BWV 12: Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen
Kantate zum Sonntag Jubilate (Weimar, 22. April 1714)
Lesungen:
Epistel: 1. Petr. 2,11-20 (Seid untertan aller menschlichen Ordnung)
Evangelium: Joh. 16,16-23 (Abschiedsreden Jesu: Eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden)
Sieben Sätze, Aufführungsdauer: ca. 28 Minuten
Textdichter: Salomon Franck (1659-1725)
Choral: Samuel Rodigast (1674/75)
Besetzung:
Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe, Tromba, Fagott, Violino I/II, Viola I/II, Continuo
1. Sinfonia (f-moll) Oboe, Streicher, Continuo
2. Chor SATB, Fagott, Streicher, Continuo
Weinen, Klagen,
Sorgen, Zagen,
Angst und Not
Sind der Christen Tränenbrot,
Die das Zeichen Jesu tragen.
3. Recitativo Alt, Streicher, Continuo
Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen.
4. Aria Alt, Oboe, Continuo
Kreuz und Kronen sind verbunden,
Kampf und Kleinod sind vereint.
Christen haben alle Stunden
Ihre Qual und ihren Feind,
Doch ihr Trost sind Christi Wunden.
5. Aria Bass, Violino I/II, Continuo
Ich folge Christo nach,
Von ihm will ich nicht lassen
Im Wohl und Ungemach,
Im Leben und Erblassen.
Ich küsse Christi Schmach,
Ich will sein Kreuz umfassen.
Ich folge Christo nach,
Von ihm will ich nicht lassen.
6. Aria Tenor, Tromba, Continuo
Sei getreu, alle Pein
Wird doch nur ein Kleines sein.
Nach dem Regen
Blüht der Segen,
Alles Wetter geht vorbei.
Sei getreu, sei getreu!
7. Choral SATB, Oboe, Tromba, Fagott, Streicher, Continuo
Was Gott tut, das ist wohlgetan,
Dabei will ich verbleiben,
Es mag mich auf die rauhe Bahn
Not, Tod und Elend treiben,
So wird Gott mich
Ganz väterlich
In seinen Armen halten:
Drüm lass’ ich ihn nur walten.
Der heutige Sonntag hat seinen Namen vom ersten Vers des 66. Psalms: "Jauchzet Gott, alle Lande!", der (auf lateinisch vorgetragen) die Messe am heutigen Tag eröffnete.
Die hier besprochene Kantate erklang nach ihrer Weimarer Erstaufführung 1714 auch zu Bachs Leipziger Zeit noch mindestens einmal (am 22. April 1724) und wurde von Salomon Franck gedichtet, der in Weimar tätig war und für die meisten Kantaten aus Bachs Weimarer Zeit die Texte beigesteuert hat.
Im Evangelium des heutigen Sonntags geht es um einige Äußerungen Jesu, die er zu seinen Jüngern gemacht hat, als es um seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt ging. Die zentrale Aussage dürfte im 20. Vers stehen, wo es heißt:
"Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und heulen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden."
Dieser Wandel von Traurigkeit zu großer Freude beherrscht als effektvoller Gegensatz Dichtung und Musik aller 3 erhaltenen Kantaten für diesen Sonntag - außer BWV 12 sind dies noch BWV 103 und BWV 146.
Natürlich wird auch hier wieder in der Dichtung die Verallgemeinerung gewählt, dass die im Evangelium direkt angesprochenen Jünger stellvertretend für die Christen der Jetzt-Zeit stehen, so dass sich alle Zuhörer von den getroffenen Aussagen angesprochen fühlen sollen.
Die einleitende Sinfonia könnte ohne weiteres einen langsamen Satz in einem Oboenkonzert abgeben (Tempoangabe Adagio assai) - vom Charakter her stimmt der f-moll-Satz auf den folgenden, ebenfalls in f-moll stehenden Eingangschor ein:
Eine Chaconne (= eine mehrfach unverändert wiederholte Bassmelodielinie), über die die anderen Stimmen einen ergreifenden Klagegesang anstimmen. Der Satz scheint Bach auch noch viele Jahre später ausdrucksvoll (und gelungen) genug zu sein, um ihn zum "Crucifixus" seiner großen h-moll-Messe umzuarbeiten!
Das Rezitativ Nr. 3 enthält ein zum Thema passendes Bibelwort aus der Apostelgeschichte (Kap. 14, Vers 22) - hier wird die Brücke von den Jüngern zur gesamten Christenheit geschlagen.
Der sich nun vollziehende Wandel von Traurigkeit zur Freude wird wohl am sinnfälligsten in der Arie Nr. 6 zum Ausdruck gebracht, wenn die Solo-Trompete (ein Instrument, das ja an sich schon Festlichkeit und Freude ausdrückt) den Solo-Tenor mit dem Zitat der bekannten Choralmelodie "Jesu, meine Freude" begleitet.
Eine wirklich gelungene Idee - und eine passende Umsetzung der theologischen Aussage des heutigen Sonntags!