Saint-Saens hat 1835 – 1921 gelebt. Er war nicht nur Komponist und Organist, sondern auch Mathematiker mit Interessen auf unterschiedlichsten Gebieten wie Astronomie, Philosophie, Archäologie oder Biologie. Liszt war von seinem Orgelspiel begeistert. Diese Sonate hat er 1885 geschrieben, nachdem bereits zwei frühere Sonaten entstanden waren, mit denen er selbst jedoch nicht zufrieden war.
Die ersten beiden Sätze sind von starken Gefühlschwankungen geprägt, mal sehnsüchtig, dann wieder fast wie auf der Flucht, was dem virtuosen Geigenspiel viel Raum gibt. Der dritte Satz führt ganz in die elegante Welt der Pariser Salons, und das Finale – muss einfach so gespielt werden, wie es nur Heifetz gelingt: atemberaubend und mit einer rhythmischen Kraft, die mehr aus dem 20. denn dem 19. Jahrhundert zu verstehen ist.
Meistens finde ich solche Musik zu langweilig, es sei denn in dieser Aufnahme:
Das ist einfach mein Lieblingsstück mit Heifetz.
Bei dieser Sonate muss Marcel Proust erwähnt werden. Im ersten Teil seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ wird eine Liebe von Swann erzählt. Irgendwo hat er flüchtig ein Musikstück gehört so wie auf der Straße eine schöne Frau begegnen kann, und dann trifft er beide – das Musikwerk und die Frau – im Salon der Verdurins wieder. Dort verkehren auch der Maler Elstir (eine Mischung aus Claude Monet, Gustave Moreau, James MacNeil, Whistler, Paul Helleu, Alexander Harrisson…) und der Komponist Vinteuil (in dem Saint-Saens, Faure, d’Indy, Cesar Franck gestaltet sind).
Proust hat die Sonate von Saint-Saens wahrscheinlich mit Eugene Ysaye gehört, als er Reynaldo Hahn kennen gelernt hat. Der hatte bei Saint-Saens studiert. So könnte dies Stück auch für ihn die Erkennungsmelodie seiner Liebe geworden sein. Später hat er sich allerdings den Wagnerianern angeschlossen und mochte sich nicht mehr zu Saint-Saens bekennen.
Ein paar Zeilen von Proust, die anregen sollen, sowohl dies herrliche Stück zu hören wie Proust weiter zu lesen:
„Im vorhergehenden Jahr hatte er bei einer Abendgesellschaft ein Musikwerk für Geige und Klavier gehört. Zunächst hatte ihn nur der materielle Reiz der von den Instrumenten entsandten Töne entzückt, und es war bereits ein großer Genuß für ihn gewesen, als unter der zarten, aber zäh sich durchsetzenden, lückenlos führenden Geigenstimme auf einmal der Klavierpart sich erhob, mit einem feuchten Plätschern, vielfarbig, in ungebrochenem Fluß, aber rhythmisiert wie das meergraue Wogen der vom Mondschein in eine weichere Tonart transponierte Brandung. Von einem gewissen Augenblick an aber hatte er, ohne dass er,was ihm eigentlich so gefiel, deutlich sich abzeichnen sah oder hätte benennen können, wie verzaubert die Melodie oder Harmonie – er wusste es selbst nicht – festzuhalten versucht, die an sein Ohr drang und ihm die Seele auftat, so wie gewisse Rosendüfte in feuchter Abendluft die Eigentümlichkeit haben, die Nasenlöcher zu weiten. Vielleicht war es, weil er von Musik nichts verstand, dass er einen so unklaren Eindruck haben konnte, einen jener Eindrücke jedoch, die vielleicht die einzigen rein musikalischen sind, da sie an keine Dimension gebunden, da sie ursprünglich sind und nicht auf andere Eindrücke rückführbar. (...) Es hatte ihm auf der Stelle ein Glück geschenkt, von dem er nichts gewusst hatte, bevor er diese Musik hörte, und von dem er auch spürte, dass nichts außer ihr es ihm würde schenken können; so war er denn auchvon einer ihm unbekannten Art von Liebe dafür erfüllt.“
Viele Grüße,
Walter