Gustavo Dudamel – unter- oder überschätzt, das ist hier die Frage

  • Nein, ich habe den bestehenden Thread über Gustavo Dudamel (Gustavo Dudamel: Ihm gehört die Zukunft) nicht übersehen. Da dieser aber bereits bald drei Jahre auf dem Buckel hat und irgendwie "festgefahren" scheint, denke ich, daß es an der Zeit ist, einer solch polarisierenden Figur wie Gustavo Dudamel, geboren 1981 in Venezuela, einen zweiten zu widmen.


    Wohl kaum ein lebender Dirigent erregt ein vergleichbares Öffentlichkeitsinteresse, gerade auch bei sonst eher "klassikfernen" Kreisen. Gerade unter jüngeren Leuten ist er beliebt. Von den einen zerrissen, von den anderen hochgelobt. Von der alten "Klassik-Elite" kritisch beäugt – was kann bitte ein Jugendorchester, was ein "zotteliger Urwald-Dirigent"? –, von den "jungen Wilden" in der Klassik-Szene begeistert gefeiert. Selbst wenn keines der Extreme stimmen sollte, er weder ein maßlos überschätzter Emporkömmling noch ein absoluter Überflieger und "neuer Karajan" sein sollte: Der Mann weiß sich ins Gespräch zu bringen, man kennt ihn, hat eine Meinung zu ihm.


    Zwischenzeitlich hat die Deutsche Grammophon Gesellschaft – das ja vielleicht prestigeträchtigste Label – drei Studio-Aufnahmen mit ihm herausgebracht:





    Recht wenig, könnte man jetzt einwenden. Aber selbst von Thielemann kam, gemessen an seiner Popularität, bis heute relativ wenig offiziell als Einspielung heraus (Mitschnitte zählen hier nicht).


    Ich habe keine der genannten Aufnahmen, aber kenne einige anderweitige Mitschnitte unter Dudamel. Mein erster Eindruck ist: Er dirigiert sehr energisch, "zappelig", sehr emotional. Und er dirigiert vor allen Dingen effektvoll. Besonders die deftigeren Stellen gelingen ihm sehr gut. Das Orchester spielt m. E. makellos, steht einem "Spitzenorchester" kaum nach.


    Was haltet ihr heute von Dudamel? Mittlerweile kann man ihn ja kaum mehr totschweigen ... ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Brauch man auch nicht,
    totschweigen meine ich. Dudamel ist wirklich ein Orchesterleiter. Er hat den Wunsch mit anderen Musikern zusammen zu musizieren und dazu befeuert er sie mit Energie und Leidenschaft, die ihm im Übermaß zur Verfügung zu stehen scheinen. Ich halte ihn nicht für überschätzt. Er steht im Moment gewissermaßen in der ersten Reihe hinten und da gehört er m.E. auch hin - in die erste Reihe. Er scheint mir die Stücke, die er dirigiert sehr gut zu kennen, er sendet ausschließlich positive Strahlen aus (nicht so eso gemeint, wie es klingt) und er kann einen Orchesterklang gestalten. Um ein ganz großer Dirigent zu sein, fehlen ihm hauptsächlich ein paar Jahre. Aber er spielt in einer komplett anderen Liga als etwa Daniel Harding.
    Es gibt bei den Dirigenten zur Zeit viele wunderbare Talente, finde ich.
    Im Konzert absolut begeistert haben mich (Dudamel kenne ich nur von den CDs her) Andris Nelssons (vor allem mit Mahler 1) und Robin Ticciati.

    Der Jugendtraum der Erde ist geträumt
    Grillparzer
    Macht nix!
    grillparzer

  • bemerkenswerterweise finde ich die cds verzichtbar - wirklich nichts besonderes - die live-aufnahmen im radio oder fernsehen sind hingegen viiiel besser. ich bin bei ihm gespalten, zudem gefällt mir sein irgendwie verquerter dirigierstil nicht - wirkt auf mich irgendwie abstoßend...
    werde ihn aber weiterverfolgen. villeicht mausert er sich noch :D

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Was hat deinen Meinungswandel bewirkt, Joseph II?


    Deine Antwort "Vollste Zustimmung!" :jubel: auf Alfreds Pamphlet
    "Wehret den Anfängen - und schweigt ihn tot" vom Sept.2007 habe ich noch in bester Erinnerung.


    Die erwähnten CD-Einspielungen können es nicht gewesen sein, denn die sind auch schon seit ein paar Jahren auf dem Markt. Du bringst mich ins Grübeln...

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Was hat deinen Meinungswandel bewirkt, Joseph II?


    Deine Antwort "Vollste Zustimmung!" :jubel: auf Alfreds Pamphlet
    "Wehret den Anfängen - und schweigt ihn tot" vom Sept.2007 habe ich noch in bester Erinnerung.


    Die erwähnten CD-Einspielungen können es nicht gewesen sein, denn die sind auch schon seit ein paar Jahren auf dem Markt. Du bringst mich ins Grübeln...


    Na ja, damals kannte ich nicht viel von ihm, dachte mir aber: Wieso sollte ein lateinamerikanischer Dirigent jetzt das Maß aller Dinge sein. Mittlerweile habe ich mir einiges angehört (Fernsehen und youtube macht es möglich) und fand es doch recht ansprechend. Sprechen wir also vom Wandel von völliger Ablehnung hin zu distanzierter Neutralität. :angel:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich gesteh' ich hab von Dudamels Qualitäten kein Ahnung; hab mich noch nicht ernsthaft um ihn "gekümmert". Das hat aber seinen Grund:


    Vor einiger Zeit sah ich mal eine Übertragung eines von ihm dirigierten Gustav-Mahler-Konzertes und ich hab von seinem Dirigiertstil - tschuldigung - einen Belag auf die Netzhaut gekriegt. Dieses Rumgezappel und Rumgefuchtel ist mir einfach zu viel und wird sich bei mir bei jedem Versuch mich ihm einzulassen immer wie eine Doppelbelichtung über die Gedanken legen. Nein Danke! Und da ich keine Doktorarbeit über ihn schreiben muss, ists leicht, ihn in der Schublade zu lassen. Dass ich ihm damit vielleicht Unrecht tu', räum' ich allerdings gern ein.

  • Siegfried fragte:



    Ich bin natürlich nicht "Joseph II" - und zudem hat er ja bereits geantwortet. Indes möchte ich doch eine "allgemeine Antwort" zu diesem Thema geben:


    Zum einen haben wir alle gewisse Vorlieben und Abneigungen, die sich im ausserkünstlerischen Bereich abspielen, seien das Vorurteil, die Nationalität, das Alter, den gesellschaftlichen Status, die Religion eines Interpreten betreffend.
    Dazu kommen weitere Vorurteile, die auch durchaus positiv sein können, und derer sich die PR -Abteilungen diverser Musikvermarktungskonzerne gerne bedienen. Oft wird beispielsweise gerne erwähnt, dieser oder jener Interpret sei von Adel, sein "Sozial engagiert", interessiere sich für Umweltschutz, oder sei in Kämpfer für die Gleichberechtigung der Frauen, sei Pazifist, sein Nationalist, liebe oder verabscheiue zeitgenössische Musik, sei extrovertiert, introvertiert, homosexuell oder ein mönchisch lebender Engel, Vegetarier, etc etc etc.
    All diese Eindrücke prägen - bewusst oder unbewusst unser Urteil - und beeinflussen uns. Manche mögen beispielsweise keine "shooting Stars" - da sie (zumeist) Kunstprodukte der PR-Abteilungen sind und daher mit schillernden Seifenblasen vergleichbar, deren Leben nur kurz , und deren Inhalt Luft ist.


    Wenn nun ein Künstler - man mag ihn mögen oder nicht - die -sagen wir 5 Jahreshürde geschafft hat - dann muß´etwas an ihm dran sein was ihn über den Durchschnitt erhebt. Das muß nicht unbedingt seine Art sein, Musik zu machen, aber er konnte immerhin Interesse erregen und wird somit ein dankbares Thema für Tamino.


    Gustav Dudamel hat sich - aus meiner Sicht - vom Nobody immerhin zu einer polarisierenden Person gemausert, deren Aufnahmen von etlichen für diskutierenswert erachtet werden.


    und dieser Tatsache wird eben auch im Tamino-Klassikforum Rechnung getragen.


    Daß MICH PERSÖNLICH Dudamel nicht interessiert - weil da genug interessantere Dirigenten -vorzugsweise aus der Vergangenheit auf ihre Entdeckung durch mich warten - das steht auf einem anderen Blatt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !