Die "unberühmte" Stimme

  • Liebe Taminos! Heute bin ich auf der Suche nach weiterführenden Informationen zum Lebensweg des Tenors Alexander Gillmann. Was ich bisher weiss: Der Sänger hat am Kaiserlichen Konservatorium in St. Petersburg sein Studium begonnen und später fortgesetzt bei Nikolaus Rothmühl in Berlin und Max Pauli in Köln. Erste Engagements führten ihn nach Königsberg, Aachen, Duisburg und Köln. Zu Gastspielen wurde er u. a. an die Berliner Staatsoper und an das Deutsche Theater Brünn eingeladen. Am 8. Dezember 1933 gastierte er als Don José an der Wiener Staatsoper. Seine Partnerin als Carmen war Rosette Anday während Emil Schipper den Escamillo sang. Weitere Gastspiele brachten ihn auch nach Prag und Graz. Die Spielzeit 1934/35 verbrachte Gillmann als fest verpflichtetes Mitglied am Stadttheater Zürich, wo man ihn als Don José, Tamino, Fürst Schuiskji, B. F. Pinkerton, Sänger im "Rosenkavalier", Radames, Riccardo, Manrico, Walther von Stolzing, Parsifal und Siegmund erlebte. Seinen Zürcher Einstand in "Carmen" beschrieb Willi Schuh in der "Neuen Zürcher Zeitung" wie folgt: "Neben und mit ihr [die Carmen wurde von Else Schulz gesungen] präsentierte sich [...] der neu verpflichtete Alexander Gillmann. Don José ist wohl nicht gerade die Rolle, mit der ein Heldentenor sich einzuführen wünscht; was aus ihr ersehen werden kann, ist nicht allzuviel. Aber sie liess einige sympathische Züge in Erscheinung treten: Gillmann bleibt nicht in der Schablone stecken, er weiss die Hörigkeit, das Gefangensein in der Leidenschaft glaubhaft zu gestalten und seinem markigen Tenor scheint auch der lyrische Ausdruck keineswegs versagt." (NZZ, 3. 9. 1934) - Auch der "Tagesanzeiger" besprach die Spielzeiteröffnung: "Herr Gillmann hat seine heldische Laufbahn mit dem unglückseligen Don José verheissungsvoll angetreten. Man spürte Kraft und Feuer in den entscheidenden Momenten, und was sein fülliger Tenor an lyrischem Gehalt hergibt, das wurde in der 'Blumenarie' jedermann offenbar." - Im Frühjahr 1935 sang Gillmann die Titelpartie in Wagners "Parsifal". Darüber stand in der NZZ zu lesen: "Eine Überraschung bedeutete Alexander Gillmanns Parsifal; denn dass der Künstler in dieser Rolle sein Bestes zu geben hätte, konnte man wohl kaum unbedingt erhoffen. Um so mehr erfreute seine männlich-freie und stimmlich schön gelöste Interpretation, die ihren eindrucksvollen Höhepunkt im ersten Teil des dritten Aufzuges gewann." (15. 4. 1935) Auch der "Tagesanzeiger" ging ausführlich auf Gillmanns Darstellung ein: "Alexander Gillmann, unser neuer Parsifal, gewinnt gleich beim Hereinstürzen durch die frische Jugendlichkeit seiner Erscheinung. Mancherlei psychologische Feinheiten offenbaren sich in seinem Spiel, und die Art und Weise, wie sich dieser Held während seiner Metamorphose vom 'reinen Tor' zum Gralskönig gesanglich entwickelt, hat etwas überaus Vertrauensvolles und musikalisch Beglückendes." (16. 4.1935) Seine Bühnenpartner im "Parsifal" waren Maria Bernhard-Ulbrich (Kundry), Albert Emmerich (Gurnemanz), Hans Reinmar (Amfortas), Fred Destal (Klingsor) und Georg Oeggl (Titurel). - Es scheint, dass der Sänger nach dem Zürcher Engagement nach Brünn zurückkehrte. Später, in den Jahren 1936 und 1937 findet sich noch eine Spur von ihm am Stadttheater Aussig. Aber was geschah danach mit Gillmann? Hat er die kommenden Jahre überlebt? Vielleicht weiss jemand von Euch noch mehr über sein Schicksal!? Für heute jedenfalls herzlichen Dank für das Interesse. Schöne, milde, friedliche Herbsttage wünsche ich allen :hello:Buralicchio

  • Ich fand in meinem umfangreichen Archiv über unbekannte Opern nur etwas über die Anfänge von Alexander Gillmann.


    Während des 59. "Tonkünstler Fest" des Allgemeinen Deutschen Musikvereins im Theater Duisburg fand am 5.Juli 1929 eine Aufführung von Helmut Gropps Oper GEORGE DANDIN und am 6. Juli 1929 die Uraufführung von Paul Kick-Schmidts Oper TULLIA unter der Leitung von Wilhelm Grümmer statt.

    Alexander Gillman sang die Rollen des Clitandre (George Dandin) bzw. des Collatinus (Tullia)

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Lieber Orfeo! herzlichen Dank für diese Nachricht. Habe diesbezüglich auch noch etwas beizufügen:

    Am 17. November 1934 sang Alexander Gillmann ausser dem bisher Erwähnten auch noch den Heinrich in der

    Schweizerischen Erstaufführung von Respighis Oper "Die versunkene Glocke".

    Beste Grüsse von Buralicchio:hello:

  • Sergio Barlottini (1924 – 2004)


    Ein Sänger, der seine Spuren in Linz hinterlassen hat (auch in meiner Familie) und ein paar außergewöhnliche Highlights in seiner Laufbahn erleben durfte. Im Herbst seiner Karriere war er zufrieden als Chorsänger in seiner Heimatstadt.


    Geboren wurde er im Mai 1924 in Verona. Relativ spät entschloss er sich für eine Gesangsausbildung. Seine ersten Lehrer waren die Mitbürger Bariton Conati und Tenor Lugo. Dann wandte er sich an Ettore Campogalliani, den berühmten Gesangslehrer vieler Kollegen, der Barlottinis Stimme, die in Timbre und Klang ausgesprochen dramatisch war, verfeinerte. Eine Quelle besagt, dass er 1954 mit dem Singen begann.


    Das erste nachweisbare Engagement führte ihn nach Linz. Am 1. November 1958 hatte er dort seinen ersten Auftritt in der Schubert-Bearbeitung „Die Wunderinsel“. Kurz nach der Ankunft Barlottinis wurde das vom berühmten Architekten Clemens Holzmeister neu umgestaltete „Große Haus“ mit „Arabella“ wiedereröffnet, Barlottini war als Elemer dabei. Bald wurde er zum Ersten Tenor am Haus und konnte sich durch das ganze gängige romanische Repertoire singen (Butterfly, Bohème, Tosca, Aida, Rigoletto, Troubadour, Otello, Carmen, Bajazzo, Cavalleria) – allerdings standen auch Operetten (Fledermaus, Zigeunerbaron) oder ein paar echte Kuriositäten unter Mitwirkung Barlottinis am Programm, zum Beispiel die Opern „Sonnwendnacht“ (Rimsky-Korsakov), „Notre Dame“ (Schmid), „Dantons Tod“ (von Einem), „Griechische Passion“ (Martinu) oder das erwähnte „Die Wunderinsel“. Das Linzer Landestheater war und ist durchaus nicht zu unterschätzen. Immer wieder alternierte Barlottini etwa mit Helge Rosvaenge in den typisch italienischen Rollen, die kurioserweise – auch von ihm als Italiener – alle auf Deutsch gesungen werden mussten.


    Es existieren schöne Fotos von Barlottinis Zeit in Linz, die einen feschen und gut gebauten Mann zeigen, der bestimmt eine sehr ansehnliche Bühnenerscheinung abgab. Zeitzeugen berichten, dass er von den Damen sehr umschwärmt wurde. In seiner Linzer Zeit machte er dann aber die Bekanntschaft einer jungen Chorsängerin aus Wien, die er bald heiratete. 1966 wurde dem Paar in Linz ein gemeinsamer Sohn geboren.


    Besonders fruchtbar für Barlottini waren zweifellos jene paar Monate, die der „Sängerdirigent“ Giuseppe Patané in Linz verbrachte. Drei Partien (Troubadour, Tosca, Sonnwendnacht) studierte er unter dessen Führung ein, bevor Patané – trotz großer künstlerischer Erfolge – nach einem halben Jahr als Kapellmeister gekündigt wurde, weil das Landesarbeitsamt Oberösterreich auf einen einheimischen Dirigenten bestand.


    Die Leistungen Barlottinis wurden genau beobachtet, so hieß es anlässlich einer „Cavallaria/Bajazzo“-Aufführung 1960 im „Linzer Amtsblatt“: Sergio Barlottini machte vor allem stimmlich in den beiden Tenorpartien einen viel günstigeren Eindruck als in seinen vorjährigen Opernrollen. Zeitgenössische oberösterreichische Kritiker stießen sich hauptsächlich an eingeschränkten Gesangsleistungen, weil der Sänger mit dem deutschen Text größte Probleme hatte. Barlottinis Stimme wurde mit der Zeit immer schwerer, sodass er in „Die lustigen Weiber von Windsor“ sogar eine Bariton-Partie sang, alternierend mit Kurt Ruzicka. Daneben war der Tenor anscheinend auch an anderen österreichischen Theatern aktiv – vor den Zeiten der Globalisierung und des internationalen Jet-Sets half man sich innerhalb Österreichs natürlich vor allem mit hier ansässigen Kräften gegenseitig aus. Nachfolger als „Haustenöre“ in Linz waren etwa Hans Kotthammer (zweite Periode), William Ingle und nicht zuletzt Piotr Beczala. Auch die Weltkarrieren eines Hans Beirer, Hugh Beresford oder Norman Bailey (häufiger Partner Barlottinis) hatten in Linz begonnen.


    Für Sergio Barlottini sollte es von Linz aus ebenfalls in die Welt hinausgehen, nachdem er an die sechs Jahre dort verbracht hatte. Schon im März 1961 hatte er ein einmaliges Gastspiel als Canio an der Wiener Staatsoper gegeben. Das hört sich allerdings nach mehr an, als es tatsächlich war. Es handelte sich nämlich um eine Nachmittagsvorstellung um 14 Uhr an einem Sonntag. Am Hauptabend folgte damals noch ein Ballett. Nichtsdestoweniger muss es für Sergio Barlottini etwas ganz Besonderes gewesen sein, an diesem gegenüber Linz dreimal größeren Theater eine begehrte Hauptrolle gesungen zu haben – seine Partner hießen immerhin Wilma Lipp, Aldo Protti oder Ermanno Lorenzi. Und dann wurde hier auch noch Italienisch gesungen!


    Im Jahr 1964 wechselte Sergio Barlottini wohl in den Status als freier Künstler. Im Februar hatte er ein Engagement an der bedeutenden Brüsseler Oper „La Monnaie“ als Otello. Er sang drei Aufführungen unter Alberto Erede an der Seite von Luisa Bosabalian als Desdemona. Sie war es dann wohl auch, die ihm zu seinem nächsten Engagement verhalf, denn sie war im Mai darauf wiederum als Desdemona die fixe Konstante in der Scotland Opera Company. Eigentlich sangen Ronald Dowd und Charles Craig alternierend den Otello, aber für eine Vorstellung in Glasgow benötigte man einen dritten Tenor für die Partie. Sehr wahrscheinlich, dass Bosabalian sich ihres Partners aus Brüssel erinnerte.


    Zwei Quelle nennen außerdem sogar einen Auftritt Barlottinis als Otello im Royal Opera House am Covent Garden neben Tito Gobbi und Rajna Kabaiwanska. Leider gibt es dazu keine Aufzeichnungen in London, vermutlich aber war das im April 1964 als Einspringer für James McCracken.


    Sergio Barlottini scheint sich in dieser Karrierephase ohnehin auf das Einspringen bzw. sogar auf Engagements als Cover für große Stars spezialisiert zu haben. Gerade sogenannte tenore robusto, die für Otello oder auch Wagner-Rollen (im speziellen Fall in Italien) prädestiniert sind, gehören zu einer seltenen Spezies. Wenn ein solcher dann ein Star und schon etwas älter ist – namentlich Mario Del Monaco – rentiert es sich für große Opernhäuser, einen verlässlichen Einspringer an der Hand zu haben. Denn wenn der Star indisponiert ist – und so etwas konnte ständig vorkommen – fände man ansonsten bestimmt nicht schnell einen adäquaten Ersatz für das schwere italienische Tenorfach.


    Barlottini reiste angeblich z.B. nach Berlin und Mailand, um als Cover neben Del Monaco auch für einen Bergonzi oder Limarilli bereitzustehen. Manchmal kam es dabei wohl zu Einsätzen, zehnmal soll er den Otello in Deutschland gesungen haben (nachweislich etwa in Ulm).


    Verbürgt ist ein Engagement an der Oper Sahnesi in Ankara in Bellinis „Norma“. Sergio Barlottini sang fünf Vorstellungen in der Originalsprache, während alle anderen Interpreten sie auf Türkisch aufführten.


    Im Jahr 1966 wurde ein Artikel über ihn verfasst, der ihm beschied, dass er ein Künstler sei, der in der Öffentlichkeit große Beachtung gefunden habe. In einem anderen Bericht hieß es, dass Barlottini als Solist über 500 Vorstellungen absolviert habe, davon etwa fünfzig in der Rolle des Otello.


    Ab Mitte der 1960er-Jahre verliert sich aber etwas seine Spur. Er kehrte wohl bald mit seiner österreichischen Frau und dem Sohn, der standesgemäß den Namen Otello erhalten hatte, in seine Heimat nach Verona zurück. Heute arbeitet Otello Barlottini übrigens in der Logistikabteilung der Arena di Verona. Auch Vater Barlottini sang in der Arena, und zwar als ständiges Chormitglied ab etwa Mitte der 1970er-Jahre. Als der Chor des Linzer Landetheaters für Auftritte im Mozart-Jahr 1991 nach Verona reiste, kam es vielleicht zu einem Wiedersehen mit ehemaligen Kollegen. Zumindest erinnert sich ein Chormitglied an eine Begegnung mit Sergio Barlottinis Frau.


    Im Juni 2004 ist Sergio Barlottini nach längerer, schwerer Krankheit mit 80 Jahren in Verona verstorben.


    Familiäre Verbindung: Meine Großmutter kannte Sergio Barlottini in seiner Linzer Anfangszeit gut. Sie konnte ein bisschen Italienisch und begleitete den vermutlich noch kaum Deutsch sprechenden Barlottini in Linzer Geschäfte für erste Besorgungen, die man macht, um einen notdürftigen Hausstand zu gründen: Bettwäsche, Geschirr usw. Außerdem war sie eine Ansprechpartnerin für den Tenor, wenn es darum ging, deutsche Wörter aus den zu lernenden Texten richtig auszusprechen. Ein Wort, mit dem sich der Italiener in der Erinnerung meiner Großmutter besonders schwertat, war „Täubchen“ aus der berühmten Romanze des Alfred in „Die Fledermaus“. Barlottini sang in dieser Operette im Dezember 1958.


    Sergio Barlottini war auch zu Gast in der großelterlichen Wohnung und es ist eine bekannte überlieferte Geschichte in meiner Familie, dass er bei einer dieser Gelegenheiten im kleinen Wohnzimmer „Mama“, den populären Schlager von Beniamino Gigli, schmetterte.


    Weiß jemand noch etwas über den Tenor Sergio Barlottini?