JESSEL, Leon: Sein Lebenslauf - seine Operetten

  • .Leon Jessel


    geb. 22.1.1871 in Stettin
    gest. 4.1.1942 in Berlin


    Leon-Jessel-Platz in Berlin


    Lebenslauf


    Von allen Komponisten, die unter den Nationalsozialisten zu leiden hatten, ist das Schicksal von Leon Jessel das beklagenswerteste. Er verschmähte es, wie die meisten anderen Berufskollegen, die wegen ihrer jüdischen Abstammung Aufführungsverbot erhielten, in die Emigration zu gehen und versuchte, sich mit der Staatsgewalt zu arrangieren. Anfangs gab man sich wohlwollend, doch dann wehte der Wind plötzlich eiskalt aus einer anderen Richtung. Leon Jessel trat zum christlichen Glauben über - ein taktischer Schritt, der aber seine Wirkung verfehlte. Das Signal für seine Verhaftung durch die Gestapo war ein verhängnisvoller Brief nach Wien an seinen Librettisten Sterk, in welchem er das harte Schicksal seines Volkes beklagte. Der Brief wurde abgefangen und zu seinem Nachteil ausgewertet. Des Verfolgten bitteren Vorahnung von Verhaftung, Folterung und Tod sollt auf tragische Weise in Erfüllung gehen.


    Als Vermächtnis hinterließ Leon Jessel die Operette „Schwarzwaldmädel“, ein großer Wurf, der wie kein anderer alemannisches Volkstum verherrlicht und der Welt die Urlaubsregion des Schwarzwaldes nahe bringt, so wie „Das weiße Rössl“ für den Wolfgangsee wirbt. Auch in heutiger Zeit ist die Inszenierung ein Erfolgsgarant für stimmende Kassen und muss häufig die Verluste von avantgardistischen Experimenten einspielen. „Malwine, ach Malwine, du bist wie eine Biene“ klingt für jeden Freier recht verlockend, doch der Dämpfer folgt auf dem Fuß: „Mädel aus dem Schwarzwald, die sind nicht leicht zu haben“.


    Das „Schwarzwaldmädel“, am 25. August 1917 an der Komischen Oper in Berlin uraufgeführt, ist der einzige Blitz von achtzehn Bühnenwerken, der wirklich gezündet hat. Ältere Operettenführer nennen noch weitere Titel aus einer Liste von achtzehn komponierten Werken. Zu nennen wäre der Erstling: „Wer zuletzt lacht“, dem das Schwarzwaldmädel unmittelbar auf dem Fuß folgte. Erwähnt sei noch „Die Postmeisterin“ sowie die „Schwalbenhochzeit“, ebenfalls aus dem Jahre 1921. „Die Goldene Mühle“ erlebte ihre Uraufführung 1936 in Olten in der Schweiz, da Jessel in Deutschland gesperrt war.


    Im Rückblick sei noch erwähnt, dass Leon Jessel mit Frau und Tochter Eva schon 1911 seinen Wohnsitz nach Berlin verlegte. Das Gymnasium hatte er in seiner Geburtsstadt Stettin besucht, in der er auch seine musikalische Ausbildung erhielt. Als Theaterkapellmeister ging er auf Tournee und reiste quer durch Deutschland. In den Städten Gelsenkirchen, Mühlheim, Kiel, Bielefeld, Celle und Chemnitz hat er gewirkt.


    In Lübeck blieb er etwas länger und wurde Direktor der Liedertafel des Gewerkvereins. Auch später, als er sich in Berlin etabliert hatte, verließ die Reiselust ihn nicht. Er dirigierte in München, Hamburg und Königsberg. Sein größter Triumph war die Aufführung seines Schwarzwaldmädels 1922 am Tratro Coliseo in Buenos Aires.


    © 2010 TAMINO - Engelbert

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    Leon Jessel (1871-1942)


    Schwarzwaldmädel


    Operette in drei Akten
    Libretto: August Neidhart
    Uraufführung am 15.08.1917 in der Komischen Oper Berlin


    Personen:
    Blasius Römer, Domkapellmeister
    Bärbele, eine Vollwaise in seinem Haushalt
    Hans, Wandermusiker, Bärbeles Schwarm
    Malwine von Hainau, eine lebenslustige Sängerin aus Berlin
    Richard, mit Hans befreundet
    Hannele, Tochter des Domkapellmeisters
    Theobald, Dorfbursche
    Jürgen, der Wirt vom “Blauen Ochsen“
    Lorle, seine Tochter
    Schmusheim, ein Berliner
    Dorfbewohner


    Dokumentation:
    LABEL: EMI 1976
    Willy Mattes dirigiert die Stuttgarter Philharmonie
    Es singen die Mitglieder des 'Stuttgarter Liederkranz'
    Blasius Römer: Benno Kusche
    Bärbele: Brigitte Lindner
    Hans: Adolf Dallapozza
    Malwine von Hainau: Dagmar Koller
    Richard: Martin Finke
    Hannle/Lorle: Renate Fack
    Schmusheim/Theobald/Jürgen: Klaus Hirte



    Musiknummern:


    00. Introduktion
    01. O sancta Caecilia (Römer – Bärbele)
    02. Wir wandern durch die weite Welt (Hans – Richard)
    03. Ach, die Weiber sind ein Übel (Richard – Hans – Römer)
    04. Mein Fräulein, ach, ich warne Sie (Richard – Malwine)
    05. Wenn der Mensch immer wüsst’ (Theobald – Lorle)
    06. Ja, lieber Freund (Malwine – Hans)
    07. Schöner Tänzer, du entschwindest (Bärbele – Römer)
    08. Hallo! Wer dort? (Ensemble)
    09. Ich liebte manche Frau schon (Richard – Malwine)
    10. Alle werden sie sich drehen (Bärbele – Römer)
    11. Haltet, haltet! Ordnung muss sein! (Jürgen – Ensemble)
    12. Scheint die Sonn’ herein in mein Kämmerlein (Lorle)
    13. Wenn der Mensch schon dreißig ist (Malwine – Richard – Schmusheim)
    14. Erklingen zum Tanz die Geigen (Bärbele – Hans – Römer)


    Handlung


    Erster Akt:


    Die Heilige Cäcilie gilt als Schutzpatronin des Dorfes St. Christoph im Schwarzwald. Ihr zu Ehren soll der folgende Tag festlich begangen werden. Blasius Römer, seines Standes Domkapellmeister, ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen, aber wenn er das Harmonium spielt, gibt ihm das so richtig Schwung. Unbeabsichtigt mischten sich in seine Choralvorspiele immer wieder Walzerklänge. Auf Schwung halten ihn auch zwei noch sehr jungen Damen, die in seinem Haushalt leben. Da ist einmal die leibliche Tochter Hannele und dann hat er sich des armen Waisenmädchens Bärbele angenommen. Neben der Möglichkeit, im bescheidenen Rahmen Urlaubsgäste bei sich unterzubringen, unterhält der Witwer noch einen kleinen Kostümverleih, der sich auf Volkstrachten spezialisiert.


    In die gute Stube kommt Hannele unverhofft hereingestürmt. Im Schlepptau befinden sich Richard und Hans, zwei Burschen, angeblich auf der Walz vom Rhein bis zur Pfalz, in Wirklichkeit aber zwei Freunde aus Berlin. Hans ist auf der Flucht vor seiner Verlobten Malwine, die ihm so richtig auf die Nerven geht. Malwine ist über die Maßen selbstbewusst und sehr anhänglich. Sie hat sich an die Fersen der beiden geheftet und nimmt sich vor, sich nicht abschütteln zu lassen. In Begleitung des Ochsenwirtes erscheint sie in der Herberge, in der auch Hans und Richard abgestiegen sind, um ein Schwarzwaldkostüm anzuprobieren. Von Malwine befürwortet, bekommt auch das Bärbele eine Festtracht ausgeliehen. Der Bollenhut ist ihr ein bisschen zu groß, aber das macht nichts. Die von den Dorfbewohnern eine wenig Herumgestoßene ist so erfreut, dass sie sich mit einem Küsschen bei dem alten Herrn bedankt.


    Richard und Hans sind auf Frauen nicht gut zu sprechen und schimpfen: „Alle Weiber sind ein Übel“, was aber Blasius Römer in Abrede stellt und sie verteidigt. Richard kritisiert die Verlobte des Freundes, denn er hat etliches an ihr auszusetzen. Malwine, ach Malwine, sie ist wie eine Biene. Naht man sich ihr von Weitem bloß, dann geht sie los. Malwine beabsichtigt Hans eins auswischen, um ihn eifersüchtig zu machen und zeigt sich Richard zugeneigt. Lorle möchte ihrem Schatz emotional auch ein wenig näher kommen, doch Theobald traut sich nicht.


    Zweiter Akt:


    Das Küsschen vom Bärbele hat dem Herrn Domkapellmeister emotional doch ein bisschen zugesetzt. Er spürt Frühlingsgefühle, obwohl er bereits im Herbst seines Lebens angekommen ist. Bärbele möchte auf dem Fest gern mit ihm tanzen. Es erklingen zum Tanze die Geigen, aber Blasius kann sich nicht entschließen, mit seinem Mündel in aller Öffentlichkeit den Walzerschritt zu vollziehen. Frivoles Benehmen und die Würde seines Amtes sind mit theologischen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen. Das ist auch gut so, denn Bärbele hat bemerkt, dass Hans sie aufmerksam betrachtet. Malwine hält Richard in ihrem Spinnennetz gefangen.


    Die Dorfbuben sind Rüpel, denn sie versuchen, Bärbele aus nicht nachvollziehbaren Motiven den Weg zur Tanzfläche zu versperren. Hans bietet der Vollwaise wirksamen Schutz und löst damit eine Schlägerei aus. Die meiste Prügel müssen allerdings der Ochsenwirt und der ortsfremde Schmusheim einstecken.


    Dritter Akt:


    Durchaus nachvollziehbar, dass der Ochsenwirt sich als Ortsvorsteher respektlosen Verhalten nicht bieten lassen möchte. Seine Ermittlungen, den Anstifter der Schlägerei ausfindig zu machen, verlaufen jedoch im Sande. Malwine ist mit Richard, der auch viel besser als der verträumte Hans zur Lebenslustigen passt, einig geworden, den Bund fürs Leben zu schließen. Das Bärbele gelangt überraschend in den Besitz einer Erbschaft. Zum Mädle aus dem Schwarzenwald, würde sie in Berlin mit dem gewohnten Rufnamen doch ein bisschen auffallen und wird sich Barbara nennen. Lorle ist mit Theobald ein paar Schritte voran gekommen. Der Herr Domkapellmeister geht leer aus, aber als Trost bleibt ihm sein Harmonium.


    © 2010 TAMINO - Engelbert

  • Ich möchte die Anzahl der Postings in diesem Thread mit einem Schlag um 50% erhöhen und daran erinnen, dass Leon Jessel am 4. Janaur 1942 in Berlin gestorben ist.


    Heute ist sein 73. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das Schicksal von Leon Jessel, der eigentlich gegen seinen Willen zum Gegner des Nationalsozialismus wurde, ist tragisch. Er starb ja nicht den natürlichen Tod eines gut Siebzigjährigen. Er starb im Jüdischen Krankenhaus an den Misshandlungen, die ihm die Gestapo in Berlin zugefügt hatte. Jessel verstand sich als deutschnational, begrüßte ausdrücklich und freudig die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Seine Frau trat bereits 1932 der NSDAP bei, was ihm, dem Juden, versagt blieb. Er suchte aber dennoch die Nähe zum Regime, biederte sich auf peinliche Weise an und scheute nicht davor zurück, sich als Opfer der "jüdischen Maffia" an den Theatern darzustellen, weil er schließlich nicht mehr aufgeführt wurde. Er wollte einfach nicht wahrhaben, dass die Gründe dafür in seiner Herkunft lagen. Die Einsicht kam zu spät. An seinen Librettisten Wilhelm Sterck hatte er nach Wien geschrieben: "Ich kann nicht arbeiten in einer Zeit, wo Judenhetze mein Volk zu vernichten droht, wo ich nicht weiß, wann das grausige Schicksal auch an meine Tür klopfen wird." Es klopfte, Jessel wurde verhaftet mit den tragischen Folgen. Sterck selbst wurde 1944 in Auschwitz ermordet.


    Jessel vermachte übrigens seinen Nachlass an den Stadtbezirk Wilmersdorf. In Wilmersdorf gibt es einen kleinen Platz, der nach ihm benannt ist. Es ist keine postalische Adresse. Menschen in der Umgebung haben das arrangiert. Zu Recht. Ich wohne ganz in der Nähe und sitze oft bei einem Kaffee an dem Platz. Es ist ein sehr intimer Platz. Dann denke ich immer an Jessel. Ich denke auch daran, dass die Freiheit der Kunst nie wieder und durch wen auch immer noch einmal bedroht werden darf in diesem Land.



    Die Forschung hat in jüngster Vergangenheit viel über sein Leben und Irren heraus gefunden, manches richtiggestellt. Es gab auch mal eine große Ausstellung dazu.


    Danke, lieber Willi, dass Du an Jessel erinnert hast.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Es war mir eine Ehre, leiber Rüdiger, zumal mich das "Schwarzwaldmädel2 von Jugend auf begleitet hat.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • zumal mich das "Schwarzwaldmädel2 von Jugend auf begleitet hat.


    Mich doch auch. Auch deshalb bewegt mich das Leben von Jessel so stark.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Heute möchte ich hier an Leon Jessels


    144. Geburtstag


    erinnern.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Aus Anlass des Todes von Sonja Ziemann möchte ich auch Leon Jessel wieder ins Gedächtnis rufen. Sie wirkte 1950 als Bärbele in einer freien Verfilmung seiner Operette "Schwarzwaldmädel" mit.



    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo,

    für Freunde der Tonträger: Bei HAFG gibt es noch ein paar Einzelaufnahmen von Jessel-Melodien und einen kleinen Querschnitt durch die Operette "Treffpunkt Tegernsee", über die ich nichts näheres weiß. Immerhin singt in diesem QS Anneliese Rothenberger.

    Schöne Grüße

    wega

  • Hallo, 'wega'!


    Die dreiaktige Operette "Treffpunkt Tegernsee", komponiert 1934, fand sich unvollendet im Nachlass Leon Jessels und wurde von dem österreichischen, in Berlin lebenden Filmkomponisten Alfred Strasser bearbeitet. Die Uraufführung dieses Werks war erst am 12. 4. 2009 in einer Inszenierung des Neuburger Volkstheaters im schönen alten Opernhaus in Neuburg an der Donau, wo man sich seit Jahren kleiner, selten gespielter Werke des Musiktheaters annimmt.


    Der NDR hat 1952 (in der Fassung Strassers) eine elf Minuten dauernde Melodienfolge aufgenommen mit Anneliese Rothenberger, Friedel Blasius, Christo Bajew und Rupert Glawitsch; Wilhelm Stephan dirigierte das Hamburger Rundfunkorchester. Ich werde demnächst eine Discographie des 'Rundfunk'-Tenors Christo Bajew - der hauptsächlich beim Süddeutschen Rundfunk Stuttgart und beim Westdeutschen Rundfunk Köln in vielen Opern- und Operettenaufnahmen beschäftigt wurde - bei "Tamino" posten.


    LG


    Carlo

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  • Leon Jessel ist in Berlin begraben - und zwar auf dem Friedhof Wilmersdorf an der Berliner Straße. Ich gehe oft dort spazierten und komme bei dieser Gegebenheit auch an dieser letzten Ruhestätte vorbei. Zunächst war Jessel auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf beisetzt worden. Die Umbetten erfolgt 1955.


    Friedhof_Wilmersdorf_-_Grab_Leon_Jessel.jpg

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Falls ich auch hier für den neugierigen Musikfreund mit einem kleinen Video sekundieren dürfte:

    Lieber Don, herzlichen Dank für die Weiterleitung dieser Aufnahme. Ich kannte sie nicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent