Das Klaviertrio im Jazz

  • Man tausche Violine und Cello gegen Bass und Schlagzeug, setze jemanden gescheiten an das Klavier, und schon hat man das Klaviertrio zusammen, das im Jazz nun auch schon auf eine lange Tradition blicken kann. Um es vereinfacht auszudrücken (Achtung: Ausnahmen!), haben alle drei Instrumente bis zu einem gewissen Zeitpunkt den Harmonie- und Rhythmusknecht einer Jazzband gegeben. Das Klavier sorgte für den Harmonie-Rahmen, das Schlagzeug für den Beat, den Rhythmus, den Puls und der Bass verband beides.


    Dann aber verabschiedete sich diese Dreier-Formation aus größeren Zusammenhängen und machte sich einfach mal selbständig, um auszuprobieren, ob nicht auch zu dritt wichtige musikalische Aussagen getroffen werden können. Die kleine Bandform emanzipierte sich spätestens ab den späten 40er-Jahren von den Quartetten, Quintetten oder größeren Besetzungen.


    Die Anzahl dieser Trios ist bis heute mittlerweile groß, ich möchte nur einige von ihnen kurz vorstellen und fragen, wen ihr noch nennen oder favorisieren würdet und welche Aufnahmen ihr besonders schätzt. Der Schwerpunkt sollte hierbei auf relativ beständigen Formationen liegen, also nicht auf gerade mal für eine Schallplatte oder Tournee zusammengewürfelte Truppen.


    Thelonious Monk Trio
    Bud Powell Trio

    Beide Pianisten der ersten Stunden des Modernen Jazz, suchten sie schon früh die Arbeit im Trio. Besonders letzterer definierte mit wechselnden Bassisten (u. a. Curly Russell, Ray Brown oder Charles Mingus) und Schlagzeugern (u. a. Max Roach, Art Taylor, Roy Haynes) dieses Genre. Die Aufgabenverteilung innerhalb des Trios blieb allerdings relativ konventionell: Der Pianist war der Zampano (wenngleich im Falle Powells ein wunderbar sensibler), Bassist und Schlagzeuger blieben eher in der Rolle der Begleiter verhaftet. Ähnliches galt für Monk, der sein schrullig-geniales Klavierspiel im Trio wunderbar ausleben konnte, seinen beiden Mitstreitern aber weiterhin Nebenrollen einräumte.


    Oscar Peterson Trio
    Er perfektionierte die Form des Mainstream-Klaviertrios. Mit den relativ beständigen Begleitern Ray Brown und Ed Thigpen bildete er ein sehr konstantes Trio, das tief in der Tradition wurzelte, die Parameter für individuelle Freiheiten aber schon deutlich verschob. Konnte man vorher vom "Powell-Klang" oder "Monk-Klang" sprechen, so hatte man es hier durchaus schon mit einem "Peterson-Trio-Klang" zu tun, an dem die beiden Mitmusiker deutlich mehr Anteil hatten hatten, als man es vorher kannte. Verwunderlich ist das nicht, denn diese Entwicklung der Emanzipation geschah im Jazz auch ganz allgemein in den 50er Jahren.


    Bill Evans Trio
    Mit Evans nun trat das Klaviertrio in eine Phase völlig neuer Freiheiten. Bassist und Schlagzeuger waren nunmehr gefragt als reaktionsschnelle Partner, die ebenso das musikalische Treiben blitzschnell in neue Richtungen wenden konnten, wie der Leader selbst. Waren es zunächst Scott LaFaro (der im Evans-Trio das Bass-Spiel in neue Dimensionen führte) und Paul Motian am Schlagzeug, so wechselte Evans in den späteren Jahren des öfteren seine Mitmusiker (z. B. Gomez/DeJohnette oder Johnson/Zigmund), behielt die Form und Ästhetik allerdings bei. Bis auf einige Solo-Aufnahmen und einige wenige (ganz hervorragende) Platten mit Bläsern, blieb Evans dem Trio-Spiel bis zu seinem viel zu frühen Ende treu.


    Keith Jarrett Trio
    Die große, bisweilen unerträglich allürenhafte Diva Jarrett knüpfte mit seinen Partnern Gary Peacock und Jack DeJohnette Anfang der 80er Jahre genau dort an, wo Evans aufgehört hatte. Seit nunmehr 25 Jahren existiert dieses Trio und hat bei ECM sich wohl bald jeden, aber auch wirklich jeden amerikanischen Standard zur Brust genommen und ihnen das letzte Fleisch von den Knochen genagt. Wie die drei auch noch die hinterletzte Musical-Schnulze zerlegen und wieder zu etwas großem formen können, finde ich ziemlich einzigartig. Besonderes Merkmal, das die faszinierendsten Ergebnisse hervorgebracht hat, ist das minutenlange Verharren auf den Tönen des abschließenden Akkordes, die in einem so genannten "Vamp" noch einmal minutenlang zu einem spannenden chromatischen oder modalen "Song im Song" werden.


    Brad Mehldau Trio
    Mehldau, der erste Aufmerksamkeit als Pianist des Saxophonisten Joshua Redman erlang, gründete mit Larry Grenadier und Jorge Rossy (später Jeff Ballard) ein Trio, das einerseits an das System Jarretts anknüpfte, andererseits aber das Repertoire des musikalischen Materials, das es neu zu ordnen galt, deutlich erweiterte. Plötzlich waren es z. B. auch Stücke der alternativen Brit-Popper Radiohead, die neben den Standards Einzug hielten. Auch Mehldaus Hang zur deutschen Romatik in Musik und Literatur wurde zu einem unüberhörbaren Bestandteil.


    Esbjörn Svensson Trio
    Nahezu parallel zu Mehldau wuchs in Europa das Trio des Schweden Svensson heran, später nur noch unter dem Kürzel E.S.T. firmierend, was deutlich macht, dass es sich hier wirklich um eine Gruppe und nicht mehr um drei temporär miteinander spielende Musiker handeln sollte. Auch Svensson hatte plötzlich Radiohead im Gepäck, aber ebenso Johann Sebastian Bach und die Elektroniker von Mouse on Mars. Im Unterschied zu Mehldau, Jarrett & Co, verlegte sich das Trio aus Schweden schon früh auf Eigenkompositionen und erweiterte den Klang um elektronische Verfremdungsmöglichkeiten aller drei Instrumente. Auf dem Höhepunkt des weltweiten Erfolges verstarb Svensson diesen Sommer leider auf tragische Weise.


    In den letzten Jahren erlebt das Klaviertrio einen regelrechten Boom. Ob die humorigen The Bad Plus aus New York, der Norweger Bobo Stenson, der Pole Marcin Wasilewski oder die deutsche Gruppe Triosence: Klavier, Bass und Schlagzeug bieten vielfältige Spielarten, die momentan sehr erfolgreich scheinen, sowohl künstlerisch, als auch kommerziell.


    LG
    B.

  • Etwas näher eingehen möchte ich zunächst auf Brad Mehldau, geboren 1970 in Floria. Er bekam ab seinem 6. Lebensjahr Klavierunterricht, studierte später u.a. bei Fred Hersch und Kenny Werner. Anfang der neunziger Jahre wurde er Mitglied im Quartett des unaufhaltsam aufstrebenden Saxophonisten Joshua Redman und machte sich damit einem internationalen Publikum bekannt. Recht bald doch gründete er mit Larry Grenadier und Jorge Rossy ein Trio, mit dem er am besten seine musikalischen Vorstellungen umsetzen konnte. 1999 schließlich wählte ihn der "Down Beats Readers Poll" zum Pianisten des Jahres. Seitdem behauptet er sich in der Spitze der Jazzwelt.


    Das war nicht immer selbstverständlich, warfen ihn persönliche Miseren wie Krankheit und Drogenabhängigkeit kurzfristig aus der Bahn. Dazu kam sein melancholisches Wesen, grüblerisch, ernsthaft und selbstkritisch. Sein Hang zur deutschen Romantik, sei es die Lyrik Novalis' oder die Musik Schuberts, sprach für ein großes Interesse an der deutschen Kultur und führte zu einer längeren Verweildauer in Berlin. Natürlich, seinem Naturell entsprechend, im dunkleren, schwermütigeren Ost-Berlin der Nach-Wendejahre.


    Seine immensen pianistischen Fertigkeiten, die die Bandbreite von Wynton Kelly über McCoy Tyner bis Bill Evans abbilden, konnte er ab 1995 in seinem Trio ausleben. Der Kontrapunkt Bachs, die linke Pranke Tyners, die fliegende rechte Hand Keith Jarretts, der Schwermut Schuberts und die Melancholie Nick Drakes oder Thom Yorkes: All dies kulminiert in Mehldaus Klavierspiel, das erschreckend tief in ein komplexes Seelenleben blicken lässt, gleichzeitig aber auch ob des nicht endenden Einfallsreichtums zu größter Freude Anlass bietet. Wer Brad Mehldau im Konzert erlebt, hat es mit einem ernsten Menschen zu tun, der das Publikum mit keinem Lächeln und keiner netten Ansage belohnt. Dafür bietet er die Möglichkeit, Zeuge zu werden, wie ein Musiker nach den Tönen sucht und - sobald er sie gefunden hat - diese fliegen lässt. Mehldau-Konzerte waren für mich nie einfach, sie waren keine leichte Kost. Dafür aber stets beeindruckende Zeugnisse jener Momente, in denen Musik entsteht, sich abgerungen wird und in ungeahnte Freiheiten entlassen wird.


    Können CDs das abbilden? Kaum. Dennoch mag ich auch die Einspielungen sehr, die mittlerweile eine gehörige Anzahl erreicht haben. Mittlerweile hat die Besetzung des Trios etwas gewechselt, die Essenz der Musik ist aber die gleiche geblieben.


    Als Tipp folgende drei CDs:



    The Art Of The Trio Vol. 3 - Songs
    WEA, 1998




    The Art Of The Trio Vol. 4 - Back At The Vanguard
    WEA, 1999



    Places
    WEA, 2000


    LG
    B.

  • Schöner Beitrag! Als Anspieltip möchte ich auf "River Man" (track 8 ) auf der The Art Of The Trio Vol. 3 - Songs hinweisen. Hier kann man die Fähigkeiten Mehldaus, auch aus einfachen Songs, in jüngerer Zeit auch häufig Pop-Songs, romatisch-zerissene kleine Meisterwerke zu machen, gut hören.


    Larry Grenadier und Jorge Rossy halte ich ebenfalls für sehr gute, äußerst einfühlsame Musiker, auch wenn dieses Trio ganz auf Mehldau zugeschnitten war. Dies ist ja bei vielen neueren Piano-Trios anders, bei denen die Rollenverteilung gleichgewichtiger ist, z.B. bei E.S.T. oder The Bad Plus oder auch Wollny, Kruse, Schaefers em.


    :hello: Matthias

  • Packenden, sehr treibenden Soul-Jazz ganz nach Art der späten 50er/frühen 60er bietet heute das Trio des belgischen Pianisten Eric Legnini. Legnini hat bei Richie Beirach, einem meiner Lieblingspianisten, studiert. Mir ist er live in der Gruppe des italienischen Saxophonisten Steffano DiBattista sehr positiv aufgefallen, an einigen von dessen CD-Einspielungen er auch beteiligt war. Er hat u.a. mit Branford Marsalis, Toots Thielemans, Philip Catherine und mit einer Reihe italienischen Musikern zusammengespielt.
    Auf seinen Trio-Aufnahmen erinert mich sein sehr straightes Spiel vor allem etwas an Bobby Timmons, gelegentlich auch an Kenny Barron, Sonny Clark und Horace Silver. Beim Stück "La Strada" wird es aber auch auf sehr hübsche Weise italienisch-verspielter.




    Treibender Gute-Laune-Jazz, den man auch schon mal im Hintergrund
    laufen lassen kann. Höre ich z.B. gern beim Kochen. Da macht es viel mehr Spaß, den Weihnachtsbraten vorzubereiten. :D


    Der Bassist ist bei den meisten Stücken Rosario Bonaccorso, der mich z.B. auch auf den neusten Enrico Rava CDs begeistert.


    :hello: Matthias

  • Jazz Piano-Trio einmal anders: Nicht als beständig zusammenarbeitende Gruppe, aber immer mal wieder haben sich der sehr durchdacht spielende, "kühle" Pianist Georg Graewe, der unglaublich virtuose und einfallsreiche Cellist Ernst Reijseger und der mit großer Klangfantasie spielende Schlagzeuger Gerry Hemingway zum Trio zusammengetan. Dabei entstand ein vollständig frei improvisierter Kammerjazz, bei dem man an vielen Stellen kaum glauben mag, dass hier nur "spontan komponiert" wurde.



    Mit dieser CD bin ich erst allmälich warm geworden. Wem zum Jazz groovender Swing und Power Play gehört, wird hierdran keine Freude haben. Es klingt eher etwas nach 50er-Jahre-Punktismus. Graewe spielt eher zurückhaltend, aber Reijseger und Hemingway, der hier auch Marimba und Celesta spielt, sind derart einfallsreich, dass ich dann doch in entspannter Mußestunde in die Klangwelt dieses Trios gezogen wurde und auf einmal war doch das äußerst sensible Miteinander der drei hörbar wie in einem kontinuierlich Gespräch unter sehr guten, alten Freunden, die immer noch sehr taktvoll diskret miteinander umgehen, aber auch nur noch sehr wenige Worte, kurze Andeutungen brauchen, um sich zu verstehen.
    Diesen Eindruck habe ich auch schon bei dieser etwas älteren Live-Aufnahme, aber live wird das "Gespräch" dann doch teilweise dichter.



    :hello: Matthias

  • Von den oben genannten Formationen möchte ich nun näher auf das Trio des amerikanischen Pianisten Keith Jarrett eingehen. Jarrett verdiente sich Mitte der sechziger Jahre seine ersten Sporen bei Art Blakey und bei Charles Lloyd. 1969 holte ihn Miles Davis in seine Band. Hier musste Jarrett elektrifizierte Instrumente, vornehmlich das Fender Rhodes, spielen, was ihm als nicht befriedigend erschien, es aber zähneknirschend tat, weil er schließlich bei Davis spielte. Gleichzeitig arbeitete er bereits mit einem Trio, zu dem Charlie Haden am Bass und Paul Motian am Schlagzeug gehörten.


    Die siebziger Jahre lassen sich grob in drei Bereiche aufteilen: Zum ersten gab es den Solisten Jarrett, der mit seinen ausladenden Solokonzerten für Furore sorgte, aber durchaus auch zu skeptischen Diskussionen ob der weihrauch-schwangeren Aura dieser Abende Anlass gab. Berühmt sind das "Köln Concert", aber auch die Doppel-CD "Bremen/Lausanne" oder die in Japan aufgenommenen "Sun Bear Concerts", dokumentiert auf 5 CDs. (Am Rande: Ein Bekannter von mir war in Bremen live dabei - für 5 D-Mark Eintrittt!)


    Daneben führte Jarrett ein europäisches Quartett, dem neben ihm selbst Saxophonist Jan Garbarek, Bassist Palle Danielsson und Schlagzeuger Jon Christensen angehörten. Wie seine Solomusik wurde dieses Quartett bei ECM veröffentlicht. Parallel arbeitete er mit einer amerikanischen Gruppe für das Label Impulse. Hier waren Saxophonist Dewey Redman sowie die alten Weggefährten Charlie Haden und Paul Motian seine Mitstreiter. In dieser Band tobte sich der experimentelle Jarrett aus, verband freien Jazz mit indianischer Musik, "reinen" Jazz mit europäischer Kunstmusik und griff auch schon mal selbst zum Saxophon oder zu den Rasseln.


    Im Januar 1983 ging er dann erstmals mit Bassist Gary Peacock und Schlagzeuger Jack DeJohnette für ECM ins Tonstudio, um mit diesem Trio aufzunehmen. Das Konzept war eigentlich simpel und erst einmal wenig originell: Man griff auf die Standards des "American Songbooks" zurück, knüpfte also an eine Trio-Tradition an, die von Oscar Peterson bis Bill Evans bereits erprobt war. Wie dieses geschah, war aber neu! Hier waren nunmehr Musiker zugange, die bereits alte Pfade der Tradition verlassen hatten und in unterschiedlichsten Zusammenhängen ihr musikalisches und instrumentales Rüstzeug gesammelt hatten. Peacock war neben Bassisten wie Dave Holland oder Miroslav Vitous einer jener Tieftöner, die die dank Scott LaFaro neu gewonnen Freiheiten des Basspiels in den siebziger Jahren in noch weitere Dimensionen beförderte. DeJohnette schließlich war wohl DIE Schlagzeug-Stimme nach Elvin Jones und Tony Williams, die sich vom freien Jazz bis zum Jazzrock zu einem unverkennbaren und erneuernden Vorbild entwickelt hatte. Diese Musiker machten sich nun daran, mit all diesen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Tradition neu aufzurollen. Denn was sie mit all den Gassenhauern Gershwins, Rodgers & Hammersteins, Porters u.v.a. anstellten, war wirklich neu und frisch. Der Jazz-Publizist und Pianist Michael Naura beschrieb es einmal sinngemäß so: Das Keith Jarrett Trio behandele einen alten Standard-Song so wie ein Stück Fleisch oder ein Hähnchenbein. Es nage so sehr von allen Seiten daran herum, bis die Knochen frei lägen. Oder anders gesagt: Die Strukturen der Stücke werden vorgestellt, dann zerlegt, neu zusammengesetzt und von allen Seiten beleuchtet, so als fertigten die drei eine Röntgenaufnahme des jeweiligen Stückes an.


    Dabei erreichten sie besonders eine Form des Miteinander-Musizierens und Kommunizierens, das in seinen besten Momenten den Atem verschlägt und ein Musterbeispiel für Reaktionsschnelligkeit und für das Aufeinander-Hören ist. Jeder der drei vermag blitzschnell der Musik eine neue Richtungsänderung zu geben. Manchmal kann man hören, wie sehr sie sich selbst gegenseitig überraschten, wenn einer von ihnen plötzlich unvorhergesehene Dinge tat, denen die anderen dann folgten. Natürlich birgt ein derart riskantes Musizieren auch Gefahren, wie immer, wenn man sicheren Boden verlässt und bereit ist, unter den Augen und Ohren des Publikums etwas zu wagen. In wenigen schwachen Momenten können dann schon einmal Leerlauf oder eine gewisse Orientierungslosigkeit herrschen. In den guten Momenten aber fliegt die Musik, sie nimmt einen an der Hand und führt einen in außergewöhnliche Grenzbereiche.


    Das also fing 1983 an, mit den Schallplatten Standards Vol. 1, Standards Vol. 2 und Changes, alle bei der selben Aufnahmesitzung eingespielt. Schon hier kommt auf letztgenannter Platte ein wesentliches Merkmal des Trios zur Geltung. Neben den erwähnten Standards ließ das Trio es auch immer wieder frei laufen und improvisierte ohne einen vorgefertigten Song. Beeindruckend ist auch, wie es selbst bei den Standards gelang, beispielsweise den Tonvorrat des Schlussakkords zu nutzen, um noch einmal zu langen dynamischen Bögen anzusetzen und minutenlang darüber Stücke im Stück zu erarbeiten.


    Schwierig, aus nunmehr 26 Jahren ein paar bestimmte Aufnahmen herauszugreifen. Ehrlich gesagt ermüdete ich nach den ersten 15 Jahren etwas und fragte mich, ob denn nun noch eine Live-Doppel-CD mit Standards erscheinen soll, und dann noch eine. Und ein Jahr später eine weitere. Allerdings musste ich dann bemerken, dass das Trio doch immer wieder aufs Neue überraschen kann und doch immer wieder zu besonderen Leistungen fähig ist. Meine Lieblingsaufnahmen stammen aber dennoch aus dem ersten Jahrzehnt des Bestehens dieses langlebigen Trios.



    Changes, 1983
    Diese CD gehört zur ersten Aufnahmesitzung dieses Trios, ist also "historisch" relevant...



    Changeless, 1987
    Eine Live-CD, die vier spontan improvisierte Stücke mehrerer Konzerte in den USA vereinigt. Eine CD übrigens, die ich auch mehreren Freunden, die überhaupt keinen Jazz hören, unterjubeln konnte.



    Still Live, 1986
    Mein Favorit, bis heute! Live aufgenommen in der Münchner Philharmonie im Juli 1986. Hier kann man exemplarisch hören, wie z. B. die Gassenhauer "Autumn Leaves" und "The Song Is You" am Ende in immer neue dramatische Spannungsbögen überführt werden.



    Tribute, 1989
    Mein zweiter Favorit... Diesmal war die Philharmonie in Köln der Tatort. Das Konzert ist ähnlich intensiv und voller erregender Momente wie das in München. Hier mischen sich darüber hinaus Standards mit eigenen Trio-Improvisationen.



    At The Blue Note - Complete Recordings, 1994
    Der Monolith! Aufgenommen an drei Abenden im Juni 1994 im New Yorker Club Blue Note, dokumentieren diese 6 CDs das Trio in ungewöhnlich intimer Atmosphäre, die so manche überraschende Wendung bewirkte. Besonders DeJohnette ist hier ein bewundernswert einfallsreicher, humoriger Schlagzeuger, der sich vor Ideen kaum retten kann. Die enge Club-Atmosphäre wird im Klangbild der CDs hervorragend abgebildet und steht im interessanten Kontrast zu den eher halligen Aufnahmen aus den großen Konzertsälen.


    Keine Frage: Keith Jarrett polarisiert. Vielleicht weniger musikalisch als vielmehr durch seine Persönlichkeit, die mit "divenhaft" wohl noch milde ausgedrückt ist. Von Kollegenschelte über Publikumsbeschimpfung bis zu Konzertabbrüchen reicht die Palette seiner weniger schönen Eigenschaften. Natürlich findet diese Art irgendwie auch in der Musik Ausdruck. Manchmal gerät es sehr maniriert, manchmal obsiegt das grenzenlose Jarrett'sche Ego über die Musik. Dass aber dennoch so immens viele großartige Momente dabei entstanden sind und dass man Zeuge davon sein kann, welche schwierigen Prozesse sich dahinter verbergen, Musik entstehen zu lassen, macht für mich dieses Trio so spannend. Wer sich darauf einlassen mag, wird grandiose Momente genießen, aber auch schwierige Momente miterleben dürfen. Aber ist das nicht gerade das spannende an Musik?


    LG
    B.

  • Hallo Barbirolli,


    ein schöner Artikel! Aber ich bin mit dem Keith Jarrett Trio nie richtig warm geworden. Das liegt nicht an der Konzeption oder ihrem Miteinander, das du sehr zutreffend charakterisierst, schon gar nicht an Peacock oder DeJohnette, die ich beide sehr schätze, sondern an Jarretts Klavierspiel, ohne dass ich es wirklich auf den Punkt bringen könnte, was mir an ihm so gar nicht gefällt: Zu elegant, zu vornehm, ohne auch mal rauher zu werden?
    Sein Trio mit Haden & Motion, seine Impulse-Platten besonders mit Dewey Redman, sein Spiel als Begleiter von Charles Lloyd, von dem auch seine eigenen Impulse-LPs geprägt sind, von Lloyd kam ja z.B. das Indianische, gefallen mir nach wie vor ausgesprochen gut. Auch noch viele Stücke auf den ECM - Quartet-Platten mit Garbarek, Danielsson, Christensen, obwohl auf diesen auch schon immer Stücke waren, die mich nur langweilten.
    Aber dann die ECM Soloplatten, "Köln Concert" usw, fand ich nur unerträglich: Ein konturloses, schmalzig-neoromantisches Dahinplätschern, - Edelkitsch! :kotz:


    Irgendwie hat sich seitdem sein Stil und auch sein Klavierton im Vergleich zu den tollen Impulse-Aufnahmen völlig verändert. Naklar, ich höre schon, dass er das waberig-neoromantische der Solokonzerte bei den Standards Trioeinspielungen glücklicherweise völlig hinter sich läßt, aber es bleibt etwas an seinem Stil und vor allem seinem Klavierton, was mich völlig kalt läßt oder sogar mißfällt. Sein Ton kommt mir jetzt näher an dem seiner Klassik-Aufnahmen vor, die mir auch überhaupt nicht gefallen.


    :hello: Matthias

  • Es scheint, als habe das Klaviertrio gerade Hochkonjunktur. Ältere Jazz-Recken wie Jarrett, McCoy Tyner oder Chick Corea musizieren wieder viel in dieser Formation. Die jüngere Generation hat diese Besetzung aber ebenso wieder in häufiger aufkommender Anzahl für sich entdeckt. Genannt hatten wir bereits Mehldau, Svensson, Wasilewski, Stenson (nun ja, nicht der jüngste...) oder The Bad Plus. Aber auch in Deutschland sind Trios wie Triosence oder das des Pianisten Michael Wollny erfolgreich.


    Letzten Freitag hatte ich die Freude, das Anke Helfrich Trio live zu sehen. Im Rahmen der JazzToDay-Tour trat sie an einem Abend mit der Band des Schlagzeugers Manu Katché auf, wegen dem ich eigentlich das Konzert in Bremen besucht hatte. Enttäuschte mich letzterer leider über weite Strecken, so war Anke Helfrich für mich eine große positive Überraschung. Und wieder einmal ein Beleg dafür, wie sehr sich die Live-Eindrücke doch von denen einer Studioaufnahme unterscheiden können. Helfrichs CDs hatten mich bis dato nicht sonderlich begeistern können, allerdings kannte ich sie auch nur oberflächlich.


    Gemeinsam mit dem Bassisten Henning Sieverts und dem Schlagzeuger Dejan Terzic bot sie ein von der ersten bis zur letzten Minute spannendes Konzert voller intensiver Momente gemeinsamer Kommunikation. Die Eigenkompositionen strotzten vor Ideen und überraschenden Rhythmus- und Stimmungswechseln. Helfrich bewegte sich dabei zwischen dem Flügel und dem Fender Rhodes, manchmal spielte sie gar beides gleichzeitig. Terzic war dabei ein wunderbar musikalischer Mitmusiker, der neben seinem Schlagzeug-Set noch mittels Glockenspiel oder kleinen Gongs für interessante Klangfarben sorgte und der Musik ganz leichte, federnde Unterstützung gab, voller Facetten, ohne jemals aufdringlich zu sein. (Was ganz im Kontrast zu Manu Katchés anschließendem Geknüppel stand...) Erwähnenswert ist noch, dass auch das Trio der deutschen Pianistin am Ende wieder bei Thelonious Monk landete, wie eigentlich fast alle anderen Trios auch. Monks Einfluss ist wohl nicht hoch genug einzuschätzen...


    Nach den beiden Auftritten taten sich beide Bands noch für eine gemeinsame, das Konzert beschließende Session zusammen. Und wer sorgte dort für die aufregendsten Momente? In meinen Ohren wieder Anke Helfrich am Fender! Nach diesem eindringlichen Konzertabend höre ich auch die CDs mit anderen Ohren und möchte sie gerne empfehlen.



    Stormproof
    Enja, 2008



    Better Times Ahead
    DoubleMoon, 2005


    LG
    B.

  • Was Keith Jarrett angeht, muss ich auch sagen, dass mir des öfteren das Unwort "Kitsch" in den Sinn kam, auch bei dem Album "Somewhere Before" mit Charlie Haden und Paul Motian. Ich kann mir dann allerdings nie erklären, wieso ich das so empfinde. Vielleicht kann man das nicht vergleichen, aber wenn man das Bill Evans Trio kennt, kann man sich Keith Jarrett gar nicht mehr anhören, ist meine völlig inkompetente Ansicht =)


    Meine bisherigen Lieblings- Alben vom Bill Evans Trio sind
    - The Village Vanguard Sessions mit Scott LaFaro und Paul Motion (hab ich sogar auch auf Platte, nur der Plattenspieler fehlt...)
    - Portait in Jazz (auch LaFaro und Paul Motion)
    - und vor allem The Paris Concert 1 & 2 mit Marc Johnson und Joe La Barbera, hier vor allem das unglaubliche "Nardis", das bis zum Clou nach glaube ca. 7 Minuten unerträglich spannend ist (ist schon manchmal fast unangenehm, diese Spannung finde ich, woran liegt das überhaupt?!)


    Von Bill Evans liebe ich auch die Alben mit Jim Hall, Undercurrent und Intermodulation, ich weiss nicht wieso. ich liebe Bill Evans.


    Dass Essbjörn Svensson umgekommen ist, wußte ich nicht. Tragisch. Ich hab drei Alben (Winter in Venice, From Gagarins Point of View, Good Morning Susie Soho) und ich mag sie alle drei sehr gern- von Brad Mehldau kenne ich nur "Places"... Kann mir daher wohl gar kein Kommentar erlauben- na, ich mag's nicht so sehr.


    Es gibt sicher noch sehr viele andere Trios- die Jazzwelt ist ebenso schier unendlich, will mir scheinen...


    Liebe Grüße,
    Lilith

    "Der Mensch ist nicht ganz dicht, er entweicht ins Imaginäre." (Bloch?)

  • Zitat

    Original von Lilith
    Was Keith Jarrett angeht, muss ich auch sagen, dass mir des öfteren das Unwort "Kitsch" in den Sinn kam. (...) Ich kann mir dann allerdings nie erklären, wieso ich das so empfinde. Vielleicht kann man das nicht vergleichen, aber wenn man das Bill Evans Trio kennt, kann man sich Keith Jarrett gar nicht mehr anhören, ist meine völlig inkompetente Ansicht.


    Liebe Lilith,


    ich halte deine Ansicht nicht für inkompetent, sie ist aus deiner Sicht bestimmt berechtigt. Nur: Teilen kann ich sie nicht. Ich schreibe hier als jemand, der sowohl Jarrett als auch Evans gerne hört. Allerdings sehe auch ich bei mir einen Unterschied: Höre ich Bill Evans vorbehaltlos gerne, beschleicht mich bei Keith Jarrett durchaus immer wieder ein etwas mulmiges Gefühl. Ich sprach weiter oben davon. Diese mulmigen Momente werden aber glücklicherweise immer wieder abgelöst von grandiosen Eindrücken, in denen drei Musikern eine schwebende Musik gelingt, fernab jeglicher Gravitationsgesetze. Ich empfehle da nur, in die Blue Note-Box hineinzuhören.


    Dennoch kann ich den Kitsch- und Pathos-Vorwurf verstehen. Ich erinnere mich dunkel an einen Artikel des Musikers und Publizisten Michael Naura. Dieser schrieb sinngemäß, dass ein Besucher eines Solo-Konzertes Jarretts hinter ihm raunte: "Scheiß Bayreuth...". Diese unangenehme Mischung aus Weihrauch und Walhalla wohnt den Konzerten Jarretts sicherlich inne und ich habe meine Probleme damit. Dann aber reichen mir wieder 5 Minuten "Oleo" von Sonny Rollins oder "La Valse Bleue" aus besagter Blue Note-Box - und ich bin vollauf versöhnt!


    LG
    B.

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  • Hi Barbirolli,


    ja, wahrscheinlich sollte ich mir diese Box wirklich mal zulegen...wie schön, dass Du noch weitere Trios mitaufgenommen hast, Bud Powell, auch ganz besonders...Über Oscar Peterson, der wohl 2007 verstorben ist, habe ich mal ein herzzerreißendes Feature im Radio gehört- über den Schlaganfall, den er erleiden mußte und wie er danach wieder lernte, zu spielen.


    Sollte man noch Erroll Garner, Art Tatum, Herbie Hancock mitauflisten? Ich bin mir da nicht sicher, inwiefern sie zu der "Trio"- Liste gehören können.


    Welche Sachen von Bill Evans magst Du denn besonders- und warum?


    Liebe Grüße,
    Lilith

    "Der Mensch ist nicht ganz dicht, er entweicht ins Imaginäre." (Bloch?)

  • Zitat

    Original von Barbirolli
    Am Rande: Ein Bekannter von mir war in Bremen live dabei - für 5 D-Mark Eintrittt!
    (...)

    Still Live, 1986
    Mein Favorit, bis heute! Live aufgenommen in der Münchner Philharmonie im Juli 1986


    Bei dem Konzert, das am 13. Juli 1986 im Münchener Gasteig mitgeschnitten und als Doppel-CD "Still live" auf ECM veröffentlicht wurde, war nun wiederum ich zugegen. Damals gab es in der Jazz-Welt die dramatische Nachricht, dass Keith sich verstärkt der Klassik zuwenden und mit dem Jazz mehr oder weniger aufhören wolle. In der Tat gab es dann in der Folgezeit ziemlich schwachsinnige ECM-Projekte von Jarrett mit Michaela Petri (Händel Sonaten für Blockflöte und Cembalo), mit Mozart-Klavierkonzerten, mit Bachs Wohltemperierten Klavier oder Schostakowitschs Präludien und Fugen (alles in Klavierschülermanier dargeboten: ein Kritiker bemerkte damals zurecht, dass Jarrett sich darauf beschränke, Tonhöhen mitzuteilen. In der leidenschaftslosen Manier eines Nachrichtensprechers). Aber weil man 1986 befürchtete, das Konzert im Münchener Gasteig könnte das letzte Jazz-Konzert des Magiers Jarrett werden, pilgerte man natürlich - zu astronomischen Eintrittspreisen, versteht sich - als Jazzfan dorthin. Und wurde nicht enttäuscht. Das Münchener Konzert war saugut. Eigentlich das vorletzte Mal, dass ich Jarrett richtig gut erlebt habe (das letzte Mal war einige Zeit später in der Hamburger Musikhalle, dort wiederum mit seinem Trio mit Gary Peacock und Jack DeJohnette). Was danach kam, war eigentlich nur noch traurig. Durch Jarretts schwere Erkrankung (Chronic fatigue syndrome) war er für ein Jahrzehnt mehr oder weniger außer Gefecht gesetzt. Und als er dann zurückkam, nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich tu mir das inzwischen nicht mehr an. Obwohl über 80 Jarrett-CDs im Besitz, sammele ich ihn mit seinen aktuellen Produktionen nicht mehr weiter. Hier demontiert sich ein Denkmal nur noch selbst. Ihm fällt nichts mehr ein. Ganz abgesehen davon, dass ich dieses Reproduzieren von standards im Jazz ohnehin nicht mag. Wirklich gute Jazzer komponieren sich ihre Stücke selbst (Beispiele: John Scofield, Brad Mehldau, Pat Metheny, Horace Silver, Mike Stern oder der viel zu jung verstorbene Esbjörn Svensson). Und nehmen dann vielleicht mal als Farbtupfer einen Standard hinzu. Aber bitte nicht umgekehrt: immer nur altbekannte Meterware aus dem "Great American Songbook" und dann mal als Farbtupfer eine Eigenkomposition.

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Ein von uns gerne gehörtes Klaviertrio ist die folgende Besetzung:



    • John Taylor : Piano
    • Palle Danielsson : Bass
    • Peter Erskine : Schlagzeug


    Seit den 1980er Jahren nahm Peter Erskine als Leiter des Trios mit Danielsson und Taylor eine Reihe von Alben für das Münchner Label ECM auf. Der Sound ist stark durch das Klavier geprägt. John Taylor spielt mit vielen rhythmischen Freiheiten und harmonisch sehr interessant. Der 1954 geborene Leader Peter Erskine dient nicht nur als Time-Keeper, sondern nutzt die ganzen perkussiven Möglichkeiten seines Instruments.


    Hervorheben möchten wir folgende zwei Aufnahmen



    You Never Know von 1992


    und



    As It Is von 1996


    Gruss


    romeo&julia