[SIZE=7]So, ich hab den 2000er erreicht und möchte euch mit folgendem Thread "beglücken", wenn man das so nennen darf:[/SIZE]
Prachtentfaltung auf der Opernbühne- Faszination der Barockoper
Was muss das für ein Anblick gewesen sein?
Der Schlossgarten zu Schönbrunn ist gefüllt mit tausenden Tänzern, unzähligen Musikern und Sängern und man bringt zur Unterhaltung des Kaisers eine Oper.
Der Sonnenkönig feiert ein Fest, untermalt von der Musik seines Hofkompositeurs, und genießt die prachtvoll gestaltete und üppige Bühnenausstattung und natürlich den Gesang!
In einem italienischen Opernhaus stürzt gerade die halbe Bühne ein, ein Regiment der kaiserlichen Kavallerie reitet ein, während der Primo Uomo des Hauses, der Kastrat, eine Pravourarie zum besten gibt!
Natürlich ein prachtvoller und beeindruckender, den niemand der Anwesenden so schnell vergessen wird!
Ich möchte mich in diesem Thread ausführlich über die Faszination der Barockoper äußern (und natürlich schwelgen) und davon träumen diese Spektakel zu sehen.
Dieser Thread ist zum Träumen, Schwärmen und Diskutieren der besten Barockopern-Aufnahmen gedacht. Natürlich können auch Kostüme, Bühnenbilder uä gezeigt und kommentiert werden, allerdings sollte das ganze schon historisch angehaucht sein!
Die Zeitspanne der Barockopern, die in diesem Thread vorgestellt werden soll, sollte zwischen 1650 und 1760 liegen.
Hauptsächlich entstanden in dieser Zeit:
ernste Opera seria, meist in 3 Akten (italienischer Stil, der den Großteil der europäischen Opernlandschaft prägte)
und
Tragedies Lyriques, meist in 5 Akten + Prolog (Französischer Stil, der fast nur dort gespielt wurde)
Die Stars der Opera seria waren ohne Zweifel die Kastraten. Junge Burschen, meist im Alter von 5-8 Jahren, wurden kastriert, um die schönen Sopranstimmen beizubehalten. Gerade in Italien herrschte ein regelrechter Boom bei diesen Kastrationen, doch nur ein Bruchteil dieser Kastraten brachte es wirklich zu etwas. Der Großteil verkam und ging als Bettler zugrunde.
Wenn man es aber geschafft hatte, konnte man alles erreichen! Sängerstar, Politiker, alles konnte man werden. Die größten Komponisten dieser Zeit schrieben ihnen die Arien, eine virtuoser als die andere, in die Kehle.
Farinelli, der wohl bekannteste von ihnen, wurde sogar Berater des spanischen Königs und Premierminister.
Einige weitere bekannte Kastraten und einige ihrer Titelrollen:
Caffarelli Xerxes (Händel), Alceste in Ebuda (Paisiello)
Senesino Giulio Cesare (Händel)
Giovanni Manzuoli Ascanio (Mozart)
Gaetano Guadagni Orfeo (Gluck)
Gizziello Caffarellis großer Rivale
Domenico Annibali
Giuseppe Aprile
Gaetano Berenstadt
Antonio Maria Bernacchi
Das waren damals die Stars.
Doch auch große Primadonnenrollen gab es, da meist in der Opera seria Liebeswirren und Intrigen auf dem Programm standen.
Auch ihnen wurden die Arien in die Kehle geschrieben, sodass oft nur diese eine Sängerin die Urfassung der Arie singen konnte.
Wie hat man sich eine Oper des Barock im italienischen Stil vorzustellen?
Die Oper folgte einem bestimmen Schema:
Zu Beginn stand eine (meist 3-sätzige) Sinfonia
Danach wechselten sich Rezitativ und Arien ab, nur am Ende jedes Aktes gab es Duette, Terzette, Chöre und ähnliches.
Es gab 7 Rollen zu vergeben:
2 für Sopran
2 oder 3 für Kastrat
1 oder 2 für Bass
1 oder keine für Tenor
Sogar die Anzahl der Arien war „reglementiert“:
7-9 Arien für den Titelheld/ die Titelheldin der Oper
5-6 Arien für den Hauptdarsteller/Hauptdarstellerin des anderen Geschlechts
die anderen Rollen, wurden je nach Können der Sänger mit Arien ausgestattet. War der 2.Kastrat gut, bekam er mehr Arien, wenn nicht, dann nicht.
Aber jede Sopranstimme (egal ob männlich oder weiblich) musste mindestens 2 Arien bekommen!
Der Bass war die einzige Stimmlage außer dem Sopran, den man anerkannte. Der Bass hatte meist Priester, Ratgeber oder Vaterrollen zu übernehmen. Ihm standen 2 Arien zu.
Der Tenor war in der italienischen Oper verachtet (anders als in der französischen), aber bekam nur zu Rezitieren und war auf die Gnade des Komponisten angewiesen, wenn er Arien wollte. Aber selbst dann bekam er meist nur ein kurzes Arioso.
Jede Oper hatte drei Akte, wobei der 3. meist nur eine halbe Stunde dauerte und die beiden anderen je 1-1/2 Stunden dauern konnten.
Zur französischen Oper kann und will ich nicht viel sagen, da einfach zu große Wissenslücken bei mir vorhanden sind. Dafür haben wir hier einen Spezialisten, der hier sicher erläutern wird!
Die Handlungen der Opern
Die Handlungen der Barockopern sind meist sehr verwirrend und von Intrigen und Liebesgeschichten durchzogen.
Die Opern spielen meist in der Antike (mythische und echte) oder im Mittelalter, aber niemals jedoch in der Jetztzeit (damals um 1700).
Die Protagonisten trugen aber zeitgenössische Kostüme!
Die Bühnenbilder waren üppig und die Opern mit Spezialeffekten versehen.
In London ließ man bei den Rinaldo-Aufführungen die halbe Bühne, auf der die Stadtmauer von Jerusalem aufgebaut war, einstürzen.
Auch große Menschenmassen auf der Bühne waren keine Seltenheit. In Neapel ließ man immer ein Regiment der Kavallerie auf die Bühne, um das Spektakel noch opulenter zu gestalten.
Was muss das für ein Anblick gewesen sein! SCHMACHT! SEUFZ!
Hier eine Oper, die weniger bekannt ist:
JOHANN JOSEPH FUX:
Costanza e Fortezza (Standhaftigkeit und Stärke
Libretto: Pietro Pariati, Festa teatrale per musica 3 Akte
Uraufführuung am 28. Aug. 1723 Prag zur Krönung Kaiser Karls VI. zum König von Böhmen
Aufführungsort: in einem in der Reitschule des Hradschin eigens errichteten offenen Theater
Personen:
Porsenna, König der Etrusker - Alt/Kastrat
Publius Valerius Publicola, römischer Konsul - Bass
Erminio, sein Sohn-Sopran
Valeria, seine Tochter-Sopran
Muzio, Valerias Verlobter - Alt/Kastrat
Orazio, Geliebter Clelias - Tenor
Clelia, eine römische Adlige - Alt
Titus Tarquinius, Sohn des "Superbus" - Sopran/Kastrat
Der Tiber und die Genien Roms - Tenor
Gefolge des Königs Porsenna, Priester, Adlige, etruskische und römische Soldaten, Liktoren, Wachen, Pagen, Dienerschaft, Seher, Volk, Der Tiber und seine Nebenflüsse, Nymphen
Handlungsort: Italien
Handlungszeit: zu etruskischer Zeit
Hier gibts ein leider nur 20sekündiges Hörbeispiel. Pomp und Trara pur, dass ganze Werk muss sooo herrlich sein!
Die Besetzung ist größer als im Schema vorgesehn, aber aufgrund der Tatsache,dass es eine Krönungsoper war, ist das einleuchtend!
Doch was fasziniert mich an der Barockoper?
Der Barocke Orchesterklang hat mir immer schon getaugt.
Stimmvirtuosität und Koloraturen haben mich immer fasziniert.
Beides zusammen ist eigentlich schon ein Traum, aber die individuelle Charakterformung der Barockkomponisten ist ein Wahnsinn. Da oft, das selbe Libretto von verschiedenen Künstlern vertont wurde, kann man anhand der Musik feststellen, wer sich besser in seine Protagonisten einfühlen konnte.
Die absoluten Meister sind Händel und Lully (sicherlich auch Hasse, aber seine Opern kenne ich zuwenig).
Bei der Barockoper will ich, wenn ich sie mir auf DVD/oder Live anschaue auch eine angemessene Ausstattung sehen:
Hier ein Bild aus Vivaldis Ottone:
Auch die Bühnenbilder müssen passen, alles in allem will ich, wenn ich eine Barockoper sehe, eine Reise zurück machen, wo Kastraten und Pracht auf der Bühne noch zu sehen waren. Die Pracht auf der Bühne ist leider verloren gegangen und leider zerstört es ungemein viel, wenn man so was in einer modernen Inszenierung sieht.
So was find ich einfach nur zum Kotzen:
AUF KEINEN FALL ANSEHEN!!!
:kotz: :kotz: :kotz: :kotz: :kotz: :kotz: :kotz:
Mein Barockopern Werdegang!
Zuerst hörte ich Barockopern immer in Non-HIP-Aufnahmen, da mir die HIP-Aufnahmen immer zu langweilig klangen.
Doch einige Aufnahmen habe ich mir dann gekauft und war sofort verzaubert von dem Klang der Countertenöre, von der intimen und einfühlsamen Musik, die mich einfach nur zum Heulen bringt.
Wenn Alcina um den Verlust des Geliebten weint oder Medea Rache schwört, und auf einmal eine einzige Oboe ertönt, ist das pure Magie und beschert mir Glücksgefühle, die ich sonst selten erlebe.
Ein Duett Countertenor-Sopran (aus der nicht ganz HIP-Sosarme) beschert mir Tränenausbrüche und hält die Zeit für mich an. Das Duett dauert nur 10 Minuten, aber das Glücksgefühl hält Stunden an.
Wichtigste Komponisten und ihre Werke (subjektives Empfinden, kein Anspruch auf Vollständigkeit):
Meine Nr.1 HÄNDEL Alcina, Rinaldo, Giulio Cesare, Admeto, Sosarme, Radamisto…
Nr.2 LULLY Atys, Armide, (die Thesee dürfte ein Traum sein)
Nr. 3 VIVALDI Teuzzone, L´Olimpiade
Nr. 4 viele andere
Die schönsten Barockopern-aufnahmen:
HÄNDEL
ALCINA
Fleming, Graham, Dessay, Kuhlmann, Naouri,
Les Arts Florissants, Christie
RINALDO
Vivica Genaux, Miah Persson, Inga Kalna,
Dominique Visse, James Rutherford,
Freiburger Barockorchester, Rene Jacobs
GIULIO CESARE
Larmore, Schlick, Fink, Rörholm, Ragin,
Concerto Köln, Jacobs
Non oder teilweise HIP:
SOSARME
Deller, Watts, Herbert, Evans, Ritchie
St. Cecilia Orchestra,
Lewis
Geplant sind viele weitere, aber das nur mal als kleiner Querschnitt, der Aufnahmen, die selbst besitze.
Es fehlen noch so viele [Biber-Arminio, Lully-Thesee, Händel-Serse, Almira, Siroe, Deidamia…, Scarlatti-Griselda, Vivaldi-Teuzzone]
Wenn ihr meine BarockopernWL sehen wollt, müsst ihrs nur sagen!
Bei der italienischen Belcanto-Oper fesseln mich die Ensembleszenen und das wuchtige Orchester, bei der „intimen“ Barockoper nimmt mich die Einfachheit und Schlichtheit der Musik, der einfühlsame und bedrückende Orchesterklang, bzw. das wuchtige Blechbläserensemble der französischen Oper, die die monumentalsten Szenen der Opernliteratur drinnen hat (Was Blechbläser anbelangt) und die Schönheit der Soprane so in den Bann, dass ich mir wünsche vor 300 Jahren gelebt zu haben, um solche Momente LIVE mitzuerleben!
Das kann nur die Barockoper und darum liebe ich sie so sehr!!!
Hier noch ein paar Links:
http://www.haendel.it/
Barockopern und ihre Interpreten
Giulio Cesare
Händel-die Opern
Jacobs
Lully-die Opern
die deutsche Barockoper
Die Opern des Herrn Vivaldi
Die Opern von Johann Joseph Fux
Johann Adolph Hasse
Wie ihr sehr, wir haben (fast) alles, was man sich nur wünschen kann!
Mein Klassikkanon
Lullist-Klassikkanon
Ich hoffe es ist ein würdiger 2000er Beitrag und ich hoffe auf schönes Schwelgen und eine anregende Diskussion!
LG joschi