Richard Wagner - Genialer Librettist oder literarischer Stümper ?

  • Interessanterweise wurde diese Frage immer wieder gestellt.
    Während eine Gruppe, die Auffassung vertrat, Wagners Texte wären durch die Personalunion von Librettist und Komponist geradezu ideal auf die Musik zugeschnitten und auch sprachlich äusserst publikumswirksam, fanden sich naturgemäß andere, die die "stümperhaften" und schwülstigen Texte, die ja auch vor eigenen Wortschöpfungen nicht Halt machten, nicht nur abwerteten, sondern sich auch bei jeder Gelegenheit darüber lustig machten.
    Dennoch - ich meine - Wagner hatte einen guten Librettisten - nämlich sich selbst und darüber hinaus noch eine glückliche Hand bei der Wahl seiner Stoffe, ich kenne wenige Komponisten, wo beinahe jedes Werk - auch textlich ein Volltreffer wurde.
    Wagner ist es indes vorzüglich gelungen Interessenten für alle seine Stücke zu finden, wobei ihm die "Mittelalter-Manie" und die Mode des Historismus im 19. Jahrhundert zu Hilfe kamen.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Widerspruch auf ganzer Linie.


    Der Librettist Wagner kann nicht allein auf der stilistischen Ebene (also der Wortwahl und Wortkreativität) verhandelt werden.


    Vor allem muß man ihn als Dramaturgen betrachten: Wie gut funktionieren seine Geschichten, seine Figuren?


    Sein reifstes Werk sind und bleiben für mich die Meistersinger: Wie in der Musik, so schon im Textbuch herrscht eine unnachahmliche "historische Ironie" vor. Kein Schwulst; alle Figuren gleichberechtigt, mit kleinen, entzückenden Handlungsfäden in die Geschichte hineingewoben; schlafwandlerisch sicherer Milieuzugriff.


    Was fehlt, das ist der abgründige, der Parsifal-Wagner (den gibt es in Nürnberg nicht).


    Alle anderen Werke haben Licht und Schatten, auch im Text. Holländer (der immerhin viel Lokalkolorit aufweist), Tannhäuser und Lohengrin sind von einer (schein-naiven, nazarenischen) Schlichtheit der Dramaturgie, die mir wehtut.


    Das Tableauhafte der Auftritte ist auf emphatische Stimmungsbilder hin kalkuliert. Sätze wie in Elisabeths Gebet, 3. Akt, sind von einer schwer erträglichen Thesenhaftigkeit:


    "Wenn je ein sündiges Verlangen
    ein weltlich Sehnen keimt in mir,
    so rang ich unter tausend Schmerzen,
    daß ich es töt´ in meinem Herzen"


    Der Qualität des Endreims entspricht das Niveau der Brachial-Psychologie im Comic-Stil (Sprechblasen).


    Wagners Frauengeastalten sind ein Kapitel für sich - Kundry z.B. halte ich nach wie vor für eine frauenfeindliche, abgeschmackte Konstruktion, die man auf Bühnen verbieten sollte.


    Wagner, der Meister der Entwicklung, mutet uns im Siegfried gegen Ende einen der schwülstigsten Ergüsse aus seiner Feder zu: Eine Liebe aus dem clin d´oeil, die dennoch in ihrem sonnenaufgangshaften Ausbruch wie Blei auf der Handlung lastet, was den Beteiligten viel Zeit zu überflüssigem, rollenfernen Selbstanalysieren gibt. Nach dem Höhepunkt der Erdaszene eine dramaturgisch müßige, mißratene Szene, ein Sieg der Instrumentation über die Gesetze des Theaters.


    Gerade die scheinbare "Dankbarkeit" einer bühnenwirksamen Liebesszene offenbart hier eine für mich unübersehbare Schwäche: Die Unglaubwürdigkeit dieser mythischen Liaison einer ungealterten Dame ex ignis (mit charmantem Vaterkomplex) zu einem, den sie noch als Embryo kannte - man hat sich schlicht nichts zu sagen.


    Die Liebe hat Wagner schwer beschäftigt; aller Sünden- und Erlösungsquark wird mehrfach durchgerührt. Amfortas´ markerschütternde Klagen sind textlich bloß abgeklapperte Diskurse einer seltsamen Frömmigkeit. - Aber schon in der Wagner-Liebesoper par excellence, dem Tristan, finden sich der philosophischen Selbstzergliederungen -


    "Ha! Nun waren wir Nachtgeweihte!" usw.


    allzuviele; aber rein gar nichs von einer alltäglichen Liebesbeziehung mit ihren Zärtlichkeiten und Mißverständnissen. Die pausenlose Krisenbewältigung dieser trank-kategorischen Imperativ-Liebhaber ist so selbstreferenziell und abstrakt, daß das Mißverhältnis zum intimen Sujet nur unter großer Anstrengung unterdrückt werden kann.


    So ist denn, was den ausgewogenen Meistersingern zum Lob gereichte, dem Tristan keine Ehre - die Intrigenhandlung läuft quasi in einem Nebensatz ab (wer ist Melot?); nirgends ist Wagners Musik gemachter und äußerlicher als in den Augenblicken, wo er noch schnell mal das Drama ankurbeln muß.


    Ich hoffe, das reicht erst einmal :untertauch:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich eigne mich denkabar schlecht als Verteidiger der Wagner Librettos, denn das einzige, das mir wirklich nahehgeht, ist das des "Fliegenden Holländers" jener Spukgeschichte, die eigentlich schon uralt ist, von Wagner aber mehr als publikumswirksam auf die Bühne gebracht wird (und mir auch musikalisch gefällt). Und da sind wir schon beim Schlüsselwort: PUBLIKUMSWIRKSAM.
    Wagner scheint - abgesehen von seinen kompositorischen Fähigkeiten ein Theatermann von besonderen Gnaden gewesen sein, denn selbst Leute die ihm ideologisch nicht nahestehen, gestehen ihm - oder besser gesagt seinen Werken - zähneknischend eine besondere Ausstrahlung in musikalischer und textlicher Hinsicht zu.
    Marcel Reich-Ranicki ist Wagner Fan:


    Es gab und gibt viele edle Menschen auf Erden, aber sie haben weder den Tristan geschrieben noch die Meistersinger.“


    In diesem Punkt steht er mir persönlich sehr nahe, denn die Trennung von Mensch und Werk - die er hier als Credo postuliert - ist mir seit ich denken kann ein Standpunkt, den ich immer vertreten habe, und der mir viel Kritik eingebracht hat.
    (Das Buch ist übrigens in jeder Hinsicht lesenswert - ein würdiger Nachfolger von Stefan Zweigs: "Die Welt von gestern")


    Zitat

    (Zitat von Farinelli)
    Der Qualität des Endreims entspricht das Niveau der Brachial-Psychologie im Comic-Stil (Sprechblasen).


    Ich würde das doch etwas milder beurteilen. Das 19. Jahrhundert hat viele solche Verse hervorgebracht, Kitsch und Kunst lag dicht nebeineinander - und letztlich wollte man das Publikim ja erreichen.
    Verwunderlich nur - wir konstant Wagners Ruhm bis heute - trotz vielerlei Irritationen - anhält..


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich wundere mich, daß sich unsere "Wagner-Fachleute" hierzu noch gar nicht geäußert haben. Wagner ist unangefochten mein liebster Opernkomponist (in der Symphonik wird er selbstredend auf die Plätze verwiesen). Ich persönlich hielt seine Libretti immer für sehr intellektuell hochtrabend und genial, insbesondere die der späteren Opern (so ab "Tristan"). "Stümper" war dieser Mensch auf gar keinen Fall, das wird wohl niemand ernstlich behaupten. Ich kann mir für mich eigentlich kaum bessere Libretti verstellen für diese Musik. Aber ich bin eben auch erst relativer Wagner-Anfänger, von daher lasse ich mich gerne eines besseren belehren. Doch eines noch: Mozart wird der Status des Genies immer ohne ernstliche Zweifel zugebilligt. Ich würde ihn eindeutig auch Wagner zuerkennen!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Liebe Forianerinnen und Forianer,


    die Frage nach der literarischen Qualität der Wagnerschen Musikdramen hat wenigstens drei Dimensionen:


    - die dramaturgische Anlage der Handlung: Welche Charaktere gibt es, wie sind sie gezeichnet, wie werden Konflikte eingeführt (und eventuell wieder gelöst), ... mir geht es hier um die organisatorische Arbeit bei der Erstellung eines dramatischen Textes. Vieles muss gut geplant sein.


    - die literarische Qualität im Sinne von Stil: Satzbau, Periodenbildung, Wortwahl, Verwendung von Metaphern (oder eben nicht), Umfang des Wortschatzes, ...


    - die wortschöpferische Dimension, die gerade im Ring natürlich besonders evident ist und gerade da die Kritiker und Spötter zuhauf auf den Plan rief.


    Ich denke, bzgl. der dramaturgischen Anlage der Handlung gehören die Wagnerschen Werke zu den allerbesten der Opernliteratur. Bei allen Unterschieden: Eine Kategorie mit da Ponte/Mozart, Boito/Verdi, Hofmannsthal/Strauss. Hier finde ich ihn genial.


    Bzgl. des Stils mag Wagner angreifbar sein. Jedoch hat er in mancherlei Beziehung doch seinen eigenen Stil erschaffen. Hier bin ich unschlüssig.


    Die Wortschöpfungen Wagners finde ich schwierig zu goutieren. Hier haben seine Kritiker vielleicht nicht ganz unrecht, wenn sie meinen, hier sei Wagner übers Ziel hinaus geschossen. Aber ein Stümper war er bestimmt nicht!

  • Mein Gott - wer möchte und könnte Richard Wagner den Status eines genialen Komponisten oder besser gesagt Musikdramatikers absprechen? Genau darin liegt das Problem der Fragestellung in diesem Thread. Richard Wagner schuf einmalige Gesamtkunstwerke aus Dichtung, Wort, Philosophie, Musik, Bildern, Architektur und Bühneneffekten, dabei besonders zu beachten das Spiel mit dem Licht. Wird nun ein Punkt aus dieser nur geschlossen voll wirkenden Schöpfung herausgegriffen, ist die Diskussion eines solchen Teilaspektes nahezu zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, weil der Bick auf das Große -Ganze dabei verloren geht.
    Es wäre so als ob man aus einem Shakespeare-Drama Texteile herausnehmen und danach das ganze Stück beurteilen würde.
    Wagner fordert immer wieder zur Diskussion, ja zur Auseinandersetzung heraus. Dann, liebe Taminos, aber über ein ganzes Werk oder eine gesamte Schaffensperode.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Gerne, lieber Operus,


    ich fange hier gleich mal mit dem Tannhäuser an.


    Der Sängerwettstreit-Thematik entspricht das Textbuch mit einer Konzeption von irdischer versus himmlischer Liebe, die ganz grundlegend für die Entwicklung des Dramas ist.


    Aus der Zusammenlegung verschiedener Sagenkreise lassen sich die beiden amor-Pole auf die zentralen Frauengestalten focussieren - Venus und die hl. Elisabeth.


    Wagner ist durchaus bemüht, beide Frauen einander nicht starr entgegenzusetzen, sondern ihre Sphären quasi sich berühren zu lassen. Denn Venus ist eine, wenngleich entthronte, Göttin; und Elisabeth eine sterblich Verliebte.


    Die poetische Minnekonzeption stellt eine vielschichtige Vermittlung beider Sphären dar, und zwar anhand komplexer Polarisierungen wie z.B. Versagung/Gewährung, öffentlich/intim, Verschweigen/Gestehen, Tag/Nacht, Ferne/Nähe, ideal/ehrlos, Hoffnung/Tod usw. Das Medium dieser Vermittlung ist die Kunst als Gesang.


    Wagner ersetzt alle diese Paradoxierungen (i.S. Luhmanns, Liebe als Passion) durch eine einzige (sexus vs. caritas) die er zum Überfluß auch noch substantiiert. Der Venusberg ist daher keine Zuflucht eines griechisch-freien Menschentums i.S. Heines, sondern eine philiströse Ausmalung der effiminierenden und uferlosen weiblichen Sinnlichkeit, des Verligens, das dem zielgerichteten und definitiven männlichen Sexualtrieb wesensfremd ist. Daher denn die Venusgrotte einem Bordell ähnelt.


    Die Figuren der Oper haben eine Vorgeschichte und stehen daher bereits zu Beginn in Beziehungen zueinander, über die wir bloß das nötigste erfahren. Tannhäuser ist ein Zurückgekehrter, und seine reuige Zerknirschung nach dem Entronnensein aus Venus´ Fängen wird durch I,2 und II bloß ausgesetzt - er endet als Büßer.


    Tannhäuser weiß eigentlich nicht recht, was er will (Wagnerianer werden es interessant finden). Venus gegenüber äußert er:


    Mein Heil liegt in Maria!


    Im Sängerstreit befeuern ihn entsprechende Panegyriken Wolframs und Biterolfs hingegen zum Lob der venerischen Freuden- und Leidenschaften.


    Die Konzeption der Hohen Minnepartei ist bei Wagner von denkwürdiger Plattheit. Kein Wunder, daß Heinrich ausrastet. Die Poetische Gerechtigkeit verlangt aber, daß Wolfram recht behält und aus der irdischen Versagung die himmlische Gewißheit werde. Die Zentralmetapher dafür ist der vielberufene "Stern".


    Die völlig unmittelalterliche, abstrakte Weltentzweiung in carnale und spiritale amicitia schlägt in ihrer undurchschauten Dialektik auf die weibliche Hauptfigur, die Elisabeth von Thüringen zurück. Sie befindet sich während Tannhäusers Venusberg-Exils in einer tiefen Depression, gesteht dem Zurückgekehrten sodann ihre Liebe, die sein Gesang in ihr erweckt habe:


    Gefühle, die ich nie empfunden!
    Verlangen, das ich nie gekannt!


    Kurz darauf platzt die eben erst angebahnte Verlobung; und der Sinn der Liebe Elisabeths ist bloß noch der, für Tannhäusers Seelenheil zu beten und zu sterben.


    Seht mich, die Jungfrau, deren Blüte
    mit einem jähen Schlag er brach,
    die ihn geliebt tief im Gemüte,
    der jubelnd er das Herz zerstach.


    Ist das schon schwer erträglich, so setzt Wolfraum zu Beginn von III noch eins drauf:


    Den Tod, den er ihr gab, im Herzen,
    dahingestreckt in brünst´gen Schmerzen,
    fleht für sein Heil sie Tag und Nacht:
    o heil´ger Liebe ew´ge Macht!


    Es ist der letzte Vers, der hier das Pathologische und Ungereimte als Christentum verkauft. Die Brüche der Elisabeth-Figur rühren zum Teil aus einer Deprivation und Umverteilung von Motiven aus E.T.A. Hoffmanns "Der Kampf der Sänger" her (Freundschaft und Rivalität zwischen Tannhäuser und Wolfram; erotische Werbe-Situation Mathildes/Elisabeths; Depression Heinrichs von Ofterdingen). Wolframs:


    War´s Zauber, war es reine Macht,
    durch die solch Wunder du vollbracht,
    an deinen Sang voll Wonn und Leid
    gebannt die tugendreichste Maid?


    deuten ein Moment der Verzauberung, des Enchantements an, das in der Oper nicht weiter enwickelt wird (blindes Motiv); Elisabeths Resumée:


    Der Unglücklsel´ge, den gefangen
    ein furchtbar mächt´ger Zauber hält


    reduziert das Thema auf die bigotte christliche Moral eines Seelenheils, das so heillos eklektizistisch und überfrachtet ist wie das ganze pseudo-mittelalterliche Panorama. Unter dem diskurseklappernden Bombast der Rhetorik zeigen die Figuren sich holzschnittartig schlicht. Die sehr willkürlichen Straffungen der Stoffes haben stets ein Moment unfreiwilliger Komik, z.B. besagtes "Mein Heil liegt in Maria!" (wer muß da nicht losprusten?); oder die Liebesszene Heinrich/Elisabeth, die allzu rasch auf die Verlobung hinausläuft.


    Ich widerspreche hier allen aufs Schärfste, die da meinen, die Dramaturgie der Libretti zu untersuchen sei unstatthaft. Oder ist die Musik ein Weichzeichner, der die Brüche im Text zukleistert, und daher eine unersetzliche Brille?


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber Farinelli,


    es ist eine Stärke unserer Diskussionen im Tamino-Forum, dass alle Meinungen und Standpunkte erwünscht sind, die sachlich, auf das Thema konzentriert, anregend und weiterführend sind. Deine kompetenten, hervorragend begründeten und formulierten Ausführungen erfüllen diese Anforderungen in hohem Maße. Außerdem lebt die Diskussion aus These und Gegenthese. um zur Synthese zu kommmen. Werden wir in unserem Disput dieses dialektische Ideal erreichen?
    Wagner selbst war es, der die vollkommene Kongruenz von Ton und Wort forderte. Genau in dieser völligen Verschmelzung von Musik und Dichtung liegt der große reformerische Fortschritt, den Wagner besonders durch den stringent durchkomponinierten Ablauf der dramatischen Handlung und durch die psychologisch,stimmige Charakterisierung der Figuren erreichte. Wird diese Interaktion der Handlungselemente zerlegt, geht diese grandiose Einheit verloren.
    Selbstverständlich trifft es zu, dass Textpassagen, wenn sie losgelöst von der Musik betrachtet werden, schwülstig wirken können. Dabei ist jedoch auch der Zeitgeist und der damalige Sprachstil zu berücksichtigen.
    Lieber Farinelli, gerade bittet mich meine liebe Frau zum Kaffee. Dabei werde ich mir die Romerzählung aus Tannhäuser gesungen von Hans Hopf mit "Inbrunst im Herzen" anhören Dabei denke ich dann nicht mehr analytisch an Wort und Text oder irgend eine Stimmingkeit. Alle kognitiven Überlegungen werden verschwinden und ich werde in dem emotionalen Zauber der Wagnerschen Klangwelten versinken.
    Herzlichst
    Operus
    :jubel: :jubel: :jubel:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Bei allen Einwänden gegen Wagners Libretti sollte man ein paar Dinge nicht vergessen:
    1. Wagner lebte im 19. Jht. Da war die Sprache eben anders als heute. Wenn man Gedichte von Lenau, Rückert, Eichendorff liest, dann sind die teilweise mit unserer heutigen Sprache nicht mehr zu vergleichen und wirken für uns auch zu schwülstig und süßlich. Stichwort Comic: Das gab es zu Wagners Zeiten ja noch nicht, weshalb er kaum in einem solchen Stil bewusst schrieb.


    2. Wagner war kein Schriftsteller, sondern erstmal Musiker. Wer weiß, ob umgekehrt Mozarts Opern ebenso erfolgreich gewesen wären, hätte nicht Da Ponte für ihn geschrieben. Oder was wäre, wenn Schubert sich einen vernünftigen Librettisten hätte leisten können? Wenn man die Libretti bei Verdi oder Puccini übersetzt/liest, hat man auch keine nobelpreisverdächtige Literatur in Händen.


    3. Wagners Persönlichkeit findet sich in den Reimen durchaus wieder. All das Weitschweifige, Weltumstürzlerische, Chauvinistische legt sehr viel von ihm offen. Die Texte sind also zumindest ehrlich.


    4. Große Literatur wie Goethes Faust folgt auch oft dem Prinzip des Reim dich oder ich fress dich. Goethes Faust müsste eigentlich von Hessen in Mundart gesprochen werden, damit alles so vorgetragen wird, wie Goethe dichtete.


    5. Oper ist nicht Literatur. Wagner reizt mit der Länge seiner Werke ohnehin schon die Grenzen des physich-psychisch Erträglichen aus. 5 Stunden Oper sind schon ein Pfund. Man kommt in der Oper nicht umhin, plakativ anmutende Kürzungen einzubauen, um die Geschichte erzählen zu können. Schwarz-weiß-Denken ist für die Oper und insbesondere Wagner typisch. Das hat auch wieder mit 3. zu tun. Wenn man bspw. begönne, Kundrys Charakter und Vorgeschichte zu differenzieren, am besten noch die Beziehung zu Herzeleid darzulegen, dann würde man den Parsifal an 2 Tagen aufführen müssen. Kundry ist eine femme fatale und in der Filmgeschichte gibt es Dutzende ähnlich strukturierter Charaktere, die nur über ihre Verkürzung wirken bzw ohne Verkürzung die Geschichte unglaublich verkomplizieren. Und dann verweise ich wieder auf 1.. Im 19. Jht. wurde über die Rolle der Frau ein wenig anders gedacht als in aufgeklärten Internetforen des 21. Jht.


    6. Die Sprache ist bei Wagner Mittel zum Zweck. Er verlässt die Struktur der Oper und die Sprache dient ihm einerseits, eine Geschichte zu erzählen und andererseits einen Dialog mit der inneren Stimme der Figuren, repräsentiert durch die Musik zu führen.Es ist also eine Art multimedialer Theateraufführung. Und die Geschichten, die er erzählt, sind, bei aller Absurdität, in sich stimmig. Er bedient sich ja überwiegend mittelalterlicher Sagen und Legenden als Grundgerüst, die zudem dem damaligen Publikum mehr oder weniger geläufig waren. Unter diesem Überbau war es demnach weniger wichtig, was gesagt wurde auf der Bühne, sondern wie man Musik und Sprache ineinander verweben konnte. Dadurch wird der Spielraum für die Sprache jedoch auch begrenzt und in Anbetracht der allseits bekannten Geschichte auch marginalisiert. Es ging Wagner ja um die Neuerschaffung eines musikbasierten Theaters und nicht um ein Schauspiel mit Musikbegleitung.


    7. Erlösung ist eines der Kernthemen in Wagners Schaffen. Neben der Ambivalenz Liebe/Lust vs Ratio ist bis zum eindeutig christlich zentrierten, letztlich aber über das Christentum hinausreichende Neuerung eng verwoben mit Wagners Ansatz. So, wie er die Musik erneuern wollte, ist die Ausrichtung siener Werke auf Tod und Erlösung wesentlich.
    Es ist keine bigotte christliche Idee, die hinter Wagners Schaffen steckt, sondern eine beinahe ketzerisch anmutende Weiterführung des messianischen Themas. Dabei dreht sich auch die Beziehung von Mann und Frau um. Man kann so weit gehen zu behaupten, dass die Frauen durch ihren Liebestod die Schuld Evas, Adam zu versuchen und damit den Verlust des Paradieses für den Menschen verschulden, sühnen. Damit kommt der Frau jedoch im Hinblick auf die christliche Lehre eine viel stärkere Rolle zu als im Sinne des Neuen Testaments, wo sie ja quasi nur als "Gebärmutter" und als Unterstützerinnen und Dienerinnen des Heilands dienen. Die Liebe, aus der Eva Adam zum Sündenfall trieb, wird in Wagners Werken umgekehrt: Durch den Tod aus Liebe wird der Held erlöst. Ob Holländer, Lohengrin, Thannhäuser, Tristan, Parsifal, überall ist der Tod des Weibes die Rettung des Helden. Gut, auch Tristan stirbt, aber letztlich ist sein Tod nicht vergebens.
    Der Ring ist in seiner Struktur natürlich etwas komplexer, doch auch dort stirbt Brünnhilde für die Menschen, da die Götter sterben und damit Platz wird für die Christenheit, vulgo die Hoffnung des Menschen auf Erlösung.
    Dies führt uns zum nächsten Punkt:


    8. Wagner, der Revolutionär. Wagner legte sich mit allen und jedem an. Und nahm an der Revolution in Dresden teil , was ihn ins Exil trieb. Man muss deshalb die Parabel der Erlösung auch im Kontext des Widerstreits zwischen Bürgertum und Adel/Obrigkeit betrachten. Überträgt man dies auf das Modell von 7., so ergibt sich, dass die Frau als Allegorie zu sehen ist. Sie verkörpert Kampf und Blut, Unterdrückung und Unfreiheit, aber auch das Bestehende. Dies muss sterben, um eine neue Welt in Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit erschaffen zu können. Das Weibliche bedeutet auch, den Status quo beizubehalten. Parsifal muss sich dem Werben der Mädchen und Kundrys widersetzen, rein bleiben, um die Welt erlösen, eine neue Welt schaffen zu können. Thannhäuser scheitert letztlich an dieser Welt und kehrt in den Schoß der Venus zurück. Im Ring sterben die männlichen Helden alle, es bedarf also eines Erlösers, der noch auf der Welt erscheinen muss. Erst im Parsifal ist dieser Erlöser da, wird die Schwelle überschritten. Die Revolutionsbemühungen haben zu einer neuen Welt, zu einer neuen Gesellschaft geführt.


    9. Wagner war kein Frauenhasser. Ganz im Gegenteil liebte und verehrte er die Frauen. Nicht nur körperlich, sondern auch im Hinblick auf deren Andersartigkeit. Sie waren für ihn keine Konkurrenz wie all die - aus seiner Sicht - minderbemittelten Männer. Sie waren Wesen, denen er auf Augenhöhe begegnen konnte, die seine Musik verstanden, die für ihn Musik verkörperten. Ohne die Unterstützung von Frauen hätte seine Musik nicht den Siegeszug angetreten, wie sie es tat. Er benutzte die Frauen nicht in dem Sinne, dass er sie bestieg und sie dann fallen ließ, nein, das Körperliche ergab sich als Konsequenz, war aber nicht sein Hauptzweck (aufgrund seiner wohl von Geburt an bestehenden Leistenbeschwerden hatte er am Beischlaf vermutlich auch nur bedingt Freude). Hier darf man auch die Rolle der Sexualität früherer Zeiten nicht vergessen. Auch Frauen sind lustempfindende Wesen und nicht nur Opfer, die man an den Haaren in die Hölle schleifen muss. Man muss es auch nicht unter dem simplen Groupie-Effekt abtun, sondern unter der charismatischen Anziehung eines Genies sehen, und Charisma macht eben sexy.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Bei allen Einwänden gegen Wagners Libretti sollte man ein paar Dinge nicht vergessen:
    1. Wagner lebte im 19. Jht. Da war die Sprache eben anders als heute. Wenn man Gedichte von Lenau, Rückert, Eichendorff liest, dann sind die teilweise mit unserer heutigen Sprache nicht mehr zu vergleichen und wirken für uns auch zu schwülstig und süßlich. Stichwort Comic: Das gab es zu Wagners Zeiten ja noch nicht, weshalb er kaum in einem solchen Stil bewusst schrieb.


    Stichwort Comisc: War Wilhelm Busch kein Zeitgenosse? :D
    Ich sehe mich auch eher als Verteidiger der Libretti Wagners, aber der allgemeine Hinweis auf die Sprache der Lyrik des 19. Jhds. (die es ja so nicht gibt), zieht m.E. nicht. Man muss schon ziemlich lange suchen, um bei Wagner, wenn überhaupt, etwas zu finden, das mit der schlichten Schönheit von Eichendorffs "Mondnacht" vergleichbar wäre. Wagners Sprache klingt


    Zitat


    2. Wagner war kein Schriftsteller, sondern erstmal Musiker.
    ...
    Wenn man die Libretti bei Verdi oder Puccini übersetzt/liest, hat man auch keine nobelpreisverdächtige Literatur in Händen.


    Das halte ich für einen wichtigen Hinweis. Meinem Eindruck nach legen viele Opernfreunde hier in mehrfacher Hinsicht falsche Maßstäbe an. Sie vernachlässigen zum einen, dass es sich nicht um Stücke, die gesprochen werden sollen, sondern eben um Musiktheater handelt. Zum anderen lassen sie (vielleicht auch mangels Sprachkenntnissen) der italienischen Oper sowohl bizarre Plots als auch literarisch fragwürdige Libretti durchgehen, während sie sich an Wagners Eigenheiten stoßen.


    Zitat


    6. Die Sprache ist bei Wagner Mittel zum Zweck. Er verlässt die Struktur der Oper und die Sprache dient ihm einerseits, eine Geschichte zu erzählen und andererseits einen Dialog mit der inneren Stimme der Figuren, repräsentiert durch die Musik zu führen.Es ist also eine Art multimedialer Theateraufführung. Und die Geschichten, die er erzählt, sind, bei aller Absurdität, in sich stimmig. Er bedient sich ja überwiegend mittelalterlicher Sagen und Legenden als Grundgerüst, die zudem dem damaligen Publikum mehr oder weniger geläufig waren. Unter diesem Überbau war es demnach weniger wichtig, was gesagt wurde auf der Bühne, sondern wie man Musik und Sprache ineinander verweben konnte. Dadurch wird der Spielraum für die Sprache jedoch auch begrenzt und in Anbetracht der allseits bekannten Geschichte auch marginalisiert. Es ging Wagner ja um die Neuerschaffung eines musikbasierten Theaters und nicht um ein Schauspiel mit Musikbegleitung.


    Wie gesagt, die "Absurdität" sehe ich eigentlich nicht. Die Geläufigkeit der Mythen und Sagen halte ich auch für sekundär, da Wagner ja oft erheblich eingreift bzw. spezifische Schwerpunkte setzt, die mit der zugrundeliegenden Philosophie, den Erlösungsideen usw. zu tun haben. Das sehe ich also eher umgekehrt. Es ist schon wichtig, was gesagt bzw. gesungen wird. Die Monologe Wotans oder auch das Gespräch zuerst mit Brünnhilde, dann mit Fricka am Beginn des 2. Walküreaktes sind ganz wesentliche Wagnersche Ergänzungen des Mythos.
    An anderen Stellen herrscht freilich eher Onomatopoesie, etwa bei den Rheintöchtern vs. Alberich. "Weiala waga usw." ist nicht viel mehr als eine Vokalise. Was aber auch plausibel ist; die Rheintöchter sind ja im Grunde Verkörperungen der Natur.


    :hello:

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Liebe Freunde,


    ich bin sehr glücklich, daß diese schöne Diskussion in Gang kommt.


    Ich habe meine Beiträge hier bislang mit Bedacht sehr provokant formuliert und möchte keineswegs in allem Recht bekommen.


    Einige offenbar mißverständliche Punkte will ich kurz klarstellen:


    Natürlich kann man einem legendenhaften Sujet den Auftritt einer Heiligen nicht ankreiden. Was ich an der Elisabeth-Figur monierte, war das Thesenhafte; das psychologisch in der Figur nicht genügend Begründete, bloß Behauptete ihrer (brüchigen) Entwicklung von II zu III.


    Wenn Tosca in Vissi d´arte von sich sagt, sie habe versucht, immer gut zu sein, ist das erschütternd und glaubhaft. Elisabeths Gebet, das inhaltlich nicht fern von Toscas Worten liegt, ist so extrem zugespitzt auf einen Topos christlicher Buchstaben-Idealität, daß die Verankerung in einer realen Person an Boden verliert. Sie lügt sogar, denn als sie Tannhäuser von ihrer Liebe sang, war da keine Rede, etwas von diesem neuen Wunder in ihrem Herzen zu ertöten.


    Das Konzept der Oper ist eigentlich unklar - wenn die Musik, der Gesang, einem Wesen wie Elisabeth das Wesen der Liebe nahebringen kann, ist das eine andre als die christliche Reinheit.


    Was mich an den Einwänden am meisten frappiert, ist die Blindheit fürs Dramaturgische. Die Schwächen liegen hier, etwa für den Tannhäuser, doch deutlich zutage. Die ewig zerdehnte Venusbergszene etwa ist sowohl textlich als auch musikalische langatmig und unergiebig. Die Neigung der Figuren zu emphatischer, pathetischer Monologrede ist literarisch rückständig und auch musikalisch von folgenreicher Wirksamkeit.


    Ich muß hier die Librettisten Verdis und Puccinis, um nur sie zu nennen, sehr in Schutz nehmen. Die musikdramatische Idee findet sich in einer Traviata auf einem ungleich höheren Niveau als im Tannhäuser umgesetzt. Verdis Musik in ihrem knappen Timing erlaubt doch, psychologische Entwicklungen der Figuren in einer Subtilität und Intimität nachzuzeichnen, von denen Wagners theatralische Geschöpfe nicht einmal träumen können. Der Mangel an Alltäglichkeit (in der Figurenverortung), das Schillersch hochgespannte Pathos ohne dessen politischen Scharfblick, die psychologische Flachheit der Figuren sind für mich unübersehbare Ingredenzien.


    Natürlich führt keine Logik vom Text des Pilgerchors zu der fulminanten Idee seiner orchestralen Einkleidung. Und natürlich findet der Tannhäuser zuletzt große Töne für das christlich entsagungsvolle Weltschmerzthema. Aber auch diese Anleihe beim Liturgischen wirkt aufgesetzt, entlehnt wie das legendäre name-dropping der Erzsebet, deren Heiligkeit das Format der Figur sprengt. Das plakative Herausstellen statt der Entwicklung hat Folgen für ein unorganisches Nebeneinander von Szenen, deren Grellheit Dramatik vortäuscht, ohne ein Drama zu geben.


    hic rhodos, hic salta :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Geht es jetzt nur um Tannhäuser oder um Wagners Gesamtschaffen?


    Verdis Otello kommt an sein literarisches Vorbild auch nicht heran. Das ist aber nicht so schlimm, weil die Musik für die Weglassungen im Text entschädigt.


    Was nun den Tannhäuser angeht: Darf man das Thema des Christlichen tatsächlich so in den Vordergrund stellen? Ich denke - mit Verweis auf meine vorangegangene Darstellung - eher nicht.
    Die Venusszene ist eine tragende Säule der Handlung. Warum möchte denn Tannhäuser die Liebesgöttin verlassen? Was stört ihn denn daran, in der Liebeshöhle (man muss sich das ja auch unter anatomischen Geschichtspunkten vorstellen) zu verweilen? Mal salopp formuliert: Da, wo Tannhäuser ist, wollen die islamistischen Selbstmordattentäter ja alle hin! Wie kann es also sein, dass da einer das Paradies des Mannes verlassen möchte? Was vermisst er? Es ist die Reinheit, die Ratio, es ist ein Neubeginn im Geiste der Kantschen Aufklärung, die er sucht. Er sucht die Vernunft und mit ihr - im Geiste der bürgerlichen Revolution - eine Liebe auf Augenhöhe. Nur die Venus will das nicht. Sie möchte keinen WIderstand, will ihren Helden nicht an die Aufklärung verlieren, sie sieht das göttliche System (im Sinne eines Systems) bedroht. Dieser Konflikt ist nicht mit ein paar Arien darzulegen. Da bedarf es schon einer umfangreichen Darstellung.
    Und dann geht Freund Tannhäuser und trifft seine alte Liebe wieder, die er, weil er eben nicht schön reden, sondern sich die Hörner abstoßen wollte, verlassen hat. Und sie ist immer noch von ihren Werten überzeugt. Das Christentum steht hier wieder als Metapher für eine Gesellschaft ohne ständische oder politische Gräben. Selig sind die Armen und Schwachen, und das bedeutet im 19. Jht., dass sie auch ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe habe. Nun will Tannhäuser ja aber sein Leben ändern und es kommt zum Balztanz. Und was passiert? Er erkennt, dass da andere sind, die den Glauben an eine neue Weltordnung ebenso verinnerlicht haben wie Elisabeth. Die eine ferne Zukunft erträumen, in der der Mensch als Mensch zählt und nicht nur dann, wenn er adlig ist. Da ist der Held eingeschnappt und fällt zurück in sein altes Gerede, beschwört die Liebe und damit die Triebe und schwupps ist es vorbei mit Elisabeth. Aber er will natürlich nicht aufgeben und sich und Venus beweisen, dass er sehr wohl anders kann. Dackelt er also nach Rom, macht einen auf Büßer, kehrt zurück, um jetzt Elisabeth zu kassieren. Aber dann stellt er fest, dass das eigentlich doch nicht das Wahre ist, zweifelt, Elisabeth stirbt und er letztlich auch, weil er nicht an das Neue geglaubt hat. Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, er geht nun ein in der Seligen Frieden. Wesentliche Fehler kann ich da nicht erkennen. Un dauch im 19. Jht. hatten Frauen noch keine emanzipierten Charakterrollen, ausser sie waren böse, verrucht oder Göttinnen. Wagners Frauen sind rein, sie stehen wie Statuen auf Sockeln. Sie zu erreichen, bedarf es zumeist des Todes. Das ist mittelalterliche Minne, aber keine christliche Bigotterie.


    Zur Traviata, die ich sehr schätze, folgende Anmerkung: Ist das Erscheinen des Vaters incl. des letztlich zum Drama führenden Konfliktes bzgl der Heirat der Tochter nicht auch eher arg konstruiert, kommt quasi aus dem Nichts? Und ist der Todeskampf Violettas nicht auch grenzwertig lang? Überhaupt der Tod: Wird in der Oper nicht sehr häufig ausgesprochen lang gestorben?


    Man kann sicherlich über Wagners Stil diskutieren. Es ist sicherlich auch nicht falsch, wenn man sagt, seine Msuik überrage die erzählte Geschichte. Von daher muss man die Eingangsfrage vermutlich eher mit dem zweiten Begriff beantowrten. Aber das ist eben nicht ganz zutreffend, weil er die Libretti ja nicht im Sinne einer erstklassigen Literatur, sondern in Ergänzung zu seiner Musik schrieb und damit nicht zwangsläufig versuchte, gleichzeitig Weltliteratur zu erschaffen. Es ist wenig hilfreich, Wagner vorzuwerfen, er sei ein schlechterer Librettist als Hoffmannsthal oder Wilde. Das geht am Grundgedanken vorbei, wonach Wagner ja nur mythologischen Stoff für seine komplexe Musik suchte und Material benötigte, um seine musikalische Revolution erschaffen zu können.