ThomasBernhard... ich lese heute meinen ersten Thomas Bernhard.
Gruß
Thomas
ThomasBernhard... ich lese heute meinen ersten Thomas Bernhard.
Gruß
Thomas
Nun, dann kannst Du (oder derjenige, der es zu verantworten hat) sicher sein, dass Diskussionen über Thomas Bernhard weder Tritsch noch Tratsch sind (im Gegensatz zu gewissen Reiseberichten ).
Welchen liest Du?
Hoffentlich hast Du Dir nicht einen allzu düsteren vorgenommen.
Ach, und wenn man schonmal über Thomas Bernhard in Verbindung mit Wien, dem Chiemgau (da war ich gerade mal wieder) oder Salzburg (ich redete im Zug mit einem Klavierlehrer aus München, welcher als Assistent einer Meisterklasse nach Salzburg fuhr: "Zehn Monate schläft die Stadt, dann ist sie zwei Monate wach und kassiert.", ich berichtigte: "Zehn Monate stürzen sich die Menschen vom Mönchsberg, zwei Monate spielen sie die weltoffene Stadt.") redet, so darf natürlich folgendes Smilie nicht fehlen :motz: :motz: :motz:
Viele Grüße
Hallo,
obwohl es wirklich viele Autoren gibt, die mir näher stehen:
Ich rate zu:
"Alte Meister"
"Holzfällen"
"Wittgensteins Neffe"
und seiner autobiographischen Prosa
Vorgennante Werke sind wirklich großartig, vieles an seiner Sprache ist mir jedoch unangenehm. Sie ist oft unnötig umständlich (was die von Thomas Mann auch ist, jedoch mit entwaffnendem Gewinn), hölzern und unmelodisch. Allein die fast krankhaften Wiederholungen einzelner Termini, erscheinen mir doch häufig äußerst manieriert.
Dennoch: Einer der größten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts, den ich eher wegen seiner Gedanken als wegen seiner Sprache schätze.
Liebe Grüße
Gino
Hallo!
ZitatOriginal von bubba
Nun, dann kannst Du (oder derjenige, der es zu verantworten hat) sicher sein, dass Diskussionen über Thomas Bernhard weder Tritsch noch Tratsch sind
Der Ansicht war ich auch!
Viele Grüße,
Pius.
ZitatAlles anzeigenOriginal von Gino_Poosch
Hallo,
obwohl es wirklich viele Autoren gibt, die mir näher stehen:
Ich rate zu:
"Alte Meister"
"Holzfällen"
"Wittgensteins Neffe"
und seiner autobiographischen Prosa
Vorgennante Werke sind wirklich großartig, vieles an seiner Sprache ist mir jedoch unangenehm. Sie ist oft unnötig umständlich (was die von Thomas Mann auch ist, jedoch mit entwaffnendem Gewinn), hölzern und unmelodisch. Allein die fast krankhaften Wiederholungen einzelner Termini, erscheinen mir doch häufig äußerst manieriert.
Dennoch: Einer der größten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts, den ich eher wegen seiner Gedanken als wegen seiner Sprache schätze.
Liebe Grüße
Gino
Ähm....., nö
"hölzern und unmelodisch", nenene: Thomas Bernhard ist NEBEN Thomas Mann der größte Sprachvirtuose des 20 Jh.
Seine Sprache ist richtig musikalisch, selten sind Schimpftiraden, aber auch die (wie ich finde: viel wichtigeren) philosophische Bemerkungen, philosophische Sprachspielchen und Balanceakte an der Kante des Existenzverfalles derart präzise, gleichzeitig mehrdeutig (jajaja, der Hang zum Widerspruch) aber auch unglaublich witzig.
Indem er sich ununterbrochen (vor allem auch sprachlich) selbst imitiert, selbst lächerlich macht, schafft er eine ungeheure Atmosphäre.
Philosophie ist, so kann man oft in seinen Werken lesen, Begriffszersetzung und also Zersetzung von Allem, somit auch die Selbstzersetzung, welche, wie von manchen Protagonisten Thomas Bermhards Werke konsequent fortgeführt, zur Selbstzerstörung führt (z.B. Wittgensteins Neffe).
Viel Diskussionsstoff, wie ich denke (und allemal einer Verschiebung ins Literatur-Forum würdig).
Viele Grüße
ZitatAlles anzeigenOriginal von Pius
Hallo!
Der Ansicht war ich auch!
Viele Grüße,
Pius.
Danke!
Viele Grüße
ZitatOriginal von bubba
Thomas Bernhard ist NEBEN Thomas Mann der größte Sprachvirtuose des 20 Jh.
:motz:
Also, hierfür befinde ich Dich der Majestätsbeleidigung für schuldig.
Und das im Thomas Mann-Jahr 2005. Hast Du ein Glück, daß ich heute früher schlafen gehe. Aber morgen werde ich dem etwas entgegensetzten...
:beatnik:
Gute Nacht und liebe Grüße
Gino
Ah, da freue ich mich doch als ein gerade den Zauberberg lesender Thomas Mann Verehrer auf eine völlig sinnlose Diskussion, in welcher mir irgendwie bewiesen werden soll, dass Thomas Mann *besser* als Thomas Bernhard ist.
Man vergleiche nie Äpfel mit Birnen oder Karl Amadeus Hartmann mit Johann Sebastian Bach.
Man sieht sich
Zitat
eine völlig sinnlose Diskussion, in welcher mir irgendwie bewiesen werden soll, dass Thomas Mann *besser* als Thomas Bernhard ist.
Kafka ist eh besser!
So, ich lass mich jetzt mal provvozieren
:motz: :motz: :angry: :angry: :angry: :motz: :motz: :angry: :motz:
Aaaahh, das tat gut.
Also, meinst Du tatsächlich, daß "besser" und "schlechter" bei diesen literarischen Größen angebracht sind?
Für mich klingt das ein wenig nach Deutschunterricht ( :kotz: ) mit: "So, heute erörtern wir 'Pro und Kontra Krautsuppe.' "
Nur zu schön, daß es den Germanisten (das Adjektiv zu diesen erspare ich mir jetzt, denn man weiß nie, auf wen man hier im Forum stößt) bis jetzt noch nicht gelungen ist, Thomas Bernhard in eine Schublade zu stecken, er wehrt sich auch nach seinem Tode gegen das Deutschlehrertum.
Viele Grüße
Hallo, Bubba!
Zitat
So, ich lass mich jetzt mal provvozieren
:motz: :motz: :angry: :angry: :angry: :motz: :motz: :angry: :motz:
Aaaahh, das tat gut.
Ooooh, das wollte ich doch nicht! Das war doch nur ein ironischer Kommentar zu der erwähnten bevorstehenden Diskussion. Das sollte besagen, daß meine Äußerung eigentlich überflüssig wie ein Elfenbein-Rückenkratzer war!
Zitat
Also, meinst Du tatsächlich, daß "besser" und "schlechter" bei diesen literarischen Größen angebracht sind?
NEIN!
Viele Grüße,
Pius.
ZitatOriginal von bubba
Nun, dann kannst Du (oder derjenige, der es zu verantworten hat) sicher sein, dass Diskussionen über Thomas Bernhard weder Tritsch noch Tratsch sind (im Gegensatz zu gewissen Reiseberichten ).
gehen-an der baumgrenze-in der höhe-am ziel
was hältst du von diesem reisebericht?
ZitatOriginal von bubba
Ah, da freue ich mich doch als ein gerade den Zauberberg lesender Thomas Mann Verehrer auf eine völlig sinnlose Diskussion, in welcher mir irgendwie bewiesen werden soll, dass Thomas Mann *besser* als Thomas Bernhard ist.
Man vergleiche nie Äpfel mit Birnen oder Karl Amadeus Hartmann mit Johann Sebastian Bach.
Man sieht sich
Hallo Bubba,
Sehr schön! Wenn wir uns einig sind, daß Du Hartmann an die Seite Thomas Bernhards stellst und Bach an die von Thomas Mann, erübrigt sich in der Tat jede weitere Diskussion.
Aber im Ernst. Unser Dissens bezieht sich keinesfalls auf die intellektuelle, epische Tragweite seiner Prosa, vielmehr auf seine Sprache. Um es gleich zu sagen: Bei Bernhard herrscht eine vollkommene Synthese von Form und Inhalt. Die Sprache ist bei ihm - so sollte es sein - Ausdruck und Rückversicherung für sein jedes andere Motiv verdunkelndes ("überstrahlendes" wäre hier fehl am Platze) Hauptthema. Der Tod. Es sind die Abgründe des Lebens, die düsteren, unheilvollen Dinge, die ihn reizen, die alle seine Werke fast manisch durchziehen. Hier spielt auch immer Misanthropie eine Rolle. Eben dies alles nimmt seine Sprache auf. In ihr schwingt immer etwas unfertiges, suchendes, letztlich gefährdetes und daher anfechtbares mit. Schön ist diese Sprache nie, sie soll es auch nicht sein.
Dies ist ihm nachzurühmen und auf der Habenseite zu verbuchen. Vieles was aber so abgründig-intellektuell daher kommt, etwa auf eine Dechiffrierungen wartend, erweist sich bei näherem hinsehen als kunstvoll montierte Binsenweisheit. Um die Faszinationen und Gefahren des Todes zu schmecken, bedarf es keines Thomas Bernhard. Dann muß auch seine Sprache kapitulieren. Nur ein Beispiel, welches mir in dem letzten Werk Bernhards was ich las ("Watten") negativ aufstieß:
"Diese jungen Menschen habe ich gelehrt, wie man eine Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, aber sie haben nicht die Welt vernichtet, die vernichtet gehört, sondern haben mich, der ich sie gelehrt habe, wie man die Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, vernichtet."
Welch’ qualvolle Sprache. Ein typischer Bernhard. Einen Satz, den man euphemistisch als Taschenspielertrick bezeichnen könnte, meint man es weniger gut, als manieriertes, äußerliches Geschwätz.
Das ist es, was ich Bernhard vorwerfe. Seine subversive Lust daran, Sprache zu zerstören. Ihr den inhärenten Vermittlungsauftrag zu entziehen und sie gleichsam zum integralen Bestandteil seiner Weltmüdigkeit zu machen.
Liebe Grüße
Gino Poosch
"angesichts des todes ist alles lächerlich."
ZitatOriginal von observator
"angesichts des todes ist alles lächerlich."
Ja, das stammt von ihm!
Dieser Ausspruch ist in seiner Banalität und Allgemeingültigkeit fast schon wieder anrührend.
Ich muss mich bei soetwas doch sehr zurückhalten, um den Ton zu wahren.
Ich habe nicht Hartmann an die Stelle Thomas Bernhards gesetzt und Thomas Mann nicht an die Stelle Bachs. Es ging eben darum, daß ein Vergleich NICHT sinnvoll ist, deshalb verwundert es mich, daß Du es bei Hartmann und Bach sowie bei Thomas Bernhard und Thomas Mann eben doch tust. Du scheinst da anderer Meinung zu sein. Wenn Du es tatsächlich nicht ernst meinst, so frage ich mich, wieso der Vergleich zwischen Thomas Mann und Thomas Bernhard fortgeführt wird.
"Schön ist diese Sprache nie, sie soll es auch nicht sein."
Ich kann nur davon abraten, Sätze und Argumentationen von sogenannten Literaturkritikern zu übernehmen, da meines Erachtens ihnen oft die Stichhaltigkeit und logische Strenge fehlt, wie diesem von Marcel Reich-Ranicki.
In diesem Satz wird nämlich behauptet, etwas dunkles, ja, negatives, etwas neurotisch gesagt, tödliches, könne nicht schön sein, die Definition von "schön" klingt hier etwa so geistreich wie "Schön ist Mozart, aber Hindemith...-das ist doch nicht mehr schön". Das finde ich ehrlich gesagt ein wenig provinziell.
"Vieles was aber so abgründig-intellektuell daher kommt, etwa auf eine Dechiffrierungen wartend, erweist sich bei näherem hinsehen als kunstvoll montierte Binsenweisheit. Um die Faszinationen und Gefahren des Todes zu schmecken, bedarf es keines Thomas Bernhard. Dann muß auch seine Sprache kapitulieren."
Ohja. Dann zeigst Du mir bitte erstens diese "Binsenweisheiten" und dann den Satz, welchen Thomas Bernhard ernsthaft "maniriert" zu "abrgründig-intellektuell[em]" "Geschwätz" aufmotzt. Zweitens bedarf es überhaupt keinerlei Literatur oder sonstiger Kunst, um die "Faszination und Gefahren des Todes zu schmecken".
Ein kleiner Satz zum grundsätzlichem Verständnis von Literatur: Die Bedeutung eines philosophischen oder wissenschaftlichen Textes ist das Gesagte. Die Bedeutung eines literarischen Textes ist das Sagen des Gesagten.
Ehrlich gesagt habe ich auch den Eindruck, daß nicht nur Marcel Reich-Ranicki Deine Sätze stark "prägt", sondern auch die Dissertation von Andreas Maier "Die Verführung - Thomas Bernhards Prosa", welche auch als Buch erschienen ist. Rezensionen, welche fast alle diesem IMHO Schwachmat Andreas Maier Honig ums Maul schmieren, weil deren Verfasser Thomas Bernhards Prosa nur schwer ertragen konnten, sind im Internet massig zu finden. Thomas Bernhard wir dort geradezu denunziert.
Was nicht auf den ersten Blick zu finden ist, ist folgende Rezension, welche auch im Großen und Ganzen meine Meinung wiederspiegelt (und welche ich zum Glück aufgehoben habe):
"14.12.2004
Die verkappte Reverenz
Andreas Maier setzt sich mit seiner Untersuchung Die Verführung gegen Thomas Bernhard zur Wehr. Von Wendelin Schmidt-Dengler
Die Sekundärliteratur zu Bernhard ist unübersehbar; an ihr lassen sich alle in der Literaturwissenschaft und in der Literaturkritik im Schwange befindlichen Methoden und das Ungenügen an diesen beispielhaft vorführen. Mit der Erschließung des Nachlasses ist die Bernhard-Analyse auch in ein neues Stadium getreten: Man begegnet den Spekulationen mit mehr Zurückhaltung.
So weit ist Andreas Maier allerdings in seiner Untersuchung noch nicht, denn ihm genügen die bislang publizierten Prosatexte, um sich ein Urteil zu bilden, das er frisch von der Leber weg verkündet. Bei der Lektüre seines Buches darf man auch nicht vergessen, dass hier weniger der Germanist als der Schriftsteller Maier spricht, der in eigener Sache handelt. Mit Klausen hatte er einen Roman geschrieben, in dem er sehr wohl, um eine Wendung Goethes zu brauchen, mit Bernhards Kalb pflügte.
Der neue Text trägt sein Programm im Titel: Die Verführung, und die mehrfach wiederholte Hauptthese hört sich, um es kurz zu machen, im Wortlaut des Klappentextes an wie folgt: „Bernhards Genialität besteht in der verblüffend einfachen und perfekten Art, den Leser dazu zu bewegen, der eigenen Person und dem eigenen Werk genau die Bedeutung zuzuschreiben, die Bernhard zugeschrieben haben wollte: nämlich beim äußersten und Nicht-mehr-Hintergehbaren angekommen zu sein.“ So gerät das Buch zu einer umfangreichen Abrechnung mit einem Autor, der Maier offenkundig alles andere als gleichgültig ist, denn sonst hätte er es bei einer smarten und kurzen Erledigung bewenden lassen. Statt dessen steigt er Bernhard in die geheimsten Winkel der Sätze und Gedanken nach und wird nicht müde, dem Autor die zahlreichen großen und kleinen Widersprüche vorzurechnen, die von der Leserschaft, offenkundig vom Opiat der Sprache betäubt, nicht wahrgenommen werden. Das ist als Ansatz unerhört erfrischend, aber die Freude, nun endlich einen gegen den Strich gebürsteten Bernhard vorgesetzt zu bekommen, wird bald getrübt. Zunächst einmal räumt Maier mit der frühen Prosa (bis etwa zum Kalkwerk von 1970) auf: „Bernhards Prosa ist nämlich eine der Bedeutungsvermeidung“, konstatiert er forsch, und ich bin dabei, wenn sich Maier gegen jene wehrt, die allenthalben tiefe Bedeutung vermuten, bloß weil sie in Sätzen, deren Inhalt sie nicht verstehen, Tiefsinn vermuten. Wenn aber den Texten jede Triftigkeit abgesprochen werden soll, bloß weil sie keine Botschaft explizit vermitteln und sich in Paradoxien ergehen, dann empört sich mein hermeneutisches Gewissen. Dass Bernhard eine Krankheit („Tiroler Epilepsie“) erfindet, er- scheint Maier als ein raffiniertes Verfahren, um dem Krankheitsbegriff eine metaphorische wie auch reale Bedeutung zu geben. (Die „Tiroler Epilepsie“ gibt es tatsächlich nicht, wie ein gewissenhafter Dissertant dadurch herausbekommen hat, dass er die dafür kompetenten Spezialisten in Innsbruck beunruhigte. Aber schon die Tatsache, dass jemand so etwas wie „Tiroler Epilepsie“ erfinden konnte ist Erweis für eine Imagination, die der Wirklichkeit erst ihre Konturen gibt.)
Maier zeigt sich verstört durch die axiomatische Ausdrucksweise, durch die Radikalität, mit der die monologisierenden Figuren der frühen Texte Bernhards sich gegen Einspruch absichern. Aber gerade dadurch konstruiert Bernhard sein geschlossenes Textsystem, in dem die einzelnen Aussagen, wenn man sie mit logischem Kalkül nachzuvollziehen trachtet, sofort in Kollision geraten.
Zugegeben, viele tappen in die Falle, die ihnen Bernhard durch das von Maier gerügte „pseudomimetische Verfahren“ stellt und lesen die meisten Texte so, als hätten sie gutgemeinte realistische Prosa vor sich. Von dem Rückfall in diese naiven, Bernhard an unsere Lebenswelt gutgläubig anpassenden Versuchen sollten sich die analytischen Bemühungen um dieses Werk längst gelöst haben. Die Formel der Übertreibung, die Bernhard auf singuläre Weise zu einer Kunstübung entwickelt hat, reizt meist zum Widerspruch, zugleich aber lässt sie unsere Urteile und Vorurteile nicht unbefragt. Dass Bernhard auch den produktiven Ärger der Leser provoziert, gehört zu seinen Stärken: Gerade die suggestive Kraft stimuliert die kritische Lektüre, so dass wir nicht in der gewiss problematischen „Einfühlung“ befangen bleiben.
Maier aber gibt keine Ruhe und rechnet ihm in gut der Hälfte des Buches Widersprüche vor, vor allem in der Autobiographie, ein Verfahren, das nicht nur ermüdet, sondern auch ärgerlich stimmt, weil einerseits eine rechthaberische Kleinlichkeit durchschimmert und andererseits wir seit Horaz wissen sollten, dass auch der große Homer bisweilen ein Nickerchen macht und ihm die eine oder andere Ungenauigkeit unterläuft. Aber Maier will nicht großzügig sein, sondern packt Bernhard beim eigenen Wahrheitsanspruch, um ihn der Lüge zu zeihen. „Die Wahrheit ist die Lüge, das ist die Wahrheit,“ lässt sich Bernhard im Keller, dem zweiten Band der autobiographischen Schriften, vernehmen, aber für all das, was in diesen Schriften oszilliert und nicht festlegbar ist, fehlt Maier das Organ, selbst der Witz, mit dem Bernhard so souverän umgeht, scheint ihm bedenklich.
Am Ende bleibt nur der grandiose Rhetoriker Bernhard bestehen: „Alles wird mit einer solchen Chuzpe behauptet, damit man nie auch nur im Kleinsten irgendeinen greifbaren Grund dafür geliefert bekommt, hier werde irgendwas Großes, Hohes, Mühevolles, Tiefes, Existentielles, Philosophisches etcetera verhandelt.“ Das sei „ein reiner, geradezu (?) formaler Größenwahn“. Alles sei lächerlich, wenn man an den Tod denkt; dieser Fundamentalsatz der Ästhetik Bernhards ist, meinem Dafürhalten nach, zwar eine Banalität, aber er hilft das abstruse Verhalten seiner Figuren zu erklären und macht jene lächerlich, die Bernhard Großes, Tiefes, Existentielles, Philosophisches, ja Heroisches unterstellen, vor allem aber jene, die es bei ihm vermissen.
Obwohl Maier mit fast jeder Zeile Bernhards Werk in Frage stellt, so erweist sich dieses Buch doch als eine ungewöhnliche Reverenz für dieses. Maier besorgt dies allerdings unfreiwillig und wird meine Auffassung vielleicht als Chuzpe bezeichnen: Aber er gibt zu, dass im Falle Bernhard ein Autor seine Leser dort hat, wo er sie haben wollte; und wie viele Autoren gibt es, die das von sich behaupten können?
Auch wenn ich Maiers Argumentation nicht folgen kann und seine Beschreibungen des Bernhardschen Verfahrens selten angemessen finde, so habe ich doch vor seinem Buch Respekt. Maier kopiert das Verfahren Bernhards, indem er sich zusehends in einen Argumentationskokon einspinnt, aus dem er sich schwer wird herauswickeln können. Mit einer Neigung zur Perseveration, die dem Objekt seiner Mühen Ehre machen würde, versucht er, dieses zu überbieten. Ja es scheint mir, als wäre er bei Bernhards letztem großen Protagonisten in die Schule gegangen, bei dem Kunstkritiker Reger in Alte Meister, der auf einem Bild Tintorettos nach dem tödlichen Fehler sucht. Es geht darum, das Kunstwerk zu falsifizieren und gegen dessen Rhetorik die eigene aufzubieten. Hier setzt sich ein Schriftsteller mit dem Werk eines anderen auseinander, und das kann nur bedeuten: sich zur Wehr zu setzen.
Wendelin Schmidt-Dengler
10. Februar 2005, Neue Zürcher Zeitung
Inszenierte Katastrophen
Andreas Maier rechnet mit Thomas Bernhard ab
Vor dem Verführer sei gewarnt, auch wenn er schon einige Jahre tot ist. Thomas Bernhard, der österreichische Schriftsteller, hat sich literarischer Effekte schuldig gemacht. «Manipulative Leserführung» wird ihm postum in einer Anklageschrift zur Last gelegt, die nicht gerade kurz ist und die erstaunlicherweise selbst von einem Schriftsteller stammt. «Die Verführung» nennt Andreas Maier seine dreihundert Seiten umfassende Abrechnung mit Thomas Bernhard.
Es ist ein Exzess an Genauigkeit, in dem der deutsche Schriftsteller zu zwei Thesen findet. Zum einen habe es Thomas Bernhard mit der Wahrheit nicht so genau genommen, zum anderen sei er nicht der philosophische Kopf, für den man ihn gemeinhin hält. Anhand von exemplarischen Texten macht sich Andreas Maier daran, Bernhards Werk zu entzaubern. So nimmt er sich der frühen Prosa Bernhards an, die mit ihren Präzisionsfanatikern und monomanischen Weltphilosophen erste Schneisen in die Welt schlägt. Dort wittert Maier Thomas Bernhards grossen Bluff. Blosse «Behauptungen über das Denken, ohne dessen Inhalt kundzutun» seien die Tiraden der Figuren. Geschenkt. «Das totale Praktizieren aller Begriffe» gibt Thomas Bernhard in der Erzählung «Ungenach» als Losung aus.
Tut Bernhard nur so, als ginge es um die Wirklichkeit? Wenn Maier Thomas Bernhard ein «pseudomimetisches Verfahren» unterstellt, dann wird dessen Werk über den Leisten eines literarischen Realismus gezogen, der kaum zu Bernhards Übertreibungskunst passt. Das tragikomische Elend der Wahrheit hat Bernhard seinen Texten eingeschrieben. Und es hat, wie man weiss, nicht wenig mit dem Tod zu tun. Bernhards rhetorische Entropie bildet einen zersetzenden Prozess nach, der nun wirklich ins Nichts führt. Andreas Maier, der aufmerksame Leser aber, bleibt dabei, Thomas Bernhard für dieses Nichts haftbar zu machen. Maier untersucht die autobiografischen Schriften, und er fahndet auch in Bernhards späten Werken wie dem «Untergeher» oder den «Alten Meistern» nach logischen Widersprüchen oder bloss «taktisch-rhetorischen Gebilden».
Unter der Hauptprämisse seiner Studie, dass nämlich Bernhard in einem pharisäerhaften Verhältnis zur Wahrheit steht, wird Maier ohne Zweifel fündig. Geflunkert hat Bernhard bei seiner Lebenserzählung nach Lust und Laune. So glorios wie da und dort beschrieben war seine Verwandtschaft nicht, die eigene Kindheit nicht so trist und Bernhards Sängerkarriere überhaupt ein Mythos. Thomas Bernhard ein Lügner? «Ich habe zeitlebens immer die Wahrheit sagen wollen, auch wenn ich jetzt weiss, es ist gelogen.» So steht es in Thomas Bernhards autobiografischer Erzählung «Der Keller». Wer, ausser Maier, hätte den österreichischen Schriftsteller wirklich für einen «unbestechlichen Apologeten der Wahrheit» gehalten? Thomas Bernhards germanistische Leserschaft hat ihm seine lustvollen Ausschmückungen bis jetzt noch nicht so moralisierend vorgerechnet wie der deutsche Autor. «In Bernhards Autobiografien geht Effekt vor Wahrheit», schreibt Maier, der auch bei ausgewieseneren Fiktionen den humorfreien Ton seiner Kollegenschelte beibehält. Mal wird die «Inkonsistenz gewisser Szenen» bemängelt, dann sind es «zu viele pathetische Effekte».
Absatz für Absatz gräbt sich Maier durch Bernhards Werk, und dieser Aufwand führt zu einem paradoxen Effekt. Wohl selten wird Thomas Bernhard so genau gelesen. Andreas Maiers mikroskopische Untersuchung ist eben deshalb erhellend, weil sie unbeabsichtigt auch eine negative Theologie entfaltet. Den Wettlauf mit der Gewitztheit des Österreichers verlieren Maiers Einwände, die mit ermüdendem Eifer vorgetragen werden, glatt. Und doch sind sie, die auf dem Faktischen und Logischen beharren, auch ein indirekter Schlüssel zu Bernhards Ästhetik. In ihr gibt es das Wirkliche eben nicht als physikalischen Ort, sondern nur als Relatives - als das Lächerliche. Das allerdings will Andreas Maier beharrlich übersehen.
Wie gross kann das Zerwürfnis zwischen dem deutschen Schriftsteller Andreas Maier und dem Gegenstand seiner Studie sein? Wohl gar nicht so gross. Maiers eigenes literarisches Werk ähnelt in manchem dem Vorläufer. Die stilistische Forciertheit von Maiers Prosa «Wäldchestag» oder «Klausen» erinnert an Thomas Bernhard, auch seine dörflichen Mikrokosmen liegen nicht allzu fern von Bernhards Einöden. Am Ende, beim finalen Urteil seiner ausufernden Studie, die selbst Thomas Bernhards Wissenschaftsfanatikern Ehre gemacht hätte, ist Andreas Maier schon etwas ermattet. Und Thomas Bernhard kaum erledigt. «Es war festzustellen, dass der Wahrheitswille in nicht unerheblichem Masse bloss behauptet und vor allen Dingen taktischer Natur war und die Katastrophen mitunter offenbar einfach inszeniert wurden.»
"
Viele Grüße
EDIT: Gemeint war die obere, diese finde ich sehr treffend, die untere ganz in Ordnung.
Hallo Bubba,
jetzt bin ich doch verblüfft über Deine Aggressivität. Ich finde es zwar sehr lobenswert, wenn junge Menschen (ich gehöre durchaus auch zu dieser Gattung) das was sie lieben, verteidigen, trotzdem wünsche ich Dir für die Zukunft mehr Gelassenheit für den Umgang mit anderen Meinungen.
Nie im Leben käme ich auf die Idee Thomas Mann mit Thomas Bernhard zu vergleichen. Das wäre absolut vermessen. Ich erinnere Dich nur an Deinen Satz:
ZitatThomas Bernhard ist NEBEN Thomas Mann der größte Sprachvirtuose des 20 Jh.
Hast Du damit Bernhard nicht "NEBEN" Thomas Mann gestellt? Ich würde einen solchen Vergleich niemals bemühen, denn außer das diese beiden Herren Schriftsteller waren, haben sie wahrlich nichts gemein. Und um Deinem aggressiven Ton zumindest mit einer inhaltlichen Äußerung gerecht zu werden: Thomas Mann hat in seiner kleinen Erzählung "Tod in Venedig" das Morbide, die Faszination und den Schrecken des Todes eindrucksvoller und bleibender dargestellt als der von mir geschätzte Thomas Bernhard in seinem ganzen Werk.
Das Du mit anderen Meinungen nur äußerst schwer umzugehen weist, zeigt auch die Bezeichnung "Schwachmat" für jenen Andreas Maier. Ich kenne diesen Herren nicht (kenne nur Hans Mayer - vielleicht eine Bildungslücke) habe demzufolge auch nichts von ihm gelesen. Was Marcel Reich-Ranicki betrifft, so hast Du recht. Ich schätze seine scharfen Urteile sehr. Er hat die deutsche Literatur - was sie dringend nötig hatte - aus dem Elfenbeinturm geholt. Zu Thomas Bernhard habe ich jedoch, soweit ich das erinnere, explizit (außer vielleicht einigen Interviewäußerungen) nichts von ihm gelesen. Dieser Angriff sei Dir also Geschenkt.
Hat Dein Text die "Stichhaltigkeit und logische Strenge" die Du bei Reich-Ranicki vergeblich suchst?
Schade, hatte mich anfänglich über einen netten, freundschaftlichen Dissens gefreut, der hart in der Sache und herzlich in der Form geführt wird. Daraus wurde leider nichts.
Um mit einer versöhnlichen Note zu enden, erinnere ich Dich an meine Worte des Anfangs (s.o.): "Einer der größten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts".
Nichts für ungut und liebe Grüße
Gino
Hm, tut mir leid, es war zugegeben scharf, ich hoffte aber, die Grenze nicht überschritten zu haben. Mit anderen Meinungen kann ich umgehen, bzw. bin es gewohnt, mich in Disukussionen mit ihnen auseinanderzusetzen. Sofern es dabei höflich zugeht, kann von mir aus die Diskussion etwas scharf werden, und, zugegeben, bei diesen Sätzen/Anschuldigungen über Thomas Bernhard werde ich, wie Du richtig beobachtest hast, aggressiv.
Soweit ich aber feststellen kann, ist mein Post inhaltlich recht logisch, sollte er dies nicht sein, weise mich doch einfach auf die Fehler hin.
So, nun zum inhaltlichen: NEBEN
Das "neben" bedeutet in dieser Benutzung kein Vergleich. Das "neben" bedeutet hier "zusammen mit". Gemeint war also etwa: Beide sind sprachlich berauschend.
"Thomas Mann hat in seiner kleinen Erzählung "Tod in Venedig" das Morbide, die Faszination und den Schrecken des Todes eindrucksvoller und bleibender dargestellt als der von mir geschätzte Thomas Bernhard in seinem ganzen Werk."
Aha, interessant, das sehe ich nicht so, da der Vergleich hinkt, wie gesagt, denn Thomas Bernhard ist einfach ganz anders als Thomas Mann und somit auch die Todesstimmung, welche Thomas Mann übrigens auch in den "Erzählungen" beängstigend und faszinierend zugleich mit einer bemerkenswerten Sprachgewalt stützt.
Wenn die Diskussion für Dich hier nun aber endet, bedaure ich das sehr, doch bedenke, daß Dein erwünschter "nette[r], freundschaftliche[r] Dissens" durch deartige Thesen über Thomas Bernhard nicht gerade gefördert wird (obwohl ich nicht genau weiß, was Du mit "nett und freundschaftlich" meinst), denn harte Worte gegen einen von mir geschätzten Autor, sind in gewisser Weise auch harte Worte gegen einen Teil meiner Anschauungen und somit meiner Person. Deshalb wettere ich scharf zurück.
Es wäre schön, wenn Du auf einige Argumente noch eingingest.
Viele Grüße
ZitatEs wäre schön, wenn Du auf einige Argumente noch eingingest.
Hallo Bubba,
ich will das gerne tun, aber damit sollte diese, leider schon sehr früh in den Bereich des Unschönen abgerutschte Diskussion ihr bewenden haben.
ZitatIn diesem Satz wird nämlich behauptet, etwas dunkles, ja, negatives, etwas neurotisch gesagt, tödliches, könne nicht schön sein, die Definition von "schön" klingt hier etwa so geistreich wie "Schön ist Mozart, aber Hindemith...-das ist doch nicht mehr schön". Das finde ich ehrlich gesagt ein wenig provinziell.
Das ist nicht korrekt. Dieser Satz besagt keinesfalls, daß „tödliches nicht schön sein" könne. Er meint, solcherlei Themenkomplexe benötigten auch einen gesonderten Sprachcode um fasslich dargestellt zu werden. Natürlich hat der Terminus „schön“ mehrere Konnotationen. Die eine meint einen ästhetisierenden (etwa im Sinne von „liebreizend, hübsch“), die andere einen lediglich objektiviert-kategorisierenden Wertbegriff. Und selbstverständlich – da sind wir in voller Übereinstimmung – ist es „provinziell“ (das Wort trifft es gut) Mozart etwa als schön, Alban Berg dagegen als „nicht mehr schön“ abzustempeln. Ich wähle bewusst Berg statt Hindemith weil mir dieser näher steht, obwohl vorherige Formel auch auf ihn anzuwenden ist. Den besten Gegenbeweis, daß der Tod etwas Hässliches ist, hat Arthur Schopenhauer und in seiner Folgschaft Richard Wagner in „Tristan und Isolde“ angetreten.
[Nur am Rande: Bei dem Begriff „provinziell“ drängt sich mir – zumindest in Parenthese – auch Thomas Bernhards Ablehnung und Verteufelung Österreichs und alles Österreichischen auf. Er hat es nie geschafft seine negativen Erfahrungen mit diesem Land zu gesunden, er hat sie vielmehr durch einen universellen Hass kompensiert.]
ZitatZweitens bedarf es überhaupt keinerlei Literatur oder sonstiger Kunst, um die "Faszination und Gefahren des Todes zu schmecken".
Hier nun, so will ich meinen, unterschätzt Du, was Literatur leisten kann. Dies ist natürlich eine erörterungswürdige, große Frage. Wozu dient Literatur? Zu aller erst: Mir scheint, Literatur ergreift ihren Leser immer dann außerordentlich wenn die Schnittmenge zwischen persönlicher Erfahrung und Leseerfahrung besonders groß ist. Es ist ein Paradox, dass viele Leser, finden sie ihr persönliches Glück oder Leid in der Literatur wieder - quasi von einem weiteren Menschen empfunden und dadurch gerechtfertigt - dieser Literatur einen besonders hohen Stellenwert beimessen.
ZitatEin kleiner Satz zum grundsätzlichem Verständnis von Literatur: Die Bedeutung eines philosophischen oder wissenschaftlichen Textes ist das Gesagte. Die Bedeutung eines literarischen Textes ist das Sagen des Gesagten.
Danke für die freundliche Belehrung. Die Differenzierung zwischen philosophischen, wissenschaftlichen und literarischen Texten ist töricht. Sie bedeutet nicht weniger, als sich mit der Hälfte zufrieden zu geben. Gute Literatur hat immer eine philosophische oder wissenschaftliche Dimension. Hunderte von Beispielen aus jeder Epoche drängen sich auf. Nimm Lessings „Nathan der Weise“, alles von Büchner oder Dostojewski. Deiner Argumentation folgend, schrieben alle Autoren dieser Welt nur, um möglichst einfallsreich die Gedanken anderer zu paraphrasieren und zu wiederholen. Eine grausame Vorstellung, eine unglaubliche reductio ad absurdum.
ZitatDann zeigst Du mir bitte erstens diese "Binsenweisheiten" und dann den Satz, welchen Thomas Bernhard ernsthaft "maniriert" zu "abrgründig-intellektuell[em]" "Geschwätz" aufmotzt.
Ohne den gesamten Bernhard nocheinmal lesen zu wollen, habe ich oben ein Beispiel für diesen Manierismus angeführt. Ich zitiere noch einmal aus „Watten“:
"Diese jungen Menschen habe ich gelehrt, wie man eine Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, aber sie haben nicht die Welt vernichtet, die vernichtet gehört, sondern haben mich, der ich sie gelehrt habe, wie man die Welt, die vernichtet gehört, vernichtet, vernichtet."
Was ginge verloren, formulierte man etwa – dabei Duktus und Diktion Bernhards aufnehmend - so:
„Diese jungen Menschen, die ich einst lehrte eine Welt, die vernichtet gehört, zu vernichten, haben nicht diese Welt, sondern mich vernichtet.“
Ich bleibe bei meinem Befund, obiger Satz sei qualvolle Sprache. Konfusion um der Konfusion willen. Bernhard versucht den Leser durch das Leiden an seiner Sprache zum mitleiden mit seinen Protagonisten zu bewegen!
So, jetzt soll es endgültig genug sein. Bleibe bitte bei Deiner Verehrung für Thomas Bernhard – es gibt wahrlich zweifelhaftere Idole als ihn.
Herzliche Grüße
Gino
"Es sind die Abgründe des Lebens, die düsteren, unheilvollen Dinge, die ihn reizen, die alle seine Werke fast manisch durchziehen. Hier spielt auch immer Misanthropie eine Rolle. Eben dies alles nimmt seine Sprache auf. In ihr schwingt immer etwas unfertiges, suchendes, letztlich gefährdetes und daher anfechtbares mit. Schön ist diese Sprache nie, sie soll es auch nicht sein."
" Er meint, solcherlei Themenkomplexe benötigten auch einen gesonderten Sprachcode um fasslich dargestellt zu werden."
Nun, es scheint wohl, Thomas Bernhards Sprache entspricht nicht deiner Vorstellung von "schön", meinem Geschmack nach (und jeder Menge anderer Menschen auch) entspricht sie schon dem Wort "schön". Ich habe einen vielleicht etwas weiteren Bereich für schön (vielleicht auch engeren, was manche als "schön" bezeichnen, finde ich manchmal nur langweilig). Die Bedeutung eines Wortes ist durch seinen Gebrauch bestimmt, somit hat sich wohl die Frage als Diskussion über Geschmack erwiesen, deshalb ist eine Diskussion darüber wahrscheinlich nicht sinnvoll.
"er hat sie vielmehr durch einen universellen Hass kompensiert"
Nein, das trifft nicht zu, ein universeller Hass ist bei den 12 Büchern, die ich gelesen habe, und Interviews, die Ich sah, von ihm nicht zu bemerken, wenn Du entsprechende Beispiele wünscht, liefere ich sie gerne nach.
Auch wenn Du gemeint hast: universeller Österreichhass, so kann ich dem nicht zustimmen. Das Beispiel führe ich sofort an, lies doch bitte den letzten Satz von "Holzfällen".
" Zu aller erst: Mir scheint, Literatur ergreift ihren Leser immer dann außerordentlich wenn die Schnittmenge zwischen persönlicher Erfahrung und Leseerfahrung besonders groß ist. Es ist ein Paradox, dass viele Leser, finden sie ihr persönliches Glück oder Leid in der Literatur wieder - quasi von einem weiteren Menschen empfunden und dadurch gerechtfertigt - dieser Literatur einen besonders hohen Stellenwert beimessen."
Das ist aber nur ein tatsächlich kleiner Teil auf Deine zuvor gestellte Diskussionsfrage: "Wozu dient Literatur?"
Es klingt ein wenig danach, Literatur diene dem Menschen, der sich mit ihr identifizieren kann, ein Teilaspekt mag dies sicher darstellen. Ein Argument gegen meine These, man benötige keinerlei Kunst, Literatur, etc. , um die Gefahren und die Faszination des Todes zu schmecken, führst Du leider nicht auf.
"Die Differenzierung zwischen philosophischen, wissenschaftlichen und literarischen Texten ist töricht."
Nein, das ist nicht töricht. Es gibt immer die wörtliche (holistische Ebene) und die Ebene der Interpretation. Wenn ein Autor aus der Ich-Perspektive schreibt, so heißt dies nicht zwingend, daß auch er, der Autor spricht, sondern es spricht zunächst der Ich-Erzähler (analog bei jedem anderen Erzählertypus). Die Interpretation kann verschieden sein, einmal 1:1 das Geagte, aber allgemein, das Sagen des Gesagten, siehe der etwas Selbstgerechte Schenkungsakt am Ende der Auslöschung.
Anders gesagt: Der Autor steht über dem Gesagten, während in wissenschaftlichen und philosophischen Texten er genau das meint, was er sagt(schreibt).
Dadurch geht aber nichts verloren, im Gegenteil, man gewinnt sogar eine Verständnisebene hinzu.
"Ich bleibe bei meinem Befund. Obiger Satz sei qualvolle Sprache. Konfusion um der Konfusion willen. Bernhard versucht den Leser durch das Leiden an seiner Sprache zum mitleiden mit seinen Protagonisten zu bewegen!"
Nun, erstens ist ein einzelnes Beispiel nur mit vollständiger Induktion auf das ganze auszuweiten, welche ich aber nicht sehe, zweitens, da hast Du recht, ist manchmal ein gewisses hämmerndes, brutales, monotones in der Sprache Thomas Bernhards, am stärksten wohl in "Korrektur". Dies ist aber nicht "unschön", genausowenig, wie ich Trakl oder die Toccata von Prokofiev unschön finde. Es ist hin und wieder ein Stilmittel von ihm.
Drittens finde ich diesen Satz in keinster Weise quälend, sondern vielmehr einfach witzig und wenn Du Dir mal ein paar Interviews (genial sind zum Beispiel "Monologe auf Mallorca") angeschaut hast, wirst Du feststellen, daß Thomas Bernhard eine teuflische Freude an Sprache hat und dabei sehr oft ironisch und total witzig ist. Wer bei Thomas Bernhard nicht lachen kann, sollte ihn am besten nicht lesen.
"So, jetzt soll es endgültig genug sein. Bleibe bitte bei Deiner Verehrung für Thomas Bernhard – es gibt wahrlich zweifelhaftere Idole[wie kommst Du darauf?] als ihn."
Aha, ist die Diskussion nun schon zu Ende? Wäre schade.
Viele Grüße
Als "sympathische Weltverdrossenheit" würde ich den Stil des Untergehers bezeichnen, den ich nun fertig gelesen habe, ich denke, mit der Bezeichnung lässt es sich leben.
Auch wenn sich mir beim Lesen ob der nihilistisch-manischen Züge bisweilen alle Haare sträuben, muss ich zugeben, dass ich mit Thomas Bernhard durchaus etwas anfangen kann. Teilweise sind seine Ausführungen ja auch von wahnsinnig ausgeklügelten Humor.
Gewöhnungsbedürftig ist diese Art Buch allemal, gleichwohl kann man es mögen, wie etwa ich. Besonders einfallsreich auch das Kursivschreiben bestimmter "einschlägiger" Wörter.
Meine beiden Höhepunkte dieses Buches im Hinblick auf "amüsante Härte" sind:
1. Das Lehrerkind hat meinen Steinway in der kürzesten Zeit ruiniert, mich schmerzte diese Tatsache nicht, im Gegenteil, ich beobachtete diese stumpfsinnige Zerstörung mit perverser Lust. (S. 11)
2. Er hatte sich von ihr vorspielen lassen, um wieder einschlafen zu können, sagte der Franz, denn der Herr Wrtheimer litt ja immer an der Schlaflosigkeit und dann hat er ihr in der Frühe gesagt, sie spiele wie eine Sau. (S. 230)
Gleichsam absurd und grotesk, dennoch auf seine Art ganz bezaubernd.
"Alte Meister" ist bereits bestellt.
Gruß
Thomas
Liebe Freunde meiner Dichtkunst,
heute habe ich endlich ein Rätsel aufgelöst, daß mir seit Jahren gewissen Kopfschmerzen bereitet hat: Das Paul-Wittgenstein-Rätsel!
In "Wittgensteins Neffe" schreibt Thomas Bernhard von seiner Freundschaft zu Paul Wittgenstein, welcher, wie der Titel sagt, naturgemäß der Neffe des Philosophen Ludwig Wittgensteins ist.
Wenn wir Musikfreunde den Namen Paul Wittgenstein hören, denken wir freilich zuerst an den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein. Ich hatte mir seit etwa zwei Jahren hin und wieder den Kopf zermartert, ob es ein und der selbe Paul Wittgenstein ist. Nun, das Rätsel ist für mich jetzt endlich gelöst, die beiden Pauls sind nicht identisch.
Der einarmige Pianist Paul Wittgenstein (*1887 in Wien, gest. 1961 in New York) ist der Bruder des Philosophen Ludwig Wittgenstein (*1881 in Wien, gest. 1951 in Cambridge)
"Wittgensteins Neffe" - (laut wikipedia ein Mathematiker), also ebenfalls ein Paul Wittgenstein, ist naturgemäß natürlich der Neffe von Ludwig Wittgenstein. Seine Lebensdaten oder gar eine Kurzbiographie konnte ich bisher noch nicht finden, fange aber auch erst jetzt mit der Suche an. TB beschreibt ihn ja als Geisteskranken und Opernfanatiker, sehr interessante Figur...
Eigentlich alles ganz logisch, aber das Rätsel hat sich mir erst heute erschlossen. Laßt uns weiter über TB reden...
Hallo Markus,
ZitatEigentlich alles ganz logisch, aber das Rätsel hat sich mir erst heute erschlossen. Laßt uns weiter über TB reden...
ich lese gerade mein erstes Buch von ihm Falls du es nicht gelesen hast.
Sehr interessanter Schreibstil. Vielleicht komme ich während meiner kleinen kränkelnden Phase etwas mehr zum Lesen, als in der Schulzeit.
Ach so, ich lese Holzfällen.
Liebe Grüße, Maik
Viel Spaß mit Holzfällen.
Es war mein erster Bernhard, ich war von der ersten Seite an gebannt und mitgerissen, hatte dann aber nach einiger Zeit Durchhalteprobleme, da die ständigen Wiederholungs/Steigerungskaskaden in Holzfällen besonders extrem sind (noch schlimmer ist "das Kalkwerk").
Entweder man liebt ihn oder man legt ihn befremdet beiseite...
Ich denke, daß Holzfällen ein guter Einstieg ist, und wenn Du alle paar Seiten mal herzhaft lachen kannst, wünsche ich Dir, daß er bei Dir einschlägt.
In meiner ersten Bernhard-Phase hat sich mein Charakter spürbar verändert, er hat mich ein bisschen krank gemacht.
Du mußt gerade Holzfällen und die darin enthaltenen Schimpftiraden mit einer gewissen Distanz lesen, da er das alles auf den letzten paar Seiten auf unheimlich komische Weise relativiert. (das war glaube ich nicht zu viel verraten)
Um meine Einstiegs-Empfehlungen hier noch einmal kundzutun:
HOLZFÄLLEN
ALTE MEISTER
WITTGENSTEINS NEFFE
EIN KIND
BETON
und die "RoRoRo Bildmonographie" von Hans Höller
mit DER UNTERGEHER kann ich nicht so richtig. Ist zwar auch nicht wesentlich anders als Beton und hat großartige Stellen, aber daß gerade DER UNTERGEHER für diese Bibliothek der Süddeutschen Zeitung ausgewählt wurde, finde ich nicht gut. Man hätte Bernhard-Neulingen den Zugang mit einem anderen Buch leichtergemacht.
Mit den Stücken kenne ich mich noch nicht genug aus, EIN FEST FÜR BORIS muß wohl für den Anfang nicht unbedingt sein, obwohl es auch nicht unangenehm zu lesen ist, den legendären HELDENPLATZ lese ich gerade, der dürfte auch zum Einstieg ganz gut geeignet sein.
Seit gesternm hat nach einer etwa einjährigen Pause wieder das große Bernhard-Lesen bei mir eingesetzt. (Man muß sich zwischendurch immer mal längere Pausen gönnen, sonst macht er einen wahnsinnig!)
Thomas bernhard (ich schreib jetzt mal den echten groß...)
Da kann ich Dir nur zustimnmen, ich habe auch "Holzfällen" als erstes gelesen und bin halb depressiv geworden. Das ging mir auch mit allen weiteren Romanen von ihm so. Die kurzen Erzählungen sind auch großartig, doch sie sind nicht derart zersetzend, weil dafür der Platz nicht gegeben ist.
Doch jetzt, kurz vor dem Abi kann ich mir es nicht leisten, Thomas Bernhard zu lesen, höchstens in homöopatischen Dosierungen.
Viele Grüße
@ bubba
Du brauchst den "Falschen" ThomasBernhard nur am Stück zu schreiben, das müsste als Kenntlichmachung genügen, oder schreib TB oder Markus oder ist ja auch egal.
Ja, den Band "Erzählungen" mag ich auch sehr, etwa die sehr kurze, zynische Geschichte "Viktor Halbnarr"
Gruß, Markus
Hallo Markus!
Bisher hatte ich meinen Spaß! Nachher komme ich gut zwei Stunden zum Lesen (Wartezeit beim verehrten Arzt :kotz: ).
ZitatEs war mein erster Bernhard, ich war von der ersten Seite an gebannt und mitgerissen, hatte dann aber nach einiger Zeit Durchhalteprobleme, da die ständigen Wiederholungs/Steigerungskaskaden in Holzfällen besonders extrem sind (noch schlimmer ist "das Kalkwerk").
Andernorts schrieb ich (ich zitiere, um mich nicht zu wiederholen):
ZitatKurz zu meinem ersten Eindruck.
Recht interessanter Stil, der mich zum Lachen gebracht hat! Auf der ersten Seite ging es ja nur um das Eine! Vor 20 Jahren zum letzten Mal die Auersberger gesehen und eigentlich den Entschluss gefasst, sie nie wieder zu sehen. Ich find es witzig, in welcher Art er immer wieder das Gleiche sagt!
Kommt ja am Anfang recht häufig vor, auch wie er beschreibt, dass er ja nach Wien an den Graben (?) zurückgekommen ist und was da noch so alles mit zusammenhängt.
Also nichts mit dem Beseitelegen...
Ich lese ihn weiter, auch wenn ich selbst vor den mündlichen Prüfungen bin (okay, die sind erst Anfang Juni - aber Mitte März sind die Klausuren des 4.Smesters). Ich traue mich einfach und werde sehe, wie er auf mich wirken wird.
Liebe Grüße, Maik
Hallo Markus, aber auch Ulli
Ich hätte es jetzt fasst vergessen. Vielleicht ist es dir auch aufgefallen oder noch in Erinnerung, Markus, dass das ominöse Treffen der Auersberger mit ... (hat er eigentlich einen Namen? - toll, dass er im Ohrensessel sitzt oder in London war, aber ich kann mich jetzt gar nicht erinnern, dass er sich mal vorgestellt hat ?() auf dem Graben in Wien rein zufällig am 14.März stattgefunden hat Welch ein Trauertag für ihn...
Von Ulli und mir war allerdings nicht die Rede :motz:
Liebe Grüße, Maik
Hallo, Markus!
ZitatOriginal von ThomasBernhard
Wenn wir Musikfreunde den Namen Paul Wittgenstein hören, denken wir freilich zuerst an den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein. Ich hatte mir seit etwa zwei Jahren hin und wieder den Kopf zermartert, ob es ein und der selbe Paul Wittgenstein ist. Nun, das Rätsel ist für mich jetzt endlich gelöst, die beiden Pauls sind nicht identisch.
Da hättest Du mich nur Fragen brauchen, ich hätte es Dir sofort sagen können (zumindest ab meiner Lektüre der [Ludwig] Wittgenstein-Biographie, das war aber vor meiner Tamino-Zeit).
Übrigens habe ich immer noch nichts von Bernhard gelesen. :O
Viele Grüße,
Pius.