Adolphe Charles Adam (1803 - 1856) gehört zu den gar nicht wenigen Komponisten, die sich lange Zeit größter Beliebtheit erfreuten, heute aber nur noch wegen einiger weniger Stücke erinnert werden. Im Falle Adams ist das vor allem die Postillon-Arie aus LE POSTILLON DE LONJUMEAU. Nicht nur im Falle Adams ist das mehr als ungerecht.
Der von Moses KR1 jüngst eingestellte Opernführer zu ADAM, Adolphe: WENN ICH KÖNIG WÄR - Adams wohl bester Oper - bietet mir willkommene Gelegenheit, hier mit meiner Aktion der Verlagerung substanzieller Werkbeschreibungen aus den Rätselthreads in eigene Komponisten- und Werkthreads fortzufahren. Vorab aber eine kurze Einführung zu diesem Komponisten, die ich aus Zeitmangel meinem Manuskript für ein Operettenhandbuch entnehme. Ich bitte also den Fokus auf dessen Operettenschaffen nachzusehen und in diesem Thread natürlich auch seine anderen Kompositionen gebührend zu würdigen.
Im Vergleich zu dem gleichaltrigen Hector Berlioz war Adam ein konservativer „Unterhaltungsmusiker“, der sich auf die Eingängigkeit seiner melodischen Einfälle verließ und wenig Ambitionen an den Tag legte, die Grenzen der vorgefundenen Operngattung zu erweitern. Um so gewichtiger ist sein Beitrag als Vorbild und späterer Zulieferer Jacques Offenbachs zur Entstehung der Operette, der er sogar ihren Namen gab. Heute ist Adam allerdings vor allem als Komponist von Ballettmusiken und nicht zuletzt des Weihnachtslieds Cantique de Noel bekannt.
Der Sohn des im Elsass geborenen Louis Adam, des Gründers der „Französischen Klavierschule“, deren Leitung er nach dessen Tod übernahm, gehört mit rund 70 Bühnenwerken zu den produktivsten Vertretern der Opéra comique. Bereits mit 14 wurde er am Pariser Conservatoire angenommen. Mit 22 gewann er dank der Förderung seines Kompositionslehrers François Adrien Boielldieu den begehrten Prix de Rome, und auch als Klaviervirtuose errang er internationale Erfolge. Seine Vorbilder als Komponist waren Auber und andere Meister der Opéra Comique. Neben seiner schier unverwüstlichen Ballettmusik für GISELLE (1841), gehören seine dauerhaftesten Werke dieser Gattung an, darunter LE CHALET (Das Schweizerhaus; 1834), LE POSTILLON DE LONJUMEAU (1836) mit seiner beliebten Tenorromanze und sein anspruchvollstes Werk, SI J'ÉTAIS ROI (Wenn ich König wär; 1852).
Adams Vorliebe für einfache Strukturen und komische Stoffe machte ihn zu einem der wichtigsten Vorläufer der Operette, welche die satirische Tradition der Opéra comique betonte und fortführte. Seine zweiaktige Opéra comique LA POUPÉE DE NUREMBERG (1852), eher eine Parodie auf als eine Vertonung von E.T.A. Hoffmanns Novelle „Der Sandmann“, die eigentlich schon allen Kriterien der späteren klassischen Operette entspricht, übte großen Einfluss auf Jacques Offenbach aus, der später denselben Stoff als Vorlage seiner letzten Oper, LES CONTES D'HOFFMANN wählte. Nachdem Adam als Leiter eines eigenen Opernhauses gescheitert und ruiniert war, gab ihm Offenbach den Auftrag zu dessen letztem Werk, LES PANTINS DE VIOLETTE. Diesen Einakter bezeichnete Adam als „Opérette“, d. h. kleine Oper. Der Begriff wurde von Offenbach für seinen zwei Monate später herausgebrachten LA ROSE DE SAINT-FLOUR übernommen und bald danach als neuer Gattungsbegriff akzeptiert. Dieser bezog sich dann allerdings nicht mehr allein auf den Umfang der zunächst einaktigen Werke, sondern kennzeichnete die Gattung als Gegenstück zur großen Oper bzw. der Opéra comique, die ja schon lange nicht mehr nur komisch war.
Jacques Rideamus