Die Rückkehr der tonalen Musik - ein neuer Megatrend?

  • Ich kann nur einen ersten oberflächlichen Eindruck wiedergeben. Im Endeffekt fehlen mir da ernsthafte Kenntnisse. Ich bin ziemlich sicher, dass sich im Forum Mitglieder mit umfassenderen und tieferen Einblicken tummeln. :hello:


    Was mir auffällt, ist die größere Bandbreite an Musik, die als ernsthaft wahrgenommen wird gegenüber der direkten Nachkriegszeit. Der Spektralismus scheint einen umfangreichen Einzug in die zeitgenössische Musik gefunden haben. Wenn man sich Werke wie das neuere Klavierkonzert von John Adams anhört, scheinen einer einfachen Eklektik Tür und Tor geöffnet zu sein. Auch die Werke selbst scheinen (hier muss ich vorsichtig sein, denn ich kenne kaum Noten) in sich weniger methodisch klar komponiert zu sein, sondern meistens stimmungsvoll, etwas, was man den frühen Werken Stockhausens oder Boulez' nicht wirklich nachsagen kann.


    Trotz allem lassen sich die Werke beileibe nicht über einen Kamm scheren. Die Welt zwischen John Adams' "Must the Devil Have All the Good Tunes" und Rebecca Saunders' Streichquartett "Unbreathed" umfasst ein ganzes Universum.


    So könnte man vielleicht sagen. Tonalität ist nicht verboten, sie ergibt sich durchaus (Lera Auerbach Préludes für Klavier) aber es ist kein Dogma ......


    Insgesamt kommt mir vieles erfrischend unkompliziert vor. Natürlich ist mir klar, dass man für die Jetztzeit kein Urteil die eigentliche Qualität der Musik (obwohl ich da schon Unterschiede sehe) und vor allem nicht darüber, welche Werke sich in der Zukunft durchsetzen werden.


    Adams "Must the Devil ..."



    gegen Saunders "Unbreathed" (die ersten 20 Minuten, danach spielt das Ensemble Schubert


  • Jetzt lass ich mal einen Verfechter der Tonalität zu Wort kommen. Leonard Bernstein hielt 1973 im Rahmen seiner Charles-Eliot-Norton-Professur für Poesie sechs ausgedehnte Vorträge über Musik und Kunst. Sie hatten den Titel "The Unanswered Question" nach einem Werk von Charles Ives. Vielleicht etwas viel für einen Abend ;), aber gut verteilt machen die Vorträge richtig Spaß. Bernstein konnte so etwas :)







  • Natürlich ist meine Einschätzung SUBJEKTIV und BEFANGEN.

    ABER sie zeigt auch die REALITÄT auf.

    So könnte man vielleicht sagen. Tonalität ist nicht verboten, sie ergibt sich durchaus (Lera Auerbach Préludes für Klavier) aber es ist kein Dogma ......

    Das Dogma kommt indes vom Publikum, das Atonales mehr oder weniger boykottiert oder - freundlicher und neutraler formuliert - es einfach nicht wahrnimmt.

    Daran ändern auch vereinzelt mit Krampf am Leben erhalten Festivals für "zeitgenössische Musik" und Umgebung nichts. Ein Ghetto. Ein entsprechende Mini-Sene von progressiven Plattenlabels rundet das Bild ab.

    Insgesamt kommt mir vieles erfrischend unkompliziert vor. Natürlich ist mir klar, dass man für die Jetztzeit kein Urteil die eigentliche Qualität der Musik (obwohl ich da schon Unterschiede sehe) und vor allem nicht darüber, welche Werke sich in der Zukunft durchsetzen werden.

    Hier wage ich die Prognose: So gut wie keines

    Denn sie wollen die Selbstverwirklichung des Komponisten (wen interessiert das Schon ?) durchsetzen und nicht Publikumsansprüchen genügen.


    Letzteres ist ja heut gradezu verpönt und wird als Zeichen minderer Qualität gebrandmarkt. Dabei wird übersehen, daß von Bach (und davor !!) bis in die Wiener Klassik, aber auch beim Virtuosenkonzert des 19 Jahrhunderts

    FÜR das Publikum - und nicht dagegen - komponiert wurde. Solche Fälle gab natürlich auch. Diese Ausnahmekomponisten werden von den Vertretern der Moderne immer wieder als leuchtende Beispiel gennt - Dabei wird gern verschwiegen, daß die meisten dieser "Helden" zu Lebzeite oft am Hungertuch nagten, bzw ignoriert wurden.


    Ignoriert - das ist MO das Schlüsselwort. Die Zeiten wo der konservative Flügel der klassischen Musikhörer haßerfüllt über die Vertreter der (jeweiligen) Moderne herzog ist vorbei (zumindest hatte ich den Eindruck)

    Es gibt keine Veranlassung dafür. Diese Linie wird sowieso nur von einer Minderheit geliebt - Lassen wir denen den Spaß.

    Was MICH persönlich stört, ist, daß immer wieder versucht wird solche Werke "quasi durch die _Hintertür" zu etablieren, indem man sie auf Cd mit angeshenen klassischen Komponisen einschmuggelt.

    Das ist nichts neues. Schon in meiner Jugend konnte ein junger Künstler nur dann Plattenkarriere größeren Ausmaßesmachen, wenn er es zuließ daß im Beiheift bei seiner Lebensbeschreibung der Satz fiel "Besonderes Anliegen ist es XY, die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Komponisten zu suchen BLA BLA" (oder so ähnlich)

    Heute - da es schwieriger ist, Verträge zu bekommen ist der Druck natürlich noch größer.


    Die Moderne hat Alfred Brendel, darin seinem Publikum nicht unähnlich, nie sonderlich geliebt.(Zitat Manuel Brug)

    Ich erinnere mich, daß man einmal den Anspruch erhoben hat, heutige Künstler MÜSSTEN moderne Komponisten im Programm haben, was er sinngemäß mit den Worten"Ich bleibe lieber Museumshüter")abgetan hat. Man mag nun sagen, das sei dem Alter geschuldet, aber das stimmt nicht. Solche Aussagen sammen meist von Interpreten, dern Karriere entweder abgelaufen ist - oder unzerstörbar fest verankert ist. Sie sind de facto unangreifbar und getrauen sich ungeschminkt die Wahrheit zu sagen....


    Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren:

    Persönlich glaube ich weder an ein SIGNIFIKANTES Aufblühen der Atonalität, noch an ein bemerkenswertes Aufflammen tonale klassischer Werke

    Diese Musik ist KLASSISCH - und daher VORBEI. Es Malt ja auch niemand mehr im Stile Rembransdt oder VanDyks etc (un wenn er es macht wird er verspottet)

    Die Hinterlassenschaft einiger Hundert Komponisten über einige Jahrhunderte verteilt ist ausreichend die musikalischen Bedürfnisse Anspruchvoller Hörer lebenslang zu befriedigen. Da gäbe es indes noch VIEL zu entdecken...

    Manches "verschollene" Werk wird aus den Archiven wieder auftauchen und in neuem Glanz erklingen -auch wenn es viele von uns nicht mehr erleben werden....


    Hier wäre beispielse weise der Einsatz von KI (späterer, verbesserter Versionen) hlfteich, welche al "Anonym" abgelegte Werke anhand von Notenvergleichen die wahren Schöpfer ermitteln könnten....


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Diese Musik ist KLASSISCH - und daher VORBEI. Es Malt ja auch niemand mehr im Stile Rembransdt oder VanDyks etc (un wenn er es macht wird er verspottet)

    Die Hinterlassenschaft einiger Hundert Komponisten über einige Jahrhunderte verteilt ist ausreichend die musikalischen Bedürfnisse Anspruchvoller Hörer lebenslang zu befriedigen.

    Offenbar nicht; warum werden Historienfilme oftmals mit neukomponierter Musik unterlegt? Manchmal passt die sogar sehr gut und ist täuschend ähnlich komponiert* (oder imitiert), manchmal passt sie stilistisch überhaupt nicht, dabei gäbe es ausreichend Material ...


    *Ich habe mir teilweise schon einen Wolf gesucht nach jener Musik, die mir zusagte - und kam auf irgendeinen Komponisten heutiger Zeit, dessen Name mir leider schon wieder verloren gegangen ist. Aber das war wirklich gut und täuschend echt!


    Hier wage ich die Prognose: So gut wie keines

    Immerhin kommt soetwas (neben echter Klassik) in Star Trek vor, wo im 24ten Jahrhundert die klassische Moderne als Klassisch herhalten muss. Das ist urkomisch und gut gemacht.


    :thumbup:


    Genial fand ich auch, wie der HoloDoc oder sein Double (bei Voyager, glaube ich?) ein plötzliches Interesse für klass. Musik entwickelte (als künstliche Intelligenz, wohlgemerkt!) und dann mit Eigenkreationen aufwartete, die zwar alle Merkmale der klassischen Oper vereinte, aber dennoch völlig was anderes waren:



    Klingonische Oper - auch nicht schlecht, dargeboten von einem montserrat-caballé-artigen Gebilde:



    Les Noces lassen grüßen. :baeh01::hahahaha:

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • warum werden Historienfilme oftmals mit neukomponierter Musik unterlegt?

    Diese Frage ist einfacher zu benatworten als man denkt:

    Für echte klassische Musik sind keine Tantiemen mehr fällig, für Neukompositionen indes schon. Da sind diverse Lobbys mit Druck dahinter, daß die irgendwie verbreitet wird. Ein riesiger Netzwerk, vergkeichbar mit eine eltbekannten Organisation, die ich hier nicht nenne will. Solche Netze sind erstaunich eng geknüpft und quasi unzerstörbar.

    Irgendwo schrieb vor Jahren mal einer dieser "Rechteverwerter" (aus dem Gedächtnis zitiert, die Kernaussage ist aber unbeschädigt.:) Ist es nicht schade, daß für Mozart keine Tantiemen kassiert werden können, vergeudete Resourcen - Kann man da nichts dagegen unternehmen ?)


    mfg aus Wien

    Alfred

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  • Für echte klassische Musik sind keine Tantiemen mehr fällig

    Für die Ausführenden sind m. W. schon Abgaben (GEMA oder vergleichbare Institutionen) fällig.

    für Neukompositionen indes schon

    Von mir aus, wenn die Musik stilecht nachempfunden ist, soll es gerne so sein. Aber ansonsten ist das Quatsch, der mich stört. Vermutlich fällt das dem normalen Filmschauer natürlich gar nicht erst auf ...

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Sehr gelungen persifliert ist die Musik in der Serie „Our Flag means Death“; die ganze Serie ist eine Karikatur ihrer selbst. Es wird ganz bewusst falsche Musik eingespielt, die weder zur Zeit noch zum Thema passt. Da ist es aber erkennbare Absicht und keine Dummheit (oder Ignozranz):



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  • Die Moderne hat Alfred Brendel, darin seinem Publikum nicht unähnlich, nie sonderlich geliebt.(Zitat Manuel Brug)


    Das stimmt nicht. Brendel hat sich sehr für das Schönberg-Klavierkonzert eingesetzt und es häufig gespielt. Er hat sich auch sehr lobend über zeitgenössische Klaviermusik geäußert und z. B. seinen Schülern empfohlen, die Ligeti-Etüden zu spielen. Als Grund dafür, dass er diese Stücke selbst nicht gespielt hat (zumindest nicht öffentlich), hat er angegeben, dass er nicht das Niveau z. B. eines Aimard in diesem Repertoire erreicht hätte und insofern seinen eigenen Ansprüchen nicht genügen würde. Aus ähnlichen Gründen hat er auch wenig Bach öffentlich gespielt - hier war es sein Lehrer Edwin Fischer, dessen Vorbild ihm unerreichbar schien.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Diese Frage ist einfacher zu benatworten als man denkt:

    Für echte klassische Musik sind keine Tantiemen mehr fällig, für Neukompositionen indes schon. Da sind diverse Lobbys mit Druck dahinter, daß die irgendwie verbreitet wird. Ein riesiger Netzwerk, vergkeichbar mit eine eltbekannten Organisation, die ich hier nicht nenne will. Solche Netze sind erstaunich eng geknüpft und quasi unzerstörbar.

    Irgendwo schrieb vor Jahren mal einer dieser "Rechteverwerter" (aus dem Gedächtnis zitiert, die Kernaussage ist aber unbeschädigt.:) Ist es nicht schade, daß für Mozart keine Tantiemen kassiert werden können, vergeudete Resourcen - Kann man da nichts dagegen unternehmen ?)

    Ich glaube nicht, dass das eine Antwort dafür ist, dass neukomponierte statt klassischer Musik zur Filmuntermalung verwendet wird.

  • Ich glaube nicht, dass das eine Antwort dafür ist, dass neukomponierte statt klassischer Musik zur Filmuntermalung verwendet wird.


    Ich auch nicht, denn die Logik spricht dagegen. Einen Filmkomponisten zu bezahlen und ein Orchester, mit dem die gesamte Filmmusik eingespielt werden muss, ist irsinnig teuer. Hingegen dürfte es finanziell deutlich günstiger sein, die Rechte für eine bereits existierende Aufnahme gemeinfreier Musik zu erwerben. Filmproduzenten sollten insofern eine hohe Triebkraft haben, letzteres zu tun - sie tun es aber trotzdem nur selten.


    Übrigens gab und gibt es Regisseure, die aus künstlerischen Gründen auf neue Filmscores verzichten und bereits vorhandene Musik für ihre Filme verwenden. Die bekannstesten Beispiele dürften Stanley Kubrick und Quentin Tarantino sein, wobei ich nicht glaube, dass Tarantino jemals klassische Musik eingesetzt hat.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

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  • Ich habe den Eindruck, dass das aber tendenziell weniger wird im Hinblick auf die Verwendung klassischer Musik.


    Meinst Du die generelle Verwendung von Klassik in Filmscores?


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • wobei ich nicht glaube, dass Tarantino jemals klassische Musik eingesetzt hat.

    Hier kann ich als Tarantino-Fan weiterhelfen: In Django unchained kommt tatsächlich "Für Elise" vor. ;)

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Hier kann ich als Tarantino-Fan weiterhelfen: In Django unchained kommt tatsächlich "Für Elise" vor. ;)


    Vielen Dank, das hatte ich nicht mehr auf dem Schirm.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

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  • Ja.


    Ich fühle mich nicht in der Lage, dazu etwas Substanzielles zu schreiben, weil ich das neuere Hollywood-Kino (ab den 2010er Jahren) recht weigehend meide (von einigen Ausnahmen abgesehen). Natürlich gibt es auch Arten des Einsatzes von Musik, die Neukompositionen erforderlich machen, beispielsweise bei Christopher Nolan, bei dem teilweise ein konstanter "Musik-Teppich" die Szene untermalt.


    Man kann allerdings m. E. allgemein festhalten, dass eine Neukomposition speziell für einen Film etwas anderes ist als ein klassisches Stück, das in einem Film verwendet wird. Erstere muss jenseits des Films nicht unbedingt als eigenständige Komposition funktionieren, so wie ja auch ein Opernlibretto keinen eigenständigen Wert als herausragende Dichtung jenseits der Oper haben muss. Wenn ein Film ein klassisches Musikstück verwendet, so hat das also eine andere Konnotation, weil das Musikstück in der Regel jenseits des Films als eigenständiges Kunstwerk bekannt geworden ist. So verwendet beispielsweise Kubrick klassische Musik in seinen Filmen geradezu emblematisch, der Schostakowitsch-Walzer in "Eyes Wide Shut" zieht sich durch den Film, ebenso Ligetis Stück aus "Musica ricercata".


    Ich befürchte aber, dass das alles zusehends OT wird...


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ich befürchte aber, dass das alles zusehends OT wird...

    Ich frage mich tatsächlich, inwieweit das mit einer Renaissance der Tonalität in der neueren Musik zu tun hat :/


    Diese minimalistische Gegenbewegung, die ja häufig eine ziemlich penetrante Tonartbestätigung vollführt scheint mir auf jeden Fall ein Versuch zu sein, die sich nicht nur in der seriellen Technik auflösende Harmonik zu rekonstituieren. Das ist aber am Ende auch nur Zweig der modernen Musik ....

  • Die junge Komponistin Lisa Streich hat sich in der VAN zur Tonalität in neuer Musik geäußert.


    Leider ist der Text hinter einer Bezahlschranke


    »Wenn ich neue Musik höre, die tonal ist, möchte ich am liebsten im Erdboden versinken.«


    Sie erklärt eigentlich in dem Interview, dass ihr die Diatonik viel bedeutet


    Zitat von Lisa Streich


    Aber die Akkorde liebe ich trotzdem. Darum muss ich sie neu komponieren, um ihre Schönheit in einem anderen Licht zu zeigen.


    Der Kontext, in dem sie heute wohl noch von vielen verwendet wird kommt ihr altertümlich vor.


    Zitat von Lisa Streich

    Wenn ein neues romantisches Stück gut gemacht ist, kann es trotzdem interessant sein, aber es dringt nicht wirklich zu mir durch.