Der Musiker Ehrenplätze


  • Das Wilhelm Pitz-Denkmal in Stolberg-Breinig  


    Als Wilhelm Pitz am 25. August 1897 geboren wurde, war Breinig, südöstlich von Aachen gelegen, noch eine selbständige Gemeinde; seit 1972 ist es ein Stadtteil von Stolberg.


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    Zum heutigen Todestag von Wilhelm Pitz


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    Der kleine Wilhelm wuchs in einem Elternhaus heran, in welchem er praktisch automatisch mit Musik in Berührung kam, denn sein Vater, Jakob Pitz, leitete den örtlichen Gesangverein von 1869 und als Sohn Wilhelm das entsprechende Alter erreicht hatte, war er zunächst Chorsänger, spielte aber auch Posaune Horn und Geige. In Publikationen findet sich der Hinweis, dass der junge Wilhelm Pitz bei dem Aachner Konzertmeister Fritz Dietrich - immerhin einem Schüler von Joseph Joachim - das Geigenspiel erlernte.
    Dietrichs pädagogische Arbeit war offenbar so erfolgreich, dass sein Schüler nach Beendigung der Schulzeit als Eleve im Stadtorchester Aachen mitwirken konnte; bereits als Sechzehnjähriger wurde er von dem Aachener Musikdirektor Fritz Busch 1913 ins Orchester geholt, wo er dann 1915 fest engagiert war. Es ist beachtlich, wie viele Künstler, die später Weltgeltung erlangten, zu Beginn ihrer Karriere in Aachen wirkten.
    Als der Erste Weltkrieg begann, hörte man den jungen Orchestermusiker in einer Militärkapelle, aber er war auch 1918 als Sanitäter an vorderster Front mit den Grausamkeiten des Krieges konfrontiert. Nach seiner eigenen Erzählung hatte er einmal auf einer militärischen Zugfahrt sein Gewehr im Zug vergessen und nur seine beiden Instrumente mit ins Quartier genommen.


    Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zog Wilhelm Pitz als Stehgeiger durch die Caféhäuser des Rheinlandes, um sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen. So ganz nebenbei erwarb er sich hierbei auch eine gewisse Routine. Auch in dieser Zeit war Wilhelm Pitz im heimatlichen Gesangverein mit seiner Baritonstimme zu hören, wo er durch sein musikalisches Können so respektiert wurde, dass man ihn 1920 zum Dirigenten wählte. Pitz´ guter Ruf festigte sich aufgrund überregionaler Auftritte. In dieser Gegend verstand man schon immer etwas vom Singen; so wurde Pitz 1926 an die Spitze des renommierten Aachener Gesangvereins »Harmonia« geholt; schon in diesen jungen Jahren begab er sich auf eine Konzertreise nach England. Aber auch die Instrumentalmusik kam nicht zu kurz, Pitz dirigierte regelmäßig Kurkonzerte in Bad Aachen.


    Als Wilhelm Pitz gerademal 36 Jahre alt war, berief ihn der damalige Aachener Generalmusikdirektor Peter Raabe auf die Position des Aachener Chordirektors.
    In Aachen tauchte - ohne Job aus Berlin kommend - 1934 der damals praktisch arbeitslose Herbert von Karajan auf, dirigierte eine von ihm einstudierte »Fidelio«-Aufführung und nahm damit einen Anlauf zu seiner Weltkarriere. Zunächst wurde Karajan 1935 in Aachen Raabes Nachfolger als Generalmusikdirektor. Karajan brachte zusammen mit Pitz beachtliche Aufführungen zustande; die beiden Herren schätzten sich und es verband sie eine achtjährige Zusammenarbeit. Es kamen die Wirren des Zweiten Weltkrieges, Karajan wurde an die Berliner Staatsoper berufen und brach zu neuen Ufern auf.
    Während Karajan nach Kriegsende aus politischen Gründen einige Schwierigkeiten hatte, konnte Wilhelm Pitz unbehindert seinem Beruf nachgehen, er war politisch völlig unbelastet und konnte sich bereits im Herbst 1945 in dem stark zerstörten Aachen an der Entstehung des öffentlichen Musiklebens beteiligen. Man übertrug ihm nun neben seinem Amt als städtischer Chordirektor noch die Position als 1. Opernkapellmeister, eine Stellung, die er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1961 ausfüllte.


    Nach dem großen Krieg heiratete Wilhelm Pitz 1946 eine seiner Chorsängerinnen, die ihren Gatten bei seinem beruflichen Aufstieg auch administrativ nach Kräften unterstützte; Erna Pitz war Jahre später eine bekannte Persönlichkeit in Bayreuth.
    Birgit Nilsson schrieb in ihrer Biografie über das Ehepaar:
    »Pitz and his wife, Erna, were like rays of sunshine in Bayreuth.«
    Frau Nilsson äußerte sich in großer Begeisterung über diesen Chor und in der deutschen Ü`bersetzuing liest sich das so:
    »Pitz´ Methode, einen Chor in Form zu bringen, war phänomenal. Es ist schwer zu beschreiben, was er tat, er war einfach ein Zauberer.«
    In den Jahren 1949 bis 1957 übernahm der Vielbeschäftigte auch noch den berühmten Kölner Männergesangverein, mit dem eigentlich seine internationale Karriere begann. Dem Chor lauschte beispielsweise 1950 Papst Pius XII. in Castel Gandolfo und 1954 zelebrierte der Chor ein Konzert in der Royal Festival Hall zu London.


    Das wohl einschneidendste Ereignis im musikalischen Leben von Erna und Wilhelm Pitz war ein Telegramm, das am 30. Januar 1951 in Aachen eintraf und dessen Text so aufregend war, dass Erna Pitz - Smartphones gab es damals noch nicht - unverzüglich zur Chorprobe ihres Mannes lief, um ihn mit dem Text vertraut zu machen:
    »Sie erhalten baldigst Einladung Erster Chordirektor Bayreuther Festspiele, seien Sie sich der Verantwortung bewusst besten Opernchor Europas aufzubauen, Glückwünsche Karajan.«


    O namenlose Freude, aber nun war harte Arbeit angesagt; das Ehepaar Pitz reiste mit dem Zug kreuz und quer durch Deutschland, das damals noch nicht getrennt war - auch hier der Hinweis, dass damals ein Auto keine Selbstverständlichkeit war - und hörte sich an vierzig Orten, meist Theatern, etwa 900 Aspiranten für den Bayreuther Chor an, wobei die beiden wussten, dass sie nur 50 Damen und 50 Herren mit nach Hause bringen durften, mehr erlaubte das Bayreuther Budget nicht. Bei dieser Findungsreise war man in zwei Monaten so um die 9000 Kilometer unterwegs, manchmal an drei verschiedenen Orten oder Theatern an einem Tag, und Wilhelm Pitz begleitete beim Vorsingen selbst am Klavier.
    Die Reisen hatten sich gelohnt, denn kein geringerer als der stets kritische Toscanini, der die Bayreuther Übertragung im Radio gehört hatte, lobte gegenüber Walter Legge die Chorleistung in den höchsten Tönen.
    Legge, der den Bayreuther Chordirigenten schon mal brieflich mit »Lieber Pizzicato!« ansprach, war nun hellwach und stellte sich neben dem berühmten Londoner Philharmonia Orchester auch einen Londoner Philharmonia Chor vor - und setzte seine Vorstellungen auch in die Tat um. Mit der Columbia Grammophone Company entstanden eine Menge Schallplatten, was zur Folge hatte, dass Pitz für einen längeren Zeitraum mittwochs das Flugzeug nach London bestieg, um dort mit dem Chor zu proben und Aufnahmen zu machen.


    So wie Pitz 1951 vom Dirigenten Karajan nach Bayreuth empfohlen wurde, ging es 1955 in Aachen andersherum; als Wolfgang Sawallisch dort seinen ersten »Tristan« dirigierte, empfahl der Aachener Chordirektor den Dirigenten nach Bayreuth, 1957 dirigierte dann Sawallisch dort die Eröffnungspremiere des »Tristan«.


    Natürlich war Wilhelm Pitz auch nach seiner Pensionierung 1961 nicht gewillt einen Ruhestand zu genießen, als er von Professor Ferdinand Großmann nach Wien eingeladen wurde, arbeitete er dort mit den Sängerknaben, dem Herrenchor der Wiener Staatsoper und den Philharmonikern. Zehn Jahre nach seiner offiziellen Pensionierung reagierte der Körper auf diese Dauerbelastung und der unermüdlich Schaffende erlitt einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Am 21. November 1973 starb Wilhelm Pitz an seinem Wohnort Kornelimünster.


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    In der 376 Meter langen Wilhelm-Pitz-Straße zu Stolberg Breinig steht dieses Denkmal, es ist der ehemalige Grabstein seiner Ruhestätte.

  • Das Kurt Weill - Denkmal in Dessau-Roßlau

    Kurt Weill wurde noch in Dessau geboren, das war am 2. März 1900, seit 1997 sitzt er nun als Bronzefigur in seiner Geburtsstadt, die seit 2007 nun Dessau-Roßlau heißt. Auch ins Theater ist er wieder - in Form einer Bronzebüste - zurückgekehrt. Als lebendige menschliche Gestalt war er im Dessauer Theater 1919 für drei Monate als Korrepetitor unter Hans Knappertsbusch tätig, weil er die Musikhochschule in Berlin, wo er 1918 ein Studium begonnen hatte, wieder verließ.


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    Zum heutigen Geburtstag


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    Bei Familie Weill wurde 1898, 1899, 1900 und 1901 jeweils ein echter Geburtstag gefeiert, Curt Julian Weill wurde als dritter Sohn des Kantors der jüdischen Gemeinde geboren, die Mutter stammte ebenfalls aus einer Rabbinerfamilie und war eine Verehrerin der französischen Literatur, Julien Sorel dürfte wohl Namenspate des Söhnchens gewesen sein. Zu den drei Jungs gesellte sich noch ein Schwesterchen, dann war die Familie vollzählig.


    Sie waren erst zwei Jahre zuvor aus dem Süddeutschen in die Stadt gekommen.
    In den Jahren 1907/1908 errichtete die jüdische Gemeinde in Dessau eine imposante Synagoge nebst Gemeindehaus und Dienstwohnung. Die musikalische Grundausbildung von Kurt - so nannte sich der Knabe nach dem zehnten Lebensjahr - übernahm der Vater. Der Junge zeigte schon früh Interesse am Theater, was der Herzog noch förderte, indem er dem Zehnjährigen freien Eintritt zu Aufführungen und Proben gewährte. Kurt wurde auch oft an den Hof gerufen, um der fast gleichaltrigen Prinzessin Antoinette Anna bei ihren Klavierübungen zu helfen.
    Als Albert Bing 1913 als Hofkapellmeister nach Dessau kam, erkannte und förderte er die Begabung des Jungen. Zwar hatte der Dreizehnjährige schon seine erste Komposition fertiggestellt, aber Bing vermittelte dem jungen Weill erste theoretische Kompositionskenntnisse. Noch vor seinem Abitur wurde Kurt Weill selbst pädagogisch tätig und erteilte Klavierunterricht. Nach dem Abitur studierte Weill ab April 1918 an der Hochschule für Musik in Berlin. jedoch zunächst nur drei Semester, weil er zum Familieneinkommen beitragen musste, denn im dritten Kriegsjahr waren die Bezüge des Vaters drastisch gekürzt worden. In den Jahren von 1913 bis 1917 waren bereits eine Menge Kompositionen entstanden. Weil tat zwar in Briefen kund, dass ihm die Hochschule schon was brachte, war andererseits jedoch der Ansicht, dass ihn das Studium hier nicht weiter bringt, weshalb er Kontakt zu Schönberg in Wien aufnahm, aber ein Studium in Wien scheiterte an Weills monetärer Situation, denn inzwischen war seinem Vater wegen finanzieller Notlage der Gemeinde gekündigt worden. Am vertrauten Theater in Dessau, das nun kein Hoftheater mehr war, trat er für die Spielzeit 1919/20 die Stelle einen Korrepetitors an; dort war, wie gehabt, Albert Bing Kapellmeister, aber Hans Knappertsbusch neuer musikalischer Oberleiter. Dass da nun ein junger Mann in musikalischen Dingen mitreden wollte behagte Knappertsbusch überhaupt nicht und er sagte Weill überdeutlich, dass dieser sich ausschließlich um die Rollenvorbereitung des singenden Personals zu kümmern habe. Das war Weills Sache jedoch nicht, schon nach drei Monaten brach er die Beziehungen zu seinem Heimattheater ab. Auf Empfehlung seines alten Lehrers Humperdinck, konnte er Kapellmeister am Stadttheater Lüdenscheid werden. Um Details zu umgehen, kann man pauschalierend von »Schmierentheater« sprechen, da wurde schon mal im Saal eines Hotels gespielt und Schwänke und Operetten dominierten.


    Guter Rat war nun teuer - zu Schreker an die Hochschule, oder zu Busoni, der gerade wieder in die Stadt gekommen war? Ferruccio Busoni beabsichtigte an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin eine Meisterklasse für Komposition einzurichten. Aber Busoni war wählerisch, da konnte man sich nicht einfach so anmelden; aber es klappte. Weil erhielt im Dezember 1920 die Nachricht, dass ihn Busoni als einen von fünf Meisterschülern aufnimmt; im Januar 1921 sollte das Studium beginnen. Der Unterricht fand wöchentlich zweimal in Busonis Wohnung statt. Weills Lebensführung muss äußerst sparsam sein, weshalb er sich ab Januar 1921 in einem typischen Berliner Lokal als Klavierspieler verdingt.
    Als Weill im Dezember 1923 sein Studium mit dem Diplom der preußischen Akademie der Künste abschloss, hatte er eine Menge geleistet, was in diesem Rahmen nicht ausführlich gewürdigt werden kann.
    Er komponiert seine erste Symphonie und wird Mitglied der Musikabteilung der »Novembergruppe«, einem Zusammenschluss oppositionell gesinnter Künstler, deren Ziel die Demokratisierung des Kunstgeschehens ist.
    Weill hatte ein enges Verhältnis zu seinem Lehrer Busoni, der ihn in seinem Schaffen stark beeinflusste, als Busoni starb, war das für Weill ein harter Schlag. In diese Zeit fällt auch die erste Begegnung mit Lotte Lenya, die in der Tat romantischer nicht hätte sein können, denn die damals 26-Jährige hatte den Auftrag, Weill am Bahnhof abzuholen und zu einem Anwesen zu bringen, das nur mit dem Ruderboot erreichbar war. Zwei Jahre später heiratet das ungleiche Paar, das sich so sehr gegenseitig braucht. Kurt Weill sagte einmal über Lotte Lenya:
    »Sie ist eine miserable Hausfrau, aber eine sehr gute Schauspielerin. Sie kann keine Noten lesen, aber wenn sie singt, dann hören die Leute zu wie bei Caruso. (Übrigens kann mir jeder Komponist leidtun, dessen Frau Noten lesen kann.) Sie kümmert sich nicht um meine Arbeit. (Das ist einer ihrer größten Vorzüge.) Aber sie wäre sehr böse, wenn ich mich nicht für ihre Arbeit interessieren würde.«


    Als Weill 1927 den Auftrag bekam eine Kurz-Oper für das jährlich stattfindende Festival für zeitgenössische Musik in Baden-Baden zu schreiben, wählte er als Grundlage für das Libretto die »Mahagonnygesänge« der »Hauspostille« eines gewissen Bertolt Brecht.
    Dichter und Musiker hatten bald herausgefunden, dass dieser »Mahagonny«-Stoff eigentlich mehr hergab als nur das Songspiel »Mahagonny« und durchaus zu einer abendfüllenden Oper werden könnte, aber zunächst gab es in Baden-Baden einen Skandal; Brecht an Helene Weigel: »Hier großer Regieerfolg! 15 Minuten Skandal!« Dessen ungeachtet bauten die beiden den Stoff zu einer abendfüllenden Oper aus, es entstand »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«.k
    Nun ergab es sich, dass der junge Produzent Ernst Josef Aufricht, der mit der finanziellen Unterstützung seines Vaters 1928 das Berliner Theater am Schiffbauerdamm gepachtet hatte, zu Beginn der Spielzeit nach einem neuen Stück suchte.


    Brecht, der erst durch seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann Zugang zu dem Stück gefunden hatte, sagte ihm: »Ich habe da einen kleinen Entwurf nach John Gays ›Beggar´s Opera‹, falls Sie ihn lesen mögen.«
    Aufricht war spontan begeistert, aber mehr als zurückhaltend, als ihm Brecht sagte, dass Weill dazu die Musik machen sollte.
    Kurt Weill war zu diesem Zeitpunkt schon als Opernkomponist bekannt, denn seine Oper »Der Protagonist« war im März 1926 unter Fritz Buschs Leitung am Opernhaus Dresden durchaus erfolgreich uraufgeführt worden und ein Jahr danach seine einaktige Oper »Royal Palace« unter Erich Kleibers Stabführung an der Staatsoper Berlin. Diesen Werken folgte noch das etwa einstündige Opernwerk »Der Zar lässt sich fotografieren«, eine komische Oper, die am 18. Februar 1928 ihre Uraufführung in Leipzig erlebte und auch ein großer Erfolg wurde. Wie daraus ersichtlich, war Kurt Weill stets sehr gut beschäftigt.


    Schließlich setzte sich Brecht in der Frage des Komponisten durch, und Weills Intuition sah so aus:


    »Was wir machen wollten, war die Urform der Oper. Bei jedem musikalischen Bühnenwerk taucht von neuem die Frage auf: Wie ist die Musik, wie ist vor allem Gesang im Theater überhaupt möglich? Diese Frage wurde hier auf einmal auf die primitivste Weise gelöst. Ich hatte eine realistische Handlung, musste also die Musik dagegensetzen, da ich ihr jede Möglichkeit einer realistischen Wirkung abspreche. So wurde also die Handlung entweder unterbrochen, um Musik zu machen, oder sie wurde bewusst zu einem Punkt geführt, wo einfach gesungen werden musste. Dieses Zurückgehen auf eine primitive Opernform brachte eine weitgehende Vereinfachung der musikalischen Sprache mit sich. Aber was zunächst als Beschränkung erschien, erwies sich im Laufe der Arbeit als eine ungeheure Bereicherung.«


    Als einmal Weill beim Theaterleiter auftaucht und diesem mitteilt, dass er gedenkt ihm am nächsten Tag die Musik vorzuspielen, hat er noch einen Zusatzwunsch: »ich möchte, dass meine Frau die Jenny, eine der Huren, spielt.« Ob dieses Angebots war Aufrecht dann doch etwas unangenehm berührt und auch irritiert, weil er von der Schauspielerin Lotte Lenya noch nie etwas gehört hatte.


    Unter dem Arbeitstitel »Die Ludenoper« erarbeiteten Brecht und Weill im Frühjahr 1928 die erste Textfassung; im Juni und Juli war dann Gemeinschaftsarbeit an der Cote d´Azur angesagt; um ungestört arbeiten zu können, waren Brecht, Helene Weigel mit Sohn Stefan und das Ehepaar Weill nach Le Levandou (man kann auch lesen es sei St. Cyraux Lecques gewesen) gefahren. Lenya Weill erinnerte sich:
    »... Tag und Nacht wie die Verrückten, schrieben, änderten, strichen, schrieben aufs neue und unterbrachen ihre Arbeit nur, um ein paar Minuten ans Meer hinunter zu gehen.«


    Der endgültige Titel »Dreigroschenoper« geht auf einen Einfall von Brecht-Freund Lion Feuchtwanger zurück.


    Bis zum triumphalen Start der »Dreigroschenoper«, einen Triumph, an den niemand so recht geglaubt hatte, gab es noch einige Imponderabilien. Die Kabarettistin Rosa Valetti mäkelte am Text herum: »Saustück! Sowas sing ich nicht!« Harald Paulsen, der die Hauptrolle spielte, hat sich zum Beispiel zwei Tage vor der Premiere darüber beklagt, dass er erst in der zweiten Szene dran kam, und so entstand der Moritat-Song. Er wollte unbedingt etwas haben, womit er eingeführt wird. So schrieb Brecht über Nacht die Moritat von Mackie Messer, Kurt Weill vertonte sie:
    »Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht, und Macheath, der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht.«
    Einen Tag vor der Premiere rannte der sonst eher schweigsame Weill brüllend durch das Haus, weil auf dem Programm der Name seiner Frau fehlte, die die Seeräuberjenny spielte;
    wie zu lesen ist, soll auch Weill selbst darum gekämpft haben, dass er im Programmheft genannt wird und es wird die Frage gestellt, ob Brecht Weills Musik nur als Beigabe zu seinen Texten gesehen haben könnte.

    Die Musik Weills enthält Elemente aus Jazz und Unterhaltungsmusik sowie Kirchen- und Opernmelodien, eine Mischung die offensichtlich ankam, wenngleich sie zunächst gewöhnungsbedürftig war, denn es wird berichtet, dass die Stimmung im Parkett zunächst eisig gewesen sein soll und erst der »Kanonensong« das Eis gebrochen habe.


    Heute weiß man, dass das Stück ein Riesenerfolg war, der unmittelbar nach der Uraufführung einsetzte, denn schon ein Jahr später hatten mehr als fünfzig Bühnen das Stück im Spielplan, 1931 entstand ein Film. Künstlerisch ist zu berichten, dass eine »Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester« entstand, die Otto Klemperer im Februar 1929 zur Uraufführung brachte.
    Diese Dreigroschenoper hatte mehr als nur Groschen in die Haushaltskasse der Weills gebracht, sie bezogen eine moderne Wohnung im Berliner Westend und ein Auto wurde auch angeschafft.


    Der nächste ganz große Wurf, Die Uraufführung von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny fand am 9. März 1930 im Neuen Theater in Leipzig statt. Die Oper ist eine Adaption des Werkes Mahagonny–Songspiel. Otto Klemperer soll das Werk mit Tränen in den Augen für Berlin abgelehnt haben, es ging um Bordellszenen und religiöse Dinge. Das Ganze hatte auch politische Dimensionen; die Absetzung des Stückes konnte zwar gerade noch abgewendet werden, aber Bühnen wie Essen, Oldenburg und Dortmund lösten bereits geschlossene Aufführungsverträge. Aber auch da wo das Werk gespielt wurde: in Kassel, Braunschweig und Frankfurt am Main, waren die Aufführungen von Störungen begleitet.
    Aber Deutschlands führende Musikkritiker erkannten die Qualität dieser Oper an.
    Erneut war es Ernst Josef Aufricht, der dem Stück endlich in Berlin eine Chance gab; Aufricht hatte das Theater am Kurfürstendamm gemietet, wo die Oper allerdings in etwas reduzierter Form am 31. Dezember 1931 in der Hauptstadt mit großem Erfolg aufgeführt wurde und am Pult stand auch ein ganz Großer - Alexander Zemlinsky. Und der Erfolg war anhaltend bis ins Frühjahr hinein.


    Neben der Arbeiterchorbewegung, für die sich Weill weniger interessierte, entstanden zu Anfang der 1930er Jahre sogenannte Schulopern von verschiedenen Komponisten. Weill beteiligte sich daran mit »Der Jasager«, wiederum ein Gemeinschaftswerk von Weill, Hauptmann und Brecht. Dieses Lehrstück hatte seine Wurzeln noch in Baden-Baden, wurde aber dann zum ersten Mal im Juni 1930 im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht in Berlin aufgeführt.
    Das bisherige Autorenteam war in Auflösung begriffen. Schon während der Proben zur Berliner »Mahagonny«-Produktion kam es zu persönlichen Auseinandersetzungen; offensichtlich hatte sich Brecht zu sehr in den Vordergrund geschoben, denn als Weill einmal in diesem Zusammenhang von einem Journalisten befragt wurde, meinte Weill:
    »Das klingt ja fast, als glaubten Sie, Brecht habe meine Musik komponiert?«


    Aus Weills Sicht war alles hervorragend was aus Amerika kam, von der Literatur bis zur Musik. Das kam auch sprachlich zum Ausdruck, wo aus dem Begriff »Lied« ein »Song« wurde, um nur ein Beispiel zu nennen.
    In dieser Zeit verschärfte sich in Deutschland die wirtschaftliche und politische Krise; 7,5 Millionen Arbeitslose gingen auch an den Theatern nicht spurlos vorbei, an gewagten neuen Stücken war bei rückläufigen Besucherzahlen kein Bedarf. Aber dennoch entstand, in Zusammenarbeit mit Caspar Neher, Weills neue Oper »Die Bürgschaft«, die im März 1932 erstmals in der Städtischen Oper Berlin aufgeführt wurde.
    Die politische Situation gestaltete sich für Weill zusehends ungünstiger, der »Völkische Beobachter« schrieb damals:


    »Es ist unbegreiflich, daß ein Autor, der durch und durch undeutsche Werke liefert, an einem mit dem Gelde deutscher Steuerzahler unterstützten Theater wieder zu Worte kommt! Möge sich Israel an diesem neuen Opus Weills erbauen.«


    Die Weills hatten im südlichen Berliner Vorort Kleinmachnow ein Haus erworben und zogen im März 1932 dort ein. Aber die Idylle währte nicht lange, denn Gattin Lenja hatte sich in Wien in den wohlhabenden Tenor Otto Pasetti verliebt und da wollte Weill nicht hinten anstehen und begann eine Beziehung mit Caspar Nehers Frau.
    Aber Weill arbeitete intensiv weiter, das neue Projekt war das dreiaktige Bühnenspiel »Der Silbersee«, dessen Uraufführung am 18. Februar 1933 in Leipzig stattfand. Die Atmosphäre war eine ganz Besondere, die der Nachwelt so dargestellt wird:
    »Alle, die im deutschen Theater etwas zählten, trafen sich hier ein letztes Mal. Und jeder wusste dies. Man kann die Atmosphäre kaum beschreiben, die herrschte.«


    Am 21. März - Tag der Machtübernahme - verschwand Kurt Weill aus Berlin und traf am 23. März in Paris ein, wo er kein Neuling war, im Dezember 1932 hatte er hier bereits musikalisch gewirkt und fühlte sich keineswegs als Emigrant, und er hatte auch einige Skizzen im Gepäck. Es konnte also in Paris nahtlos weitergearbeitet werden, man benötigte Werke für einen mehrteiligen Ballettabend. Weil wollte kein gewöhnliches Ballett schreiben, sondern ein »ballet chanté«, also mit Gesang. Da Jean Cocteau nicht zur Verfügung stand, kam Brecht aus der Schweiz herbeigeeilt und so entstand in nur zwei Wochen »Die sieben Todsünden«; Lotte Lenja war auch wieder dabei und es war die letzte Zusammenarbeit mit Brecht. Ein Manko war, dass in deutscher Sprache gesungen wurde.


    Lotte Lenja fuhr Ende August 1933 nochmal nach Deutschland, um das Haus zu verkaufen und den Hausstand aufzulösen. Um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass hier jüdisches Eigentum weggeschafft wird, hatte Lenja die Scheidung eingereicht, die am 18. September vom Amtsgericht Potsdam vollzogen wurde. Finanziell stand es nicht zum Besten, denn Weills Berliner Konto war zum »Sperrguthaben« erklärt worden.
    Aber die musikalische Schaffenskraft erlahmte auch in Frankreich nicht, er arbeitete an einem schon in Berlin begonnenen Auftragswerk weiter und befasste sich sogar mit einem Operetten-Libretto. 1934 entstand »Marie Galante«, was zwar kein großer Erfolg wurde, aber einzelne Lieder wie »J’attends un navire« wurden sehr populär.
    Weill war mal in Paris, dann wieder in London mit vielerlei Aktivitäten unterwegs, aber der wichtigste Punkt war in dieser Zeit die Entstehung des jüdischen Oratoriums »Der Weg der Verheißung« in Zusammenarbeit mit Franz Werfel, man hatte sich im Mai 1934 bei Salzburg mit Max Reinhardt getroffen, um diese Produktion zu planen.
    Weills Ex-Frau war des Tenors überdrüssig geworden und lebte nun abwechselnd mal in Paris und London, man hatte sich wieder angenähert. Für das Bibeldrama sollten bald die Proben in New York beginnen, Weill bestellte für die Überfahrt am 4. September schon mal eine Doppelkabine auf der »Majestic«, dem damals größten Schiff der Welt; Lenja war einverstanden. In New York verzögerte sich die Produktion erheblich. Ein in New York anberaumter Weill-Abend wurde zum vollen Misserfolg, da half auch nicht, dass Lotte nun unter dem Namen Lenya auftrat.
    Da lief es mit seinem europäisch-amerikanischen Übergangswerk »Jonny Johnson« weit besser und nun kam auch endlich das Oratorium zur Aufführung, das zwar mit 153 stets ausverkauften Vorstellungen ein großer Erfolg war, aber finanziell nicht besonders viel abwarf, weil die Produktionskosten sehr hoch waren.
    Zu einem privaten Höhepunkt kam es am 19. Januar 1937, der Komponist heiratete seine Sängerin zum zweiten Male. Es kam zu zahlreichen Kontakten in Hollywood, das für Weill sehr strapaziös war. Ende August 1937 hatten sich die Weills entschlossen amerikanische Staatsbürger zu werden, aber es dauerte schließlich bis 1943, dann erst war dieser bürokratische Akt vollzogen. Schon ab 1941 schrieben sie auch ihre private Korrespondenz in der Sprache der neuen Heimat.


    Eines der stärksten Weill-Stücke in Amerika war das Broadway-Musical »Lady in the Dark« von 1941. Erfolge bringen Dollars; in diesem Jahr kaufte man sich ein 150 Jahre altes Farmhaus mit 17 Morgen Land. Auch der Krieg spielte eine Rolle in Amerika, unter anderem schrieb Weill im Auftrag der US-Army. 1943 war mit »One Touch of Venus« Weills erfolgreichstes Musical über die Bühne gegangen.
    In diesem Rahmen sind nur grobe Einblicke in das unermüdliche und vielfältige Schaffen Weills möglich. Da gab es zum Beispiel dieses Broadway-Oper-Konzept. Vor Weills geistigem Auge erschien noch einmal das 1929 entstandene Stück »Street Scene«, jetzt war er in New York und hatte die Möglichkeit selbst Studien in den Armenvierteln der Stadt zu betreiben; 1946 begann er den Faden wieder aufzunehmen - und diese Gedanken waren so formuliert:


    »Sobald ich über die Musik zu ›Street Scene‹ nachzudenken begann, entdeckte ich, daß das Stück selbst nach einer großen Vielfalt von Musik verlangte, so wie die Straßen von New York ihrerseits viele Länder und Völker aufnehmen. Hier hatte ich eine Gelegenheit, unterschiedliche musikalische Ausdrucksformen zu verwenden, vom populären Song bis zu Opernarien und Ensembles, Stimmungsmusik und dramatische Musik, Musik einer jungen Liebe, Musik der Leidenschaft und des Todes - und, über allem, die Musik eines heißen Sommerabends in New York.«


    Weill arbeitet sehr intensiv an diesem Werk, wie er seinen Eltern schreibt - die inzwischen in Palästina wohnen - hat er im September 1946 etwa 80 Prozent der Komposition schon abgeschlossen, im November war er damit fertig und es begannen die Proben. Die Uraufführung fand am 9. Januar 1947 im New Yorker Adelphi Theatre statt. Das Premierenpublikum war begeistert und die Presse auch.


    Im Mai 1947 reiste Weill zu seinen Eltern nach Palästina; seit 1933 hatte er sie nicht mehr gesehen. Auf der Hin- und Rückreise kam er auch nach London, Paris, Rom, Zürich und Genf; an Deutschland hatte er offenbar kein Interesse.


    Das letzte Bühnenwerk Weills ist die musikalische Tragödie »Lost in the Stars«, ein der Oper nahestehendes Musical. Die Uraufführung fand am 30. Oktober 1949 statt und es folgte eine Serie von 272 Aufführungen, was als außergewöhnlicher Erfolg bezeichnet werden kann.
    Am 2. März 1950 konnte er noch mitten in diesem großen Erfolg seinen 50. Geburtstag feiern; am 17. März erlitt er einen Herzanfall, zwei Tage später brachte man ihn ins New Yorker Flower Hospital, wo er am 3. April 1950 an einer Koronarthrombose starb. Die Beisetzung war zwei Tage später. Am 10. Juli fand in der Freilichtarena des New Yorker Lewisohn Stadium ein Kurt Weill Memorial Concert statt; das New York Philharmonic Orchestra spielte Ausschnitte aus seinen amerikanischen Werken.

  • Das Bernd Weikl Museum in Bodenmais


    Bernd Weikl zum 80. Geburtstag


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    Ein Sänger, der »mit seinem weichen, fülligen, höhensicheren Bariton und schöner Legatokultur schmiegsame italienische Phrasierung beherrscht«, wie der als kritisch bekannte Kritiker Karl Löbl anlässlich des Debüts von Bernd Weikl an der Wiener Staatsoper feststellte.


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    »Licht & Schatten« - so hat der mehrfache Kammersänger Bernd Weikl seine Lebenserinnerungen beschrieben; ein sehr ehrliches Buch, dem noch andere Bücher des fleißigen Autors zu unterschiedlichen Themen folgten.
    Bernd Weikl wurde am 29. Juli 1942 im neunzehnten Bezirk von Wien - in Döbling - geboren, empfindet jedoch die Gegend um den Großen Arber als seine eigentliche Heimat; in Bodenmais, im östlichen Bayerischen Wald, verlebte er einige Jahre seiner Kindheit und die ersten Schuljahre, die auch von Licht und Schatten geprägt waren. Nachdem der Vater im Notstandsgebiet des Bayrischen Waldes arbeitslos geworden war, findet sich die Familie 1952 in Mainz wieder, wo der Junge das Gymnasium am Kurfürstlichen Schloss besucht, was großartig wirkt, aber dazu ist zu bemerken, dass zu dieser Zeit dort der Unterricht noch im Keller stattfand, wo auch mal Ratten während des Unterrichts gesichtet wurden; das Gutenberggymnasium ist ein späteres Bauwerk.


    Die Eltern beschaffen für Bernd eine Geige und organisieren auch einen Lehrer dazu, aber der junge Mann begeisterte sich eher für die Gitarre, die er vom Vater her kennt, also macht er sich autodidaktisch mit diesem Instrument vertraut und bald folgen öffentliche Auftritte in einer Band, die sich »Die Kolibris« nennt, da ist drei Mal pro Woche Tanzmusik in einem Café angesagt.
    Zur Abiturprüfung im Wahlfach Musik möchte Weikl - neben einer Eigenkomposition für Gitarre - auch als Sänger in Erscheinung treten und wählt die Bravourarie des Herrn van Bett: »O, ich bin klug und weise ...« was ihm zur Abiturprüfung durchaus passend scheint.
    Bei der Einübung des Stücks mit dem Dirigenten des örtlichen Kirchenchors horcht dieser auf und bringt den jungen Mann unverzüglich zu einer Gesangslehrerin, die am Konservatorium wirkt. Die Dame ist von der Stimme so angetan, dass sie zum Gesangsstudium rät. Bis dahin hatte Weikl keinen Gedanken daran verschwendet Berufssänger zu werden, er wollte lediglich etwas für die Abschlussprüfung vortragen und dabei eine gute Figur machen, aber nach dem Schulabschluss etwas anderes studieren.
    Für seinen Vortrag gab es bei der Prüfung die Note zwei, das »Sehr Gut« wurde ihm mit der Begründung verweigert, dass man eine solche Opernarie nur sehr gut vortragen könne, wenn man vorher Gesang studiert habe.


    Also wird zunächst Volkswirtschaft und auch ein bisschen Sinologie studiert, wobei er auch mit dem ZDF in Berührung kam, die den Studenten als Hilfskraft für das Archiv einstellt, wobei der Studioso auch mit Alfred Biolek zu tun hat. Es graust den angehenden Volkswirt zwar, wenn er ab und an am Konservatorium vorbei kommt und bei geöffneten Fenstern die Vokalfolgen der Übenden hört, aber es packt ihn dann doch und er begibt sich in die Hände von Frau Geisse-Winkel, es ist die Tochter des berühmten Wagner-Sängers Nicola Geisse-Winkel. Nun folgen neben der Volkswirtschaft auch noch Gesangsstunden, eine Stunde wöchentlich. Weikl zweifelt ob diese wöchentliche Stunde ausreicht, um als Sänger bestehen zu können; er reist nach München und trägt dort in der Hochschule für Musik und Theater dem berühmten Bariton Karl Schmitt-Walter vor, der das »Stimm-Material« großartig findet, will jedoch die Verantwortung für die Ausbildung nicht übernehmen, weil er selbst nicht mehr so leistungsfähig ist. Nun reist der junge Mann nach Berlin und wird bei der Westberliner Hochschule für Musik vorstellig, die damals von Boris Blacher geleitet wird; dieser verweist ihn auf eine Gesangslehrerin, die aus Bernd Weikl einen Tenor machen möchte, also nichts wie weg ... - allerdings war dann Jahre später Herbert von Karajan auch der Ansicht, dass Bernd Weikl im Besitz einer Tenorstimme sei.


    Zum Wintersemester 1965 verlässt Weikl die Mainzer Universität und schreibt sich an der Musikhochschule in Hannover ein. Das ist nun weit mehr als die Aneinanderreihung von Gesangsstunden, hier wird in dreizehn Fächern unterrichtet: Neben Klavier ist da auch noch Tanz und Ballett sowie Florettfechten ...
    Für den Gesang ist in Hannover Professor Naan Pöld, ein bekannter Tenor aus Estland, zuständig. Während des Studiums wird das Budget mit Gesang bei Hochzeiten und Begräbnissen sowie mit Kleinstrollen am Theater aufgebessert; ein Stipendium der Deutschen Studienstiftung kommt schließlich auch noch hinzu.
    Eine ganz wichtige Person an der Hochschule war die Sachbearbeiterin Fräulein Uhlig, die spätere Frau Weikl. Als Weikl 1970 die Hochschule mit Examen verlässt, ist er bereits seit zwei Jahren am Theater tätig und hat auch bereits bei einem Film mitgewirkt. Ebenfalls noch in seine Studienzeit fällt die Produktion einer selbstfinanzierten Schallplatte mit einer italienischen und französischen Arie; diese Aufnahmen führten schließlich 1968 zu einem Anfängervertrag am Opernhaus Hannover, wo Weikl zunächst Tenor-, Bass- und Baritonwurzen sang. Aber der vielseitig Einsetzbare trat auch als Schauspieler am Landestheater Hannover auf und es kam zuweilen vor, dass er am gleichen Abend sowohl im Schauspiel als auch in der Oper auftrat.


    Ein ähnliches »Doppelleben« ergab sich beim Wechsel von Hannover zum Opernhaus Düsseldorf, wo der Sänger morgens zu den Proben nach Düsseldorf eilte, aber abends auch wieder in Hannover auf der Bühne zu stehen hatte. Als sich der Agent Robert Schulz für den aufstrebenden Sänger interessiert und seine Dienste anbietet, kommt es zu einem Vorsingen an der Staatsoper München, wobei Bernd Weikl den Herren Sawallisch und Dr. Rennert nicht gefallen konnte; hier sollte man jedoch hinzufügen, dass Weikl bereits drei Jahre später hier als hochbezahlter Gast auftreten konnte.
    Weit positiver als in München, reagierten Horst Stein und August Everding an der Staatsoper Hamburg, wo man Weikl einen mit 5.000 Mark dotierten Fachvertrag anbot, der die eintausendzweihundert Mark in Düsseldorf bei weitem überbot.


    Noch während seiner Studienzeit bekam der Musikstudent Karten für »Parsifal« in Bayreuth geschenkt und fuhr mit seiner Frau - das Paar hatte1970 geheiratet - zu den Festspielen. Wieland Wagners Inszenierung konnte die beiden nicht begeistern, weshalb sie die Vorstellung bereits nach dem ersten Akt verließen, wobei der junge Sänger meinte: »Da will ich nie auftreten«; man sollte nie »nie« sagen, einige Zeit später vereinbarte Agent Schulz einen Vorsingtermin im Frankenland und Wolfgang Wagner engagierte Weikl für den Wolfram von Eschenbach in der »Tannhäuser«-Inszenierung von Götz Friedrich. Die Proben waren strapaziös ...
    Natürlich berichtet die internationale Presse über den Bayreuther »Tannhäuser«, wobei Weikl mit Lob geradezu überschüttet wird: Die Süddeutsche Zeitung schreibt von der Entdeckung des Abends, The Times empfiehlt den jungen Sänger ebenfalls in höchsten Tönen und die FAZ spricht von einem Durchbruch in die Spitzenklasse. Und so war es dann auch, hier beginnt, fast explosionsartig, eine international bedeutende Karriere.


    Nach seinem spektakulären Erfolg in Bayreuth, kommt Weikl in seiner Geburtsstadt zunächst mit der Volksoper in Berührung, wo das adaptierte Musical »Karussell« in Szene geht, aber dem Werk ist damals kein großer Erfolg beschieden; Weikl wurde zwar in seiner Rolle als Ausrufer Billy Bigelow gelobt, aber das Publikum war auf so etwas noch nicht eingestimmt; das Genre Musical wurde hierzulande erst in späteren Jahren durch Andrew Lloyd Webber ein Begriff.


    Mit dem Renommee Hamburgische Staatsoper und Bayreuth im Rücken war Bernd Weikl selbstverstänidlich auch für die Wiener Staatsoper interessant geworden. Der Sänger berichtet von einem Einspringen als Silvio in »I Pagliacci« am 2. November 1972, wo der berühmte Mario del Monaco sein Partner war, aber in den Annalen des Hauses lässt sich das nicht verifizieren.
    Gesichert steht hier jedoch geschrieben, dass Bernd Weikl an diesem Haus in 28 verschiedenen Rollen an mehr als vierhundert Abenden auf der Bühne stand.
    Berühmtheit hat ihren Preis, der Sänger war zum Faktotum der schönen Welt geworden, »jedem zu Diensten zu allen Stunden, umringt von Kunden bald hier, bald dort ...«.
    Abends als Don Giovanni auf der Hamburger Bühne, wo er sich bei »Deh vieni alla finestra ...« mitunter selbst auf der Mandoline begleitete, und am nächsten Morgen um zehn Uhr Probe an der Wiener Staatsoper. Das war weder mit der Bahn noch mit dem Flugzeug zu schaffen; also ging es mit dem schnellen NSU RO 80 durch die Nacht, das ist kein Pappenstiel ... es reichte gerade noch für einen doppelten Mocca in der Kantine, dann beginnen die Proben zum Wiener »Don Giovanni«. Das später erworbene Auto hatte dann einen Stern.


    Bald reüssiert Weikl auch im russischen Fach; 1974 ist er in einer DECCA-Aufnahme als Onegin in »Eugen Onegin« gebucht, Sir Georg Solti dirigiert. Hier reicht sein »Urlaubs-Kroatisch« nicht mehr aus, er muss nun in London den Urtext von Onegin lernen.
    Dem folgt in Hamburg »Chowanschtschina« von Modest Mussorgski; 1976 schlüpft Weikl an der Hamburgischen Staatsoper in die Rolle des Rangoni in »Boris Godunow«.
    Weikl beobachtet die Phasen wo er für einige Zeit als »Barbier vom Dienst« gefragt ist, dem der »Onegin vom Dienst« folgt und diesem »Der Amfortas vom Dienst«.
    Nachdem Weikl an fast allen bedeutenden Häusern gesungen hat, fehlt noch die »Met«, wobei er das schon längst hätte haben können, aber er machte damals noch einen Bogen um »Holländer« und »Wotan«, weil er wusste, dass das nichts für seine lyrische Stimme ist; ach, wie gerne hätte er in New York mit Barbier oder Rodrigo debütiert.
    Als dann die Metropolitan Opera 1977 die Saison mit »Tannhäuser« eröffnen will, bietet sich endlich Gelegenheit, dass Weikl hier als Wolfram von Eschenbach gebraucht wird, ein idealer Einstieg für ihn und die Aufführung wird ein großer Erfolg, auch weil Leonie Rysanek, James Mc Cracken, Grace Bunbry, Kurt Moll ... mit von der Partie sind.
    Andere Länder, andere Sitten, neben dem Wolfram von Eschenbach soll hier Weikl auch noch den »Star« geben, also besteht seine amerikanische Agentin darauf, dass er mit livriertem Chauffeur und Stretchlimousine vom Flughafen in die Stadt gebracht wird, einen andern Star außerhalb des Opernbetriebs trifft er auch, Franz Beckenbauer wohnt direkt über ihm.
    In New York blieb es nicht nur beim »Tannhäuser«; im Laufe der Jahre sang er dort auch Amfortas, den Minister in »Fidelio« und in einigen Strauss-Opern.
    Seinen ersten Auftritt an der Mailänder Scala hat Weikl Ende 1980 als Mastro Ford in »Falstaff« von Giuseppe Verdi.

    Ab 1980 spielt Weikl mit dem Gedanken ob er sich den Hans Sachs zutrauen soll und bespricht sich mit Wolfgang Wagner, der »Die Meistersinger von Nürnberg« 1981 für Bayreuth inszenieren möchte.


    Viele Leute, die etwas von Oper verstehen, raten ab; aber Weikl stürzt sich in die Arbeit, obwohl ihm die Probleme durchaus bekannt sind; er weiß, dass hier mit seiner Höhensicherheit wenig anzufangen ist, viel Mittellage gesungen wird und absolute Standfestigkeit gefragt ist; das sind lange zwei Stunden und fünfzig Minuten.
    Die Premiere 1981 wird für den neuen Sachs kein durchschlagender Erfolg, die Kritiken nicht so überschwänglich als bei seinem »Tannhäuser«-Debüt an gleicher Stelle. Aber im folgenden Jahr fällt die Beurteilung seines »Sachs« in der Fachpresse sehr viel besser aus und er singt diese Rolle immer wieder auch an anderen Häusern. Sowohl Jürgen Kesting als auch Jens Malte-Fischer bewerten Weikls Sachs gut, letzterer meint sogar:
    »eine Partie, in der er seither als konkurrenzlos zu betrachten ist«.
    Auch mit der Darstellung des »Holländer« hat Weikl seine liebe Not, denn das aktuelle Publikum erwartet nach Weikls Eindruck eher einen etwas dämonischen und mit eiserner Stimme daherkommenden Seemann; die von Weikl angebotene weichere Version kommt nicht so gut an. Immer und immer wieder arbeitet er sich dann am »Holländer» auf der ganzen Welt ab ohne dass man seine Sicht auf das Werk teilt.
    In Paris soll es seinerzeit allgemein üblich gewesen sein, dass männliche deutsche Sänger ausgebuht werden; Weikl macht diese unangenehme Erfahrung als er 1987 an der Grand Opera zusammen mit Pavarotti in »L´elsir d´amore« auf der Bühne steht, für den großen Tenor war das kein Problem, er wäre mit dem Bariton-Kollegen gerne auf eine Welttournee gegangen, was sich jedoch letztendlich nicht verwirklichen ließ.


    Die Wirtschaftsuni Linz akzeptiert Weikls frühere Studien in Mainz, obwohl inzwischen zwei Jahrzehnte vergangen waren, also schreibt er sich dort im Juni 1987 ein, ein weiteres »Doppelleben« beginnt, denn der Opern- und Konzertbetrieb geht für ihn in gewohnter Vielseitigkeit weiter; natürlich auch wieder mit den »Meistersingern« in Bayreuth, Fernsehaufnahmen, Fernreisen nach Japan und so weiter ...


    Endlich, am 27. Januar 1989 sollte Weikl nun an der Metropolitan Opera in einer italienischen Rolle - in »Don Carlo« von Verdi - auf der Bühne stehen; der nun Siebenundvierzigjährige hatte seine amerikanische Agentin etwas »erpresst«, um dieses Ziel zu erreichen, und damit gedroht künftig in Europa zu bleiben. Aber schon bei der ersten Klavierprobe stellt James Levine fest, dass hier kein Italiener singt, aber man glaubte dies korrigieren zu können; Weikl arbeitet intensiv mit einer Pianistin des Hauses, wobei er etwas über den erforderlichen Vokalausgleich erfährt. Scheinbar gut gewappnet singt er die Premiere, aber die Kritik ist grottenschlecht, man betraut ihn zukünftig nicht mehr mit italienischen Rollen. Dennoch konnte er in diesen drei Monaten an der »Met« dann noch mit »Salome« und »Werther« erfolgreich sein.


    Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, alle wichtigen Stationen dieses umfangreichen aktiven Sängerlebens darzustellen, als Beispiel sei auf Bayreuth verwiesen, das Bernd Weikl am 20. August 1996 als Amfortas in »Parsifal« verlässt. In 25 Sommern hat er hier in etwa 250 Vorstellungen gewirkt.
    Immer wieder weist der wirklich erfahrene Sänger darauf hin, dass es sich bei klassischem Gesang, der in der Regel ohne Mikrofonverstärkung vorgetragen wird, um Schwerstarbeit handelt, und er wird auch nicht müde darzulegen, dass es zwischen dem Sprechtheater und der Oper gewaltige Unterschiede gibt.


    Als Bernd Weikl 1996 Bayreuth verlässt ist er noch im vollen Besitz seiner stimmlichen Möglichkeiten, dennoch wird er in den folgenden Jahren ausgebremst, weil er am 1. Juli 1996 in München einen Vortrag mit dem Thema »Staatliche Kunstförderung - Markt der Beliebigkeit?« hält. Ein Journalist - der sich eher der Dichtkunst verpflichtet fühlte - bog sich Weikls Aussagen dann entsprechend zurecht und zerstörte - nach Ansicht des Sängers - damit den Fortgang von Weikls Weltkarriere. Der Sänger kann auf eine mehr als vier Jahrzehnte dauernde Bühnenpräsens zurückschauen, wobei auch seine künstlerische Konstanz über viele Jahre hinweg zum Ausdruck kommt.

    Es besteht kein Zweifel daran, dass es eine Weltkarriere war, denn davon zeugen nicht nur eine Menge Tonaufnahmen, sondern auch die Exponate im Bernd Weikl-Museum in Bodenmais, einem Ort in der Nähe des Großen Arber. Über dieses Museum gibt es einen sehr guten Filmbeitrag, den der Journalist Werner Huemer 2018 mit dem Kammersänger gefertigt hat. Im Museum scheint das gesamte umfangreiche Schaffen Weikls auf, also nicht nur Auszüge aus CD- und DVD-Aufnahmen, sondern auch seine Arbeiten als Buchautor und Regisseur.
    Auf die Journalistenfrage, wie es ist, wenn man nach vielen Jahrzehnten des Stehens im Rampenlicht, plötzlich dieses Medium der Bühne nicht mehr hat, gab Bernd Weikl diese Antwort:


    »Ja, das ist für mich ganz einfach, ich beschäftige mich ja weiterhin mit vielen Dingen, zum Beispiel mit dem Schreiben von Büchern. Das moderne zeitgenössische Theater hat mir nicht mehr viel gegeben. Ich habe es auch nie groß angegriffen, aber immer betont, dass dabei alles handwerklich stimmen muss. Man muss wissen, wie eine Gesangsstunde abläuft, man muss darauf eingehen, wann und wie ein Sänger richtig zu atmen hat, alles Dinge, die von der Regie nicht mehr beachtet wurden. Damit konnte ich nichts mehr anfangen. Mit dem ›Falstaff‹, den ich 2010 als Sänger der Hauptpartie und als Regisseur gemacht habe, habe ich praktisch meine offizielle Gesangslaufbahn beendet.«


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    Auf dem beigelegten Zettel steht:
    »Bernd-Weikl-Kopf aus dem Kinofilm Salome von Richard Strauss.«


    Das Museum bietet einen umfassenden Einblick in das umfangreiche Schaffen des Künstlers: Veranstaltungsplakate, Preise, Auszeichnungen, Fotos sowie Literatur, auch aus eigener Feder. Auch CD- und DVD-Aufnahmen stehen zur Verfügung.


    Praktischer Hinweis:
    Das Museum befindet sich in Bodenmais im Alten Rathaus.
    Bergknappenstraße 10 / 94249 Bodenmais

  • Lieber hart, danke für Deinen anschaulichen Bericht aus dem Bernd-Weikl-Museum. Es dürfte nicht so oft vorkommen, dass einem lebenden Sänger so eine Gedenkstätte gewidmet worden ist. Mir ist kein anderes Beispiel bekannt. Ich lasse mich aber sehr gern eines Besseren belehren. Weikel spielte im Forum immer eine Rolle - auch als Kritiker des so genannten Regietheaters.

    Auf die Journalistenfrage, wie es ist, wenn man nach vielen Jahrzehnten des Stehens im Rampenlicht, plötzlich dieses Medium der Bühne nicht mehr hat, gab Bernd Weikl diese Antwort:


    »Ja, das ist für mich ganz einfach, ich beschäftige mich ja weiterhin mit vielen Dingen, zum Beispiel mit dem Schreiben von Büchern. Das moderne zeitgenössische Theater hat mir nicht mehr viel gegeben. Ich habe es auch nie groß angegriffen, aber immer betont, dass dabei alles handwerklich stimmen muss. Man muss wissen, wie eine Gesangsstunde abläuft, man muss darauf eingehen, wann und wie ein Sänger richtig zu atmen hat, alles Dinge, die von der Regie nicht mehr beachtet wurden. Damit konnte ich nichts mehr anfangen. Mit dem ›Falstaff‹, den ich 2010 als Sänger der Hauptpartie und als Regisseur gemacht habe, habe ich praktisch meine offizielle Gesangslaufbahn beendet.«


    Deshalb blieb ich auch an seiner Aussage in dem Interview hängen, diese Form des Theaters "nie groß angeriffen" zu haben. Bei TAMINO las sich das immer etwas anders. Es kann ja auch sein, dass er, Weikl, milder geworden ist und seine Urteile entschärft hat. Diese Fähigkeit finde ich selbst immer sehr sympathisch. Für mich ist er ein wichtiger Künstler, schon deshalb, weil er so guten Carl Loewe gesungen hat und ein hinreißender Mandryka war.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Deshalb blieb ich auch an seiner Aussage in dem Interview hängen, diese Form des Theaters "nie groß angeriffen" zu haben. Bei TAMINO las sich das immer etwas anders.

    Nun, lieber Rheingold, er hat das sogenannte Regietheater schon kritisiert, aber er hat dies sehr qualifiziert getan. Als Weikl mal von einer Studentin der Theaterwissenschaft gefragt wurde:

    »Weshalb führen Sie jetzt Regie und wechseln sozusagen die Seiten?«, meinte der Sänger, dass er das nicht tue und führte aus:


    »Meiner Überzeugung nach sollten Darsteller und Regie immer auf einer Seite stehen. In Achtung vor dem Handwerk, dem Inhalt der Oper - besonders auch dem musikalischen - und dem Publikum. Und sie sollten mit Liebe, ja mit Liebe, an ihre Arbeit herangehen. Dabei hat das subventionierte, ergo von der Gemeinschaft mitfinanzierte Musiktheater den Bildungsauftrag, möglichst viele Damen und Herren aus dem Auditorium zu beglücken und emotional zu schulen. Eine Notwendigkeit in unserer so einseitig und viel zu kurzfristig geprägten Denkweise der Gegenwart, in welcher alle Bedürfnisse auf Geld reduziert sind. ›Does money really make the world go round?‹

    Menschen haben essentiellere Bedürfnisse, oder sie sind schon so gefühllos, dass sie jene gar nicht mehr vermissen. Die Oper als musikdramatische Handlung ist durch ihre musikalisch-gesangliche Aussage geschaffen, Publikum gefühlvoll werden zu lassen. Mit dieser Ansicht bin ich zur ›persona non grata‹ geworden.

    Meine Botschaft heißt Liebe, nicht Provokation. Wer provoziert, der will nicht jemand lieben, sondern mit ihm kämpfen. Warum und um was sollen beide kämpfen? Welchen Wert hat Aggression?«


    Eine gute Frage, wie ich finde ...

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  • Das Leoncavallo-Museum in Brissago


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    Palazzo Branca-Baccalá, ein großer, barocker Prachtbau


    Brissago ist ein Ort mit einer Einwohnerzahl, die unter zweitausend liegt, das war in etwa auch der Stand, als sich der Komponist hier für längere Zeit niederließ. Leoncavallo war schon 1893 auf Brissago aufmerksam geworden, als er zu einem Kuraufenthalt im nahen Cannero Riviera weilte; in unseren Tagen überbrückt der Bus diese Strecke in einer knappen halben Stunde.
    In der Folgezeit logierte er immer mal wieder in dem Ort und bewohnte ab 1896 ein Haus am See. 1903 war der erfolgreiche Komponist des »Pagliacci« zu Wohlstand gekommen und in der Lage sich eine repräsentative Villa mit Blick auf den Lago Maggiore errichten zu lassen. Für ein gutes Jahrzehnt konnte er sein Refugium, in dem er Gäste wie zum Beispiel Eleonora Duse, Enrico Caruso, Arturo Toscanini ... empfing, genießen und am Ort entstand 1907 auch - schräg unterhalb seiner Villa und direkt am See gelegen - ein Luxushotel der Superlative, wo bekannte Kulturträger wie Thomas Mann, Hesse, Kästner, Tucholsky, H. G. Wells, Nabokov, Remarque, Hemingway ... Luxus in Verbindung mit prächtiger Landschaft genossen.

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    Leonvavallos Villa Myriam besteht nicht mehr


    Leoncavallos Villa Myriam wurde am 13. März 1978 abgerissen, 1993 ereilte das ehemalige Luxushotel das gleiche Schicksal.
    Die Villa Myriam wurde in den 1970er Jahren über einen längeren Zeitraum zum Kauf angeboten, konnte jedoch keinen Käufer finden und auch die Gemeinde war damals nicht imstande das Gebäude für 700.000 CHF zu erwerben. Ortsansässige, welche diese Zeiten noch in der Erinnerung hatten gab es immer weniger; dass das alles nicht ganz in Vergessenheit geriet ist einer Frau zu danken, die sich vor einigen Jahrzehnten eine Villa am Lago Maggiore kaufte und sich als Kulturmäzenin betätigte - Baronessa Hildegarde Freifrau von Münchhausen.


    Mehr als drei Jahrzehnte lebte »La Baronessa« in Brissago, nahe der italienischen Grenze, in ihrer Villa am See, unter den Gästen des Hauses wurde auch schon mal Maestro Claudio Abbado gesehen. Die Baronessa hatte den von dem Schweizer Komponisten, Dirigenten und Musikwissenschaftler Graziano Mandozzi erworbenen Nachlass des Komponisten Ruggero Leoncavallo der Gemeinde Brissago vermacht, verbunden mit der Auflage ein Museum einzurichten. Die erste Berührung mit Musik hatte Hildegarde durch ihren Vater, der im Festspielhaus tätig war, sie war in Salzburg geboren.
    2014 starb die Baronessa, aber bereits 2013 wurde in Brissago die Associazione degli Amici del Museo Ruggero Leoncavallo gegründet.


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    Leoncavallo hat in diesem Raum nie gearbeitet, es ist eine Rekonstruktion


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    Das Museum befindet sich seit 2002 im Palazzo Branca-Baccalá, einem großen barocken Prachtbau und umfasst drei Räume. In der Nähe des Museumseingangs steht die Statue des Roland von Berlin, ein Geschenk von Kaiser Wilhelm II., der bei Leoncavallo die Oper »Der Roland von Berlin« in Auftrag gegeben hatte, welche dann am 13. Dezember 1904 an der Königlichen Oper in Berlin erstmals aufgeführt wurde.
    Vordem stand die Roland-Statue im Park der Villa Myriam, die Leoncavallo, nachdem seine Oper »Pagliacci« (Bajazzo) - Uraufführung 1892 - erfolgreich um die Welt gegangen war, in Brissago am Lago Maggiore erbauen ließ.


    Im Eingangsbereich des Museums grüßt der Meister selbst in Form einer Büste, unweit steht die Figur der Zaza in Erinnerung an die gleichnamige Oper, die Leoncavallo 1900 aus der Taufe gehoben hatte. Weiterhin finden sich biografische Daten, Fotos und Bilder.
    Der nächste Raum gewährt einen Einblick in Leoncavallos Schaffen, das sehr umfassend war und Musikstücke enthält, die nicht so populär werden konnten wie »Pagliacci« oder das Morgenständchen »Mattinata«.
    Hier wird auch die Ehrenbürger-Urkunde aus dem Jahr 1904 präsentiert, die explizit auf den aktuell in Berlin errungenen Erfolg eingeht - »Rolando da Berlino« ist im Text der Urkunde deutlich hervorgehoben.
    Der dritte Raum ist eine Rekonstruktion von Leoncavallos Arbeitszimmer, dessen Prunkstück der perfekt restaurierte Erad Hammerflügel aus dem Jahr 1841 ist, auf dem in Leoncavallos Brissagheser Zeit wichtige Werke konzipiert wurden.


    Neben dem Museum in Brissago, das hauptsächlich Stücke aus dem Nachlass enthält, befinden sich in der Kantonsbibliothek in Locarno eine bedeutende Sammlung von Dokumenten zum Leben und Werk Leoncavallos.


    Seit 1989 hat Ruggero Leoncavallo in Brissago seine letzte Ruhe gefunden; eine umfangreichere Darstellung seines Lebensweges findet man im Thread »Der Musiker Gräber« unter # 800.

  • Felix Mendelssohn Bartholdys Spuren in Frankfurt und Umgebung

    Zum heutigen Todestag des früh verstorbenen Komponisten


    Den Namen Felix Mendelssohn Bartholdy bringt man wohl eher mit seiner Geburtsstadt Hamburg; Berlin, wo er aufgewachsen ist, oder Leipzig, wo er als Musiker wirkte, in Verbindung. Nun, schon Felix´ Vater Abraham hatte eine Verbindung zu der Stadt am Main, weil seine Schwester Dorothea dort wohnte, die mit Friedrich Schlegel verheiratet war.


    Schon als 13-Jähriger war Felix Mendelssohn Bartholdy mit seiner älteren Schwester Fanny nach Frankfurt gekommen, wo die beiden im Musiksaal des Cäcilienvereins am Klavier saßen. Damals spielte Felix auch dem angesehenen Klavierpädagogen Aloys Schmitt vor.
    Das war im Jahr 1822, als Familie Mendelssohn mit großem Gepäck in die Schweiz reiste.


    Zehn Jahre später kam Felix wieder nach Frankfurt, wo er den heute noch bestehenden Cäcilienchor häufig dirigierte und ihm auch angeboten wurde, diesen Klangkörper zu übernehmen, aber es war für ihn attraktiver das Gewandhausorchester in Leipzig zu leiten.
    Noch attraktiver war für ihn einige Jahre später Cécile Jeanrenaud, die er 1836 in Frankfurt traf, eine Dame aus allerbestem Hause. Felix war am 4. Mai nach Frankfurt gekommen, um für den erkrankten Leiter des Cäcilienchors einzuspringen.
    Der junge Musikus behielt seine Gefühle nicht für sich, sondern offenbarte sich seinem etwas älteren Freund Ferdinand Hiller; schriftlich ist es in Briefen an seine Schwestern dokumentiert; an Rebecka schrieb er: »Diese Zeit ist so sonderbar. Ich bin so entsetzlich verliebt, wie noch niemals in meinem Leben, und ich weiß nicht, was ich anfangen soll.«

    Und an Fanny: »Dass es solch ein liebes, gutes Kind noch in der Welt geben könnte, daran hatte ich ganz den Glauben verloren.«

    Die Korrespondenz stammt vom Juli 1836; am 9. September stand ein Ausflug nach Kronthal im Taunus - knapp 20 Kilometer von Frankfurt entfernt - im Kalender. Und die Nachwelt ist durch Céciles Onkel auch darüber informiert, dass die Verlobung unter einer Buche stattfand.
    Diese Verlobung hatte hektische Aktivitäten zur Folge, denn das Paar musste nun innerhalb von drei Tagen 163 Besuche bei Verwandten und Bekannten abstatten, um die frohe Botschaft zu überbringen. Finanzielle Sorgen plagten das junge Paar nicht, Céciles Heim wird als herrschaftliches Haus mit sieben Fenstern zum Main und Blick auf Sachsenhausen beschrieben. Das erste Weihnachtsgeschenk für seine Braut hatte Felix selbst hergestellt, wir kennen es als »Duetto« op. 38.
    Die Hochzeit fand am 28. März 1837 in der französisch-reformierten Kirche am Goetheplatz statt.


    Als Wanderer kann man also im Raum Frankfurt urplötzlich mitten in der Natur auf Gedenksteine stoßen, die Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet sind; sie waren nicht immer gerne gesehen, aber immerhin sind sie heute wieder sichtbar. Den einen Stein findet man im Frankfurter Stadtwald (Tram 17 Richtung Neu-Isenburg Stadtgrenze).
    Der Stein erinnert an ein im Sommer 1839 veranstaltetes Fest. Einblicke in dieses Fest und die Stimmung im Wald gibt uns der Komponist in einem Brief an seine Mutter, der mit dem 3. Juli 1839 datiert ist:


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    »Das schönste was ich aber im Leben bis jetzt von Gesellschaften gesehen habe, war ein Fest im Walde hier, das ich Dir genau beschreiben muss, weil es einzig in seiner Art war. Eine Viertelstunde vom Wege ab, tief im Walde, wo hohe, dicke Buchen einzeln stehen und oben ein grünes Dach bilden und man rings herum nur grünen Wald durch die vielen Stämme durchschimmern sah, da war das Local; man mußte auf einem kleinen Fußweg durch´s Gesträuch sich dahin arbeiten, und sobald man auf dem Platz ankam, sah man in der Entfernung die vielen weißen Gestalten unter einem Rand von Bäumen, die mit dicken Blumenkränzen verbunden waren und der einen Concertsaal vorstellte. - Wie lieblich da der Gesang klang, wie die Sopranstimmen so hell in die Luft trillerten, und welcher Schmelz und Reiz über den Tönen war, alles so still und heimlich und doch so hell - das hatte ich mir nicht vorgestellt. Es war ein Chor von zwanzig guten Stimmen [...] Wie sie sich nun den Abend unter die Bäume stellten und mein erstes Lied ›Ihr Vöglein in den Zweigen schwank‹ anhoben, da war es in der Waldesstille so bezaubernd, daß mir fast die Thränen in die Augen kamen. Wie lauter Poesie klang es [...] So sangen sie das ganze Heft durch und dann drei neue Lieder, die ich dazu componiert hatte, und das dritte (es heißt ›Lerchengesang‹) wurde kaum gesungen, nur gejubelt und dreimal hintereinander wiederholt.«


    Einen größeren Kontrast zur von Mendelssohn Bartholdy beschriebenen Idylle kann man sich heute kaum vorstellen, die Flugschneise des Frankfurter Flughafens führt exakt über diesen Stein, der auf Wanderkarten immer noch als »Mendelssohnruhe« bezeichnet wird.
    Der Syenitblock wurde 1909 aufgestellt und stand hier 25 Jahre; dann störte der neue politische Wind die Waldesruhe, der Stein wurde an Ort und Stelle vergraben, feierte aber 1948 seine Wiederauferstehung.


    Wer den Stein aufsuchen möchte, orientiert sich an der Straßenbahnhaltestelle Oberschweinsteige (Tram 17). Von dort aus geht man etwa 800 Meter die Schienen Richtung Neu-Isenburg entlang und folgt dann, die Schienen querend, dem Diagonalweg.


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    Von hier geht man etwa 800 Meter die Schienen Richtung Neu-Isenburg entlang und folgt dann, die Schienen querend, dem Diagonalweg.



    Ein Gedenkstein hoch über Eppstein, 25 Kilometer von Frankfurt entfernt


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    Als markante Orientierungshilfe kann der hoch über dem Ort, am Hang des Berges liegende, Kaisertempel dienen.

    Obwohl Mendelssohn nach seiner Heirat in Leipzig wohnte, kam er aus verwandtschaftlichen Gründen immer wieder nach Frankfurt, suchte aber auch in der ländlichen Umgebung der großen Stadt - damals mit etwas mehr als 70.000 Einwohnern - Erholung, beispielsweise in Bad Soden. Der Musikwissenschaft fiel jedoch auf, dass Mendelssohn da ein ›Doppelspiel‹ trieb und in Briefen erholsamen Müßiggang beschrieb, der eigentlich bei der Anzahl der in dieser Zeit entstandenen Werke so nicht stattgefunden haben konnte.
    Wie dem auch sei, es war damals en vogue sich in der Natur zu ergehen und auch die kränklichen Mendelssohns machten davon Gebrauch; »die rheinische, gute Luft« schien ihnen zu bekommen.


    Da Mendelssohn zwischen 1837 und 1847 Eppstein mehrfach besucht hatte, nahm der Männergesangverein Concordia, den 120. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy zum Anlass eine Gedenkstätte für den Komponisten zu errichten. Diesem Stein wäre es wohl ähnlich ergangen wie dem im Frankfurter Wald, aber ein findiger Malermeister hatte den Stein gut verwahrt, bis der Wind wieder aus einer freundlicheren Richtung wehte.
    Die von Hans Jakob Sauer modellierte Bronzetafel sagt aus, dass dieser Aussichtspunkt im Wald 1995 erneut dem Andenken Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet wurde, nun steht der alte, fast quadratisch wirkende Gedenkstein rechts, etwas nach hinten versetzt, vom Naturstein mit der Bronzetafel.


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    Rechts hinten der alte Stein


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    Als markante Orientierungshilfe kann der hoch über dem Ort, am Hang des Berges liegende Kaisertempel mit seiner hellen Säulenreihe dienen. Von dort aus sind es nur etwa fünf Minuten Gehzeit zum Stein, ein Schild zeigt die Richtung an.

  • Lieber hart, ich DANKE dir für diesen schönen Beitrag!


    Wie oft bin ich an diesen Stellen gewesen, an der Oberschweinstiege kann man halt machen und für das leibliche Wohl sorgen! Auch das Wandern um den Kaisertempel ist sehr schön, wie überhaupt im Taunus!


    Danke ! LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Zum heutigen 180. Geburtstag von Eugen Gura


    Eine große Gedenktafel erinnert an den großen Sänger, der heute fast vergessen ist ...    


    Eugen Gura verfügte über eine Doppelbegabung, er war Maler und Sänger auf sehr hohem Niveau. Ganz bewusst wird ›Maler‹ hier zuerst genannt, weil er das zunächst berufsmäßig auf der Akademie anstrebte, an ein Hobby war dabei nicht gedacht. Berühmt wurde er aber als Sänger; in diesem Genre war er einer der bedeutenden Künstler seiner Generation.


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    Eine Zeichnung von Eugen Gura, die sein Geburtshaus und seine Begabung als Zeichner und Maler zeigt


    Eugen Gura war am 8. November 1842 im böhmischen Dorf Pressern, nahe der Kreisstadt Saatz und dem Fluss Eger, als einziger Sohn seiner Eltern im Schulhaus zur Welt gekommen. Die Eltern wohnten im Schulhaus, weil der Vater dort von 1837 bis 1874 Dorfschullehrer war. Üblicherweise waren die böhmischen Landschullehrer auch gute Musiker. Neben dem normalen Unterricht erteilte Franz Josef Gura seinem Sohn ab dem fünften Jahr Klavierunterricht. Von Eugen Gura selbst wissen wir um die Atmosphäre dieses Lernprozesses:


    »Meine weitere Ausbildung im Vaterhause wurde unter dem Regiment des strengen Vaters mit allem Ernst betrieben; oft in so nachdrücklicher Weise, daß ich in die musikbeflügelten Worte: ›o selig ein Kind noch zu sein‹ niemals so recht mit Überzeugung einstimmen konnte. Das strenge Regiment des Vaters bewirkte, dass der Dorfschulmeister seinen Kollegen in der Gegend Sohn Eugen als eine Art ›Wunderkind‹ präsentieren konnte.
    Als Eugen dann weiter fortgeschritten war, konnte er durchaus Freude und Genuss dabei finden, wenn er mit seinem Vater Sonaten Beethovens für Klavier und Violine spielte.
    In der Nachschau sah der erfolgreiche Sänger Gura des Vaters Bemühungen positiv:
    »Wie danke ich dem ehrwürdigen Mann für die Strenge, mit der er zu unaufhörlicher Übung anspornte; wurde doch die Musik zum Hauptelement meines künftigen Berufes.«


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    Das Anwesen des berühmten Sängers Eugen Gura


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    Mit dem Schriftzug ›EUGEN GURA‹ an der Fassade


    Im Alter von elf Jahren musste Eugen sein Elternhaus verlassen, weil er auf die Realschule nach Komotau wechselte. Eugens Vater hatte für seinen Sohn Berufe wie Mechaniker, Chemiker oder Baumeister gedacht, wobei, so des Vaters Überlegung, bei letzterem die zeichnerische Begabung zum Tragen kommen könnte. Nach drei Jahren stand abermals ein Schulwechsel an, diesmal auf die Oberrealschule in Rakonitz, einer Kleinstadt im Dunstkreis von Prag. Dort hatte der Oberrealschüler Kontakt zu einem Regierungsbeamten, der eine gut sortierte Musikbibliothek hatte und ihm Sonntagnachmittags auch mal seinen Bösendorfer- Flügel zur Verfügung stellte.
    In dieser Zeit machte der junge Gura erstmals Bekanntschaft mit Richard Wagners Musik, als ihm ein Klavierauszug aus »Tannhäuser« in die Hände geriet und ihn weit mehr begeisterte als die mathematischen Formeln in der Schule. Aber die Eltern trieben die Karriereplanung ihres Sohnes weiter und bald stand ein dreijähriger Besuch der Oberrealschule in Wien an, um dort das polytechnische Institut zu besuchen.


    Aber nun war der junge Mann in einer Metropole, die sämtliche Sinne anregte; da waren Theater, Museen, Konzerte ... und hier besuchte der nun 18-Jährige erstmals in seinem Leben eine Opernaufführung; es war »Tannhäuser«. Als er von all diesen herrlichen Dingen enthusiastisch nach Hause berichtete, las man in Pressern zwischen den Zeilen, dass der Sohn den eigentlichen Aufenthaltszweck in Wien aus den Augen verlieren könnte. In Wien trafen nun Mahnungen ein, dass man am geplanten Studienzweck beharrlich festhalten möge. Zumindest wurde Gura 1861 in die Burschenschaft Olympia aufgenommen, die sich durch ihre deutsch-patriotische Gesinnung hervortat. Am 15. Mai dieses Jahres erlebte er auch eine Aufführung des »Lohengrin«, welche die Besonderheit hatte, dass Wagner selbst anwesend war, der an diesem Abend erstmals seine Oper als Theateraufführung erlebte.


    Dass diesem glanzvollen Abend wenig ersprießliche Jahre Wagners in Wien folgten ist eine andere Geschichte. Eugen Gura musste einsehen, dass sein Studienjahr zumindest bezüglich des Studierziels keinerlei Früchte getragen hatte, was den Eltern in irgendeiner Form näher gebracht werden musste. Also sandte er einen aufklärenden Brief nach Hause, damit die Eltern bei seinem Erscheinen in der Heimat vorbereitet waren. Zudem wählte er für die Heimreise die langsamste Fortbewegung und legte die Strecke in einer mehrere Wochen dauernden abenteuerlichen Fußreise zurück; sein Kalkül war dabei Zeit zu gewinnen, um den ersten Zorn des enttäuschten Vaters zu mildern, was sich dann auch einigermaßen erfolgreich gestaltete.
    Es wurde nun beratschlagt und diskutiert, wobei Eugen darauf beharrte, dass er nur als Künstler Glück und Befriedigung finden kann. Schweren Herzens gaben die Eltern nun des Sohnes Drängen nach und erlaubten ihm den Besuch der Akademie der bildenden Künste in Wien. In diesem Metier fühlte er sich wohl und die Studienergebnisse waren entsprechend.
    Dann folgte nach einem Jahr ein Wechsel nach München; es war die Zeit, als solche Reisen noch mit Eisenbahn und Kutsche kombiniert wurden. Im Oktober 1863 traf der Kunststudent in München ein, es war Oktoberfest!
    Bei seinen neuen Lehrern in München brauchte er sich nicht genieren, seine Studienerzeugnisse von Wien vorzuzeigen, da war Können zu sehen und er war da nicht alleine, einer seiner Mitschüler, beziehungsweise Mitstudenten, war der später so berühmte Maler Defregger.
    Im Rahmen eines Studentenfestes mit allerlei Darbietungen ergab es sich, dass Gura von Freunden aufgefordert wurde gesanglich etwas zum Besten zu geben. Er setzte sich ans Klavier und sang Lieder von Schubert und schließlich auch noch Beethovens »Adelaide«.
    Dabei waren auch ältere Zuhörer zugegen, wie sein Akademielehrer Anschütz und Moritz von Schwind. Die älteren Herren waren von dem Vortrag so angetan, dass insbesondere Lehrer Anschütz, mit dem er täglich Umgang hatte, in ihn drang, dass er aus seiner Gesangsbegabung etwas machen solle. Anschütz hatte einen Freund, der Opernsänger war, also kam es zu einem Vorsingen bei Tenor Beyer. Dieser stellte zunächst fest, dass das ein lyrischer Tenor sei, den man ausbilden sollte. Nun sprach Anschütz bei Franz Hauser, dem Direktor des Konservatoriums vor, und es kam zu einem weiteren Vorsingen, in dessen Verlauf herauskam, dass Gura eigentlich im Besitz einer Bassstimme war, die Tenortöne nur im Falsetton erzeugen konnte. Franz Hauser war selbst ein erfolgreicher Bass-Bariton auf großen Bühnen gewesen und war ein wichtiger Lehrer für Gura.
    Eugen Gura war nun für einige Zeit im Doppelstudium; noch hatte er sich nicht für die Musik entschieden und er fürchtete, dass ihn seine Eltern als wankelmütigen Menschen wahrnehmen, der vieles anfängt und nichts zu Ende bringt. Aber als der junge Mann bemerkte, dass sich durch den zweijährigen Besuch des Konservatoriums die Stimme enorm gefestigt hatte, reifte der Entschluss doch Sänger zu werden. Im Rahmen eines musikalischen Kränzchens einer einflussreichen Dame, war diese von Guras Stimme so begeistert, dass sie Generalmusikdirektor Franz Lachner von dem Ereignis berichtete; zu Lachner in die Wohnung gebeten zu werden, das hatte schon was ...
    Lachner war schließlich so zufrieden, dass ein Vorsingen vor einem größeren Gremium, bestehend aus allen Regisseuren, Intendanzrat und der gesamten musikalischen Leitung in Szene ging. Es kam zu einem Vertrag mit einer Verpflichtung vom April 1865 bis April 1868.


    Aber nun dauerte es - am 14. September 1865 betrat Eugen Gura erstmals die als Graf Liebenau in Lortzings »Waffenschmied« die Bühne am Hoftheater zu München. Wirklich zufrieden war der Anfänger in München nicht, denn altgediente Kräfte am Haus waren darauf bedacht ihre angestammten Rollen zu singen.
    Inzwischen gab Gura im realen Leben den Liebhaber und konnte einen kleinen Urlaub mit seiner Braut Therese in Landsberg verbringen. Gura hatte zwar in München ein künstlerisches Umfeld mit erstrangigen Musikern, aber er sah keine Chancen sich hier entfalten zu können. In dieser Situation eröffnete ihm eine Wiener Agentur die Möglichkeit nach Breslau zu wechseln. Einen fulminanten Einstieg gab es für ihn in Breslau nicht, ganz im Gegenteil, als er in »Troubadour« den Luna zu singen hatte, ging das, durch unglückliche Umstände beeinflusst, ziemlich daneben. Neben einigen wichtigen Rollen war er in Breslau auch schon mal im Schauspiel tätig. Im Februar 1868 heiratete der Sänger seine Therese in der Breslauer Mauriziuskirche.
    In Breslau war Gura immer mehr mit anspruchsvolleren Rolle betraut, so auch bei einem Gastspiel des berühmten Tichatschek, der aus Dresden gekommen war; in einer dieser »Tannhäuser«-Aufführungen sang Gura erstmals den Wolfram von Eschenbach, eine Rolle, die er lange ersehnt hatte und die dann auch in späteren Jahren zu den Glanzrollen des Sängers zählte. Aber auch in Breslau war Gura beruflich nicht rundum glücklich.


    Im Sommer 1870 wurde es am Breslauer Theater unruhig, am 20. Juli teilte die Theaterleitung mit, dass das Theater geschlossen wird. In all dem Durcheinander von Interimslösungen entschloss sich Familie Gura - es waren in der Breslauer Zeit zwei Söhne hinzugekommen - Breslau zu verlassen; Ziel war Lübben im Spreewald. Nach Berlin war es von hier aus nicht allzu weit, also erkundete er dort, wie er seine Familie weiter ernähren konnte. Die weitere Zukunft war gesichert, indem er einen Vertrag für Leipzig unterschrieb.
    Am 5. Dezember 1870 trat Gura erstmals als Wolfram von Eschenbach vors Leipziger Publikum; dann reihte sich hier Erfolg an Erfolg. Im Oktober 1870 wirkte er erstmals bei einem Gewandhauskonzert mit, in dessen Verlauf er auch die Loewe-Ballade »Heinrich der Vogler« vortrug; bei »´s ist deutschen Reiches Will!« brach Jubel aus, der nicht nur der sängerischen Leistung galt ...


    In dieser Zeit war Carl Loewe nicht mehr en vogue und Gura musste in einer ansonsten gut sortierten Leipziger Musikalienhandlung Nachforschungen zu entsprechendem Notenmaterial anstellen. Im Dezember 1874 kam es in Leipzig zu einer Aufführung von Spohrs Oper »Jessonda«, in der Gura den Portugiesenführer Tristan d´Acunha darzustellen hatte und Richard Wagner zusammen mit Frau Therese Gura in der Loge saß.
    Nun war Wagner an Guras Mitwirkung in Bayreuth interessiert.
    1876 gab es in Leipzig einen Wechsel in der Direktion, wobei Verträge neu ausgehandelt wurden. Eugen Gura war jetzt 34 Jahre alt und seit sechs Jahren in Leipzig engagiert.
    Während die neue Direktion noch sondierte, erschien der rührige Direktor des Hamburger Stadttheaters, Bernhard Pollini auf der Bildfläche und machte ein Angebot, das Gura eigentlich nicht ablehnen konnte. Bald hatte seine Familie in Hamburg eine schöne Wohnung mit Alsterblick. Wie vormals in Leipzig auch, betrat er die Hamburger Bühne als Wolfram; es war der 3. September 1876. Etwas später folgte dann die allmähliche Wiedergabe von »Der Ring des Nibelungen«.


    In dieser Zeit erwachte auch der Sammlertrieb, und der nun auch in einem gewissen Wohlstand lebende Sänger erwarb immer mehr Radierungen und Stiche, wo immer er sie bekommen konnte.
    1882 war Pollini am Gastspiel der deutschen Oper im Drury Lane Theatre zu London beteiligt, wo Gura in fünf Wagner-Opern sang. Eugen Gura war nun ganz oben angekommen.
    Bereits 1879 frischten Therese und Eugen Gura Jugenderinnerungen auf und reisten ins Voralpenland, an den Ammersee und Starnberger See, wo man das berühmte Sänger-Ehepaar Vogl besuchte. Einige Tage verbrachte man am Ostufer des Starnberger Sees bei Verwandten, die dort ein kleines Haus besaßen. In der Nachbarschaft hatte sich ein Landschaftsmaler aus Berlin niedergelassen, da war es leicht ins Gespräch zu kommen.
    Der Maler zeigte Bereitschaft sich von seinem Besitz zu trennen und schon nach kurzer Zeit gehörte den Guras der Bergrücken - stattliche 120.000 Quadratmeter -, den man in der Gegend mit dem Namen »Maxhöhe« bezeichnet. Man ließ zunächst an der Ecke ein achteckiges Türmchen anbauen und durch Anpflanzungen entstand ein ansehnlicher Park, der die Villa umgab.
    Unter den vielen Besuchern, die ins Haus kamen, war auch ein Baumeister, welcher der Meinung war, dass man das Ganze vergrößern sollte, der Turm könne höher werden und eine Vergrößerung der Wohnfläche würde weitere Annehmlichkeiten bieten. So geschah es denn auch und im gleichen Zuge erweiterte man auch den Park. Eugen Gura beschreibt was da so alles zu sehen ist:


    »Eine Anzahl Balkone lassen nach Süden, Norden und Westen den Blick über die Seegestade schweifen. Besonders der Blick nach Süden, nach der in immer wechselnden Beleuchtung prangenden Alpenkette, ist ohne Ende anregend; nie ohne Reiz der Blick nach den Ufern von Possenhofen, Feldafing und Pöcking, woran sich der Blick nach Starnberg mit seinem alten Kurfürstenschloß und seinem schlanken Kirchturm anschließt«.


    Das war ein Kontrastprogramm zu seinem Elternhaus und seiner Fußwanderung von Wien nach Pressern im Jahre 1861. Es ist einleuchtend, dass man sich von so einem schönen Anwesen nicht allzu weit entfernt, also wurde Kontakt zur Münchner Hofoper aufgenommen, der ja im Prinzip schon seit vielen Jahren bestand. Im Dezember 1882 absolvierte Gura in München drei erfolgreiche Gastspiele und war auch im Folgejahr dort zu hören.
    Hermann Levi, der oft nur als Wagner-Dirigent wahrgenommen wird, machte den Sänger Gura - ganz vorsichtig, aber mit großer Begeisterung - mit dem »Barbier von Bagdad« vertraut, Gura war schon vom Klavierauszug sehr angetan; es kam zu Begeisterungsstürmen, wenn er in dieser Oper auftrat. Nachdem Eugen Gura 1896 auf der Bühne noch erleben durfte, dass er im Königlichen Residenztheater in »Don Giovanni« den Leporello sang und sein Sohn Hermann neben ihm in der Titelrolle zu hören war, war seine Opernkarriere beendet.


    Natürlich war Gura schon früher auch als Konzertsänger in Erscheinung getreten, aber nach seinem Abgang von der Opernbühne hatten diese Abende einen besonderen Rang und diese Besonderheit bestand auch darin, dass er gemeinsam mit dem Rezitator Ernst von Possart auftrat. Die Balladen von Carl Loewe, aber auch Lieder von Hugo Wolf, waren vorher in Programmgestaltungen von Konzerten eher spärlich vertreten, sodass diese Lieder etwas Neues darstellten. Es ging durch viele deutsche Städte, aber die großen Abschiedsabende waren dann in München, Hamburg und Berlin, wo Gura über Jahre hinweg seinen Wirkungskreis hatte. Aus dem Zeitungsbericht über Guras Abschiedsabend in der Berliner Philharmonie seien einige Zeilen zitiert:


    »Das Programm stand selbstverständlich nur im Zeichen Karl Loewes. Der erste deutsche Balladensänger mußte sich mit dem ersten deutschen Balladenkomponisten verabschieden, und so spendete er ihnen denn noch einmal eine Reihe seiner schönsten und wirksamsten Balladen und Lieder und sang sie mit dem ganzen Aufgebot seiner Kunst, mit dem markigen, großen Ton seines noch immer bewundernswerten Baßbaritons, mit der ausdrucksvollen, plastischen Artikulation seiner Deklamation, mit der faszinierenden Gewalt seines dramatischen Atems und der sieghaften Macht seines lebendigen, alle Stimmungs- und Empfindungsphasen der Komposition so packend versinnlichenden Vortrags.«


    Als Eugen Gura an Goethes Geburtstag zu Grabe gebracht wurde, war das ein großes gesellschaftliches Ereignis. Unter den Trauergästen waren Vertreter der Hofoper sowie Gesangs- und Schauspielerkollegen. Die ›Münchner Neuesten Nachrichten‹ berichteten tags darauf, dass der schwere Metallsarg auf einen Wagen gehoben wurde, der von vier Pferden gezogen zum Friedhof nach Aufkirchen gebracht wurde.
    Adolf von Hildebrand, einer der führenden deutschen Bildhauer seiner Zeit, fertigte Guras Grabmal, das am 6. August 1907 geweiht wurde. ›
    UNKENNTNIS UND IGNORANZ‹, so ist es im Texte der Gedenktafel zu lesen, führten zur Zerstörung des Grabes. Eine Kunsthistorikerin, die den inzwischen alten Steinmetz, der mit dem Abräumen des Grabes beauftragt worden war, viel später aufsuchte, fand den Mann zerknirscht; er hatte einfach keine Ahnung davon gehabt, was er da zerstört hat.


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    Das inzwischen zerstörte und entfernte Grab


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    Etwa hundert Meter von dem Hinweisschild ›Maxhöhe‹ entfernt steht die Gedenktafel


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    In unmittelbarer Nähe steht die Gedenktafel


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    Ausschnitt aus dem Text


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    Die Kopfzeile der Tafel


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    Wenn man am östlichen Ufer des Starnberger Sees unterwegs ist, weist ein gelbes Straßenschild bei Assenbuch (Berg) auf die Maxhöhe hin; fährt man von der Hauptstraße ab, kommt bald rechts des Weges eine größere Bronzetafel mit außergewöhnlich viel Text ins Blickfeld. Hier eine Abschrift des Textes unterhalb der Kopfzeilen:


    DER AUS BÖHMEN STAMMENDE BASSBARITON EUGEN GURA (1842-1906)
    WAR EIN GESUCHTER BÜHNEN- UND KONZERTSÄNGER DES 19. JAHRHUNDERTS. BEI DEN ERSTEN BAYREUTHER FESATSPIELEN SANG ER IM AUGUST 1876 DEN
    DONNER IM "RHEINGOLD" UND DEN GUNTHER IN DER "GÖTTERDÄMMERUNG".
    ER SANG WAGNER-PARTIEN IN SEPARATVORSTELLUNGEN FÜR KÖNIG LUDWIG II.
    VON BAYERN UND GAB MIT SEINER PARADEROLLE ALS HANS SACHS IN DEN
    "MEISTERSINGERN" BEI DER ERÖFFNUNG DES MÜNCHENER PRINZREGENTEN-
    THEATERS AM 20. AUGUST 1901 SEINEN BÜHNENABSCHIED. DER BERÜHMTE SÄNGER
    DER LIEDER FRANZ SCHUBERTS UND ROBERT SCHUMANNS GILT BESONDERS
    ALS WIEDERENTDECKER DES BALLADENKOMPONISTEN KARL LOEWE.


    IM JULI 1880 ERWARB EUGEN GURA MIT SEINER FRAU THERESE AUF DER
    DAMALIGEN "MAXIMILIANSHÖHE" EIN 1874 ERBAUTES HAUS. ER LIESS ES
    VERGRÖSSERN UND EINEN ACHTECKIGEN TURM ANBAUEN.
    DIE "VILLA GURA" LIEGT, NUR ETWA 250 METER VON DIESER TAFEL ENTFERNT,
    AN DER MAXHÖHE 17. DIE AUSSENWÄNDE ZIERTEN HEUTE VERSCHWUNDENE
    DÜRER-MOTIVE, ABER IM PARK STEHT SEIT 1890 EINE BÜSTE "KARL LOEWE" VON
    FRITZ SCHARPER. INNEN WAR DAS HAUS EINE WERTVOLLE KÜNSTLERKAMMER.DIE
    WÄNDE IM MUSIK- UND ESSZIMMER SCHMÜCKTEN GEMÄLDE UND AQUARELLE.


    DES SÄNGERS GANZER STOLZ WAR EINE GROSSE SAMMLUNG VON HAND-
    ZEICHNUNGEN, RADIERUNGEN UND STICHEN, DARUNTER DÜRERS 20 HOLZ-
    SCHNITTE ZUM "MARIENLEBEN". SELBST KÜNSTLERISCH BEGABT, ZEICHNETE
    ER MOTIVE DER UMGEBUNG FÜR SEINE "ERINNERUNGEN" (1905), DIE ER IN DEN
    LETZTEN JAHREN AUF DER MAXHÖHE VERFASST HATTE.


    NACH LÄNGERER KRANKHEIT STARB EUGEN GURA AM 26. AUGUST 1906 IN
    SEINEM SÄNGERHEIM. UNTER GROSSER ANTEILNAHME DER BEVÖLKERUNG
    FAND DER SÄNGER SEINE LETZTE RUHE IM FRIEDHOF VON AUFKIRCHEN.
    DOCH SEIN KRANZ WAR BALD VERWELKT. DAS STATTLICHE GRABMAL VON
    ADOLF VON HILDEBRAND (1907) GING BEI DER AUFLÖSUNG DER GRABSTÄTTE
    1965 AN EINEN STEINMETZ, DER ES ZERSTÖRTE. KEIN GEMEINDERAT ERHOB
    DAGEGEN EINSPRUCH, UNKENNTNIS UND IGNORANZ BEHIELTEN SCHON
    DAMALS DIE OBERHAND.


    GANZ VERGESSEN IST DER SÄNGER VON EINST ALLERDINGS NICHT.
    EINER DER GRÖSSTEN SÄNGER DES 20. JAHRHUNDERTS, DER BARITON
    DIETRICH FISCHER-DIESKAU (GEB. 1925), HAT SICH VOR JAHREN GANZ IN DER NÄHE
    ANGESIEDELT UND WEISS UM DIE BESONDERE NACHBARSCHAFT. WIE ER IN SEINEN
    ERINNERUNGEN "ZEIT EINES LEBENS" (2000) BERICHTET, HAT ER 1952 IN
    AMSTERDAM MIT DEM LIEDBEGLEITER CONRAAD VAN BOES MUSIZIERT, DER
    BEREITS AM FLÜGEL GESESSEN HABE, "WENN EUGEN GURA SANG".


    SO WIRD AUCH HIER, WIE IN WAGNERS "PARSIFAL", DIE ZEIT ZUM RAUM,
    UND DIESE TAFEL, GESTIFTET VON MAG. VERNA UND
    DIPL. ING. DR. H. C. SIEGFRIED GENZ, VERLEIHT IHR DAUER.


    DR. DIRK HEISSERER
    LITERATURWISSENSCHAFTLER (MÜNCHEN)
    SEPTEMBER 2007

  • Wer ist dieser Herr am Wasser?


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    Die Brunneninschrift gibt Auskunft über die Person und den Besuchszweck des Berühmten;
    wegen der Rossini-Festspiele kam er nicht, denn die wurden in Bad Wildbad erst 1989 ins Leben gerufen; der Dirigent Wilhelm Keitel war bei seiner Rossini-Biografie auf den Badeaufenthalt Rossinis im Schwarzwald aufmerksam geworden.


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    Dr. Augustus Bozzi Granville, ein italienischstämmiger Londoner Arzt, hatte 1837 ein Buch mit dem Titel »Spas of Germany» - also ›Die Heilbäder Deutschlands‹ - veröffentlicht und dabei das Wildbadener Wasser besonders gelobt, indem er darstellte, dass das Wasser von Natur aus so heiß ist, wie es für den menschlichen Körper am besten geeignet ist, es sei den warmen Quellen vorzuziehen, die spontan gekühlt werden müssen.


    Granville beschrieb eigen Erlebtes und so lag Wildbad aus seiner Sicht ›inmitten der Wildnis des Schwarzwaldes‹, denn alleine von Stuttgart aus benötigte er zehn Stunden. Aber als er erst mal angekommen war begeisterte er sich: »Diesen angenehmen Eindruck, welchen das Wasser auf mich machte, als es aus der Tiefe hervorquellend über meinen Körper floss, durchsichtig wie das gläserne Aquamarin, weich, natürlich warm und sanft murmelnd, werde ich nie vergessen.«


    Am 13. Juni 1856 - also heute vor 167 Jahren - stieg Gioacchino Rossini mit Olympe Pélissier, seiner zweiten Gattin, und zwei Bediensteten im Hotel Bären ab. Er soll hier etwa zwanzig Bäder in einem Zeitrahmen von drei Wochen genommen haben, wobei dieser Aufenthalt so eine Art Vorkur gewesen sein soll, der sich eine Trinkkur in Bad Kissingen anschloss, denn der umtriebige Dr. Granville hatte auch ein Buch über die Kissinger Heilquellen geschrieben.


    Auch in diesem Jahr findet das kleine aber feine Rossini-Festival wieder in Bad Wildbad statt, als Spielstätten für die Oper stehen das kleine Königliche Kurtheater - im Stile eines Schweizer Chalets mit neobarocken Elementen - und die moderne Trinkhalle zur Verfügung, die tausend Personen Platz bietet. Das Programm steht im Internet zur Verfügung.

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  • Gustav Mahlers Geburtshaus

    Zum heutigen Geburtstag von Gustav Mahler


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    Wie sich die Bilder gleichen ... eine historische Aufnahme


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    Gustav Mahler war zu Lebzeiten als Dirigent an seinen internationalen Wirkungsorten stets umjubelt und eine prominente Persönlichkeit, aber seine Kompositionen eher nur eine Sache für Spezialisten, er galt als Epigone Bruckners und Wagners. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich eine Mahler-Renaissance, die in den 1960er Jahren so richtig in Fahrt kam. Als nun der Name Gustav Mahler weltumspannend so berühmt geworden war, wurde das Geburtshaus in Kaliště und das Geschäftshaus in Jihlava aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst und in den Museumsstand erhoben.


    In der Mahler-Biografie von Ladislav Šíp wird Gustav Mahlers Geburtsort so beschrieben, dass es außer der Kirche dort auch eine unappetitliche Pfütze für Gänse, Enten und andere Haustiere gab. Kalischt - auf einem alten Foto auch als Kališti bezeichnet - war damals eine deutschsprachige Enklave im tschechischsprachigen Raum.
    Gustav plantsche aber in dieser Pfütze nie herum, weil die Eltern mit dem Säugling, ihrem zweitgeborenen Sohn, bereits im folgenden Oktober den Ort verließen, um sich in Jihlava/ Iglau eine neue Existenz aufzubauen. Mit den Ortsnamen ist es so eine Sache, da muss man höllisch aufpassen, um nichts zu verwechseln; dem Vernehmen nach soll es in der Tschechischen Republik etwa ein Dutzend Orte mit dem Namen Kaliště geben und natürlich gibt es auch die Ortsbezeichnung Kalischt; Mahlers Geburtsort liegt auf der Böhmisch-Mährischen Höhe. Jihlava/ Iglau - heute etwa 50.000 Einwohner - befindet sich praktisch auf der einstigen böhmisch-mährischen Grenze.


    Der Vater, Bernhard Mahler, reiste als fahrender Kaufmann in Sachen Schnaps, Zucker und Manufaktur umher, kannte also die Lebensumstände andern Orts und sah für seine Familie in der größeren Stadt Iglau eine Chance zur Verbesserung der Lebensumstände. Sie zogen mit ihrem Söhnchen im ersten Obergeschoss eines Mietshauses (Nr. 265 in der damaligen Straße Brtnická ) ein.
    Der Umzug in die größere Stadt hatte sich gelohnt; zwar erhielt Vater Mahler zunächst nur eine Erlaubnis für das Hökergewerbe, also den Kleinhandel, aber später dann die Schankbewilligung für Bier, Schnaps und Wein und dann wurden auch noch Schnaps und Liköre hergestellt. Die Geschäfte liefen so erfolgreich, dass Bernhard Mahler 1872 das Nachbarhaus erwerben konnte. Die kinderreiche Familie bezog nach entsprechenden Umbauarbeiten 1873 das erste Obergeschoss, im Erdgeschoss befand sich ein Ausschank und im Hoftrakt wurden die Schnapsbrennerei, die Lagerräume und der Stall untergebracht.
    Gustav Mahler lebte in diesem Haus bis1875, dann ging er ans Konservatorium in Wien. Nach dem Tod der Eltern hat er das Haus 1889 verkauft.


    Es war eine jüdische Familie, aber in der Familie wurde Deutsch und nicht etwa Jiddisch gesprochen, dennoch war Bernhard Mahler ein angesehenes Mitglied der jüdischen Gemeinde Iglau.
    Wenn Gustav Mahler später einmal von armseligen Umständen seiner Kindheit sprach, dann kann damit nicht Armseligkeit wirtschaftlicher Art gemeint sein.

    Als Gustav in Kalischt zur Welt kam, war der 1858 geborene Bruder Isidor bereits gestorben.
    Sechs seiner 13 Geschwister starben früh, ganz schlimm war für ihn der Tod seines Bruders Ernst, der im Alter von dreizehn Jahren starb, da war Gustav erst fünfzehn.
    Hinzu kamen hässliche Szenen im Elternhaus - in der Literatur wird von einem cholerischen Vater gesprochen, aber manche Autoren werden deutlicher und schildern wie der Junge mit ansehen musste wie der Vater die Mutter so schlug, dass sie einen dauernden Gehschaden davontrug.


    Dies alles wird wohl bei dem berühmten vierstündigen Spaziergang mit Siegmund Freud am 26. August 1910 in Holland zur Sprache gekommen sein.


    Unumstritten ist, dass Mahlers Musik autobiografische Züge aufweist; er sprach einmal davon, dass er nie eine Note geschrieben habe, die nicht absolut wahr ist. Ganz deutlich tritt das auch hervor wenn man bei Mahler Trompetenklänge vernimmt. Iglau war zu Mahlers Zeit eine Garnisonsstadt; der Junge hörte auf dem Marktplatz Konzerte der Garnisonskapelle, aber auch im Tal Heulos, das Mahler sehr liebte.
    Der Vater war offenbar kein ungebildeter Mensch, denn es gab im Hause Mahler eine kleine Bibliothek und er schaffte für den musikalisch
    begabten Jungen ein Klavier an, das Gustav bald so gut beherrschte, dass er als lokales Wunderkind galt. 1873, anlässlich der Hochzeit von Erzherzogin Gisele und Prinz Leopold, trat 13-Jährige in einem Festkonzert auf; es ist überliefert, dass er Thalbergs ›Fantasie über Bellinis Norma‹ darbot, was allgemeine Begeisterung bei Kritik und Publikum zur Folge hatte.


    Seit 2010 hat Jihlava einen Gustav-Mahler-Park und in Kaliště wurde 1995 die Idee geboren, das erbärmlich herunter gekommene Geburtshaus wieder in einen guten Zustand zu versetzen; heute ist das Haus im Besitz der Gemeinde. Der Umbau des Hauses wurde mit dem Grand Prix der Tschechischen Architekturgemeinde ausgezeichnet.
    Wenn von einem Rosenpark geschrieben wird ist das etwas hochtrabend, was beim Haus entstand ist ein kleines Rosarium von dem berichtet wird, dass prominente Musiker dort Rosen gepflanzt haben: Rafael Kubelik, Václav Neumann, Zdenek Kosler, Claudio Abbado, Thomas Hampson ...


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    Der amerikanische Bariton hielt eine kleine Ansprache, wobei er zumindest einen Teil des Publikums erfreute:


    »Was wir heute noch nicht gehört haben, ist die deutsche Sprache (Zwischenruf aus dem Publikum: ›Ja, genau!‹). Ich bin zwar Amerikaner und sehr stolz, einer zu sein, aber vielleicht reden wir kurz in der Sprache von Gustav Mahler: Ich habe mehr zu singen als zu sagen.
    Aber heute ist ein sehr besonderer Tag. Alles, was wir hier klein und symbolisch pflanzen wie eine Rose - vor so vielen Leuten und so viel Ecken der Welt mit so viel Live-Übertragungen und so vielen Fernsehstäben usw. ist das, was Gustav Mahler am Ursprung hier in diesem wunderschönen Ort uns und der Welt geschenkt hat. In diesem Sinne sage ich: Happy birthday!«


    Anschließend gratulierte Thomas Hampson musikalisch und trug im Geburtshaus einige Mahler-Lieder vor. Inzwischen sind 13 Jahre vergangen, bei meinem Besuch war das Haus nicht zugänglich.


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    Die Kirche in Kaliště


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    Mahlers Geburtsort liegt nahe der Autobahn Prag-Brünn

  • Ein Gedenken an Adolph von Henselt

    Adolph von Henselt - * 9. Mai 1814 Schwabach - † 10. Oktober 1889 Warmbrunn


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    Wer als Musikfreund in die Goldschlägerstadt Schwabach kommt und einen Klavierspieler in der Nähe des Ostchors der Stadtkirche sitzen sieht, bemerkt recht schnell, dass das weder Beethoven noch Mozart ist.
    Der Bildhauer Clemens Heinl hat den Bronzeguss im Jahr 2000 geschaffen und dem Werk am Fuß eine erklärende Inschrift beigegeben.


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    Wenn man es ganz genau nimmt, muss man Georg Martin Adolph von Hänselt schreiben, und man sollte auch erklären, dass der Ort Schwabach in der Nähe von Nürnberg liegt.
    Warmbrunn gehört heute zum polnischen Staatsgebiet und ist seit Jahrhunderten ein Kurort am Fuße des Riesengebirges.
    1813 kam Familie Henselt mit vier Kindern aus Thüringen nach Schwabach, wo Vater Philipp Eduard Henselt Teilhaber des Kattun-Fabrikanten Johann Martin Stirner wird. Adolphs Mutter ist die zweite Ehefrau des Vaters.
    Im Januar des Jahres 1817 zieht die inzwischen sechsköpfige Familie von Schwabach nach München, wo der Vater die Kattunfabrik des Grafen von Arco auf Oberköllnbach pachtet.


    Als Adolph acht Jahre alt ist stirbt seine Mutter im Alter von nur 36 Jahren; aber das Leben geht weiter, zunächst erhält Adolphs ältere Schwester Amalie Klavierunterricht und der kleinere Bruder wird an der Violine unterwiesen.
    Aber Adolph wechselt dann zum Klavier und wird zunächst durch Hofsänger Emanuel Lasset an diesem Instrument unterrichtet.
    Ab 1827 hebt Josepha von Flad den 13-Jährigen auf eine höhere Stufe, Josepha von Flad hatte eine vorzügliche musikalische Ausbildung erhalten und auch Kontakte zu Carl Maria von Weber, als dieser 1811 und 1815 in München weilte, und wiederum bei ihrem späteren Besuch in Dresden. Ihre Kompetenz als Klavierlehrerin war unbestritten und was sie ihrem Schüler beigebracht hat, konnte dieser schon bald dem Münchner Publikum zeigen.


    In dem fast nagelneuen Münchner Odeon-Konzertsaal - eröffnet im Januar 1828 - spielte der 14-jährige Adolph Henselt am 12. März 1829 sein erstes öffentliches Konzert.
    Der - vermutlich stolze - Vater konnte diesen Auftritt seines Sohnes noch erleben, stirbt aber am 27. Juni 1830 im Alter von 53 Jahren.

    Man darf wohl vermuten, dass Josepha von Flad ihre Verbindungen zum Hof nutzte, damit der König den nun elternlosen jungen Mann unterstützt; Tatsache ist, dass König Ludwig I. von Bayern Henselt ein Stipendium für ein Klavierstudium bei Johann Nepomuk Hummel in Weimar gewährt; Henselt weilt vom Oktober 1831 bis März 1832 in Weimar.
    Nach seiner Rückkehr gibt er im November noch einmal ein Konzert im Odeon


    Das 1870 erschienene Conversations-Lexikon stellt den Musiker so vor:


    »Henselt, Adolph, einer der ausgezeichnetsten Pianisten und Claviercomponisten der Gegenwart, wurde am 12. Mai 1814 zu Schwabach in Baiern geboren, wo sein Vater Kattunfabrikant war. Mit seinen Eltern zog er im dritten Jahr nach München und erhielt dort Unterricht im Violinspiel. Da ihm aber das Pianoforte mehr zusagte, so vertauschte er die Instrumente und liess sich vom Correpetitor Lasser in den Elementen des Clavierspiels ausbilden. In seinen eifrigen Bestrebungen hatte er das Glück, von einer ausgezeichneten Künstlerin, der Geheimrätin Fladt, einer ehemaligen Mitschülerin C. M. von Weber´s und Meyerbeer´s beim Abt Vogler, Unterricht im Clavierspiel und in der Harmonielehre zu erhalten und den belehrenden Umgang Poissl´s zu genießen. Die Erstere wusste sogar den König Ludwig I. von Baiern für ihren fleissigen Schüler zu interessieren, so dass derselbe, 17 Jahre alt, aus der königl. Privatkasse die Mittel erhielt, nach Weimar zu J. N. Hummel zu gehen, um sich einer höheren Ausbildung zuführen zu lassen. Hier studirte nun H. mit Eifer die Werke seines neuen Lehrers und componirte unter Aufsicht desselben auch selbst ein Clavierconcert, im Übrigen vermochte er es aber nicht, sich an die Spielmethode Hummel´s zu gewöhnen, da er bereits einer durchaus eigenartigen Richtung huldigte, und er kehrte deshalb nach acht Monaten ziemlich unbefriedigt nach München zurück.«


    Von Weimar kommend verweilte Henselt nicht lange in München, sondern reiste - ohne Wissen der Frau von Flad - in das etwa 400 Kilometer entfernte Wien. Der junge Musiker wusste, dass es durchaus noch etwas zu lernen gab; also ging er bis 1836 nach Wien, wo er bei Simon Sechter, der einst sogar Franz Schubert - aber nur ganz kurz - unterrichtete, ein zweijähriges Studium der Komposition absolvierte, insbesondere Polyphonie und Kontrapunkt.
    Diese Studien trugen dergestalt Früchte, dass bereits 1833 erste Henselt-Kompositionen entstanden, die allerdings erst viel später im Druck erschienen.
    1836 ist vermerkt, dass Henselt Ludwig van Beethovens 3. Klavierkonzert c-Moll mit einer eigenen Kadenz spielt.


    In zeitgenössischen Veröffentlichungen ist zu lesen, dass seine Zähigkeit, mit der er sich der Vervollkommnung seines Klavierspiels hingab - er übt monatelang täglich acht bis zehn Stunden - gesundheitliche Schäden nach sich zog. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf den vielseitigen und verschiedenartigen Stellungen der Finger und Handgelenke, was er brieflich in allen Details und ganz ausführlich einer Freundin berichtete. Gesundheitliche Folgen riefen die Ärzte auf den Plan, die eine Erholungsreise anordneten, die zunächst nach Karlsbad führte, wo er auch Chopin trifft.
    Zu diesem Zeitpunkt sind Henselts Lehrjahre eigentlich beendet, dass man nie auslernt ist wieder eine andere Sache ...
    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Adolph Henselt von folgenden Lehrern unterrichtet wurde:
    Konrad Dinkler, Emanuel Lasser, Josepha von Flad, Johann Nepomuk von Poißl, Johann Nepomuk Hummel, Simon Sechter und Anton Halm.


    Mit so viel musikalischem Wissen und Können ausgerüstet, tritt nun Adolph Henselt eine auf längere Zeit ausgelegte Deutschland-Reise an, die als Erholungs-, Bildungs- und Konzertreise bezeichnet werden kann.
    Das alles verläuft nun sehr erfolgreich, 1836 spielt er am Sächsischen Hof vor, dann spielt er in Berlin in privaten Kreisen, woraus resultiert, dass ihn Ludwig Rellstab - also ein in dieser Zeit recht einflussreicher Mann - als ›den größten Pianisten seiner Zeit‹ bezeichnet.
    Als Henselt ein Jahr später ein öffentliches Konzert in Berlin spielt, wird dagegen von eher verhaltenem Beifall berichtet. Die ganz großen Auftritte soll Henselt eher nicht angestrebt haben; das Musizieren in kleinerem Kreis war ihm lieber.


    Aber da war schließlich nicht nur Rellstabs Lob, auch Robert Schumann pries den jungen Virtuosen in den höchsten Tönen. In seiner ›Neuen Zeitschrift für Musik‹ wird Henselt von Schumann als ›gewaltiger Klavierheros‹ bezeichnet.
    Es entwickelt sich dann ein Briefwechsel mit den Schumanns und als Henselt im Dezember 1837 im Leipziger Gewandhaus konzertiert, kommt es zu einer persönlichen Begegnung und man weiß aus einer Eintragung in Schumanns Tagebuch, dass hier geschrieben steht: ›wie ein Bruder kommt er mir vor‹ und letztendlich kam man dann auch zum ›Du‹; das war am Heiligen Abend, den man gemeinsam verbrachte. Schumann steigerte sich in seinem Lob schließlich sogar auf ein Superlativ, mit dem Ausspruch: ›Henselt wie ein Gott am Klavier‹.


    Man kann hier schon den Ereignissen etwas vorgreifen; nachdem man sich gegenseitig ausgiebig musikalisch gewürdigt hatte - Clara Schumann führte zum Beispiel 1839 Henselts Klavierkonzert erstmals auf - war es für das Ehepaar Schumann sehr hilfreich, dass Henselt sie im Frühjahr 1844 bei ihrer Russlandreise unterstützen konnte, denn Henselt war bereits seit 1838 Kaiserlicher Hofpianist der Zarin.


    Oben wurde ja von dem fast wahnsinnigem Fleiß berichtet, den der lernende Henselt in Wien an den Tag legte, aus dieser Perspektive äußerte er sich einmal kritisch zu Schumann.
    Der äußere Anlass war, dass er von den Kompositionen eines jungen Musikers wenig erbaut war und sich darüber ereiferte:


    »Lernen tun heutzutage die Leute zu wenig, ich meine kontrapunktische Studien machen. Das fing schon bei Schumann an, der glaub ich wär´ weiter gekommen, wenn er etwas weniger Talent gehabt hätte und es ihm folglich nicht so leicht geworden wäre, dann hätt´ er mehr gelernt.«


    Am 24. Oktober 1837 tritt Adolph Henselt in Salzbrunn (heute Szczawno-Zdrój) mit Rosalie Manger in den Stand der Ehe.
    Henselt gibt nun am 29. Dezember 1837 ein Konzert in Leipzig und konzertiert am 11. Januar 1838 noch einmal Dresden; damit verabschiedet er sich aus Deutschland, um nach St. Petersburg zu reisen. Er reist mit den Empfehlungen der Kronprinzessin, der Prinzess Wilhelm und der Prinzess Friedrich aus Berlin. Die Route führt über Breslau und Warschau.
    In Warschau kommt es zu einem Konzert mit dem Violinisten Henri Vieuxtemps, zur Erinnerung komponiert Henselt den Walzer ›Souvenir de Varsovie‹.


    Im März 1838 trifft Henselt dann in St. Petersburg ein, wo er die musikalische Szene beschnuppert und am 15. März ein Konzert von Aloys Tausig, einem Thalberg-Schüler, besucht, denn bereits am nächsten Tag tritt er sozusagen ›halböffentlich‹ auf, nämlich in einem bekannten St. Petersburger Salon, der als Prüfstein für jeden neu angereisten Musiker bekannt ist. Dort musste man bestehen, um am Zarenhof überhaupt wahrgenommen zu werden.
    Am 21. März bestritt Adolph Henselt im Bolschoj-Theater von St. Petersburg sein erstes öffentliches Konzert; auf dem Programm stehen neben eigenen Werken auch Kompositionen von Weber und Chopin sowie Konzert-Variationen über ein Thema von Meyerbeer.
    Der Erfolg dieses Konzertes war so überwältigend, dass die Zarin den Wunsch äußert. Henselt möge auf längere Dauer in St. Petersburg bleiben.
    Es wurde ja bereits oben erwähnt, dass die ganz großen öffentlichen Auftritte nicht Henselts Sache waren und so erstaunt es, dass er hier so groß Furore machte. Man kann es jetzt bereits vorweg nehmen - Während seines 51-jährigen Aufenthaltes in Russland zählt die Forschung nur elf öffentliche Konzerte, die Henselt für das breite Publikum gespielt haben soll. Henselt spielte in der Regel in Salons einflussreicher Personen, aber auch in vielen Lehranstalten. Als Henselt seine Virtuosen-Laufbahn beendet, hatte er nur 25 öffentliche Konzerte gegeben und ist damit in seiner Zeit trotzdem zu großem Ruhm gelangt.


    Aber er sinnt auch darüber nach, was gewesen wäre wenn ..., denn seine am Klavier produzierte Kunst war zu seiner Zeit noch nicht konservierbar.
    Wir kennen seine Gedanken aus einem Brief an die Musikwissenschaftlerin Marie Lipsius, wo er unter dem Datum 7. Oktober 1874 schreibt:
    »... nach dem, wie ich angefangen - ich war im 19. Lebensjahr, als ich mein op.14 geschrieben - war man berechtigt, viel mehr von mir zu erwarten, als ich geleistet. Wenn ich nicht zum Clavierspieler erzogen worden wäre, würde ich in der Composition Bedeutenderes geleistet haben.«


    Ein halbes Jahr später schreibt er an die gleiche Adresse:
    »... Mir wird immer angst und bange, wenn man von mir als Komponisten spricht und von meinen Werken. Aber das ist viel zu wenig. Ich habe nur ein Zeugnis gegeben, dass ich hätte Komponist werden können, aber meine Verhältnisse waren dazu nicht angetan: vor allem hätte das Streben nach Virtuosität niemals über mich kommen müssen ...«


    Sein Freund Franz Liszt wäre wohl auch nicht so recht zum Komponieren gekommen, wenn ihn seine Lebensgefährtin, Caroline von Sayn-Wittgenstein, nicht auf Schritt und Tritt begleitet und zum Schaffen seiner Werke angehalten hätte.


    Nach 1838 beginnt bei Henselt der Wandel vom Klaviervirtuosen zum Klavierpädagogen; im Frühjahr 1839 gibt er noch einige Konzerte, dann ist für die nächsten zehn Jahre in der Öffentlichkeit nichts mehr von ihm zu hören; vielleicht weil er Vaterfreuden entgegensieht, am 19. April 1839 wird ein Sohn geboren.
    Zum neuen Familienstand passt, dass Adolph Henselt nun auf Wunsch von Zarin Alexandra Feodorowna Hofpianist wird.
    Der erst fünfundzwanzigjährige Adolph Hensel unterrichtet den einundzwanzigjährigen Alexander, den späteren Zaren Alexander II. und weitere Kinder der Zarin.
    Etwa vierzig Jahre später beschreibt Liszt in einem Brief an Fürstin Sayn-Wittgenstein Henselts Status so:


    »Die Petersburger Atmosphäre ist bis jetzt den Musikkünstlern nur in finanzieller Hinsicht günstig, va bene! Nachdem Henselt die russischen Großfürstinnen im Klavierspiel unterrichtet hat, ist er Musikinspektor des Kaiserlichen Töchterinstituts geworden. Als solcher ist er Kommandeur des Wladimir-Ordens mit dem entsprechenden Titel Exzellenz - Die kleine Exzellenz, wie die Russen sagen, die mit der großen bekleidet sind.«


    Bei dieser Tätigkeit am Hofe hat Henselt aber weiter Kontakt mit der musikalischen Außenwelt. So bestürmt ihn der im englischen Brighton weilende Thalberg, Henselt möge die ›Schulmeisterei‹ in Russland aufgeben, um nach England zu kommen, wo eine Menge Geld zu verdienen sei.
    Der Schulmeister bleibt aber in St. Petersburg und beginnt im September 1839 an seinem Klavierkonzert f-moll, op.16 zu arbeiten, das 1841 weitgehend fertig ist und schließlich 1845 durch Clara Schumann im Gewandhaus Leipzig aus der Taufe gehoben wird.
    Ansonsten sitzt der Meister in den Wintermonaten sonntags zu Hause und veranstaltet in seinem Haus Matineen, wobei er am liebsten Weber, Chopin und Bach spielt.


    Henselt wird auch journalistisch tätig und gründet das Journal ›Nouvellist‹, ein Heft mit einem musikalischen und literarischen Teil; auch ein neues Klavier ist fällig, er bestellt bei der Wiener Klavierfabrik Johann Baptist Streicher ein Piano.


    Auch pädagogisch ist der Klavierspieler wieder gefordert, Theresia von Oldenburg hatte ein neues Institut gegründet und Henselt sollte dort unterrichten; das alles findet im Dunstkreis des Hofes statt, da sind in großer Zahl Prinzessinnen, Prinzen, Großfürstinnen ...
    Nach all dem ›Geklimper‹ dann eine Begegnung auf Augenhöhe, am 16. April 1842 kommt Franz Liszt nach St. Petersburg und gibt zwölf Tage später ein Konzert, wobei auch Henselt-Werke im Programm sind. Liszt besucht Henselt auch in seinem Privathaus und es entwickelt sich eine lebenslange Freundschaft. Natürlich ist Henselt auch beim Abschiedsessen für Liszt am 16. Mai dabei, das im Salon Wielhorski gegeben wird.
    Ein Jahr später kommt dann Liszt nochmals nach St. Petersburg und in späterer Zeit besucht Henselt Liszt in Weimar.


    Im Februar 1844 kommen die Schumanns nach St. Petersburg, wobei sich - neben den Soloauftritten Claras - auch im kleineren Rahmen ein vierhändiges Spiel - Clara Schumann mit Henselt - ergibt, Robert Schumann bleibt in St. Petersburg weitgehend außen vor.


    Zwischendurch kommt Henselt auch aus Russland heraus und besucht Breslau und München. Nach zehn Jahren öffentlicher Abstinenz, zieht er ab 1850 noch weitere Kreise und gibt im Pariser Salle Érard ein Konzert und reist zwei Jahre später auch nach England, wobei er die ganz große Öffentlichkeit auch hier nicht sucht.
    Interessantes wird von einem typischen Henselt-Konzert in Berlin berichtet - also wieder einmal nicht der ganz große Auftritt - wo er auf der Rückreise von England im Salon des Instrumentenbauers Heinrich Kistling ein Konzert gibt, von dem folgendes überliefert ist:


    »Mit einer Ausdauer, die an das Unbegreifliche grenzt, spielte er gegen 20 Musikstücke und bewies sich als Meister der Meister.«


    Diese Meisterschaft trug auch monetäre Früchte, im September 1852 erwarb er im Niederschlesischen Gersdorf (heute polnisch Gieraltow) ein Rittergut mit Schloss, wo er sich dann in den folgenden Jahren (1852-1866) über die Sommermonate aufhielt.
    Er gibt Konzerte in Odessa, Kiew, St. Petersburg; aber auch in Breslau und Berlin; etwa ab 1854 spielt er aber nur noch im kleinen privaten Kreis und bei Wohlfahrtsveranstaltungen.


    Seine Hauptaufgabe ist nun die Überwachung von fünf musikalischen Lehranstalten in St. Petersburg und auch Moskau. Aufgrund seiner Verdienste wird der Hofmusiker im März 1861 in den Adelsstand erhoben, wobei Henselt auch an seinen Sohn dachte, der damals Offizier in der Preußischen Armee war, und da galt so ein Titel etwas.
    Aber auch der Adelstitel bewahrte Adolph von Henselt nicht davor, dass ihm die Kosten für Rittergut und Schloss allmählich über den Kopf wuchsen. 1866 verkaufte er das stattliche Anwesen für 67.000 Taler und verwendete den Erlös zum Kauf einer Villa in Bad Warmbrunn, wo die schlesische Familie seiner Frau Rosalie zuhause war.


    Henselt war nun 52 Jahre alt und es sind jeweils Konzerte im kleinen Kreis vermerkt, beispielsweise in Leipzig oder Dresden, aber im November 1867 reist er wieder nach England, um dort in der Klavierfabrik Broadwood ein Konzert zu geben.
    1868 schreibt er ein Lehrbuch: »Auf langjährigen Erfahrungen begründete Regeln für den Klavierunterricht. Zusammengestellt von Adolph Henselt. Anleitung für Lehrer und Schülerinnen der seiner Aufsicht unterstellten staatlichen Einrichtungen.«
    Zudem veröffentlicht er sein Buch ›Fragen zur elementaren Musiktheorie‹.
    Im Januar 1878 trifft die Familie ein harter Schlag, Sohn Alexander - inzwischen beim russischen Militär - stirbt an Lungenentzündung. Die Mutter trifft der Verlust so schwer, dass sie die Sprache verliert und dabei viele Jahre sichtbar leidet.


    1881 veröffentlicht er bei Schlesinger in Berlin das Buch »Haute ecole du piano« und das nächste größere Ereignis in Hensels Leben ist sein 25-jähriges Jubiläum als Generalmusikinspektor in St. Petersburg, das im Mai 1883 gebührend gefeiert wird und Henselt den Orden des hl. Stanislav 1. Klasse beschert. Franz Liszt gratuliert schriftlich und fügt ein Albumblatt bei. Die nun fällige Dankesrede des Jubilars wird in französischer Sprache, also der Sprache des Adels, gehalten.
    Eine weitere Ehrung wird Henselt Anfang 1888 zuteil; er wird Ehrenmitglied des St. Petersburger Konservatoriums, das sein 25-jähriges Bestehen feiert. Dem folgt ein weiteres Jubiläum auf dem Fuße, es sind nämlich im März 50 Jahre her seit Adolph Henselt sein erstes Konzert in St. Petersburg gab.


    Die Jahre waren ins Land gegangen und der vieldekorierte Jubilar war gesundheitlich beeinträchtigt, sein Arbeiten an vielen Fronten hatte Spuren hinterlassen. Im Februar 1889 empfahl sein Arzt in der kalten Jahreszeit nicht mehr nach Moskau zu fahren.
    Adolph von Henselt ist noch ein Sommeraufenthalt in Warmbrunn vergönnt, mit dem zu Ende gehenden Sommer wird sein Gesundheitszustand immer labiler, ein Herzfehler und Wassersucht bringen das Ende. Man spielt dem Todkranken noch auf dem Klavier die ›Oberon‹-Ouvertüre vor, er wird ohnmächtig und verstirbt am 10. Oktober 1889.

  • Ein Ehrenplatz im kleinen Park


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    Nachdem Herbert Alsen im Herbst 1978 gestorben war, setzte man ihm in einem kleinen Park in Mörbisch, der nun seinen Namen trägt, einen Gedenkstein, der vor allem an die großartige Leistung des Sängers bei der Gründung und Konzeption der Seespiele erinnert, die praktisch aus dem Nichts und mit sehr viel Wagemut und Herzblut geschaffen wurden.
    Die verfügbare Landschaft an Österreichs größtem See - auch wenn er nicht ganz zu Österreich gehört - war herrlich, aber viele andere Daten eher dürftig.
    Das Burgenland hatte gerade mal 270.000 Einwohner und Mörbisch lag in einer Art Sackgasse, denn es fehlte das Hinterland, weil hier der sogenannte ›Eiserne Vorhang‹ eine fast unüberwindliche Grenze war, aber eben nur fast, denn südlich von Mörbisch führt ein Fuß- beziehungsweise Radweg nach Ungarn und nach guten drei Kilometern kommt man zu der denkwürdigen Stelle, wo am 19. August 1989 ein Paneuropäisches Picknick stattfand.


    Eigentlich hatte Herbert Alsen mit seinen angedachten Seespielen zunächst eher die ›Storchenstadt‹ Rust - gut fünf Kilometer von Mörbisch entfernt - im Auge, aber dort hatte man kein Interesse.
    In einem Presseartikel vom 30. Juni 1957 - also kurz vor Eröffnung - äußerte sich Alsen zu seinen Plänen in Mörbisch:


    »Die Seespiele sollen nicht Festspiele sein, denn nichts liegt uns ferner, als die übergroße Zahl der Festspielstätten noch zu vergrößern. Nein, wir wollen aus den hiesigen Gegebenheiten etwas Neues entwickeln. Welches Werk wäre hier geeigneter als der ›Zigeunerbaron!‹ Er ist gleichsam in diese Landschaft hineinkomponiert!
    Natürlich wollen wir eine sehenswerte Aufführung herausbringen, dem Werk und seinem Schöpfer in Ehrfurcht dienen, und das Ensemble schöner Stimmen, das sich uns von der Staatsoper und anderen Bühnen Österreichs zur Verfügung gestellt hat, wird diese Absicht verwirklichen.
    Grundlage der Spiele aber sind die Aufgeschlossenheit, der Idealismus, die Tatkraft und künstlerische Begabung der Mörbischer.
    Wo Sie hinkommen, auf den Feldern, in den Weingärten, in den Wohnungen - überall wird der ›Zigeunerbaron‹ gesungen. Das zu erleben ist beglückend! Wer die Schwierigkeiten kennt, unter denen Professor Karl Winkler die Probearbeiten leisten musste, kann ermessen, dass nur die einmalige Begeisterung und Opferbereitschaft aller Mitwirkenden diese Spiele ermöglicht haben.
    Und wir hoffen, dass wir auch den Zuschauern etwas von unserem Idealismus und unserer Begeisterung vermitteln können.«


    Zwischen dem 6. und 21. Juli 1957 wurde der »Zigeunerbaron« auf der 42 x 20 Meter großen Bühne sechs Mal aufgeführt. Die Vorstellungen begannen um 19:00 Uhr, also noch bei Tageslicht, damit sich das Bild der Landschaft und der Szenenwechsel in der Natur mit der Bühnenhandlung verbanden; die MESZ gab es damals noch nicht.


    1955 war das Ehepaar Alsen ins Burgenland gekommen und 1957 gingen dann die ersten Seespiele über die Bühne. Ganz einfach war das nicht, denn es mussten nicht nur Erdhügel aufgeschüttet werden, damit 1.200 Sitzplätze in Form von langen Holzbänken aufgestellt werden konnten, sondern es war auch noch die Zustimmung vom Fürsten Esterhazy einzuholen, wovon ein reger Briefverkehr zeugt, der in der dritten Person geführt wurde.


    Im zweiten Jahr standen dann schon 1.500 Plätze zur Verfügung, dann bald 3.000 und um die Jahrtausendwende saßen dann mehr als 6.000 Gäste auf bequemen Klappstühlen, aber da war der einstige Spiritus Rektor längst nicht mehr da.
    Unter seiner Intendanz fanden auf der Seebühne 25 Premieren statt und auch ganz berühmte Sängerinnen und Sänger wie zum Beispiel: Ljuba Welitsch, Sari Barabas, Helge Rosvaenge, Karl Friedrich ... traten auf der Seebühne auf.


    Heute beherrschen hier andere Namen das Programm, aber da schweigt des Sängers Höflichkeit ...

  • Ein Ehrenplatz für Christoph Graupner


    Auch wenn so nette Bilder von Würdigungsstellen von Komponisten und Musikern hier im Forum auftauchen, eine Träne rührt mich, da für Christoph Graupner kaum etwas zu finden ist. In seiner Geburtsstadt Kirchberg gibt es eine Tafel an seinem Haus, wo er als Kind wohnte. Ansonsten kümmert sich dort kaum jemand um ihn als großen Sohn. Das Gymnasium mit dem Namen „Christoph-Graupner-Gymnasium“ kümmert sich auf seiner Webseite nicht einmal um seinen Namensgeber.


    Kirchberg_Gedenktafel_Graupner.jpg


    Graupner wirkte von 1709 bis zu seinem Tod 1760 in Darmstadt. Durch den großen Feuersturm am 11./12. September 1944 wurden 90% der Innenstadt zerstört, darunter auch Graupners Wohnstätten. Zumindest hat im Jahre 2018 dann die Stadt mit Unterstützung des neuseeländischen Bratschisten Donald Maurice eine Gedenktafel in der Innenstadt anbringen lassen, vermutlich in unmittelbarer Nähe zu dem im Krieg zerstörten Wohnhaus.


    Graupnerschild-Darmstadt-2018.jpg


    Deshalb ist es so schade, dass man kaum auf Graupner aufmerksam werden kann: kein Gemälde, kein Wohnhaus, nur die paar Wirkspuren wie die Stadtkirche und die Schlosskirche des Darmstädter Barockschlosses.


    Aber was zählt, ist die Musik, oder? ;)

    Mehr Musik ins Leben, mehr Leben in die Musik.

  • Durch deinen ersten Eintrag im Forum bin ich auf diesen Thread wieder aufmerksam geworden. Ähnlich wie Graupner geht es auch Joachim Raff, weshalb ich meinen Eintrag aus dem Raff-Thread nochmal hierher kopiere, wo er auch passt:


    Heute war es soweit: Ich weile zur Zeit in Einsiedeln in der von mir besonders geliebten Zentralschweiz und war heute Nachmittag in Lachen am oberen Zürichsee. Dort findet man Raffs Geburtshaus direkt am See in schöner Lage. Eine Gedenktafel und eine kleine Installation weisen auf Raff hin. Man kann dort vor dem Haus per Knopfdruck zwei Sätze aus der 3. Sinfonie aktivieren und hören. Die kleine Informationsplakate erzählt die Anekdote, dass bei Raffs Geburt die Glocken der nahen Stadtkirche läuteten, was im Volksglauben auf die Geburt eines Musikers hinwies.

    Im Haus sitzen die Raff-Gesellschaft und das Raff-Archiv. Dieses ist eigentlich nur Samstag geöffnet. Aber ich hatte Glück: Es war jemand vor Ort, ich konnte mich ein wenig umschauen, mit Handschuhen das Autograph der 9. Sinfonie in Augenschein nehmen und das (leicht veränderte) Geburtszimmer Raffs sehen. Und im netten Gespräch konnte ich in Erfahrung bringen, dass die Raff-Pflege vor Ort, vor allem in den Kantonen Schwyz und Zürich eifrig und häufig auf kleinster Ebene betrieben wird: Sei es ein Kammermusikabend in Lachen und in Zürich, Raffsche Orgelmusik in Einsiedeln (Pater Lukas im Kloster ist Musikexperte und Organist und spielt gelegentlich Raff und studiert die Autographe), die oben erwähnte Erstaufführung in Bern, das 4. Klaviertrio in der Kirche zu Erlenbach oder auch der berühmte Flötist Emanuel Pahud, der in Zürich Raff gespielt hat.

    https://www.journal21.ch/sites/default/files/styles/primer_full_xl/public/2022-05/geburtsstaette_joachim_raff_und_sitz_des_joachim-raff-archivs_in_lachen_foto_carlo_stuppia_-_joachim-raff-archiv_fpc5201_003.jpg?itok=zsMBQZgp

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

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  • Ähnlich wie Graupner geht es auch Joachim Raff ...

    Lieber Tristan,
    um Joachim Raff ist es hier im Forum recht gut bestellt; bereits am 17. Mai 2020 habe ich unter #249 einen recht umfangreichen Beitrag eingestellt und auch im Thread ›Der Musiker Gräber‹ schon am 19. April 2014 im Beitrag #164 über den Beuch des Grabes von Joachim Raff auf dem Frankfurter Hauptfriedhof berichtet.

  • Lieber hart, um Raff mag es hier im Forum ganz gut betellt ein (ein wenig trage ich ja auch dazu bei), was ich aber meinte ist das Andenken in der Welt außerhalb des Forums. Das scheint mir doch ziemlich gering zu sein.

    Deinen Beitrag #249 habe ich jetzt erst gesehen. Dazu ist das Raff-Haus in Lachen ja eine gute Ergänzung.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Zum heutigen Todestag der Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient


    »Sie gilt als die größte deutsche Gesangstragödin des 19. Jahrhunderts«
    - so eröffnet ein Lexikontext die Darstellung ihres Lebens.


    Coburg-1.jpg


    Coburg-3.jpg


    Gedenktafel-Schr-Dev.jpg


    Hier war der Text noch besser lesbar.


    Coburg-2.jpg


    Coburg-4.jpg


    Was sind denn das für seltsame Fotos? Dieser Thread zeigt nun schon seit Jahren Ehrenplätze von Musikern, aber so etwas hat man bisher hier noch nicht gesehen.


    Der Standort einer Gedenktafel, die der große Tenor Joseph Tichatschek seiner noch berühmteren Kollegin Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet hat, befindet sich an dem hier gezeigten Haus im oberfränkischen Coburg; genauer gesagt, am Glockenberg 2.
    Das Gebäude liegt etwas versteckt. Um es zu finden, geht man vom Steintor aus einen schmalen Weg hoch, der zum Ernestinum und zum Haus Contakt führt, in einem Stichweg findet man das Haus heute in diesem Zustand, die Aufnahmen entstanden am 16. September 2023.


    Wer war diese Sängerin, die nicht nur von ihrem Kollegen Tichatschek, sondern auch von den Komponisten Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Richard Wagner so sehr geschätzt wurde?


    Neben Wilhelmine Schröder-Devrient gab es auch andere gute Sängerinnen, aber Schröder-Devrient sorgte für eine entscheidende Wende des Operngesangs, denn bei ihr steht nicht mehr im Vordergrund makellose Töne zu produzieren, sie kreiert eine neue Kunstform, den dramatischen Gesang.


    Richard Wagner, der einerseits eine starke Abneigung gegen italienisches Singen hatte, jedoch andererseits den Gesangswohlklang nicht opfern wollte, war von der Darsteller-Sängerin hell begeistert. In der Uraufführung von »Rienzi« sang sie 1842 die Partie des Adriano und drei Monate später war sie am 2. Januar 1843 Wagners erste Senta bei der Uraufführung von »Der fliegende Holländer«; ihretwegen transponierte Wagner die Ballade der Senta von a-Moll nach g-Moll.
    1845 ist Wilhelmine Schröder-Devrient die Darstellerin der Venus in »Tannhäuser«.
    Richard Wagner drückt seine große Begeisterung für Schröder-Devrient zwar etwas eigenartig aus, aber so ist es nun einmal überliefert:


    »Sie hatte gar keine Stimme, aber sie wusste so schön mit ihrem Atem umzugehen und eine wahrhaft weibliche Seele durch ihn so wundervoll tönend ausströmen zu lassen, dass man darüber weder an Singen noch an Stimme dachte.«


    Die Schröder-Devrient sang und schauspielerte nicht nur, sondern beeindruckte, bezauberte und inspirierte - wie oben bereits erwähnt - zahlreiche Komponisten.
    Als im November 1822 »Fidelio/Leonore« zum vierten Male neu herausgebracht wurde, soll Beethoven nicht gerade begeistert gewesen sein, dass ein 17-jähriges Mädchen die Leonore singt, ihre Gesangsleistung konnte der Meister nicht mehr beurteilen, jedoch ihre Bühnenpräsenz. Wie überliefert ist, soll Beethoven das Spiel der Sänger-Darstellerin aus der Kulisse beobachtet haben.


    Das Leben der Sängerin, die zunächst als Schauspielerin begann


    Beide Eltern waren Schauspieler, der Vater sogar Schauspieler und Sänger, die diesbezüglichen Grenzen der Genres waren damals lockerer als heute. Die Zeitläufe brachten es mit sich, dass Wilhelmine in Hamburg, Prag und Wien aufwuchs. 1813 verließen die Eltern Hamburg und gingen zunächst nach Prag.
    Schon als Fünfjährige tanzte die Kleine auf der Hamburger Bühne herum, wobei das für sie nicht vergnüglich war, denn schon das vierjährige Mädchen hatte eine schweres Training absolviert. Sie schnupperte also Theaterluft von Kindesbeinen an. In Prag war sie, zusammen mit ihren Schwestern, Mitglied in einem Kinderballett; später dann in Wien. Wilhelmines Vater, der Bariton Friedrich Schröder, war 1818 gestorben. Ab 1819 sah man seine Tochter bereits als Schauspielerin am Burgtheater, aber bald entwickelte sie sich als Schauspielerin mit Singstimme weiter.
    Natürlich bedurfte das sängerische Talent der Ausbildung. Zunächst übernahm das Therese Grünbaum und Joseph Mozatti, sowie Julius Radichi, die musikalische Größen ihrer Zeit waren; später dann der renommierte Gesangspädagoge Johann Aloys Miksch in Dresden.


    Ihr erster großer und erfolgreicher Opernauftritt war am 20. Januar 1821, als sie im Wiener Hofoperntheater am Kärntnertor in der Rolle der Pamina in Mozarts »Zauberflöte« auftrat, und das in diesem jugendlichen Alter. Etwas später im Jahr dann ein weiterer Erfolg als Agathe in Webers »Freischütz« und 1822 eine vielbeachtete Leonore in Beethovens »Fidelio«.
    Dem folgten zahlreiche Gastspiele in Dresden und Leipzig; ab 1822 ist sie mit der Dresdner Bühne verbunden und das blieb, von einigen Unterbrechungen einmal abgesehen, praktisch bis 1847 so; bis sie sich mit in Glucks »Iphigenie in Aulis« von Dresden verabschiedete.


    Carl Maria von Weber konnte noch ihre Agathe erleben. Als er 1822 seinen »Freischütz« dirigierte war er von der Sängerin so begeistert, dass er sie zur besten Interpretin der Agathe erklärte und meinte, dass sie mehr in diese Rolle hineinlegte als er als Komponist darin vermutet habe. Zwei Jahre später sang sie in »Euryanthe« bei der Dresdner Premiere die Titelrolle unter der Leitung des Komponisten.


    1823 heiratete die so erfolgreiche Sängerin den Schauspieler Carl Devrient, aber bereits nach fünf Jahren ging diese Ehe in die Brüche, obwohl in dieser Zeit vier Kinder geboren wurden, aber auf der Bühne arbeitete das Paar noch einige Jahre zusammen.
    In den frühen1830er Jahren war Schröder-Devrient europaweit unterwegs, Engagements führten sie nach Frankreich und England. So kam sie auch auf einer Kunstreise nach Paris durch Weimar, wo sie bei Goethe durch Eduard Genast angemeldet wurde, und der alte Goethe sich freute, diese berühmte Künstlerin kennen zu lernen.
    Erst nachdem Schubert also schon verstorben war, im Frühjahr 1830, trug Wilhelmine Schröder-Devrient Schuberts »Erlkönig« vor - Frau Genast begleitete - und erregte durch ihre Darbietung die Bewunderung des Dichterfürsten. Nach dem Vortrag dankte Goethe der Opernsängerin für ihre großartige künstlerische Leistung und fuhr fort: »Ich habe diese Komposition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen, gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild.«


    Ein fast lebenslanger Kontaktakt bestand zwischen Clara Schumann und Wilhelmine Schröder-Devrient. Die Damen kannten sich seit einem gemeinsamen Auftritt in Paris 1832. Die Begegnungen häuften sich als die Schumanns 1844 nach Dresden übersiedelten.


    Anlässlich einer gemeinsamen Konzertreise mit den Schumanns nach Leipzig im Jahr 1849 bot die um 15 Jahre ältere Sängerin Clara das »Du« an.
    Im gleichen Jahr musste Schröder-Devrient im Rahmen der Maiunruhen in Dresden die Stadt verlassen; sie soll sehr provokativ daran teilgenommen haben und hatte deshalb ihre Pensionsansprüche verloren. Auch Richard Wagner war am Dresdner Neumarkt aktiv und musste das Weite suchen.


    Bereits in den 1840er Jahren hatte sie die Städte Zürich, Danzig, Königsberg, Riga, Stettin, Posen, Kopenhagen und Sankt Petersburg besucht. Den in diesem Jahr entstandenen Zyklus »Dichterliebe« hat Robert Schumann Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet.


    Im August 1847 heiratete die Sängerin erneut; diesmal einen Offizier von Döring, und lief liebesblind in ihr Verderben, obwohl sie von Freunden vor der Verbindung mit dieser Person eindringlich gewarnt worden war. Der schneidige Offizier setzte einen Ehevertrag auf, der ihm gestattete seine Angetraute in den finanziellen Ruin zu treiben. Diese Ehe währte nicht lange und wurde recht bald wieder geschieden; und dann konnte der Herr Offizier abkassieren.


    Wilhelmine Schröder-Devrient sang auch am 14. Oktober 1848 erstmals den vollständigen Schumann-Zyklus »Frauenliebe und Leben«, was damals eigentlich nicht üblich war, der Grund ist wohl darin zu sehen, dass dies im Rahmen einer privaten Soirée geschah.
    In der Konzertsaison 1848/49 wirkte die Sängerin auch in fünf Konzerten mit, die Clara Schumann zusammen mit dem Dresdner Konzertmeister Franz Schubert veranstaltete.


    Ihre dritte Ehe schloss Wilhelmine Schröder-Divrient 1850 mit dem 14 Jahre jüngeren livländischen Baron von Bock, aber sie kehrte schon 1852 nach Deutschland zurück und lebte abwechselnd in Berlin und Dresden.


    Im November 1855 gab es für Wilhelmine in Berlin ein Wiedersehen mit Clara Schumann; dann traf man sich erst wieder im April 1858.
    Clara Schumann riet von einem geplanten Comeback, das Wilhelmine plante, ab, denn die Stimme hatte in den letzten Jahren doch stark gelitten. Es gab in dieser Zeit auch andere gute Stimmen, aber Clara Schumann, die praktisch alle aktuellen Sängerinnen kannte, schreibt im Oktober 1848:


    »... Für einen Ton von ihr geb ich sie alle hin, die jungen Sängerinnen! Sie haben alle keinen Geist und kein Gemüt! ... Genie und Gemüt hat sie, das ist´s, und mehr in ihrem kleinen Finger als alle - Ihr jungen 18- und 20jährigen Sängerinnen zusammengenommen, sie, eine 43jährige Frau! Da sieht man, das wahrhaft Große ist unvergänglich!«


    Es gab dann zum Lebensende der Sängerin hin krankheitsbedingte Dissonanzen, Schröder-Devrient hatte depressive Phasen; im Frühjahr 1859 verschlechterte sich Wilhelmines Zustand.
    Am 6. März 1859 sang sie noch einmal – es ist vermutlich ihr letzter Auftritt – in einem Leipziger Konzert. Einen Monat später brach sie in Dresden zusammen. Wilhelmine Schröder-Devrient zog fünf Monate vor ihrem Tod nach Coburg, wo sie von ihrer Schwester Auguste Schlönbach gepflegt wurde. Sie starb am frühen Morgen des 26. Januar 1860 und wurde zunächst provisorisch in Coburg begraben; Claire von Glümer berichtet in ihren Erinnerungen:

    »Zahllose Palmenzweige, Blumen- und Lorbeerkränze, die von nah und fern gesendet waren, schmückten den Sarg; mancher ihrer Freunde war aus der Ferne gekommen, ihr das letzte Geleit zu geben; ein Sängerchor sang am offenen Grabe, wie Wilhelmine ausdrücklich bestimmt hatte, Luthers Choral: ›Ein´ feste Burg ist unser Gott‹ und unter den Klängen des Mendelssohn´schen Liedes: ›Es ist bestimmt in Gottes Rath‹ senkte man sie in die Gruft.«

    Ihr Mann ließ den Leichnam später nach Dresden umbetten – dies war der von Wilhelmine Schröder-Devrient schriftlich festgehaltene Wunsch. Die Beisetzung auf dem Trinitatisfriedhof in Dresden fand am Nachmittag des 24. Februar unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.


    Anlässlich eines Spaziergangs kam Clara Schumann 1862 auch auf den Trinitatisfriedhof in Dresden¸ folgende Gedanken von Clara Schumann sind überliefert:


    »Wir machten einen schönen Spaziergang nach Blasewitz. Auf dem Rückweg besuchte ich den Kirchhof, um das Grab der armen Schröder-Devrient zu sehen. Ich fand es sehr einfach, aber nach meinem Sinn. Sie bleibt doch eine meiner herrlichsten Jugenderinnerungen.«


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