Die "unberühmte" Stimme

  • Liebe Taminos! Heute bin ich auf der Suche nach weiterführenden Informationen zum Lebensweg des Tenors Alexander Gillmann. Was ich bisher weiss: Der Sänger hat am Kaiserlichen Konservatorium in St. Petersburg sein Studium begonnen und später fortgesetzt bei Nikolaus Rothmühl in Berlin und Max Pauli in Köln. Erste Engagements führten ihn nach Königsberg, Aachen, Duisburg und Köln. Zu Gastspielen wurde er u. a. an die Berliner Staatsoper und an das Deutsche Theater Brünn eingeladen. Am 8. Dezember 1933 gastierte er als Don José an der Wiener Staatsoper. Seine Partnerin als Carmen war Rosette Anday während Emil Schipper den Escamillo sang. Weitere Gastspiele brachten ihn auch nach Prag und Graz. Die Spielzeit 1934/35 verbrachte Gillmann als fest verpflichtetes Mitglied am Stadttheater Zürich, wo man ihn als Don José, Tamino, Fürst Schuiskji, B. F. Pinkerton, Sänger im "Rosenkavalier", Radames, Riccardo, Manrico, Walther von Stolzing, Parsifal und Siegmund erlebte. Seinen Zürcher Einstand in "Carmen" beschrieb Willi Schuh in der "Neuen Zürcher Zeitung" wie folgt: "Neben und mit ihr [die Carmen wurde von Else Schulz gesungen] präsentierte sich [...] der neu verpflichtete Alexander Gillmann. Don José ist wohl nicht gerade die Rolle, mit der ein Heldentenor sich einzuführen wünscht; was aus ihr ersehen werden kann, ist nicht allzuviel. Aber sie liess einige sympathische Züge in Erscheinung treten: Gillmann bleibt nicht in der Schablone stecken, er weiss die Hörigkeit, das Gefangensein in der Leidenschaft glaubhaft zu gestalten und seinem markigen Tenor scheint auch der lyrische Ausdruck keineswegs versagt." (NZZ, 3. 9. 1934) - Auch der "Tagesanzeiger" besprach die Spielzeiteröffnung: "Herr Gillmann hat seine heldische Laufbahn mit dem unglückseligen Don José verheissungsvoll angetreten. Man spürte Kraft und Feuer in den entscheidenden Momenten, und was sein fülliger Tenor an lyrischem Gehalt hergibt, das wurde in der 'Blumenarie' jedermann offenbar." - Im Frühjahr 1935 sang Gillmann die Titelpartie in Wagners "Parsifal". Darüber stand in der NZZ zu lesen: "Eine Überraschung bedeutete Alexander Gillmanns Parsifal; denn dass der Künstler in dieser Rolle sein Bestes zu geben hätte, konnte man wohl kaum unbedingt erhoffen. Um so mehr erfreute seine männlich-freie und stimmlich schön gelöste Interpretation, die ihren eindrucksvollen Höhepunkt im ersten Teil des dritten Aufzuges gewann." (15. 4. 1935) Auch der "Tagesanzeiger" ging ausführlich auf Gillmanns Darstellung ein: "Alexander Gillmann, unser neuer Parsifal, gewinnt gleich beim Hereinstürzen durch die frische Jugendlichkeit seiner Erscheinung. Mancherlei psychologische Feinheiten offenbaren sich in seinem Spiel, und die Art und Weise, wie sich dieser Held während seiner Metamorphose vom 'reinen Tor' zum Gralskönig gesanglich entwickelt, hat etwas überaus Vertrauensvolles und musikalisch Beglückendes." (16. 4.1935) Seine Bühnenpartner im "Parsifal" waren Maria Bernhard-Ulbrich (Kundry), Albert Emmerich (Gurnemanz), Hans Reinmar (Amfortas), Fred Destal (Klingsor) und Georg Oeggl (Titurel). - Es scheint, dass der Sänger nach dem Zürcher Engagement nach Brünn zurückkehrte. Später, in den Jahren 1936 und 1937 findet sich noch eine Spur von ihm am Stadttheater Aussig. Aber was geschah danach mit Gillmann? Hat er die kommenden Jahre überlebt? Vielleicht weiss jemand von Euch noch mehr über sein Schicksal!? Für heute jedenfalls herzlichen Dank für das Interesse. Schöne, milde, friedliche Herbsttage wünsche ich allen :hello:Buralicchio

  • Ich fand in meinem umfangreichen Archiv über unbekannte Opern nur etwas über die Anfänge von Alexander Gillmann.


    Während des 59. "Tonkünstler Fest" des Allgemeinen Deutschen Musikvereins im Theater Duisburg fand am 5.Juli 1929 eine Aufführung von Helmut Gropps Oper GEORGE DANDIN und am 6. Juli 1929 die Uraufführung von Paul Kick-Schmidts Oper TULLIA unter der Leitung von Wilhelm Grümmer statt.

    Alexander Gillman sang die Rollen des Clitandre (George Dandin) bzw. des Collatinus (Tullia)

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Lieber Orfeo! herzlichen Dank für diese Nachricht. Habe diesbezüglich auch noch etwas beizufügen:

    Am 17. November 1934 sang Alexander Gillmann ausser dem bisher Erwähnten auch noch den Heinrich in der

    Schweizerischen Erstaufführung von Respighis Oper "Die versunkene Glocke".

    Beste Grüsse von Buralicchio:hello:

  • Sergio Barlottini (1924 – 2004)


    Ein Sänger, der seine Spuren in Linz hinterlassen hat (auch in meiner Familie) und ein paar außergewöhnliche Highlights in seiner Laufbahn erleben durfte. Im Herbst seiner Karriere war er zufrieden als Chorsänger in seiner Heimatstadt.


    Geboren wurde er im Mai 1924 in Verona. Relativ spät entschloss er sich für eine Gesangsausbildung. Seine ersten Lehrer waren die Mitbürger Bariton Conati und Tenor Lugo. Dann wandte er sich an Ettore Campogalliani, den berühmten Gesangslehrer vieler Kollegen, der Barlottinis Stimme, die in Timbre und Klang ausgesprochen dramatisch war, verfeinerte. Eine Quelle besagt, dass er 1954 mit dem Singen begann.


    Das erste nachweisbare Engagement führte ihn nach Linz. Am 1. November 1958 hatte er dort seinen ersten Auftritt in der Schubert-Bearbeitung „Die Wunderinsel“. Kurz nach der Ankunft Barlottinis wurde das vom berühmten Architekten Clemens Holzmeister neu umgestaltete „Große Haus“ mit „Arabella“ wiedereröffnet, Barlottini war als Elemer dabei. Bald wurde er zum Ersten Tenor am Haus und konnte sich durch das ganze gängige romanische Repertoire singen (Butterfly, Bohème, Tosca, Aida, Rigoletto, Troubadour, Otello, Carmen, Bajazzo, Cavalleria) – allerdings standen auch Operetten (Fledermaus, Zigeunerbaron) oder ein paar echte Kuriositäten unter Mitwirkung Barlottinis am Programm, zum Beispiel die Opern „Sonnwendnacht“ (Rimsky-Korsakov), „Notre Dame“ (Schmid), „Dantons Tod“ (von Einem), „Griechische Passion“ (Martinu) oder das erwähnte „Die Wunderinsel“. Das Linzer Landestheater war und ist durchaus nicht zu unterschätzen. Immer wieder alternierte Barlottini etwa mit Helge Rosvaenge in den typisch italienischen Rollen, die kurioserweise – auch von ihm als Italiener – alle auf Deutsch gesungen werden mussten.


    Es existieren schöne Fotos von Barlottinis Zeit in Linz, die einen feschen und gut gebauten Mann zeigen, der bestimmt eine sehr ansehnliche Bühnenerscheinung abgab. Zeitzeugen berichten, dass er von den Damen sehr umschwärmt wurde. In seiner Linzer Zeit machte er dann aber die Bekanntschaft einer jungen Chorsängerin aus Wien, die er bald heiratete. 1966 wurde dem Paar in Linz ein gemeinsamer Sohn geboren.


    Besonders fruchtbar für Barlottini waren zweifellos jene paar Monate, die der „Sängerdirigent“ Giuseppe Patané in Linz verbrachte. Drei Partien (Troubadour, Tosca, Sonnwendnacht) studierte er unter dessen Führung ein, bevor Patané – trotz großer künstlerischer Erfolge – nach einem halben Jahr als Kapellmeister gekündigt wurde, weil das Landesarbeitsamt Oberösterreich auf einen einheimischen Dirigenten bestand.


    Die Leistungen Barlottinis wurden genau beobachtet, so hieß es anlässlich einer „Cavallaria/Bajazzo“-Aufführung 1960 im „Linzer Amtsblatt“: Sergio Barlottini machte vor allem stimmlich in den beiden Tenorpartien einen viel günstigeren Eindruck als in seinen vorjährigen Opernrollen. Zeitgenössische oberösterreichische Kritiker stießen sich hauptsächlich an eingeschränkten Gesangsleistungen, weil der Sänger mit dem deutschen Text größte Probleme hatte. Barlottinis Stimme wurde mit der Zeit immer schwerer, sodass er in „Die lustigen Weiber von Windsor“ sogar eine Bariton-Partie sang, alternierend mit Kurt Ruzicka. Daneben war der Tenor anscheinend auch an anderen österreichischen Theatern aktiv – vor den Zeiten der Globalisierung und des internationalen Jet-Sets half man sich innerhalb Österreichs natürlich vor allem mit hier ansässigen Kräften gegenseitig aus. Nachfolger als „Haustenöre“ in Linz waren etwa Hans Kotthammer (zweite Periode), William Ingle und nicht zuletzt Piotr Beczala. Auch die Weltkarrieren eines Hans Beirer, Hugh Beresford oder Norman Bailey (häufiger Partner Barlottinis) hatten in Linz begonnen.


    Für Sergio Barlottini sollte es von Linz aus ebenfalls in die Welt hinausgehen, nachdem er an die sechs Jahre dort verbracht hatte. Schon im März 1961 hatte er ein einmaliges Gastspiel als Canio an der Wiener Staatsoper gegeben. Das hört sich allerdings nach mehr an, als es tatsächlich war. Es handelte sich nämlich um eine Nachmittagsvorstellung um 14 Uhr an einem Sonntag. Am Hauptabend folgte damals noch ein Ballett. Nichtsdestoweniger muss es für Sergio Barlottini etwas ganz Besonderes gewesen sein, an diesem gegenüber Linz dreimal größeren Theater eine begehrte Hauptrolle gesungen zu haben – seine Partner hießen immerhin Wilma Lipp, Aldo Protti oder Ermanno Lorenzi. Und dann wurde hier auch noch Italienisch gesungen!


    Im Jahr 1964 wechselte Sergio Barlottini wohl in den Status als freier Künstler. Im Februar hatte er ein Engagement an der bedeutenden Brüsseler Oper „La Monnaie“ als Otello. Er sang drei Aufführungen unter Alberto Erede an der Seite von Luisa Bosabalian als Desdemona. Sie war es dann wohl auch, die ihm zu seinem nächsten Engagement verhalf, denn sie war im Mai darauf wiederum als Desdemona die fixe Konstante in der Scotland Opera Company. Eigentlich sangen Ronald Dowd und Charles Craig alternierend den Otello, aber für eine Vorstellung in Glasgow benötigte man einen dritten Tenor für die Partie. Sehr wahrscheinlich, dass Bosabalian sich ihres Partners aus Brüssel erinnerte.


    Zwei Quelle nennen außerdem sogar einen Auftritt Barlottinis als Otello im Royal Opera House am Covent Garden neben Tito Gobbi und Rajna Kabaiwanska. Leider gibt es dazu keine Aufzeichnungen in London, vermutlich aber war das im April 1964 als Einspringer für James McCracken.


    Sergio Barlottini scheint sich in dieser Karrierephase ohnehin auf das Einspringen bzw. sogar auf Engagements als Cover für große Stars spezialisiert zu haben. Gerade sogenannte tenore robusto, die für Otello oder auch Wagner-Rollen (im speziellen Fall in Italien) prädestiniert sind, gehören zu einer seltenen Spezies. Wenn ein solcher dann ein Star und schon etwas älter ist – namentlich Mario Del Monaco – rentiert es sich für große Opernhäuser, einen verlässlichen Einspringer an der Hand zu haben. Denn wenn der Star indisponiert ist – und so etwas konnte ständig vorkommen – fände man ansonsten bestimmt nicht schnell einen adäquaten Ersatz für das schwere italienische Tenorfach.


    Barlottini reiste angeblich z.B. nach Berlin und Mailand, um als Cover neben Del Monaco auch für einen Bergonzi oder Limarilli bereitzustehen. Manchmal kam es dabei wohl zu Einsätzen, zehnmal soll er den Otello in Deutschland gesungen haben (nachweislich etwa in Ulm).


    Verbürgt ist ein Engagement an der Oper Sahnesi in Ankara in Bellinis „Norma“. Sergio Barlottini sang fünf Vorstellungen in der Originalsprache, während alle anderen Interpreten sie auf Türkisch aufführten.


    Im Jahr 1966 wurde ein Artikel über ihn verfasst, der ihm beschied, dass er ein Künstler sei, der in der Öffentlichkeit große Beachtung gefunden habe. In einem anderen Bericht hieß es, dass Barlottini als Solist über 500 Vorstellungen absolviert habe, davon etwa fünfzig in der Rolle des Otello.


    Ab Mitte der 1960er-Jahre verliert sich aber etwas seine Spur. Er kehrte wohl bald mit seiner österreichischen Frau und dem Sohn, der standesgemäß den Namen Otello erhalten hatte, in seine Heimat nach Verona zurück. Heute arbeitet Otello Barlottini übrigens in der Logistikabteilung der Arena di Verona. Auch Vater Barlottini sang in der Arena, und zwar als ständiges Chormitglied ab etwa Mitte der 1970er-Jahre. Als der Chor des Linzer Landetheaters für Auftritte im Mozart-Jahr 1991 nach Verona reiste, kam es vielleicht zu einem Wiedersehen mit ehemaligen Kollegen. Zumindest erinnert sich ein Chormitglied an eine Begegnung mit Sergio Barlottinis Frau.


    Im Juni 2004 ist Sergio Barlottini nach längerer, schwerer Krankheit mit 80 Jahren in Verona verstorben.


    Familiäre Verbindung: Meine Großmutter kannte Sergio Barlottini in seiner Linzer Anfangszeit gut. Sie konnte ein bisschen Italienisch und begleitete den vermutlich noch kaum Deutsch sprechenden Barlottini in Linzer Geschäfte für erste Besorgungen, die man macht, um einen notdürftigen Hausstand zu gründen: Bettwäsche, Geschirr usw. Außerdem war sie eine Ansprechpartnerin für den Tenor, wenn es darum ging, deutsche Wörter aus den zu lernenden Texten richtig auszusprechen. Ein Wort, mit dem sich der Italiener in der Erinnerung meiner Großmutter besonders schwertat, war „Täubchen“ aus der berühmten Romanze des Alfred in „Die Fledermaus“. Barlottini sang in dieser Operette im Dezember 1958.


    Sergio Barlottini war auch zu Gast in der großelterlichen Wohnung und es ist eine bekannte überlieferte Geschichte in meiner Familie, dass er bei einer dieser Gelegenheiten im kleinen Wohnzimmer „Mama“, den populären Schlager von Beniamino Gigli, schmetterte.


    Weiß jemand noch etwas über den Tenor Sergio Barlottini?

  • Liebe Taminos:hello:es liegt mir am Herzen, heute eines Sängers zu gedenken, der am 29. April 1905 in München geboren wurde. Somit wäre er heute 120 Jahre alt geworden. Ich bin mir fast sicher, dass es in der Tamino-Gemeinschaft niemanden gibt, der seinen Namen je gehört hat. Sollte es anders sein, würde ich mich über jede Erinnerung an ihn, jedes Echo enorm freuen. Nun aber: Wer war dieser Sänger? Es geht um Adrian van der Heide, den Sohn eines niederländischen Kunstmalers, der sich in Deutschland niedergelassen hatte. Van der Heide studierte in München zuerst beim Tenor Matthäus Römer, wechselte später zum Bassisten Paul Bender und erhielt an der Akademie der Tonkunst szenischen Unterricht bei Anna Bahr-Mildenburg. In den alljährlich veranstalteten Aufführungen zum Ende des Studienjahres inszenierte Frau Bahr-Mildenburg mit ihren Studenten - entweder in der Staatsoper oder im Prinzregententheater - jeweils ausgewählte Opernszenen, ganze Akte beispielsweise aus der "Entführung aus dem Serail" oder den "Lustigen Weibern von Windsor" und auch geeignete Operneinakter wie Mozarts "Bastien und Bastienne" und Webers "Abu Hassan". Da war Adrian van der Heide immer dabei, sang in den Jahren 1931-1934 den Colas, den Omar und in den grösseren Opernszenen auch Baculus, Osmin und Sir John Falstaff. Häufig wurde in diesem Rahmen sein darstellerisches Talent ausdrücklich gelobt, aber immer wieder wurde auch darauf hingewiesen, dass er seine "an sich charakteristische, umfangreiche Bassstimme sorglicher pflegen" müsse. In einer Kritik einer Münchner Tageszeitung aus dem Jahre 1934 wurde die Aufführung der Akademie der Tonkunst im Prinzregententheater besprochen, daraus ein Ausschnitt: "Eine Meisterleistung der Regie war die Gestaltung des zweiten Aktes aus den lustigen 'Weibern von Windsor'. Fragmente aus weiteren Opern: aus 'Fidelio', 'Troubadour', 'Waffenschmied' und 'Maskenball' vervollständigten das Programm. [...] Eine in jedem Betracht sehr reife Leistung der Stadinger von Josef Greindl . Ein schön und markig klingendes Organ, wohl beherrscht, einem gewandten Spiel dienstbar gemacht. Ein brauchbarer Tenorbuffo ist schon jetzt Rupprecht Dietrich. Gute und trefflich geschulte Stimmen hörte man noch von Hermann Guttendobler, Udo Hussla und Adriaan van der Heide (der einen auffallend charakteristischen und im Spiel auffallend sicheren Falstaff auf die Bühne stellte) und Paul Werder." Mit Ausnahme von Josef Greindl mag man sich wohl kaum mehr an irgend einen der erwähnten Sänger erinnern. - Nach einem ersten Stückvertrag am Deutschen Theater München wurde Adrian van der Heide (auf das holländische zweite 'a' in seinem Vornamen wurde später verzichtet) von Intendant Gernot Burrow als Bassbuffo und Charakterbass an das Landestheater Neustrelitz verpflichtet. Bis 1937 blieb er dort im Engagement, trat nicht nur in Oper und Operetten auf, sondern errang auch in wichtigen Schauspielrollen Anerkennung und gar Beliebtheit. Er sang an diesem Theater den Colas (Bastien und Bastienne), Plumkett (Martha), Don Fernandez de Mirabillas (Don Cesar), Direktor Frank (Fledermaus), Homonay (Zigeunerbaron), Holzhacker (Königskinder), Talpa und Betto (Tabarro und Gianni Schicchi), König (Aida), Don Fernando (Fidelio), Uberto (Serva padrona) und neben weiteren Partien auch den Kaspar im "Freischütz": "Den Kaspar formt Adrian van der Heide in Spiel und Gesang zu einer packenden Charakterstudie. Mit physischer Spannkraft und grimmigem Humor bewältigt er die umfangreiche Partie, wobei er auch trotz aller Dämonie einen Blick in die seelische Zerrissenheit dieses 'Untieres' freigibt. Prägnant gestaltet er das Trinklied, und seine grosse Arie in der letzten Szene des ersten Aufzuges wird zu einem erschütternden Credo. Entsprechend gelingen ihm das Agitato und das Melodram in der Wolfsschlucht." (Wilhelm Bull in der Landes-Zeitung am 12. November 1935). Im Sommer 1937 wurde ihm eine Vertragsverlängerung angeboten, jedoch ohne Zusicherung, in der neuen Spielzeit 1937/38 die ersehnten Partien des Kezal und des Baculus singen zu können. Voreilig und über alle Massen enttäuscht trat er vom neuen Vertrag zurück und blieb für einige Zeit ohne Engagement bevor er 1942-1944 an das Stadttheater Guben verpflichtet wurde. Der Intendant, Curt Asmus-Bach, war ihm sehr gewogen und schätzte auch ausdrücklich van der Heides Gattin, die Schweizer Sopranistin Annemarie Wenner, welche in Guben in diesen Jahren gastweise für die Mimì wie auch die Titelpartie in "Madama Butterfly" engagiert wurde. Durch die Wirren des Krieges vorerst aus der Bahn geraten, gelangte das Ehepaar schliesslich in die Schweiz, nach St. Gallen, der Heimatstadt von Annemarie Wenner. Da sich beide nun ohne Einkommen in einer schwierigen Lage befanden, ergriff der handwerklich geschickte Adrian van der Heide die sich ihm zufällig bietende Gelegenheit, und arbeitete einige Zeit in einer Schreinerei. In der Saison 1946/47 kam es im Stadttheater St. Gallen durch unerwartete Vakanzen zu personellen Engpässen. Für das Paar war das wie eine Fügung des Himmels. Sie wurden beide engagiert, blieben bis 1972 am St. Galler Theater. Sie sangen meist kleinere Partien in Oper, Operette, spielten im Schauspiel auch eher in Episodenrollen, wirkten im Chor mit und wurden sogar im Ballett mit pantomimischen Aufgaben betraut. Adrian van der Heide wurde hin und wieder auch als Inspizient eingesetzt, eine oft schwierige Aufgabe, die er zwar gewissenhaft, aber doch eher ungern versah. Im Laufe der Zeit bemerkte man, mit welcher Liebe, mit was für einer wundervollen Präzision van der Heide seinen zum Teil winzigen Auftritten Leben verlieh. Zwei Beispiele seien hier erwähnt. Das erste betrifft Mozarts "Hochzeit des Figaro", darin van der Heide den Gärtner Antonio sang: "Wie freute man sich an der treu rapportierenden Dienerseele des Gärtners Antonio, die Adrian van der Heide so ergötzlich mimte. Dieser Schauspieler versteht es immer wieder, bei verschiedensten Aufgaben, die Bedeutung kleinerer Rollen ins Licht zu rücken." (Die Ostschweiz, Januar 1954) - Das zweite Beispiel betrifft Gerhart Hauptmanns Stück "Der Biberpelz": "So lässt sich zum Beispiel überhaupt keine bessere Verwirklichung des bieder-verschlagenen Julius Wolff denken, als sie Adrian van der Heide gelang. Jeder Blick, jede Bewegung 'sass', und selbst sein seltsames Berliner Sprach-Kauderwelsch konnte das gar nicht beeinträchtigen. Dafür feierte er Triumphe in seinem unartikulierten Gebrumm, mit dem er jedesmal die Machenschaften und Befehle seiner Frau als einzige, ihm gebliebene 'Machtäusserung' quittierte." (Die Volksstimme, Oktober 1964). - Adrian van der Heides Leidenschaft galt dem Gesang. Auch in St. Gallen bemühte er sich noch lange um eine Verbesserung seiner Gesangstechnik. So nahm er beispielsweise bei dem vom Zürcher Opernhaus in St. Gallen gastierenden Alois Pernerstorfer wieder Unterricht. Zusammen mit seiner Gattin trat er auch ab und an in sogenannt 'Bunten Abenden' auf. Dabei begleiteten sie sich selber an Gitarren und sangen u. a. Lautenlieder von Frank Wedekind. - Im Frühjahr 1947 stand Adrian van der Heide als Zuniga in "Carmen" zum ersten Mal auf der Bühne des Stadttheaters St. Gallen - im Juni 1972 nahm er zusammen mit seiner Frau als Teppichhändler-Paar in Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" Abschied vom Theaterleben. Am 6. August 1990 starb Annemarie Wenner überraschend nach einem gemeinsamen Spaziergang. Adrian van der Heide - einsam geworden - folgte ihr am 6. Februar 2000.

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  • Lieber Buralicchio!


    Eine schönere Würdigung kann man sich für diesen Künstler kaum vorstellen.

    Man fühlt sich ihm durch dein Porträt nahe.

    Wie bist du an all die Informationen gekommen?

    Hast du ihn selbst gekannt?


    LG greghauser

  • Den ausführlichen Beitrag von Buralicchio habe ich auch gelesen. Interessant find ich, dass mit Adrian van der Heide ein Künstler vorgestellt wird, der als Sänger und Schauspieler gleichermaßen erfolgreich war. Das kommt so häufig nun auch wieder nicht vor. Leider können wir uns selbst von dieser Doppelbegabung kein eigenes Bild machen, sind auf das angewiesen, was andere dazu verbreitet haben. Es exsitieren offenbar keine Dokumente - sonst wären sie von Buralicchio gewiss erwähnt worden. Mir ist jedenfalls nichts bekannt. Das ist schade. Insofern dürfte es um die Erinnerung schwierig bestellt sein.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Herzlichen Dank für die Meldungen von greghauser und Rheingold1876! Habe mich sehr darüber gefreut. Es ist tatsächlich so, dass ich Adrian van der Heide und seine Gemahlin Annemarie Wenner oft auf der Bühne gesehen habe: im Stadttheater St. Gallen. Aber eben leider oft nur noch in kleineren Aufgaben. Offizielle Tondokumente gibt es nicht. Allerdings hatten sie in Berlin und/oder auch in Wien damals Privataufnahmen gemacht, das müsste so in der ersten Hälfte der dreissiger Jahre gewesen sein. Von ihr existieren zwei Liedaufnahmen und er hat die erste Sarastro-Arie mit Klavierbegleitung aufgenommen, aber die Klangqualität dieser alten Schellackplatte hat mit den Jahren sehr gelitten. Stärker vernehmbar als der Gesang ist das kratzende Rauschen. Auf der zweiten Seite ist das Schumann-Lied "Auf dem Rhein" nicht mehr abspielbar. Ein Jammer. Für mich wenigstens. - Ja, ich kannte das Paar. Auch weil ich hin und wieder als Statist an Aufführungen im Theater mitwirken durfte. So kamen wir ins Gespräch und wurden trotz des Altersunterschiedes Freunde...bis zu ihrem Lebensende. - Es ist vielleicht merkwürdig, aber der Funke der leidenschaftlichen Begeisterung für das "Theater" sprang von diesen beiden Persönlichkeiten auf mich über - und eben nicht von "Stars". - Nochmals herzlichen Dank für das Echo und beste Grüsse von buralicchio :hello: