Duetto (Versus 2) Sopran, Alt, Zink, Posaune I, Continuo
Den Tod niemand zwingen kunnt
Bei allen Menschenkindern;
Das macht alles uns’re Sünd’,
Kein Unschuld war zu finden.
Davon kam der Tod so bald
Und nahm über uns Gewalt,
Hielt uns in seinem Reich gefangen.
Halleluja.
4. Aria (Versus 3) Tenor, Violino I/II, Continuo
Jesus Christus, Gottes Sohn,
An unser Statt ist kommen
Und hat die Sünde weggetan,
Damit dem Tod genommen
All sein Recht und sein’ Gewalt;
Da bleibet nichts denn Tod’s Gestalt,
Den Stachel hat er verloren.
Halleluja.
5. Coro (Versus 4) SATB, Continuo
Es war ein wunderlicher Krieg,
Da Tod und Leben rungen,
Das Leben behielt den Sieg,
Es hat den Tod verschlungen.
Die Schrift hat verkündigt das,
Wie ein Tod den ander’n fraß,
Ein Spott aus dem Tod ist worden.
Halleluja.
6. Aria (Versus 5) Bass, Streicher, Continuo
Hie ist das rechte Osterlamm,
Davon hat Gott geboten,
Das ist hoch an des Kreuzes Stamm
In heißer Lieb’ gebraten,
Das Blut zeichnet unser’ Tür,
Das hält der Glaub’ dem Tode für,
Der Würger kann uns nicht mehr schaden.
Halleluja.
7. Duetto (Versus 6) Sopran, Tenor, Continuo
So feiern wir das hohe Fest
Mit Herzensfreud’ und Wonne,
Das uns der Herr erscheinen lässt.
Er ist selber die Sonne,
Der durch seiner Gnaden Glanz
Erleuchtet uns’re Herzen ganz,
Der Sünden Nacht ist verschwunden.
Halleluja.
8. Choral (Versus 7) SATB, Zink, Posaune I-III, Streicher, Continuo
Wir essen und leben wohl
In rechten Osterfladen,
Der alte Sauerteig nicht soll
Sein bei dem Wort der Gnaden,
Christus will die Krone sein
Und speisen die Seel’ allein,
Der Glaub’ will keins ander’n leben.
Halleluja.
Diese Choralkantate könnte (so Alfred Dürrs Vermutung) anlässlich des zu Ostern 1707 stattfindenden Probespiels Bachs in Mühlhausen ihre Uraufführung erlebt haben. Und selbst wenn sie ein Jahr später ebenda entstanden wäre, gehörte sie immer noch zu den ältesten uns überlieferten Bach-Kantaten.
Bach hat aber auch dieses Werk in späterer (Leipziger) Zeit (1724/ 25) wieder aufgeführt und dazu offenbar die ursprünglich aus einem reinen Streichensemble bestehende Orchesterbegleitung um einen Posaunenchor (3-stimmig plus Zink als Oberstimme) ergänzt.
Anders als viele andere Komponisten hat Bach auch seine Jugendwerke offenbar hoch geschätzt und sie auch in späteren Jahren einer Wiederaufführung für würdig gehalten (gerade für die Barockzeit, wo im Zweifel ein benötigtes Werk neu komponiert wurde, bevor man auf etwas "veraltetes" zurückgriff, finde ich diese Einstellung ganz beachtlich!) - das spricht auch für seine wirtschaftliche und arbeitsparende Haltung: Der Mann wusste zu haushalten mit seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln!
Wahrscheinlich war er in Leipzig einfach nur froh, dass er überhaupt auf eine Osterkantate aus eigener Feder zurückgreifen konnte - bis einschließlich Karfreitag war er ja meist sehr mit Komposition und Einstudierung seiner umfangreichen und höchst anspruchsvollen Passionsmusiken beschäftigt!
Die hier besprochene Choralkantate fällt schon dadurch auf, dass - im Gegensatz zu den meisten anderen Choralkantaten, die Bach vertont hat - der zugrundeliegende Choral nicht in freier Nachdichtung behandelt wird, sondern das ganze Kirchenlied Luthers in textlich unveränderter Form Strophe für Strophe von Bach musikalisch variiert wird, wobei die Lied-Melodie in den meisten Sätzen recht deutlich zu erkennen ist. Wahrscheinlich ist auch diese "Ur-Form" einer Choralkantate Zeichen ihrer frühen Entstehungszeit. Die "raffinierteren" und oft sehr viel ausufernden Kantatendichtungen (z. B. von Salomon Franck) hatten sich noch nicht so durchgesetzt, bzw. sollten erst noch entstehen.
Durch dieses strophenweise Vorgehen stehen auch alle Sätze (einschließlich der einleitenden Sinfonia) in derselben Tonart, nämlich in e-moll. Die Verwendung nur einer Tonart innerhalb einer Kanate dürfte in Bachs Kantatenschaffen wohl auch einzigartig sein.
Der musikalische Stil Bachs wirkt - nicht zuletzt durch die etwas "archaische" und karge Instrumentalbesetzung - noch sehr dem Klang des späten 17. Jahrhunderts verhaftet. Musikalische Vorbilder wie Buxtehude oder Pachelbel dürften ihn zu dieser Zeit sicherlich sehr geprägt haben - immerhin war er zum Zeitpunkt der Komposition gerade einmal 22 Jahre alt!
Mir fällt z. B. die Schluss-Sequenz des Eingangschores hier als charakteristisch auf: Wenn Bach hier bei Erreichen der Schlusszeile "Halleluja" plötzlich das Tempo beschleunigt (Allabreve) und das Ganze plötzlich wie eine Motette klingt, erinnert mich das sehr an ein Stilmittel, das ich auch schon in Chorwerken z. B. von Schütz, Kuhnau oder Buxtehude so gehört habe.
Dennoch ist bereits in diesem Frühwerk Bachs kompositorische Meisterschaft deutlich erkennbar - ein Fakt, der sicherlich dazu beigetragen hat, dass Bach diese Kantate auch 20 Jahre später noch fur durchaus aufführenswert hielt.
Allein die typisch bachsche Fähigkeit, die Worte des gesungenen Textes auszudeuten und musikalisch zu charakterisieren, ist hier bereits unverkennbar, z. B. in der Arie Nr. 4, wenn die Musik nach dem Wort "nichts" in ihrem Fluss innehält, um dieses "Nichts" zu verdeutlichen, bevor es dann wieder weitergeht. Genial!
Die Anlage der Kantate, was die jeweilige Besetzung der Einzelsätze betrifft, ist sehr symmetrisch (wenn man die instrumentale Einleitung mal außen vor lässt): Um den Chor Nr. 5 gruppiert sich jeweils eine Solo-Arie, ein Duett und der Eingangs- und Schlusschor. Bach geht hier bereits sehr planvoll vor und hat bereits ein untrügliches Gespür für die Gesamtform und möglichst harmonische Symmetrie eines mehrsätzigen Stückes.