Die Bayerische Staatsoper präsentierte wie immer in der Vorweihnachtszeit, neben den Repertoireklassikern Zauberflöte und Hänsel und Gretel auch die Wiederaufnahme von Puccinis La Bohème. Das besondere Augenmerk richtete sich dabei auf das Engagement des jungen Italieners Vittorio Grigòlo, der erstmal hier den Rodolfo singen sollte. Grigòlo warf sich mit Begeisterung und Temperament in die Rolle und spielte seine Rolle mit packender Leidenschaft. Auch stimmlich begeisterte er mit seinem hellen, in der Höhe strahlendem Tenor vom ersten Ton an. Im dritten Akt gelang es ihm Rodolfos Verzweiflung auf berührende Weise fühlbar zu machen. Ana Maria Martínez begann als Mimi mit angestrengten Höhen und etwas störendem Tremolo. Dieses bekam sie jedoch im dritten Akt deutlich besser in Griff und ließ dann ihren dunklen warm timbrierten Sopran frei strömen. Levente Molnars prächtiger Bariton erwies sich als perfekt für den Marcello, auch er warf sich mit Leidenschaft und Temperament in die Darstellung des Malers. Wunderbar der Streit zwischen ihm und der Musetta von Anna Virovlanski, die nicht nur ihren berühmten Walzer mit glockenheller Stimme sang und auch darstellerisch voll in ihrer Partie aufging. Goran Juric als Colline und Simone del Savio als Schaunard komplettierten stimmschön und spielfreudig die Künstlergruppe. Erwähnt werden soll auch der im Sommer bereits in den Ruhestand verabschiedete Alfred Kuhn, der es sich nicht nehmen ließ noch einmal auf seine unvergleichlich komische Art den Hausherrn Benoît zu geben. Alle anderen Partien waren vortrefflich aus dem Ensemble besetzt worden. Der Chor und Kinderchor sangen prächtig. Dirigent Paolo Carignani wählte weitgehend zügige Tempi und sorgte am Pult des Bayerischen Staatsorchesters für eine spannungs- und abwechslungsreiche Wiedergabe der Partitur.
Die Inszenierung von Otto Schenk in der Ausstattung des 1975 verstorbenen Rudolf Heinrich stammt aus dem Jahre 1969, wobei das Bühnenbild vor zwei Jahren komplett neu nach den alten Modellen nachgebaut wurde. Abseits des Regietheater-Unsinns, der in den letzten Jahren an der Staatsoper immer mehr überhand genommen hat, begeistert diese zeitlose Produktion mit ihrem ganz eigenen Charme bei jedem Besuch aufs Neue - sie darf durchaus als perfektes Ambiente für Puccinis Oper gelten. Von der Mansarde über den gemalten Dächern von Paris, umgeben von Reklameschriften aus der Zeit des Stadtumbaus von Baron Hausmann, über das weihnachtliche Treiben auf einem dem Uraufführungs-Bühnenbild nachempfundenen Straßenzug bis zum poetisch-düsteren Winterbild an der Zollschranke mit ihren kahlen Bäumen, bietet die Inszenierung alles was man von einer gelungenen Bohème erwartet. Man kann nur hoffen, dass die Intendanten wieder zur Vernunft kommen und dem Publikum endlich wieder mehr Produktionen dieser unverwüstlichen Qualität anbieten. Möge uns diese Bohème noch lange so gelungene Repertoire-Abende ermöglichen!