Libretto von Francesco Maria Piave/Antonio Ghislanzoni
Aufzeichnung vom 15.3.1958 im Teatro San Carlo in Neapel, schwarz-weiß
Inszenierung und Ausstattung: weitgehend librettogetreu
Generelle Beurteilung: SEHR GUT
Dauer: 160 Minuten
Il Marchese di Calatrava: Giorgio Algorta
Leonora, seine Tochter: Renata Tebaldi
Don Carlo di Vargas, sein Sohn: Ettore Bastianini
Don Alvaro: Franco Corelli
Preziosilla, eine junge Zigeunerin: Oralia Dominguez
Padre Guardiano, Franziskanerabt: Boris Christoff
Fra Melitone, Franziskanermönch: Renato Capecchi
Curra, Leonoras Dienerin: Anna di Stasio
Un Alcalde: Giuseppe Forgione
Mastro Trabuco: Mariano Caruso
Ein Chirurg: Gianni Bardi
Orchester und Chor des Teatro San Carlo di Napoli
Dirigent: Francesco Molinari Pradelli
Die “Forza“ mit ihren grausamen Schicksalswirren ist eine Oper, die neben „Don Carlo“ und „Un ballo in maschera“ zu meinen liebsten Verdi-Opern gehört, und in diesem Live-Mitschnitt aus dem Jahr 1958 findet sie sicherlich eine sehr würdige Interpretation.
Molinari-Pradelli führt das Orchester mit strenger Hand, besonders in der Ouvertüre dirigiert er sehr rigoros, was andererseits aber der Dramatik dieser Musik nicht schlecht bekommt. Als erfahrener Operndirigent weiß er die Sänger gut zu führen und wird mit so manchem ängstlichen, forschenden oder beschwörenden Blick bedacht. Seine Tempi sind gut, wenn er auch manches etwas überhastet nimmt.
Den Namen des Regisseurs konnte ich nicht ermitteln, was zwar schade ist, aber wohl dem Umstand geschuldet, daß man in jenen fernen Zeiten wohl noch vorrangig aus musikalischen Gründen in die Oper ging. Doch wer dieser große Unbekannte nun auch immer gewesen ist – er hat mit dem ebenfalls unerwähnt gebliebenen Bühnenbildner seine Aufgabe allemal erfüllt. Denn: Er hat die Oper visualisiert, und zwar zur Abwechslung mal gemäß Libretto. Das wird selbst in Kleinigkeiten sichtbar – das extra in der Szenenbeschreibung erwähnte spanische Haarnetz Alvaros gibt es genauso wie die nahezu librettogetreu umgesetzten, gemalten Bühnenbilder der einzelnen Akte. Durch das Schwarz-Weiß-Format sind Farbgebung und Stimmungen natürlich nicht oder nur eingeschränkt beurteilbar, aber jedes Bild erscheint in der Gänze stimmig und rund, die Gesichter sind gut zu erkennen. Bei der Personenregie insbesondere des Chors wäre sicherlich noch einiges herauszuholen gewesen, was aber nicht unbedingt mit dem vermeintlichen Unvermögen des Regisseurs zu tun haben muß, sondern wohl eher einer gewissen Nonchalance seitens der italienischen Choristen anzulasten ist – man denke an Felsensteins vergebliche Versuche, die Mitwirkenden der Mailänder Scala für sein „Schlaues Füchslein“ zu disziplinieren. Die Personenregie der Solisten ist so gut, wie es deren darstellerische Begabung gestattet, was natürlich auch nicht nur ein historisches Phänomen ist. Vieles wirkt statisch, andererseits ist auch dies hinsichtlich des blinden Aktionismus, der heutzutage ja Regisseurs liebste Finte ist, mal sehr wohltuend. Nein, hier hampeln keine szenefremden Statisten während der Arien auf der Bühne herum, um irgendwelchen sinnfreien Kokolorus zu veranstalten, damit man sich ja nicht zu sehr auf den Gesang konzentrieren soll.
Im Gegenteil, man lässt sich ganz, fast schon meditativ, auf die Musik, auf den Gesang und auf die Künstlerpersönlichkeiten in ihrer Verschiedenartigkeit ein, und das ist gut so, vor allem wenn es sich um eine solche Besetzung handelt.
Renata Tebaldi als Leonora wirkt zunächst etwas unnahbar und steif und erfüllt die Rolle besonders im ersten Akt mit seltsam pathetischen Gesten, die nicht vonnöten sind. Natürlich, Leonora schwankt zwischen ihrer Liebe zu Alvaro und ihrem Vater, aber Gewissensbisse und Verzweiflung lassen sich sicherlich etwas lebensnaher zum Ausdruck bringen. Dafür ist es ihr wahrhaft königlicher Gesang, der das neapolitanische Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Ihr „Son giunta“ sowie das darauffolgende Duett mit Guardiano sind einfach fantastisch, die ganze Angst, die Verzweiflung der auf der Flucht vor ihrem rachsüchtigen Bruder befindlichen Leonora kommen hier zum Ausdruck, auch darstellerisch ist sie in diesen Szenen überzeugend. Einzig ihre Angewohntheit, beim Singen die Augen zu schließen, mutet etwas seltsam an, und man ist versucht, den Blindenhund, der ja dem oft mit geschlossenen Augen dirigienden Karajan scherzhaft zugesprochen wurde, zunächst mal für La Renata zu beantragen. Der Höhepunkt ist für mich allerdings ihr „Pace pace“ im letzten Akt. Es ist die Resignation einer Leidenden, die erkennt, dass sinnlose Buße, Kasteiung und Einsamkeit ihr weder Erlösung noch Frieden geschenkt haben.
Franco Corelli, für den dieser Abend das Rollendebüt war, ist seine sprichwörtliche Nervosität gerade im ersten Akt deutlich anzumerken. Signor Molinari Pradelli bedenkt er mit öfteren und flehenderen Blicken als Leonora, aber dies gibt sich, sobald er sich ganz auf die Rolle einläßt. Stimmlich zumindest ist dies von der ersten Note an der Fall. Drängend und hoffend sein „Ah per sempre, mio bell’angiuol..“, lockend und einladend die „Pronti destrieri già ne attendono“ und von strenger Entschlossenheit „Gonfio hai di gioia il core, e lagrimi! Come un sepolcro tua man è gelida!Tutto comprendo, tutto, signora!” Da merkt man deutlich, dass ein stolzer Inka-Spross sich nicht auf halbe Sachen einläßt. Ganz oder gar nicht. Entweder heute oder nie!
Sein „La vita è un inferno all’infelice“ zu Beginn des dritten Akts ist perfekt, die kniffligen piani bei „O tu che in sen agli angeli“ gelingen ihm sehr gut, und auch darstellerisch ist er hier ganz der traurige Alvaro, dessen Leben unter keinem guten Stern steht. Das Duett „Solenne in quest’ora“ mit Ettore Bastianini ist ein weiterer Höhepunkt der Aufführung. Alvaro will gar nicht weiterleben, er hat den Tod angesichts seiner bedrückenden Lebenssituation ja auch gesucht. Mit letzter Kraft fleht er Carlo an, sich seiner Habseligkeiten anzunehmen. Schließlich ist er im letzten Duett „Invano Alvaro“ darstellerisch ganz der weltabgewandte Mönch, der ebenso sinnlos wie Leonora sein Heil in der Buße (wovon?) sucht, bevor er den unsäglichen Beleidigungen Carlos nachgibt und „Ah segnasti la tua morte“ mit gleißendem Zorn in der Stimme darbietet. Niemals verlässt Corelli jedoch seine Gesangskunst, nie wird er trotz Ausdruck naturalistisch-hässlich, und von „undifferenziertem Singen“, wie es ihm diverse „Kritiker“ hie und da vorwerfen, kann angesichts dieses hervorragenden Alvaro nun wirklich keine Rede sein. Besonders überraschend ist die nahezu stoische Gelassenheit, mit der Corelli die ihm von einer bestimmten Claque zugedachten Gemüsegaben ignoriert. Nach meinen Informationen war für just diese Aufführung ein anderer Tenor vorgesehen, dessen Fans ihr Missfallen über die Wahl Corellis durch das Werfen diverser Karotten und anderen Gemüses nach jeder Arie bekundeten. Die Mehrheit des Publikums jedoch bedenkt ihn mit dem, was ihm nach einer solchen Leistung auch zusteht: mit frenetischem Applaus.
Ettore Bastianini gibt einen stolzen, ehrfurchtgebietenden Don Carlo di Vargas. Nicht der wilde Zorn ist es, der ihn bestimmt, sondern ein kalter, ausgeklügelter Racheplan. Es ist Bastianini anzumerken, dass er diese Rolle schon oft gesungen hat, denn souverän und gelassen bewegt er sich gerade im 2. Akt in der Schenke, flirtet hemmungslos mit Preziosilla alias Oralia Dominguez und scheint sich in seiner Rolle sehr wohl zu fühlen. Im Brustton der Überzeugung und mit sichtlichem Vergnügen gibt er die hanebüchene Studentenstory „Son Pereda, son ricco d’onore“ zum Besten. Trotz aller Achtung gegenüber der militärischen Leistung des vermeintlichen Don Federico Herreros kann er seine wachsame Distanz nicht verbergen, misstrauisch beäugt er den Todgeweihten während des „Solenne“, in dem wieder einmal unter Beweis gestellt wird, wie gut Corellis und Bastianinis Stimmen zueinander passten. .
Stimmlich ist Bastianini hier in gewohnt guter Form, sein samtiger, nobler Bariton verleiht selbst einem sturen Ideologen wie Vargas eine Größe und Vornehmheit, die viele Darsteller dieser Rolle vermissen lassen, weil sie sie zu fanatisch und zornig anlegen. Sein "Urna fatale" sowie das darauffolgende, nahezu mörderische "È salvo" sind vielsagende Beweise für Bastianinis hohe Gesangskunst und werden mit ensprechend enthusiastischem Applaus bedacht.
Auch in das „Invano Alvaro“ legt er keinen blutdürstigen Aktionismus sondern – rollengemäß – die kalte Verachtung eines spanisches Adligen, der lieber stirbt, als dass er einen „unwürdigen Dahergelaufenen“ als Schwager akzeptieren würde.
Leider fehlt in dieser Aufnahme (oder auch in dieser Aufführung) das aufwühlende Duett "Sleale, il segreto fu dunque violato" zwischen Carlo und Alvaro, welches man gerade bei dieser Besetzung umso schmerzlicher vermisst.
Boris Christoff als Padre Guardiano singt wunderbar, einen schwärzeren, volleren und schöneren Baß kann man sich für dies Rolle kaum vorstellen. Aber er wirkt doch wie jemand, der die Oper lieber konzertant aufgeführt hätte. Gut, als Abt muss er ganz sicher kein Rad schlagen, aber sicher wäre es nicht zuviel verlangt gewesen, Leonora wenigstens bis zu ihrem Ableben in den Armen zu halten. Damit steht er in krassem Gegensatz zu Renato Capecchi, bei dem man gar nicht weiß, was man zuerst bejubeln soll: sein überragendes darstellerisches Talent oder seinen Gesang. Die meisten Baritonisten behandeln den Melitone doch etwas stiefmütterlich, da er ja „nur“ eine Nebenrolle ist, was aber ungerechtfertigt ist, denn sie birgt neben dem in Opern selten genug vorkommenden komischen Moment auch eine ganze Menge an Kritik gegenüber Heuchelei, falscher Frömmigkeit und Servilität. Was nun aber Capecchi daraus zaubert, ist ein pures Vergnügen. Misstrauisch und unhöflich gegenüber der um Einlass bittenden Leonora, herrlich moralinsauer in der berühmten Kapuzinerpredigt, nach der er wieselflink vor den aufgebrachten Soldaten flieht, vorgeblich unterwürfig gegenüber dem „Boss“ Guardiano und feige stotternd vor dem respekteinflößenden Carlo di Vargas, der ihn nach dem merkwürdigen „Padre Raffaele“ befragt. Ein absolutes Glanzstück ist die Bettlerszene, in der Melitone ob der Gier der Bettler immer wütender wird, bis er sich schließlich nicht mehr beherrschen kann und es Schläge mit der großen Suppenkelle hagelt. Mit allen menschlichen Schwächen stattet Capecchi seinen Melitone aus, und dennoch ist er nie unsympathisch, ganz im Gegenteil, man fühlt ihm seinen Grimm gut nach, wenn er sich die salbungsvollen Worte Guardianos anhören muss, der zwar immer zur „Carità“ auffordert, aber selbst keinen Finger rührt. Dazu hat man ja schließlich die Bediensteten!
Oralia Dominguez, die zwar eine schöne Stimme mit kräftiger Mittellage besitzt, aber zumindest im zweiten Akt keine Freundschaft mit den hohen Tönen schließt, ist zwar ein quirlige und lebensfrohe Marketenderin mit einem bezaubernden Lächeln, die mit Inbrunst Werbung für den Österreichischen Erbfolgekrieg macht, aber die sinnliche, geheimnisvolle Ausstrahlung der Preziosilla (der „Kostbaren“) geht ihr zuweilen etwas verloren.
Bezeichnend für eine qualitativ hochwertige Aufführung ist eigentlich auch immer die Besetzung der Nebenrollen, und diese stimmen auch hier. Giuseppe Forgione als Alcalde sowie Giorgio Algorta als Marchese di Vargas können aufgrund ihrer stimmlichen Qualitäten ganz bestimmt nicht als „Nebendarsteller“ abgetan werden, sondern hatten ganz im Gegenteil ebenfalls ihre nicht unbedeutenden Karrieren vorzuweisen. Auch Mariano Caruso, der als „Tenore secondo“ hier den Maultiertreiber Trabuco gibt, ist eine Klasse für sich. Ja, das Leben ist nicht so leicht: da will man sich nur ein wenig ausruhen, und dann wird man von einem aufdringlichen „Studenten“ über die Kundschaft ausgefragt, und bei den Soldaten ist auch nichts mehr zu holen, wenn man sich nicht aufs Betrügen und Lügen verlegt und dafür um ein Haar verprügelt wird.
Insgesamt also eine absolut hörens -und sehenswerte Aufnahme, die zudem noch ein wertvolles Live-Dokument der Künstler ist, von denen ansonsten leider nur sehr spärliche oder gar keine visuellen Live-Beispiele vorliegen.