Warum? Weil das Publikum bei so einer hinterlistigen Programmgestaltung keine Wahl hat, sich dagegen zu entscheiden. Oder kannst du dir wirklich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Boulez & Co erst nach der Pause gespielt würden?
Nein, das kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen! - Ich finde es auch ziemlich übertrieben, die Aufführung "Neuer Musik" im Rahmen z.B. eines Sinfoniekonzertes (egal, ob als erstes, zweites oder letztes Stück) als "absolut untragbar" oder gar "hinterlistig" zu bezeichnen. Erinnern wir uns mal an Günter Wand, der bei allzugroßen Missfallensbekundungen ein modernes Stück mit dem Argument "Ich sehe, sie haben das Stück noch nicht verstanden" auch gerne gleich ein zweites mal spielen ließ; soetwas würde ich mir heute durchaus wünschen. Eines der besten und bewegendsten Konzerte, die ich in der vergangenen Saison erlebt habe, bestand aus der Gegenüberstellung einer Bachkantate mit der Ekklesiastischen Akktion für zwei Sprecher, Bariton-Solo und Orchester von Bernd Alois Zimmermann (G.Nigl, K.M.Brandauer, T.Hengelbrock und das NDR-Sinfonieorchester). Weiter gibt es z.B. eine großartige Aufnahme der Sechs Orchesterstücke op.6 von Anton Webern unter Michael Gielen: er wagt dort das Experiment, die einzelnen Stücke mit Schuberts Musik zu Rosamunde D767 zu kombinieren und plötzlich wird Schubert auf eine nie zuvor gehörte Weise modern, während Webern stellenweise geradezu klassisch wirkt - auch davon gerne mehr in den Abonements-Konzerten! Und gerne auch Einführungsveranstaltungen vor dem Konzert, in welchen die Musik erläutert und erklärt wird.
Vielleicht ist es nicht weniger hinterlistig, nach der Pause immer den gleichen Beethoven/Bruckner/Mahler zu spielen, vielleicht ist es nicht weniger untragbar, nach der Pause immer das längere Stück zu spielen (selbst Mozart schafft es selten bis nach der Pause ...). Vielleicht bin ich da auch einfach toleranter, als andere oder ich bin einfach der Meinung, dass ein Sinfonie- oder Kammerkonzertabend keine "Wohlfühlveranstaltung" ist, sondern bitteschön den Zuhörer und dessen geistige Kapazitäten in Anspruch zu nehmen hat. - Ansonsten sollte jeder in der Lage sein, sich vorher über das Programm zu orientieren um dann gerne auch erst nach der Pause zu kommen.