Ich wage mich mal wieder an einem ausführlichen Thema dessen geringe Popularität mir jetzt schon bewußt ist (und es hat wohl nicht so viel Potential zur Diskussion aber dient dafür mehr der Information, quasi wie ein Artikel in einem Lexikon). Aber ich finde dieses Thema recht interessant und es paßt ja jetzt auch ziemlich gut zu den momentan stattfindenden christlichen Feiertagen. Vielleicht gibt es ja doch den einen oder anderen Leser der das mit Interesse liest.
Unter Zuhilfenahme der Quellen: Schubert Handbuch (Bärenreiter, Metzler „Private Äußerung und öffentliche Komposition: Zum Problem der Textauslassungen“), Der Hintergrund zu Beethovens Messen (Jeremiah W McGrann), Schuberts Briefe, Beethovens Tagebuch, Glaubensfragen (Folge 2 und Folge 6 Blog Lucerne Festival), sowie diverse Stellen von Beethovens Briefen.
Zunächst gehe ich auf Schubert ein. Er wuchs in einem katholischen Elternhaus auf, und erhielt schließlich auch eine katholische Schulerziehung. Ob sich hier schon die ablehnende Haltung gegenüber der katholischen Kirche bemerkbar machte, indem er in allen Fächern ein Gut, in Rechenkunst eine mittlere Bewertung, doch in Religion ein „schlecht“ bekommen hatte? Später wird er jedenfalls in seinen Briefen unmissverständlich deutlich. Am 29. Oktober 1818 schreibt er aus dem (damals) ungarischen Zeléz an seinen Bruder Ignaz „Der unversöhnliche Haß gegen das Bonzengeschlecht macht Dir Ehre. Doch hast du keinen Begriff von den hiesigen Pfaffen, bigottisch wie ein altes Mistvieh, dumm wie ein Erzesel, u. roh wie ein Büffel, hört man hier Predigten, wo der so sehr venerierte Pater Nepomucene nichts dagegen ist. Man wirft hier auf der Kanzel mit Ludern, Kanaillen etc. herum, daß es eine Freude ist, man bringt einen Todtenschädel auf die Kanzel, u. sagt: Da steht her, ihr pukerschäkigten Gfriser, so werdet ihr einmal aussehen…“
Da ist auch nicht mehr allzu verwunderlich, dass er in all seinen Messen die traditionelle Textstelle „et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam“ im Credo ausnahmslos ausließ (Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche). Je nach Messe gibt es dazu noch andere, diversteste Auslassungen, dessen Intention nicht mehr so zweifelsfrei nachzuvollziehen ist. Etwa in der zweiten Messe im Gloria „suspice deprecationem nostram“ (nimm unser Flehen gnädig auf), ebenso in dieser Messe als auch ab der vierten Messe „qui sedes ad dexteram patris“ (Der du sitzest zur Rechten des Vaters), in der dritten Messe im Credo „consubstantialem patri“ (eines Wesen mit dem Vater), in der fünften und sechsten Messe ebenso im Credo „patrem omnipotentem“ (den allmächtigen Vater), sowie „genitum non factum“ (gezeugt, nicht geschaffen).
Dazu nahm er hier auch eine Verkürzung bei „confiteor unum baptismam in remissionem peccatorum et expecto resurrectionem mortuorum“ vor (Ich bekenne eine Taufe zur Vergebung der Sünden, und erwarte die Auferstehung der Toten), indem er hier die Wörter „et expecto resurrectionem“ wegließ.
Angeblich nahm man früher an (wahrscheinlich aus dogmatisch denkenden, katholischen Kreisen kommend), Schubert sei generell nur sorglos oder flüchtig mit dem Text umgegangen, was aber zumindest in der konsequent in allen Messen ausgelassenen Textstelle „et unam sanctam…“ sehr unwahrscheinlich zu sein scheint. Die Absicht hinter der Auslassung von „et expecto resurrectionem“ (und ich erwarte die Auferstehung) scheint auch sehr wahrscheinlich mit Absicht erfolgt zu sein, auch wenn dann die ganze übriggebliebene Textpassage mit dem am Ende zurückgelassenem „mortuorum“ ziemlich merkwürdig klingt. Betreffend der anderen Auslassungen, wäre es zumindest durchaus möglich, dass hier gewisse kompositorische Ideen im Weg standen, welche mit der Wortabfolge kollidierten. Das Argument, Schubert hätte möglicherweise mangelnde Lateinkenntnisse besessen, ist dagegen wenig plausibel und entpuppt sich bei näherer Überlegung als absurd. Der lateinische Text einer normalen Messe ist nicht besonders umfangreich und es wäre wohl nicht allzu schwer gewesen, irgendeine kompetente Person aufzutreiben die ihm das notfalls ins Deutsche übersetzt. Ein Komponist sollte auch immer von sich aus daran interessiert sein, zu erfahren, für welche textinhaltlichen Bedeutungen er im Detail die Musik schreibt. Alles andere wäre äußerst unprofessionell und auch nicht die Praxis.
Am 25. Juli 1825 schreibt er aus Steyr an seine Eltern „Besonders machten meine neuen Lieder, aus Walter Scotts Fräulein vom See (Anmerkung: Es werden wahrscheinlich fast Alle wissen, aber sicherheitshalber sei gesagt dass darunter das berühmte Ave Maria ist) sehr viel Glück. Auch wundert man sich sehr über meine Frömmigkeit, die ich in einer Hymne an die heil. Jungfrau ausgedrückt habe, und, wie es scheint, alle Gemüther ergreift und zur Andacht stimmt. Ich glaube, das kommt daher, weil ich mich zur Andacht nie forcire, und, außer wenn ich von ihr unwillkürlich übermannt werde, nie dergleichen Hymnen oder Gebete componiere, dann aber ist sie auch gewöhnlich die rechte und wahre Andacht.“
Natürlich sind all diese Informationen auch noch zu wenig, um exakt festzustellen inwieweit geartet Schuberts Frömmigkeit war. Mit ziemlicher Sicherheit kann man nur eine kritische Distanz zur katholischen Kirche festmachen. Inwieweit Schubert darüber hinaus Gottesgläubig oder religiös war, ist nicht eindeutig zu eruieren, außer dass er wohl höchstwahrscheinlich kein Atheist war.
Beethoven schrieb in sein Tagebuch (Eintrag 160) „Gott Gott mein Hort mein Fels o mein…“, (Eintrag 169) „o Gott über alles!...“ und in seinem letzten Eintrag „Gelassen will ich mich also allen Veränderungen unterwerfen, und nur auf deine unwandelbare Güte, o Gott! Mein ganzes Vertrauen setzen. Dein Unwandelbarer, Deiner soll sich meine Seele freuen. Sey mein Fels, mein Licht, ewig meine Zuversicht!“ Schließlich schien er auch das Gefühl zu haben, durch seine Kunst Gott näher als andere Menschen zu sein, wie man in einer Briefstelle von Juli/August 1821 an Erzherzog Rudolph aus Unterdöbling nachlesen kann „Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten.“
Andererseits gibt es auch bei Beethoven eine überlieferte kirchenkritische Haltung (wurde auch schon relativ früh von seinem Lehrer Neefe in aufklärerische Kreise eingeführt) und angeblich hatte der streng religiöse Haydn, welcher zeitweilig sein Lehrer war, ihn sogar mal als Atheist bezeichnet.
Bei Beethoven ist jedoch die Ausgangslage wieder anders wie bei Schubert. Während Schubert für seine Messen keine Auftraggeber hatte und somit bezüglich Textauslassungen nicht viel Rücksicht nehmen brauchte, mußte Beethoven bei der C-Dur Messe gewisse Erwartungen des Auftraggebers Fürst Esterhazy erfüllen, und hatte bei der Missa Solemnis den Vorsatz, sie zu den Inthronisationsfeierlichkeiten (als Bischof von Olmütz) für Erzherzog Rudolph erklingen zu lassen.
Schließlich ging er somit nicht, wie Schubert, per Textauslassung(en) auf Distanz zur Kirche, und behielt auch die Stelle „et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam“ in beiden seiner Messen bei.
Er wollte sich aber musikalisch bewußt von der Tradition der vorhergehenden Jahrzehnte abgrenzen, schrieb auch an den Verleger Härtel, dass er den Text behandeln hätte „wie er noch wenig behandelt worden“. Im Vordergrund stand die persönliche musikalische Deutung des traditionellen Textes. Die C-Dur Messe schien schließlich auch nicht nach Esterhazy seinem Geschmack gewesen zu sein, äußerte er sich besonders deutlich in einem Brief an Gräfin Henriette Zielinska (aus dem französischen) „Beethovens Messe ist unerträglich lächerlich und scheußlich, ich bin noch nicht einmal sicher, ob man sie ehrenhaft nennen kann. Ich bin zornig und beschämt.“
Beethoven war sehr gewissenhaft mit dem Text. Bevor er mit der kompositorischen Arbeit begann, schrieb er sich die Texte der Messe heraus, nahm eine eigene Übersetzung vor, prüfte dabei jedes Wort und markierte sich zudem die betonten und unbetonten Silben um sich einer richtigen Deklamation jedes Wortes sicher zu sein.
Vielleicht kann man die ausufernde Länge der Missa Solemnis, welche somit für Gottesdienste unbrauchbar wurde, auch als bewußte Strategie sehen, um seine Vorstellung der Gottesgläubigkeit, weg von den sakralen Bauten, hin zur profanen Konzertbühne zu bringen (bekanntlich empfahl er damals das Werk als Oratorium aufzuführen).
Ich wüßte jetzt keine anekdotische Überlieferung aus der man schließen könnte inwiefern und wie oft Beethoven möglicherweise den Gottesdienst besuchte, aber mir sind auch sicherlich nicht Alle bekannt.
„Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur“, waren eine seiner bevorzugten Bücher. Beethoven nutzte jede Gelegenheit um sich in der Natur aufzuhalten und glaubte auch dort die Antworten auf seine Fragen zu finden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass man hier Beethovens religiöses Verständnis findet, welches eventuell in Richtung des Pantheismus geht.
Eventuell waren die Vorstellungen beider Komponisten diesbezüglich garnicht so weit voneinander entfernt und unterschieden sich nur in gewissen Details. Eine Analyse der musikalischen Deutungen beider Komponisten wäre sicher auch sehr interessant (und es gibt hierzu auch schon gute Literatur), würde aber jetzt den Rahmen sprengen.
gruß