Die hübschesten? Die besten? Meine Auswahl versucht, das „private“ Schaffen Mozarts dem Schatten zu entrücken und ein wenig ins rechte Licht zu rücken. Mozarts Instrument war eindeutig ab spätestens 1784 das „Clavier“, was die deutlich verstärkte Arbeit an Klavierkonzerten ab dieser Zeit zeigt. Sein gesamtes Œuvre ist durchsetzt von Klaviersonaten, Einzelstücken, Konzerten, „Duetten“ mit Violine, Trios, Quartetten und einem Quintett. Was macht nun das „Private“ der Solo-Einzelstücke aus? Nun, man stelle sich einfach einen phantasierenden, sich langweilenden [?], in sich gegangenen Mozart vor. Genau damit sollten wir anfangen:
Phantasie d-moll KV 385g [397], vermutlich aus dem Jahr 1782. Der genaue Entstehungszeitpunkt lässt sich nicht angeben, da das Autograph unbekannt ist. Man könnte sich bei diesem melancholischen Werk eine winterliche Szenerie vorstellen: Weiße Landschaft, vereiste Fenster, knisterndes Feuer, kalter Luftzug, Einsamkeit. Das schwermütige Thema des Adagioteiles mit chromatischen und querständischen Vorhalten ist so eingehend, dass man es – einmal gehört – nie wieder vergisst. Die Behandlung der linken Hand zeigt deutlich, dass Mozart zu dieser Zeit über kein Pedal-Clavier verfügte, umso eleganter ahmt er die Pedalwirkung durch geschicktes Notensetzen nach. Ein Stück demnach, was gänzlich ohne die Benutzung des Pedals ausgeführt werden kann [und sollte?], eine rechte Herausforderung für pianistische Laien wie mich. Ob das Werk tatsächlich unvollendet geblieben ist, lässt sich mangels der originalen Handschrift nicht mehr feststellen; jedenfalls bricht der originale Teil nach Takt 96 ab. Hier beginnt das Werk, wirklich „Phantasie“ zu werden: Die allgemein bekannte Überlieferung der folgenden 10 „Schlußtakte“ stammt vermutlich von A. E. Müller – sicherlich nicht die beste Variante im Sinne des Werkes, jedoch eine wenig ausschweifende und die am wenigsten anmaßende Art, das Stück zu beenden. Etliche Versuche, dem Werk einen „sinnvolleren“ Schluß zu geben, scheiterten völlig. So auch die von Mitsuko Uchida eingespielte Version in der Complete Mozart Edition. Der Autor dieser Fassung ist mir nicht bekannt. Vielleicht gibt mir jemand aus dem Booklet eine Information darüber? Möglicher Weise sind [von dem insgesamt verschollenen Autograph] bereits bei der ersten Drucklegung 1804 die letzten Blätter der Autographs nicht mehr vorhanden gewesen, denn die Erstausgabe ist unvollständig.
Am 10. Januar 1786 vollendet Mozart sein Rondo für Klavier in D-Dur KV 485, welches nicht in seinem 1784 begonnenen Verzeichnüß aller meiner Werke enthalten ist. Die Autorschaft Mozarts ist jedoch nicht anzuzweifeln, das Autograph ist existent und befindet sich in der Heinemann Foundation in New York, Der absteigende umspielte Dreiklang als Rondothema verwendet Mozart bereits in seinem Klavierquartett g-moll KV 478. Angeblich soll dieses Thema eine Reminiszenz an Joh. Chr. Bach sein, jedoch fand a bereits Carl Stamitz in seinem Orchesterquartett G-Dur für dieses eingängliche Thema Verwendung. Das Werk ist als typisches Rondo in Wien entstanden. Vermutlich hat Mozart es für Mademoiselle Würben komponiert, die Widmungsträgerin ist auf dem Autograph nicht [mehr] lesbar. Nett bereits der „Vorgriff“ auf die Kleine Nachtmusik ab Takt 16 im jeweils zweiten Thema.
Eine besondere Stellung in meinem „Mozartleben“ stellt das Rondò für das Klavier allein, a-moll KV 511, vollendet am 11. März 1787, dar. Es ist kaum zu beschreiben, welche Herrlichkeiten musikalischer Feinheit dieses Werk enthält. Die Handschrift zeigt eine durchaus hektische, aber konzentrierte Schreibweise. Die beginnende Schlichtheit und fast nackte Eleganz der Eingangstakte schlägt bald in chromatische Ausschweifungen um. Der Mittelteil steht in A-Dur, Mozarts Liebestonart. Dieser Lichtblick ist auch nur augenscheinlich, denn A-Dur hält nicht einmal einen Takt durch und landet gleich bei fis-moll. Chromatisch elegant kommt Mozart über D-Dur nach Cis-Dur, von wo aus er in einer dissonanzenreichen Abwärtsbewegung auf der Dominante E-Dur einhält und in der Reprise das Anfangsthema technisch anspruchsvoll umspielt, um in einer kontrapunktischen Verarbeitung zum Schluß zu kommen. Es ist mein persönliches Lieblingswerk dieses Komponisten welches mindestens einmal pro Tag gespielt wird, ohne, dass mir dabei langweilig würde.
In die Nähe dieses Rondos ist auch das Adagio h-moll KV 540 vom 19. März 1788 zu stellen. Dem eher harmlosen liedhaften Hauptteile folgt eine exquisite Durchführung mit Tonarten wie cis-moll, fis-Dur, b-moll. Höhepunkt des Werkes ist die Rückung nach C-Dur Takt 48, ein Moment der Aufklärung für knapp zwei Sekunden. Dennoch wartet das Werk mit einer Zufriedenheit in H-Dur auf, mit dem es endet. Passend für einen nebeldurchsetzten Samstag Morgen, wie der heutige im Elsaß.
Wer spielt nun Eurer Meinung nach diese vier Werke am „gerechtesten“?
bien cordialement
Ulli