Gestern Abend hat mir mein Opern-Abo Vittorino Gnecchis „Cassandra“ und Richard Strauss' „Elektra“ an der DOB beschert.
Gnecchis „Cassandra“ wurde 1905 unter Toscanini in Bologna uraufgeführt und im Nachgang zur vier Jahre später uraufgeführten „Elektra“ rühren sich Stimmen, die Strauss vorwarfen, bei Gnecchi „geklaut“ zu haben.
Nun gab es diese beiden thematisch verknüpften Stücke an einem Abend in der DOB.
Musikalische Leitung: Leopold Hager
Inszenierung: Kirsten Harms
Bühne, Kostüme: Bernd Damovsky
CASSANDRA
Oper in zwei Akten mit einem Prolog von Vittorio Gnecchi
Libretto von Luigi Illica und Vittorino Gnecchi
Agamennone: Gustavo Porta
Clitennestra: Susan Anthony
Cassandra: Malgorzata Walewska
Egisto: Piero Terranova
Il Prologo: Alfred Walker
ELEKTRA
Tragödie in einem Akt von Richard Strauss
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Klytämnestra : Jane Henschel
Elektra : Jeanne-Michèle Charbonnet
Chrysothemis : Manuela Uhl
Aegisth: Reiner Goldberg
Orest: Alfred Walker
„Cassandra“ fand fast ausschließlich im vorderen Bühnenbereich vor einer goldfarbenen Wand statt. Der Chor war im ersten Rang bzw. auf Stegen an der Seite des Orchestergrabens platziert. Kostüme waren „jetzt-zeitig“.
Musikalisch fand ich das Werk insgesamt enttäuschend. Es ist überhaupt nicht zu erkennen, wo die Musik hin will. Es klingt nach Stückwerk, völlig uninspiriert. Einzig die Auftrittsszene Agamemnons erschien mir musikalisch schlüssig. Da steht ein kriegsmüder Mann, der sich sehnlichst Frieden und die Rückkehr zu seinen Kindern und seiner Frau wünscht. Gustavo Porta konnte dies mit kraftvollem, aber auch zu zarten Tönen fähigem Tenor überzeugend rüber bringen.
Susan Anthony nimmt man ihre Klytemnästra leider weder stimmlich noch darstellerisch ab. Die Stimme ist eher klein und es waren KEINERLEI Klangschattierungen zu hören, einfach nur eine Partie, mit der sie meiner Meinung nach stimmlich überfordert war, runter gesungen. Umso unverständlicher die Bravorufe für sie…
Die Entdeckung des Abends – die Cassandra Malgorzata Walewskas. Schon ihr erstes Erscheinen mit dem Schrei „Sangue“ lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Mit ihrem umfangreichen, in allen Lagen präsenten Mezzo zeigt sie, dass das Orchester doch nicht zu laut spielt (diesen Eindruck konnte man bei den Auftritten von Susan Anthony und insbesondere Alfred Walker, die über lange Strecken kaum zu hören waren, schon haben). Ihre große Arie ließ die Zuhörer die komplette Seelenpein der Seherin nachvollziehen. Sie wurde zu recht vom Publikum gefeiert.
Kirsten Harms gönnt dem Werk nicht wirklich eine Inszenierung. Die Szene zwischen Klytämnestra und Aegisth, in der er ihren Hass auf Agamemnon anstachelt, indem er sein Fortgehen vortäuscht, ist aufgrund der darstellerischen Schwächen wenig glaubwürdig (warum Aegisth ständig die Hände in den Hosentaschen hat, erschließt sich mit auch nicht ). Sehr anrührend jedoch die Szene, in der die kleine Elektra versucht, ihren Vater von ihrer Mutter fern zu halten.
Am Ende des rund 50minütigen Stückes öffnet sich der Bühnenraum und der ermordete Agamemnon wird auf den Hinterhof des Palastes geworfen – vor die Füße von Cassandra, Elektra sieht dies mit an.
In diesem Bühnenbild geht es dann nach der Pause mit Elektra weiter, der Boden ist knöcheltief mit schwarzem Sand bedeckt, man sieht Teile eines Gerippes (Agamemnon?). Elektra liegt halb begraben im Sand, um ihrem toten Vater nahe zu sein. Auch das Beil, das Klytämnestra in "Cassandra" ständig hinter sich herschleppt, taucht wieder auf.
Diesmal interagieren jedoch wenigstens die Beteiligten mit größerer Begeisterung, insbesondere die Duettszenen wirken sehr intensiv (Elektra/Chrysothemis, Elektra/Klytämnestra). Die „Lebenden“ sind in schwarz gewandet, die Toten in Weiß. Ich hab’s aber erst kapiert, als Elektra zum finalen Tanz ihre schwarze Strickweste, die sie über dem weißen Kleid trug, auszog. Orest ist gekleidet wie zuvor sein Vater Agamemnon in „Cassandra“ und nach dem Mord an der Mutter und deren Liebhaber auch ebenso blutüberströmt.
Sängerisch sind Michaela Uhl und Jane Henschel hervor zu heben. Michaela Uhls Crysothemis beeindruckt mit schöner, durchschlagkräftiger Stimme, deren Wunsch nach „Weiberschicksal“ und deren Liebe zur Schwester man ihr jeden Ton abnimmt. Ich würde mir allerdings Gedanken über die Besetzungspolitik machen, wenn die Sängerin der Crysothemis eine größere Stimme als die der Elektra hat. Die Stimme lässt aufhorchen und ich bin gespannt, welche Partien sie in 10 Jahren singen wird.
Jane Henschel spielt als Klytämnestra alle Farben aus, die diese beeindruckende Partie beinhaltet; und das sind nicht wenige. Imposant ihre Erscheinung mit schneeweißer Perücke und knallrotem Federumhang.
Jeanne-Michèle Charbonnet wurde als erkältet angekündigt. Dies mag die nicht allzu große Durchschlagkraft der Stimme an diesem Abend erklären, aber nicht das selbst für mich unerträgliche Wabbern der Stimme. Sie präsentierte genau das, was ich unter Quintenschleuder verstehe! Aber – auch hier wieder Bravo-Rufe…. :wacky:
Burkard Ulrich und Alfred Walker brachten eine solide Leistung, bei Ulrich ist die überragende Textverständlichkeit hervor zu heben.
Musikalisch muss ich für mich eingestehen, dass ich das Werk erst etwas ab dem Erscheinen von Orest genießen konnte (mal abgesehen von der 1. Duettszene Elektra/Crystothemis). Vorher sprach mich die Musik nicht an – es war aber auch meine erste Begegnung mit Elektra.
Am Schluss tosender Applaus (m.E. etwas übertrieben) und – wie gesagt – unverständliche Bravo-Rufe für die Sängerin der Elektra.
Drei Stunden griechische Tragödie mit dieser Art von Musik sind schon ziemlich anstrengend....
LG
Rosenkavalier