Peter Cornelius. Ein Dichtermusiker und seine Lieder

  • Lieber Helmut,


    vielen Dank für die Visualisierung. Da wird in der Tat "sichtbar", mit welch kunstvollem Akkord-Netzwerk der "Ton" umsponnen ist. Allerdings wird es erst im Kontrast zwischen Stimme und Klavier zu einer starken, eindrucksvollen Musik. Und Felicity Lott hat gerade das richtige Vibrato, nicht übertrieben, aber auch nicht so "dull", wenn es nur ein unmoduliertes "H" wäre.

  • Es ist, um meinen vorangehenden Beitrag zu diesem Lied zurechtzurücken, nicht allein der Klaviersatz, der die kompositorische Größe dieses Liedes "Ein Ton" ausmacht, es ist das außerordentlich kunstvoll gestaltete Spannungsverhältnis zwischen diesem und einer melodischen Linie, die den Bewegungen, mit denen er sie umspielt, nicht folgen will, - nicht folgen kann, weil sie allein in der Beharrlichkeit, mit der sie auf ihrem "H" verharrt, zu sagen vermag, was sie zu sagen hat.

    Und das geschieht in ihrer deklamatorischen Strukturierung, wie sie aus der Wiedergabe des lyrischen Wortes erfolgt, und der Akzentuierung, die die Reflexion von dessen Semantik mit sich bringt.

    Dies vernehmlich werden zu lassen, ist Sache der gesanglichen Interpreten. Und wenn sie diese gut machen, kommt eine solch beeindruckende und die Größe des Liedes aufzeigende Aufnahme dabei heraus wie diese:


  • „An den Traum“, op.3, Nr.4

    Öffne mir die goldne Pforte,
    Traum, zu deinem Wunderhain,
    Was mir blühte und verdorrte,
    Laß mir blühend neu gedeih´n.
    Zeige mir die heil´gen Orte
    Meiner Wonne, meiner Pein,
    Laß mich lauschen holdem Worte,
    Liebesstrahlen saugen ein.
    Öffne mir die goldne Pforte,
    Traum, o laß mich glücklich sein!

    Das lyrische Ich sucht die Flucht in den Traum, um der Wirklichkeit zu entfliehen, in der alles, was einst blühte, verdorrt ist. Dieses Blühen möchte es wieder erleben, wieder einmal glücklich sein. Aber es bleibt bei der Bitte, beim Wunsch, und die Verse, die um die „heil´gen Orte“ einstiger Wonne und Pein kreisen, bleiben schiere Imagination. Die Liedmusik von Cornelius vermag – man möchte fast sagen: wie immer – den Kern der lyrischen Aussage, die Unerfüllbarkeit des Wunsches nach „Glücklich-Sein“ und damit die Fragwürdigkeit der Flucht in den Traum, auf adäquate und durchaus überzeugende und ansprechende Weise zu erfassen. Dem Lied liegt ein Dreivierteltakt zugrunde, es steht in h-Moll als Grundtonart und soll „langsam“ vorgetragen werden.

    In der Anlage weist es eine deutlich ausgeprägte Zweigliedrigkeit auf. Die Liedmusik auf den ersten vier Versen hebt sich sowohl in der Struktur der melodischen Linie, wie auch im Klaviersatz, vor allem aber im klanglichen Eindruck, den sie vermittelt, deutlich von der ab, die auf den nachfolgenden sechs Versen liegt. Das Bedeutsame – und Indiz für hohe Kompositionskunst – ist dabei allerdings, dass dies kein simples Nebeneinander bleibt, vielmehr durch die Art und Weise, wie die Liedmusik auf dem letzten Vers kompositorisch gestaltet ist, zu einer liedmusikalischen Einheit wird. Hier ragt die reale Welt wie mit einem kleinen, aber gerade deshalb höchst bedeutungsschweren Fingerzeig in die traumhafte Wunschwelt hinein und lässt vernehmlich werden, dass sie es ist, aus der all diese Wünsche geboren und zugleich zur Unerfüllbarkeit verdammt werden.

    Wie im vorangehenden Lied, so wendet Cornelius auch hier das Prinzip des liegenden Tons an, - und lässt damit den zyklischen Charakter dieser sechs Lieder aufscheinen. Nun allerdings ist dieser liegende Ton, der wieder ein „H“ ist, dem Klavier zugewiesen, das ihn im ersten Teil der Liedmusik, also bis zum Ende des vierten Verses, in Gestalt einer mit einem Vorschlag versehenen und danach taktübergreifend gehaltenen Oktave im Diskant erklingen lässt. Im Bass herrscht derweilen Schweigen. De Melodik will hier, das zeigt ihre Anlage, in einem rezitativisch-deklamatorischen Gestus vorgetragen werden. Sie ist in kleine Zeilen untergliedert, die nur bei der ersten und der letzten den ganzen Vers umfassen. Bei den Worten „Öffne mir die gold´ne Pforte“ senkt sich die melodische Linie im syllabisch exakter Deklamation aus mittlerer in tiefe Lage ab. Nach einer Viertelpause wird das Wort „Traum“ auf einem gedehnten „G“ in mittlerer Lage deklamiert und dadurch, auch weil ihm überdies wieder eine Viertpause nachfolgt, melodisch stark exponiert und akzentuiert.

    Genauso wie auf dem Wort „Traum“ geht es auch bei „Wunderland“ wieder in Gestalt eines doppelten Terzfalls melodisch abwärts, in tiefere Lage sogar, und erneut folgt eine Pause nach. Man kann diese gleich zweifach sich ereignende Fallbewegung der melodischen Linie auf einem lyrischen Text, der eine Bitte beinhaltet, wohl als Ausdruck einer demütigen, in die Gegebenheiten sich fügenden Haltung des lyrischen Ichs auffassen. Dazu passt, dass die Worte „was mir blühte“ und „und verdorrte“ auf zwei, durch eine Viertelpause getrennten kleinen Zeilchen deklamiert werden, bei denen die melodische Linie in Tonrepetitionen einsetzt und danach zu einem über einen kleinen Sprung erfolgenden Sekundfall übergeht. Und auch die Worte „Lass mir blühend neu gedeih´n“ werden auf einer in tiefer Lage fallenden melodischen Linie deklamiert, die erst am Ende, bei dem Wort „gedeih´n“ zu einem in eine Dehnung mündenden Sekundanstieg übergeht. Obgleich das Klavier ja ausschließlich seine H-Oktave erklingen lässt, stellt sich durch die Bewegung der harmonischen Linie im Zusammenklang mit dieser Oktave der Eindruck von harmonischen Modulationen, vorwiegend zwischen der Tonika h-Moll und der Moll-Subdominante „E“, ein. An zwei Stellen, nämlich bei der singulären Dehnung auf dem Wort „Traum“ und bei den Worten „und verdorrte“ meint man sogar Dur-Harmonisierung zu vernehmen.

    Mit den Worten „Zeige mir die heil´gen Orte“, dem fünften Vers also, tritt ein tiefgreifender Wandel in die Liedmusik. E-Dur-Harmonik tritt an die Stelle des bislang so dominanten h-Molls. Die Melodik lässt von ihrem kleinzeilig-rezitativischen Gestus ab und entfaltet sich in einer gebundenen und weit ausgreifend phrasierten, nämlich zwei Verse umfassenden Linie, und das Klavier begleitet sie darin fast durchweg, mit Ausnahme der letzten Melodiezeile freilich, mit je drei dreistimmigen Viertel-Akkorden im Diskant, zusammen mit zweistimmigen im Bass. Ganz und gar ungetrübt bleibt die zwischen Tonika „E“ und Dominante „H“ modulierende Dur-Harmonik nicht. Zweimal drängt sich das h-Moll des ersten Liedteils in sie hinein. Mag man es bei den Worten „holdem Worte“ noch als Geste der Zärtlichkeit auffassen, bei den Worten „öffne mir die goldne Pforte“ ist es das h-Moll des ersten Liedteils: Die Haltung der Demut, und damit das unterschwellige Bewusstsein der realen Situation des lyrischen Ichs, kehrt zurück.

    Eine Anmutung von Lieblichkeit und Zärtlichkeit ist der melodischen Linie in ihrer wellenartigen Gestalt eigen, wie sie sich in der ersten Melodiezeile des zweiten Liedteils entfaltet. Das liegt vor allem daran, dass sie zweimal in einer Sprungbewegung aufgipfelt, - einmal über eine Quarte bei dem Wort „heil´gen“ („Orte“), danach zwar nur über eine Sekunde bei dem Wort „Wonne“, unmittelbar danach allerdings in einen ausdruckstarken Quintfall übergehend. Und ebenfalls zweimal – und eben maßgeblich zu diesem klanglichen Eindruck beitragend - ereignet sich am Ende der beiden Verse (also bei „Orte“ und bei „Pein“) eine harmonische Rückung in die Dominante H-Dur. Bei den Worten „Laß mich lauschen holdem Worte“ tritt Nachdrücklichkeit der Bitte in die melodische Linie. Sie steigt, nun auf der Grundlage einer expressiven, weil überraschenden harmonischen Rückung nach G-Dur, in repetitiven Schritten zwei Mal über das Intervall einer Terz in hohe Lage auf und geht dort bei dem Wort „Worte“ in einen gedehnten Terzfall über, der zwar in Moll harmonisiert ist, aber gerade deshalb höchst eindringlich wirkt, weil er eine Zurücknahme des Nachdrucks beinhaltet, der diesem Anstieg der melodischen Linie davor innewohnt.

    Und so nimmt sie sich denn bei den Worten „Liebesstrahlen saugen ein“ auch wieder in die Verhaltenheit zurück, die ihr Wesen in diesem Lied ist: Sie beschreibt eine behutsame, weil nur in Sekundschritten bei partiellem Verharren auf der tonalen Ebene erfolgende Abwärtsbewegung in tiefer Lage, die das Klavier, abweichend von seinem Gestus, mit durch einen Achtel-Sekundsprung aufgelösten Akkorden begleitet. Und bei den Worten des nachfolgenden, also zweitletzten Verses, bewegt sie sich, nun in h-Moll harmonisiert, ausschließlich in tiefer Lage, nur um eine Sekunde nach oben und unten davon abweichend, und am Ende, bei den Worten „goldne Pforte“, beschreibt sie gar den gleichen Sekundfall zu dem tiefen „C“, das hier, verbunden mit einer ausdrucksstarken harmonischen Rückung, zu einem „Cis“ wird, wie das bereits in der ersten Melodiezeile im ersten Teil des Liedes geschehen ist.

    Es deutet sich an: Die reale Situation des lyrischen Ichs will in die schöne Traumwelt, die die Liedmusik gerade imaginiert hat, zurückkehren. Und das geschieht auch. Wie am Anfang, nach der ersten Melodiezeile, deklamiert die Singstimme das Wort „Traum“ auf einem einsamen, weil von Viertelpausen eingerahmten gedehnten Ton. Es ist wieder das „G“, wie schon einmal am Liedanfang, und prompt lässt das Klavier auch seine H-Oktave dazu erklingen, wie es das den ganzen ersten Liedteil über tat. Danach geht die melodische Linie bei den Worten „o lass mich glücklich sein“ zu einer auf einem tiefen „Cis“ ansetzenden Anstiegsbewegung in Sekundschritten über, die überaus einsam wirkt, weil sie ohne jegliche Begleitung durch das Klavier erfolgt. Nach einem Sekundsprung auf dem Wort „glücklich“ fällt sie bei dem Wort „sein“ in Gestalt einer Dehnung auf ihren Ausgangston zurück.

    Es ist ein „Fis“, - die Quinte zum Grundton „H“. Ein offener melodischer Schluss also, der die Wunschträume, denen sich das lyrische Ich gerade noch hingegeben hat, nicht beenden möchte. Und was macht das Klavier, das derweilen geschwiegen hat? Es setzt die Bewegung der melodischen Linie im zweitaktigen Nachspiel fort und führt sie, dabei h-Moll-Harmonik evozierend, zum Grundton hin.
    Das lyrische Ich ist in die reale Welt des Verlusts und der Trauer zurückgeführt, die es für einen nur kurzen Augenblick mit träumerischen Wunschbildern zu transzendieren versuchte.

  • Abweichend von meiner bisherigen Verfahrensweise möchte ich bei diesem Lied nicht die Interpretation von Margaret Price, sondern diese hier vorstellen. Felicity Lott trifft, wie ich finde, gesanglich seinen Geist noch um eine Spur besser, was besonders bei den beiden letzten Versen vernehmlich wird. Sie wird begleitet von Graham Johnson.


    Das ist nun nach mehrmaligem Hören auch mein Favorit, Felicity Lott trifft die Stimmung am besten.

  • „Treue“, op.3, Nr.5

    Dein Gedenken lebt in Liedern fort;
    Lieder, die der tiefsten Brust entwallen,
    Sagen mir: du lebst in ihnen allen,
    Und gewiß, die Lieder halten Wort.

    Dein Gedenken blüht in Tränen fort;
    Tränen aus des Herzens Heiligtume
    Nähren tauend der Erinn´rung Blume,
    In dem Tau blüht dein Gedenken fort.

    Dein Gedenken lebt in Träumen fort;
    Träume, die dein Bild verklärt mir zeigen,
    Sagen: daß du ewig bist mein eigen,
    Und gewiß, die Träume halten Wort!

    Der lyrische Text spricht von „Treue“, und es bleibt - auf durchaus reizvolle Art - in der Schwebe, von wessen Treue hier die Rede ist. Es ist ein Ansprechen der verstorbenen Geliebten durch das lyrische Ich, was sich lyrisch sprachlich hier ereignet, und sein Inhalt ist die Versicherung, dass sie in seinen Liedern, seinen Tränen und seinen Träumen fortlebe. Darin bekundet es ihr seine Treue. Aber in dem sprachlich-konstatierenden Gestus, der dem zweiten Verspaar der drei Strophen eigen ist, wird aus der Versicherung der Treue eine Beschwörung derselben in der Imagination eines über den Tod hinaus reichenden Fortbestehens der Bindung zwischen beiden. Die Wiederkehr des letzten Verses der ersten Strophe am Ende der dritten lässt mit dem zentralen Wort „gewiß“ den Gestus der Beschwörung von Treue in markanter Weise manifest werden.

    Und so ist es denn nicht verwunderlich, dass Cornelius, diese Verse, wie man vermuten darf, a priori musikalisch denkend und konzipierend, dem jeweils letzten in der Strophe liedmusikalisch ein besonderes Gewicht beigeben hat. Auf ihm liegt in allen Fällen die gleiche melodische Linie, und sie hebt sich von den übrigen Melodiezeilen des Liedes durch die Gewichtigkeit der Fallbewegung ab, die ich darin ereignet. Drei Mal hintereinander, was sonst nicht vorkommt, ist ein deklamatorischer Schritt mit einem punktierten Viertel versehen, und am Ende beschreibt die melodische Linie eine sozusagen klassische Kadenz, - mit der Mündung in den Grundton in Gestalt eines Sekundsprungs mit harmonischer Rückung über die Dominante. Aber Klaviersatz und Harmonisierung sind nicht durchweg identisch. Zwei den beiden ersten Strophen sehr wohl, bei der dritten aber nicht.

    Warum die Einlassung auf ein Detail der Faktur, noch bevor das Lied als Ganzes in seinem klanglichen Charakter vorgestellt worden ist?
    Die Antwort ist in eben diesem zu finden. Hört man es mit den beiden vorangehenden im Ohr, so mutet es auf den ersten Eindruck hin eher liedkompositorisch konventionell an. Das Modell des Strophenlieds liegt ihm zugrunde. In allen drei Strophen begegnet man nicht nur wiederkehrenden melodischen Figuren, sondern sogar ganzen Melodiezeilen. Schließlich liegt nicht nur auf dem letzten Vers, sondern auch auf dem ersten jeder Strophe die gleiche melodische Linie. Aber es wäre abwegig, hier von einer liedkompositorischen Rückkehr zum Geist des Opus 1 zu sprechen. Dagegen spricht schon, dass es sich hier nicht um ein einfaches, sondern um ein variiertes Strophenlied handelt. Aber es ist noch mehr, was diese Komposition als ein Werk der fortgeschrittenen liedkompositorischen Entwicklung von Cornelius ausweist.

    Da ist zunächst die Komplexität der Faktur im Bereich von Klaviersatz und Harmonik zu nennen. Vor allem aber die Tatsache, dass sich der kompositorische Griff nach dem Modell des variierten Strophenliedes als ein eminent motivierter und sachlich begründeter erweist. In der permanenten Wiederkehr melodischer Figuren und Zeilen ereignet sich liedmusikalisch das, was lyrisch vorgegeben ist: Die Beschwörung ewiger, über den Tod hinaus reichender Treue. Und weil sie textlich in verschiedenen metaphorischen Räumen erfolgt – im Lied, in der Träne und im Traum – ist diese Wiederkehr eine in Gestalt von liedmusikalischen Variationen. Dass diese insbesondere in der letzten Strophe, also dort, wo es um die „Träume“ geht besonders tiefgreifend sind, weist dieses Lied als eine hochgradig artifizielle Komposition aus.

    Die melodische Linie, die auf den ersten beiden Versen der ersten Strophe liegt, kehrt auf den ersten beiden der zweiten wieder. In der dritten Strophe beschränkt sich die Wiederholung auf den ersten Vers. Man meint, in der Liedmusik einen gewissen Grad an Verzücktheit des lyrischen Ichs zu vernehmen. In beiden Melodiezeilen, die auf dem ersten und dem zweiten Vers liegen und durch eine Achtelpause voneinander abgehoben sind, beschreibt die Vokallinie eine in relativ hoher Lage ansetzende Fallbewegung. Und das Ansetzen der Vokallinie in hoher Lage gilt eigentlich generell für alle Melodiezeilen der ersten beiden Strophen. Nur in der dritten ist die melodische Linie anders angelegt. Ohnehin hebt diese sich von den beiden anderen auch dadurch ab, dass für die Liedmusik auf den beiden ersten Versen als Grundtonart nicht G-Dur, sondern vielmehr As-Dur gilt. Bei der Melodiezeile auf dem ersten Vers senkt sich die Vokallinie nicht konstant nach unten ab. Sie beschreibt, auf einem „D“ in oberer Mittellage ansetzend, eine Abwärtsbewegung in repetierenden Schritten bis zu einem „G“ und vollzieht dann bei dem Wort „Liedern“ einen gedehnten, und dieses Wort dadurch mit einem Akzent versehenden Terzsprung. Die Emphase, der der Melodik schon bei diesem ersten Vers eigen ist, erhält eine Verstärkung dadurch, dass die Harmonik nicht nur eine Rückung von der Tonika in die Dominante D-Dur beschreibt, sondern am Ende, bei dem Wort „fort“, einen ausdrucksstarken Sprung nach H-Dur macht.

    Begleitete das Klavier hier noch mit länger gehaltenen Akkorden, so geht es nun zu Vierergruppen von Sechzehntel-Akkorden im Diskant über, die zum Teil paarweise repetieren. Beim zweiten und dritten Vers strukturiert Cornelius die Melodiezeilen anders, als dies vom lyrischen Text in seiner Versstruktur vorgegeben ist. Die Worte „sagen mir“ bezieht er in die melodische Linie der zweiten Liedzeile ein. Danach folgt die dritte, die Worte „du lebst“ in allen“ beinhaltend. Diese ist aber nicht durch eine Pause von der vorangehenden abgesetzt, vielmehr bezieht sie ihr liedmusikalisches Eigensein durch einen Taktwechsel und einen Übergang der Harmonik von e-Moll nach a-Moll. Während dem Lied in seinen übrigen Teilen ein Zweivierteltakt zugrundliegt, ist es hier, in dieser kleinen Zeile ein Dreiviertakt. Und Cornelius macht daraus ein Prinzip: In allen drei Strophen ist der zweite Teil des dritten Verses in dieser Weise liedmusikalisch hervorgehoben.

    Und schaut man sich die Worte an, die das betrifft, so wird alsbald klar, dass dies einen tiefen Sinn hat. In ihnen drückt sich der Kern der lyrischen Aussage, die Beschwörung eines Weiterlebens der Toten in der Seele des lyrischen Ichs aus. Sie lauten „Du lebst in allen“, „der Erinn´rung Blume“ und „ewig bist mein eigen“. Während in den beiden ersten Strophen die melodische Linie auf den Worten davor ein Auf und Ab in mittlerer Lage beschreibt, setzt sie bei dieser kleinen Zeile mit einem Sprung in hohe Lage ein und verharrt dort in Gestalt einer in syllabisch exakter Deklamation nur wenig sich absenkenden und zum Teil repetitiven Bewegung. Und auch hier weicht die dritte Strophe im Gestus der melodischen Linie von den beiden vorangehenden ab. Nun liegt auf den Worten davor, also „sagen, daß du“, eine durch eine Achtelpause unterbrochene Tonrepetition auf einem „As“ in mittlerer Lage, und danach beschreibt die melodische Linie eine ähnliche, vom Verharren auf der tonalen Lage geprägte Bewegung wie in den beiden vorangehenden Fällen, nur dass es dieses Mal keine hohe ist, sondern eine die sich in mittlerer Lage ereignet. Aber der Grundton, der allen diesen drei kleinen durch den Taktwechsel hervorgehobenen kleinen Melodiezeilen eigen ist, die Innigkeit der Empfindungen des lyrischen Ichs nämlich, mutet hier, bei den Worten „ewig bist mein eigen“, noch besonders gesteigert an. Das hängt auch wesentlich damit zusammen, dass die zuvor dominierende B-Harmonik verlassen und durch a-Moll ersetzt wird.

    Es sind die vielen kleinen Variationen in der Harmonisierung der melodischen Linie und im Klaviersatz, und vor allem die tiefgreifende Variation in der Melodik und Harmonik, die vernehmen und erkennen lassen, wie sehr es Cornelius darum geht, den lyrischen Text in seinen für die poetische Aussage relevanten semantischen Dimensionen liedmusikalisch auf adäquate Weise zu erfassen. Sie können hier nicht alle aufgezeigt werden. Bemerkenswert sind vor allem die, die mit der dritten Strophe zusammenhängen. Der Aussage „Dein Gedenken lebt in Träumen fort“ scheint Cornelius ganz besonderes liedmusikalisches Gewicht beigemessen zu haben, - was ja auch verständlich ist, ist doch die Welt des Traumes, mehr als die des Liedes und der Erinnerung, diejenige, in der sich die Vergegenwärtigung der Geliebten auf erlebnishaft tiefste Weise zu ereignen vermag.

    Und so liegt denn auf diesen Worten des ersten Verses der dritten Strophe zwar die gleiche melodische Linie wie auf den beiden vorangehenden Strophen, der Klaviersatz und die Harmonik weichen aber deutlich davon ab. Nun begleitet das Klavier den gedehnten Terzsprung mit nachfolgendem Sekundfall, den die melodische Linie bei den Worten „Träumen fort“ vollzieht, mit einem zweimaligen Fall von drei- und vierstimmigen Achtelakkorden im Diskant, wobei die Harmonik am Ende eine Rückung in das Tongeschlecht Moll vollzieht, die dem As-Dur, in dem die melodische Linie nun einsetzt, und damit dem neuerlichen Wort „Träume“, mit dem sie das tut, eine ganz besondere liedmusikalische Bedeutsamkeit verleihen.

    Auch die alle drei Strophen – und damit auch das ganze Lied – beschließende melodische Linie auf dem jeweils letzten Vers erfährt, bei gleichbleibender Struktur, am Ende eine Variation im sie begleitenden Klaviersatz. In ihrer aus drei gedehnten, also deklamatorisch ruhigen Sekundfällen bestehenden Gestalt mutet sie ja wie eine Art kommentierender Abschluss der vorwiegend in kürzeren deklamatorischen Schritten im Wert von Achteln und Sechzehnteln erfolgten Aussagen der vorangehenden Melodiezeilen an.
    Und diese Anmutung der abschließenden Bestätigung des liedmusikalisch vorher Gesagten erfährt am Ende der dritten Strophe eine markante Verstärkung dadurch, dass die vorübergehende Rückung in Moll-Harmonik, die beim letzten Vers der ersten und der zweiten Strophe stattfand, nun entfällt, und das Klavier die melodische Linie dieses Mal mit ungebrochenen, weil über die Dominante zur Tonika rückenden Akkordrepetitionen begleitet.
    Das muss so sein, braucht das lyrische Ich doch am Ende eine nachdrückliche Selbst-Vergewisserung in der Imagination von Treue über den Tod hinaus.

  • „Trost“, op.3, Nr.6

    Der Glückes Fülle mir verlieh´n
    Und Hochgesang,
    Nun auch in Schmerzen preis´ ich ihn
    Mein Leben lang.
    Mir sei ein sich´res Himmelspfand,
    Was ich verlor;
    Mich führt der Schmerz an starker Hand
    Zu ihm empor.
    Wenn ich in Wonnen bang beklagt
    Den Flug der Zeit,
    In Schmerzen hat mir hell getagt
    Unsterblichkeit.

    Der Gestus der Selbst-Vergewisserung in einer Haltung, die dem Tod des geliebten Menschen eine positive Dimension abgewinnen will, wie er sich ja in den lyrischen Texten dieses Zyklus, und natürlich auch in den Liedern darauf, gegen Ende mehr und mehr durchzusetzen versucht, erreicht hier sein Endstadium. Und dies in Gestalt einer eigenartig gekünstelt und darin ein wenig altertümlich anmutenden Sprachlichkeit. Die invertierte Relativsatz-Konstruktion, in der zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das lyrische Ich den auch in Schmerzen preisen will, der ihm ehedem „des Glückes Fülle“ und die Fähigkeit zum „Hochgesang“ verliehen hat, ist repräsentativ für den lyrisch-sprachlichen Geist, der in diesen Versen waltet.

    Von daher mutet es gar nicht einmal so erstaunlich an, dass auch der Liedmusik auf diese Verse die Anmutung einer gewissen Altertümlichkeit eigen ist. Das hat nicht unwesentlich damit zu tun, dass sie sich harmonisch an die phrygische Kirchentonart anlehnt. Ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet: „Mäßig langsam. Bestimmt, entschieden“. Die subtile Stilisierung der Erfahrung von Leid zu einer von Gewinn, die sich in diesen lyrischen Versen ereignet und dazu führt, dass „Verlust“, als Inbegriff der wesenhaften Zeitlichkeit von menschlicher Existenz zu einem „Himmelspfand“ für die Gewissheit von „Unsterblichkeit“ wird, dürfte wohl die Quelle darstellen, aus der die Musik dieses Liedes erwuchs. Denn ihr Grundton ist der eines feierlichen, sich dem religiösen Kirchenlied stark annähernden Lobgesangs, der am Ende aus dem lang währenden Verbleiben im Bereich von Piano und Mezzoforte ausbricht ins Forte eines hymnischen Jubels.

    Er entfaltet sich ganz und gar in der melodischen Linie. Sie stellt den eigentlichen Kern der Liedmusik dar, und der Klaviersatz beschränkt sich ausschließlich darauf, sie mit Akkorden im Diskant und Einzeltönen im Bass in ihren deklamatorischen Schritten in synchroner Weise zu begleiten. Zwar gibt es Raum für Zwischenspiele des Klaviers, fünf Mal sogar, diese wollen aber in ihrem knapp zweitaktigen Umfang nur Kurzkommentare der Melodik im Sinne eines Zitats aus ihrer Struktur sein. Nur im – immerhin viertaktigen - Nachspiel gewinnt das Klavier Format im Sinne einer eigenständigen Aussage. Und die ist höchst bemerkenswert. Zwar bleibt es beim Gestus der Artikulation von Akkorden, diese erfolgt nun aber nicht nur fortissimo, sie mündet auch in der Fallbewegung, die sie beschreibt, in einen harmonisch geradezu abwegigen Akkord. Die Komposition weist kein Vorzeichen auf. Grundtonart sind also C-Dur, bzw. die Moll-Parallele „A“. Der Akkord, in dem die Liedmusik endet, ist aber einer in E-Dur.

    Womit sich für den Hörer und Betrachter dieses Liedes die Frage nach seinen kompositorischen Interna und Hintergründen aufwirft. Und diesbezüglich ist zunächst einmal, den formalen Vordergrund betreffend, festzustellen, dass es sich zwar um ein durchkomponiertes Lied handelt, gleichwohl eines, das Strophenlied-Strukturen aufweist. Denn die melodische Linie auf den Worten „der Glückes Fülle mir verlieh´n und Hochgesang“ kehrt auf den Worten „Wenn ich in Wonnen bang beklagt den Flug der Zeit“ in unveränderter Gestalt wieder, und auch Klaviersatz und Harmonik sind identisch. Sie setzt sich aus zwei Zeilen zusammen, und in ihrer Struktur, ihrer Harmonisierung und der Art, wie sie vom Klavier begleitet wird, kann man sie durchaus als repräsentativ für den Charakter dieses Lied empfinden. Zwischen den beiden Zeilen liegt eine Dreiachtelpause, die der kleinen nachfolgenden Zeile auf den Worten „und Hochgesang“ besonderes Gewicht verleiht. Ohne Vorspiel setzt die erste in mittlerer Lage ein, beschreibt über einen Sekund- und einen Terzschritt einen Fall in tiefe Lage und geht von dort in eine Aufwärtsbewegung über, die sie am Ende über einen Quartsprung wieder in mittlere, sogar noch um eine Sekunde angehobene tonale Lage führt.

    Das Bemerkenswerte an ihr ist der deklamatorische Gestus, in dem sie sich entfaltet, wobei dem Klaviersatz und der Harmonik eine bedeutsame Funktion zukommt. Es sind gleichsam entschiedene Schritte, in denen ihre Bewegung erfolgt, entschieden, weil sie sich in Gestalt von Tonrepetitionen ereignet und der Fall, den sie vollzieht, eigentlich nur dazu dient, die nachfolgende Aufwärtsbewegung mit umso stärkerem Nachdruck zu versehen. Das Klavier verleiht dabei ihren deklamatorischen Schritten dadurch besonderes Gewicht, da es jeden von ihnen synchron mit einem drei- oder zweistimmigen Akkord im Diskant und Einzeltönen im Bass begleitet. Aber vor allem liefert die Harmonik einen wesentlichen Beitrag zur Akzentuierung dieser entschiedenen Aufwärtstendenz der melodischen Linie, - die ja dann in der zweiten Zeile ihre Erfüllung findet. In e-Moll-Harmonik setzt die melodische Linie ein. Nun ereignen sich aber permanente und bedeutsame Rückungen: Zunächst einmal eine ins Tongeschlecht Dur und zur Dominante der Tonika, also nach G-Dur. Danach rückt die Harmonik zunächst zur Tonika C-Dur und dann zur Subdominante F-Dur, was dem Quartsprung, der sich innerhalb des Wortes „verlieh´n“ ereignet, einen ganz besonderen Nachdruck verleiht.

    Der Quartsprung am Ende der ersten Zeile wirkt wie ein Auftakt zu dem, was sich in der zweiten Zeile dieser – in diesem Lied bedeutsamen, weil sich wiederholenden – melodischen Linie auf dem ersten Verspaar ereignet. Es deutet sich schon in der Pause dazwischen an, denn hier vollzieht die Harmonik in den beiden Akkorden, die das Klavier forte anschlägt, eine Rückung nach D-Dur. Und tatsächlich ist die Bewegung, die die melodische Linie auf den Worten „und Hochgesang“ nun beschreibt, in D-Dur harmonisiert, das am Ende nach G-Dur rückt. Allein dieser Sprung der Harmonik vom vorangehenden F-Dur nach D-Dur, also in den Kreuztonbereich, verleiht der melodischen Figur auf diesen beiden Worten – und damit auch ihnen selbst – ein besonderes liedmusikalisches Gewicht.

    Und das ist auch der Figur selbst eigen: Sie setzt nämlich auf einem hohen „D“ an und geht, nach einer gedehnten Tonrepetition in einen Quartfall über, der über einen nachfolgenden Sekundfall in eine Dehnung mündet. Hier wird vernehmlich:
    Das lyrische Ich sieht die „Schmerzen“, in denen es jetzt leben muss, in tiefer innerer Einheit mit dem „Hochgesang“, zu dem es die Liebe zu der nun Verstorbenen beflügelt hat. Die Liedmusik bringt dies zum Ausdruck, indem sich die melodische Linie in entschiedenen deklamatorischen Schritten zu diesem Wort hinbewegt und dort emphatisch aufgipfelt und das Klavier im kurzen Zwischenspiel danach die harmonische Rückung von D-Dur zurück in die Dominante zur Tonika in Gestalt von zwei klanglich lieblich wirkenden Sept-Akkorden nachvollzieht.

    Die Melodiezeile auf den Worten „Nun auch in Schmerzen preis´ ich ihn mein Leben lang“ weist als einzige eine durchgängig fallende Tendenz auf. Auf einem „C“ in oberer Mittellage senkt sie sich in syllabisch exakter Deklamation bis zu einem tiefen „D“ ab, und erst dort geht sie mit einem Sekundsprung in ein gedehntes „E“ über. Die Worte „ihn“ und „Leben“ sind dabei als für die Aussage wichtige mit einer Dehnung versehen. Dieser Vers reflektiert die augenblickliche existenzielle Situation des lyrischen Ichs, das Leben im Schmerz, wie ihn der Tod der Geliebten mit sich brachte. Das schlägt sich in dieser Fallbewegung der melodischen Linie nieder, die wiederum in den für dieses Lied so entschieden wirkenden deklamatorischen Schritten erfolgt. Und auch in der Harmonik ist das der Fall: Sie moduliert anfänglich zwischen Tonika, Subdominante und Dominante, geht aber gegen Ende der Zeile in a-Moll über.

    Bei den nächsten beiden Verspaaren (Verse fünf bis acht) beschreibt die melodische Linie im ersten Teil, das heißt auf den Langversen, eine ähnliche, nämlich bogenförmig angelegte Bewegung, die bei den Worten „Himmels Pfand“ und „starker Hand“ aufgipfelt und diesen auf diese Weise einen Akzent verleiht. Aber in der tonalen Ebene und in der Harmonisierung unterscheiden sich beide Zeilen. Die erste ist ganz und gar in Moll harmonisiert (e-Moll, a-Moll, h-Moll), bei der zweiten, also jener auf den Worten „Mich führt der Schmerz an starker Hand“, dominiert Dur-Harmonik, die bemerkenswerterweise eine Rückung von E-Dur über F-Dur nach C-Dur vollzieht. Hier zeigt sich beispielhaft, welche Bedeutung der Harmonik in diesem Lied zukommt. Das Wort „Himmelspfand“ ist zwar in a-Moll gebettet, das eine Rückung nach h-Moll macht. Die melodische Linie lässt aber in ihrer Aufgipfelung vernehmlich werden, dass dieses Moll Zärtlichkeit beinhaltet. Anders ist das bei dem Wort „Schmerzen“. Hier verharrt die melodische Linie in Tonrepetition auf der tonalen Ebene, und das Moll insinuiert Schmerzlichkeit. Die Dur-Harmonik reflektiert in dieser Zeile allerdings dann die Semantik der Worte „an starker Hand“.

    Bei den Worten „In Schmerzen hat mir hell getagt Unsterblichkeit“, dem letzten Verspaar also, tritt ein Wandel in die Liedmusik, der wirkt, als käme sie hier endlich zu sich selbst, habe das Ziel erreicht, dem sie in den vorangehenden Melodiezeilen letzten Endes zustrebte. Nun gibt es keine Moll-Eintrübungen in der Harmonik mehr, wie das dort durchweg der Fall war. Die melodische Linie setzt in C-Dur-Harmonisierung, der Tonika also, ein, beschreibt danach erst eine Rückung in die Subdominante, dann in die Dominante G-Dur, um am Ende, beim Höhepunkt des Liedes, wie er sich in der Aufgipfelung der melodischen Linie bei dem Wort „Unsterblichkeit“ ereignet, zur Tonika zurückzukehren.

    Die melodische Linie auf den Worten davor mutet wie ein Anlauf zu dieser Aufgipfelung an. Sie setzt mit einem auftaktig wirkenden und danach in einen Sekundfall mündenden Quartsprung bei den Worten „in Schmerzen“ ein, ein weiterer Sekundfall folgt nach, dann aber geht sie bei den Worten „hat mir hell getagt“ in einen entschiedenen und vom Klavier in Gestalt von dreistimmigen Akkorden im Diskant mitvollzogenen Sekundanstieg über, der am Ende in eine Dehnung auf einem hohen „D“ mündet. Das ist die Quinte zum Grundton, und sie wird vom Klavier mit einem Dominant-Quintakkord begleitet. Das ist melodisch wie harmonisch eine Art Sprungbrett für das, was nachfolgt: Der in eine lange, weil mit einer Fermate versehene Dehnung in hoher Lage sich ereignende Sextsprung auf der ersten und der zweiten Silbe des Wortes „Unsterblichkeit“, dem dann auf den restlichen Silben jeweils ein Terzfall nachfolgt, was zu einer Dehnung auf dem Grundton führt, in dem die melodische Linie endet.

    Das Klavier trägt zu diesem emphatischen Gipfel der melodischen Linie einen forte angeschlagenen und lang gehaltenen sechsstimmigen C-Dur-Akkord bei. Danach aber geht es zu einer, nun sogar fortissimo artikulierten, Folge von Akkorden über, die in der Harmonik, die sie modulatorisch durchstreift, geradezu überraschend anmutet und den Eindruck erweckt, als wolle das Klavier nun endlich einmal selbst etwas sagen, - und sei es auch nur ein Kommentar zu dem, was die melodische Linie zuvor zum Ausdruck brachte. In e-Moll setzt die rhythmisierte, weil im Wechsel von punktierten Viertel- und Achtelakkorden sich ereignende Folge von Akkorden ein und geht dann in zwei gewichtige, weil im Wert von halben Noten stehende C-Dur-Akkorde über. Nun sollte man denken, die Tonika ist erreicht, und damit das Ende des Nachspiels. Aber nein: Die nachfolgenden Akkorde rücken nach a-Moll und gehen von da in den – im Grunde nicht hierhergehörenden – Schlussakkord E-Dur über.

    Wie soll man das verstehen, was das Klavier da nachspielerisch sagen will? Ist es eine im Bereich harmonischer Modulation erfolgende Kurzfassung dessen, was sich zuvor in der Aussage der Liedmusik ereignet hat?
    Ja, das ist wohl so. Denn die melodische Linie setzt in e-Moll-Harmonisierung ein und wiederholt sich darin noch einmal bei der Wiederkehr dieser ersten Melodiezeile auf den Worten „Wenn ich in Wonnen bang beklagt“. Und das Klavier will der melodischen Linie mit seinem E-Dur-Akkord am Ende des Liedes sagen:
    Ja, deine Emphase auf dem Wort „Unsterblichkeit“ war berechtigt.

  • „In Lust und Schmerzen“, op.4, Nr.1

    In Lust und Schmerzen
    in Kampf und Ruh',
    steht eins fest im Herzen,
    und das bist Du!
    Das sind deine Augen,
    das ist dein Mund,
    das ist deiner Seele
    tief innerster Grund,
    das ist deine Liebe,
    sie winkt mir zu.
    In Lust und Leiden
    in Kampf und Ruh'.

    Gott der die Welten im Herzen trägt,
    hat mir in's Herz deine Liebe gelegt;
    Gott hielt die Welt eines Heilands wert,
    er hat auch mir deine Liebe beschert.
    Und ob die Welt uns zu trennen meint,
    Wir sind in Gott treu innig vereint.

    In Lust und Schmerzen
    in Kampf und Ruh',
    steht eins fest im Herzen,
    und das bist Du!
    Das sind deine Augen,
    das ist dein Mund,
    das ist deiner Seele
    tief innerster Grund,
    das ist deine Liebe,
    sie winkt mir zu.
    In Lust und Leiden,
    in Kampf und Ruh'.

    Das ist das erste der „Drei Lieder für Tenor oder Sopran mit Pianofortebegleitung“, die 1854 entstanden, 1857 bei Schott in Mainz publiziert wurden und der Prinzessin Marie von Sayn Wittgenstein gewidmet sind. Sie tragen den Obertitel „In Lust und Schmerzen“.
    In diesem Opus 4 greift Cornelius liedkompositorisch zur großen Form, was nicht nur den formalen Aspekt des Umfangs der Lieder beinhaltet, auch den Charakter der Liedsprache. Sie ist in ihrem Gestus ebenfalls gleichsam auf „Größe“ ausgerichtet. Dies in dem Sinn, dass der klanglichen Expressivität eine Art Leitlinien-Funktion zukommt und sich die Phrasierung der melodischen Linie, die Struktur des Klaviersatzes und die modulatorische Gestalt der Harmonik daran orientieren. Darin heben sich diese Lieder deutlich von denen der vorabgehenden Opera ab, wobei bemerkenswert ist, dass sie im Herbst 1854, also noch vor denen entstanden sind, die Cornelius mit der Opus-Zahl 3 versehen hat.
    Franz Liszt fand die drei Lieder „reizend und vortrefflich“ und war insbesondere – und zu Recht – vom zweiten angetan, das er als „sehr gelungen“ bezeichnete. Es nicht nur das bedeutendste des Opus 4, es ist auch wohl das Lied von Cornelius, das den höchsten Bekanntheitsgrad erreicht hat.

    Ein Zweivierteltakt liegt diesem ersten Lied zugrunde, es steht in As-Dur als Grundtonart und soll „leidenschaftlich bewegt“ vorgetragen werden. Die zweite Strophe hebt sich in ihrer Liedmusik deutlich von der ersten ab, und dies in allen Bereichen: In der Melodik, im Klaviersatz und in der Grundtonart, die nun nach dem zweiten Vers von As-Dur nach F-Dur rückt. Die Vortragsanweisung lautet hier zunächst „etwas ruhiger“, wird alsbald durch „ziemlich stark“ und „anwachsend“ ersetzt. Der Grundton leidenschaftlicher Expressivität, der diesem Lied eigen ist, erfährt also nur eine vorübergehende Abmilderung. Ohnehin wird ja die erste Strophe nach dieser zweiten in unveränderter Weise wiederholt. Lediglich bei den Worten „in Kampf und Ruh´“ kommt es, da diese wiederholt werden, am Ende zu einer Variation in der Liedmusik.

    Die Liedmusik wirkt wie von leidenschaftlicher Erregung angetrieben. Und das hat wesentlich mit dem Klaviersatz zu tun, dem hier eine dominante Rolle zukommt. Im zweitaktigen Vorspiel setzt das Klavier im Diskant mit den Figuren ein, mit denen es die Singstimme die ganze erste – und natürlich dann auch die dritte – Strophe über begleitet und mit denen es einen wahren klanglichen Wirbel entfacht. Die Figur besteht aus fünf Sechzehnteln, die in der Regel mit einem Oktavsprung (oder manchmal einem Sextsprung) einsetzen und dann in einen Fall über Terzen und zuweilen auch eine eingelagerte Quarte übergehen. Im Bass werden diese Figuren zumeist von Vierteloktaven (hie und da auch Oktaven in Gestalt von Achteln) begleitet, die zumeist den Bewegungen der melodischen Linie folgen, bei der ersten Melodiezeile aber auch gegenläufige Bewegung beschreiben.

    Die melodische Linie der Singstimme ist in dieser ersten Strophe von einem Gestus geprägt, der sie ganz und gar in Bann zu haben scheint: Eine Aufwärtsbewegung in einem oder mehreren Sprüngen mit nachfolgendem geradezu insistierend wirkendem Verbleiben in dieser hohen Lage, z.T. in Tonrepetitionen, aber auch in einem Auf und Ab in kleinen Intervallen, um dann am Ende in eine weit gespannte, mehrere Takte übergreifende Dehnung überzugehen. Darin reflektiert die Melodik den Gestus der permanent preisenden Ansprache der geliebten Frau, in der alles, was ihr Wesen ausmacht, in direkter Unmittelbarkeit benannt wird. Auf den ersten vier Versen, die ja gleichsam eine Art lyrische Ouvertüre dieses Lobpreises darstellen, vollzieht die melodische Linie drei Mal eine Aufstiegsbewegung, wobei sie bei den Worten „und Schmerzen“, „in Kampf“ und „steht eins“ jeweils einen Sprung über eine Terz, eine Quinte und eine nochmalige Terz beschreibt. Dabei steigert sie sich in der tonalen Ebene bis zu einem hohen „F“ und danach noch um eine Sekunde höher bis zu einem „G“, und geht dann bei den Worten „fest im Herzen“ erst einmal in eine Fallbewegung über, die, abweichend von der As-Dur- und B-Dur-Harmonik, in der sie bislang harmonisiert war, nun in c-Moll gebettet ist, - in eine weich-zärtliche Klanglichkeit also.

    Die Worte „und das bist Du“ werden dann, nach einer Achtelpause, in ihrer zentralen lyrischen Bedeutsamkeit dadurch gewürdigt, dass die melodische Linie erst eine triolische Fallbewegung beschreibt und sich danach mit einem Quintsprung zu einem hohen „Es“ aufschwingt, wo sie in einer sehr langen, nämlich über zwei Takt hinausreichenden Dehnung verharrt und dem Wort „du“ auf diese Weise einen starken Akzent verleiht. Das erfährt noch eine Steigerung dadurch, dass die Harmonik in den Bereich der Dominantsepte rückt und damit eine Öffnung für das schafft, was nachfolgt: Der Lobpreis von Augen, Mund und Seele der Geliebten und der Jubel über das, was die Liebe zu ihr beim lyrischen Ich zu bewirken vermag.

    Das geschieht in Gestalt eines immer neuen Sich-Aufschwingens der melodischen Linie über Sprünge in hohe Lagen. Bei den Worten „Das ist deine Liebe, sie winkt mir zu“ verharrt sie zwar in Gestalt von Tonrepetitionen in mittlerer Lage, weil es sich bei dieser „Liebe“ ja um eine zarte Angelegenheit handelt, danach aber ereignet sich bei der Wiederholung der Worte „In Lust und Leiden, in Kampf und Ruh´“ ein wahrer Ausbruch von liedmusikalischer Expressivität. Bei den Worten „in Kampf“ beschreibt die melodische Linie zunächst einen – forte vorzutragenden – Sextsprung zu einem hohen „Fes“ der mit einer Rückung von As-Dur nach Fes-Dur verbunden ist. Bei der Wiederholung wird daraus dann aber ein veritabler Oktavsprung zu einem hohen „As“, das nach einer Dehnung in eine Fallbewegung über eben diese Oktave zu einen „As“ in mittlerer Lage übergeht, wo sich nun eine wiederum zwei Takte überspannende und in den dritten reichende Dehnung ereignet.

    Mit der zweiten Strophe, die sich ja in formaler Hinsicht – Übergang zu längeren Versen mit partiell daktylischem Metrum – von der ersten abhebt, vor allem aber durch die nun meditative Haltung des lyrischen Ichs, tritt ein ruhig-besinnlicher Ton in die Liedmusik, der sich deutlich vom vorangehenden der ersten Strophe unterscheidet. Das Klavier lässt von seinen lebhaft drängenden Sechzehntel-Figuren ab und begleitet die melodische Linie nun mit mehrstimmigen Achtel-Akkorden, die oft Repetitionen beschreiben und schon dadurch Ruhe in die Liedmusik bringen. Und auch wenn daraus in der Mitte der Liedmusik auf die Verse der zweiten Strophe bogenförmig angelegte und zum Teil aus bitonalen Achtel-Akkorden bestehende Figuren werden, so bleibt doch dieser generell ruhige Charakter des Klaviersatzes erhalten.

    Und auch die Harmonik stellt sich um: Sie setzt nun im Tongeschlecht Moll ein (f-Moll und b-Moll), wird darin aber alsbald von Dur-Harmonik abgelöst. Darin reflektiert die Liedmusik die Aussage des lyrischen Textes. Denn mit den Worten „Gott hielt die Welt eines Heilands wert, er hat auch mir deine Liebe beschert“ geht das lyrische Ich zu dem Gestus thesenhafter Äußerungen über Gott und die Welt über, die in ihrer Allgemeingültigkeit keine Moll-Harmonisierung vertragen. Also ist die melodische Linie hier in F-Dur harmonisiert, mit einer nur kurzen, klanglich zärtlichen Rückung nach a-Moll bei den Worten „deine Liebe“. Und auch bei Worten „Wir sind in Gott treu innig vereint“ kann die melodische Linie nur im Tongeschlecht Dur harmonisiert sein.

    Hier, wie dies die zweite Strophe ja generell vernehmlich und erfassbar werden lässt, zeigt sich wieder, wie eng bei Cornelius die Bindung der Liedmusik an die Aussage des lyrischen Textes – seines eigenen also – ausgeprägt ist. Während sich die melodische Linie auf den ersten beiden Versen in ruhigen deklamatorischen Schritten entfaltet und dabei anfänglich eine fallende Tendenz aufweist, geht sie schon bei den Worten „Gott hielt die Welt eines Heilands wert“ in den Gestus einer von Tonrepetitionen und Sprüngen geprägten Bewegung über, und nach einem kurzschrittigen Verharren in mittlerer Lage bei den Worten „uns zu trennen meint“, beschreibt sie beim letzten Vers „anwachsend“ (Vortragsanweisung) in eine sprunghafte Aufstiegsbewegung und verbleibt dort in Gestalt von Tonrepetitionen, um der lyrischen Aussage des Vereint-Seins in Gott den angemessenen Nachdruck zu verleihen. Und das tut auch das Klavier, indem es nun der Bewegung der melodischen Linie mit lang gehaltenen Akkorden im Diskant folgt und dazu im Bass kleinschrittige Achtelbewegungen erklingen lässt.

    Es folgt ein siebentaktiges Zwischenspiel, das nicht nur durch seine Länge, sondern auch durch seine Struktur und die klangliche Wirkung, die von ihr ausgeht, bemerkenswert ist. Die Liedmusik will vom besinnlichen Ton der zweiten Strophe zurück zur Wiederholung des drängend-leidenschaftlichen der ersten. Und dazu steigt der Klaviersatz fortissimo mit drei und vierstimmigen Akkorden in hohe Lage auf, wobei der Bass dem mit sprunghaft ansteigenden Achtel-Figuren folgt und die Harmonik eine starke Rückung G-Dur nach Des-Dur vollzieht. Damit und mit dem Herabsteigen der Akkorde aus hoher in tiefe Lage bei gleichzeitiger Verkleinerung zu bitonalen Terzen wird der Boden bereitet für den neuerlichen Einsatz der Liedmusik in Gestalt einer unveränderten Wiederholung der ersten Strophe. Denn sie ist es, in der sich der Geist dieses Liedes ausdrückt.

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  • Das ist die einzige Aufnahme, die ich von diesem Lied bei YouTube vorfinden konnte. Bei all ihrer Unzulänglichkeit dürfte sie doch wenigstes einen ungefähren Eindruck von der Liedmusik vermitteln:


  • Lieber Helmut,


    endlich komme ich mal dazu, mich hier mal zu melden, und zwar kam ich durch meine heutigen Erinnerungen dazu, als ich dabei war, dem englichen Bariton und Bassbariton zum 70. Geburtstag zu gratulieren.

    Als Tonbeispiel aus den Weihnachtslieder op. 8 fand ich ein Beearbeitung mit englischem Text des walisischen Organisten, Chordirigenten und Komponisten Ivor Atkins (1869 bis 1953) des Weihnachtsliedes Nr. 3 op. 8 "Die Könige":

    In der von dir vorgestellten Gesamtaunfahme von Peter Cornelius findet es sich auf der CD Nr. 4:

    Ich halte dies für eine wunderbare Bearbeitung, die Ivor Atkins da gelungen ist. Steven Varcoe wird begleitet von dem King's College Choir of Cambridge unter dem Dirigat des großen Sir David Willcocks.

    Zum Vergleich habe ich hier die ebenfalls wunderbare Version von Hermann Prey, begleitet von Leonard Hokanson, die im Tempo etwa gleich ist mit der englischen Bearbeitung:


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Bei den "Weihnachtsliedern" sind wir hier ja eben nicht, sondern beim Opus 4 von Cornelius.

    Deshalb meine Fragen an Dich, lieber Willi:

    Du scheinst, weil Du das Cover gepostet hast, über die Naxos-Gesamtausgabe zu verfügen. Dort singt der Tenor Markus Schäfer das heute von mir vorangehend vorgestellte Lied "In Lust und Schmerzen", op.4, Nr1.

    Wie findest Du diese gesangliche Interpretation?

    Kennst Du noch eine andere?

    Mir jedenfalls ist keine weitere bekannt, - außer der oben verlinkten (die ich nicht kommentieren möchte)

  • Und ob die Welt und zu trennen meint,
    Wir sind in Gott treu innig vereint.

    Lieber Helmut, wenn ich zunächst eine kleine Korrektur anbringen dürfte: In dem von Dir zitierten Liedtext "In Lust und Schmerzen" muss es an der oben gefettetet Stelle "uns" statt "und" heißen. Ich habe lange überlegt, was es denn mit dem "und" auf sich haben könnte, das auch in der Onlinetexausgabe zur CD-Edition steht. Markus Schäfer, der das Lied in dieser Sammlung vorträgt, brachte mich auf die richtige Spur. Er singt "uns", was auch Sinn macht. Die Überprüfung ist auch an dieser Stelle möglich:



    Anfreunden mit seiner Interpretion - eine andere steht auch mir nicht zur Verfügung - kann ich mich allerdings nicht. Der Einstieg ist allein dadaurch etwas verunglückt, dass "Lust" wie "Lost" und Schmerzen wie "Schherzen" klingt. Wenn Du sehr richtig feststellst, dass die Liedmusik "wie von leidenschaftlicher Erregung angetrieben" wirkt, höre ich davon allenfalls einen etwas hilfls wirkenden Versuch. Schäfer verschießt sein stimmliches Pulver zu schnell, so dass der "Kampf" am Ende der ersten Strophe wie gekräht klingt. Im weiteren Verlauf fängt er sich zwar, vermag dem Lied durch seine Interpretation für mein Dafürhaten keine zusätzliche Diension zu verleihen. Er bleibt zu sehr an der Oberfläche. Dabei hat es das Stück trotz seiner gewollten Reime und einer gewissen Verklemmtheit durchaus in sich. Heutzutage ist bei den Begriffen Lust und Scherz der Sadomasochismus nicht weit. Davon ist auch der Text von Cornelius nicht ganz frei. Ich gehe allerdings davon aus, dass dies eher unbestimmt gefühlt denn konkret beabsichtigt gewesen ist. Sonst hätte er sein Op. 4 wohl nicht der Tochter von Liszts damaliger Lebensgefährtin gewidmet.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich hatte auch schon das Lied op. 4 Nr. 1 "in Lust und Schmerzen" in der Interpretation von Markus Schäfer angehört und im Anschluss daran eine Interpretation eines Kammerchores, auf die ich etwas später zu sprechen komme.

    Bevor ich jedoch weiter schreiben konnte, habe ich mich, den politischen Entwicklungen in Österreich geschuldet, vor den Fernseher gesetzt. Inzwischen habe ich bei meiner Rückkehr gesehen, dass sich auch Rüdiger schon mit einem Beitrag gemeldet hat.

    Zunächst zu dem Fehler in der ruhigeren Mittelstrophe: "Und ob die Welt und zu trennen meint," möchte ich vielleicht Helmut zur Seite stehen, falls er den Liedtext von "TheLiederNet Archive" kopiert hat: http://www.lieder.net/lieder/get_text.html?TextId=26971

    Da habe ich in vielen Fällen, wenn ich Liedtexte suchte, auch schon drauf zugegriffen, und in diesem Falle stand der Fehler tatsächlich auf der Seite.

    Nun zur Interpretation von Markus Schäfer, der ja in allen vier CDs vertreten ist. Da habe ich "leider" vorher Rüdigers Text gelesen, so dass der Eindruck entstehen könnte, ich hätte seine Gedanken aufgegriffen.

    Obwohl ich kein Stimmexperte bin wie er, will ich doch einige Dinge sagen, die mir aufgefallen sind.

    - zunächst scheint mir Markus Schäfers Stimme auf eine Weise "zu leichtgewichtig" zu sein, um die Eckstrophen, wie Helmut ganz richtig sagt, "leidenschaftlich bewegt" vorzutragen, zumal er mit seiner, wie gesagt, "leichtgewichtigen" Stimme, zumindest in den textgleichen Eckstrophen, fast immer unterhalb des begleitenden Pianos singt, das ihn gnadenlos zudeckt. - So klingt das, was man durch das dominante Klavier hindurchhört, m. E. nicht "leidenschaftlich bewegt", sondern gehetzt und in der tiefen Lage noch kaum vernehmbar.

    - In der ruhigeren Mittelstrophe, die sich, wie Helmut weiter ausführt:"vor allem aber durch die nun meditative Haltung des lyrischen Ichs, tritt ein ruhig-besinnlicher Ton in die Liedmusik, der sich deutlich vom vorangehenden der ersten Strophe unterscheidet", tritt sein Tenor doch stärker hervor, erscheint mir seine Textauslegung überzeugender. Allerdings fällt mir auch, immer im Hinterkopf die o. a. Chorversion habend, am Ende der Mittelstrophe auf, dass der Pianist Matthias Veith zu einem donnernden Crescendo/Fortissimo anhebt, nachdem der Sänger gerade die Textzeile gesungen hat: "Wir sind in Gott treu innig vereint". Wie passt das zusammen?

    Dass es auch anders geht, zeigt diese Chorversion, die mir wesentlich besser gefallen hat als das Duo Markus Schäfer/Matthias Veit:


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Vielen Dank für eure Beiträge, lieber Rheingold und lieber Willi (bei meinem solistischen Vor-mich-Hinwursteln wird jede Stellungnahme dazu zu einem freudigen Erlebnis).
    Zunächst einmal:
    Es muss natürlich „uns“ heißen. Ich habe das soeben korrigiert. Danke, Rheingold, dass Du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Ich lese zwar jeden Beitrag noch einmal Korrektur, bevor ich ihn hier einstelle, aber altersbedingt (nachlassendes Sehvermögen und mangelhafte Konzentrationsfähigkeit) entgehen mir dabei immer wieder einmal Fehler. Von heute an werde ich mit auf 120% gezoomtem Bildschirm arbeiten.


    Bei meinem Urteil über die gesangliche Interpretation des Liedes durch Markus Schäfer war ich mir unsicher, und deshalb meine Frage an Willi, auf die ihr dankenswerterweise sogar beide eingegangen seid.
    Nun sehe ich, dass ich so falsch nicht lag, wenn ich den Eindruck hatte, dass er die erste und die dritte Strophe in zu oberflächlich bleibendem deklamatorischem Gestus vorträgt, mit zu wenig Binnendifferenzierung, die Aussage der melodischen Linie betreffend. Bei der Mittelstrophe, da stimme ich mit Willi überein, ist das anders. Die melodischen Aussagen „hat mir ins Herz deine Liebe gelegt“ und „er hat auch mir deine Liebe beschert“ kommen in einem sehr schön innigen Ton.
    Übrigens, Willi, diese Chorfassung des Liedes kannte ich. Und ich finde sie sehr gefällig.


    Etwas anderes beschäftigt mich noch bei diesem Lied „In Lust und Schmerzen“.
    Aus den Versen und der Musik auf sie spricht eine tiefe innere Zuneigung dem Du gegenüber, an das sie sich richten. Ja sogar eine, die von einer Liebe getragen ist, die eine religiöse Überhöhung erfährt, wie die Verse „Gott der die Welten im Herzen trägt, hat mir in's Herz deine Liebe gelegt“ erkennen lassen.
    Man fragt sich: Wer ist dieses lyrische „Du?“
    Das Opus 4 ist der Prinzessin Marie von Sayn-Wittgenstein gewidmet. Aber sie kann doch nicht dieses „Du“ sein!


    Der Cornelius-Biograph Hermann Kretzschmar spricht von ihr als seiner „Weimarischen Freundin“ und kommentiert das Opus 4 mit den Worten:
    „(Es) enthält drei Lieder, die als ein Gemeinsames ein Ton herzlicher Zuneigung verbindet, der sich in der Komposition des ersten mit starker Leidenschaft, in den beiden anderen in der Form zarter Sehnsucht und Träumerei ausspricht.“
    Leider erfährt man nichts Näheres darüber, in welchem Verhältnis Cornelius zu der jungen Tochter der Fürstin Sayn- Wittgenstein stand, und auch bei seinem anderen Biographen, Max Hasse, konnte ich diesbezüglich nichts in Erfahrung bringen.
    Eigentlich, so denke ich, kann es sich bei dieser Komposition nur um das schwärmerisch-künstlerische Ausleben einer imaginierten Liebe handeln.


    Man könnte meinen, dabei handele es sich um eine nebensächliche Frage. So ist es aber nicht.
    Ein Wesensmerkmal der Liedkompositionen von Cornelius ist: Sie weisen allesamt eine personal-emotionale Erlebnis-Basis auf, sind durch persönliche Lebenserfahrungen initiiert und in ihrem Gehalt geprägt. Und das gilt, wie noch aufzuzeigen sein wird, nicht nur für die Liedkompositionen auf eigene lyrische Texte, sondern auch für die auf die Lyrik anderer Autoren.
    Hermann Kretzschmar nennt ihn zu Recht einen „Situationslyriker“ und fügt diesbezüglich hinzu:
    „Es verbindet ihn ein Zug innerer Verwandtschaft mit Goethe und unter den Musikern mit Franz Schubert.“
    Darüber werde ich wohl, weil es hier ja darum geht, das Wesen der Liedmusik von Peter Cornelius zu erfassen, noch ein wenig nachdenken müssen.

  • Etwas anderes beschäftigt mich noch bei diesem Lied „In Lust und Schmerzen“.
    Aus den Versen und der Musik auf sie spricht eine tiefe innere Zuneigung dem Du gegenüber, an das sie sich richten. Ja sogar eine, die von einer Liebe getragen ist, die eine religiöse Überhöhung erfährt, wie die Verse „Gott der die Welten im Herzen trägt, hat mir in's Herz deine Liebe gelegt“ erkennen lassen.
    Man fragt sich: Wer ist dieses lyrische „Du?“
    Das Opus 4 ist der Prinzessin Marie von Sayn-Wittgenstein gewidmet. Aber sie kann doch nicht dieses „Du“ sein!

    Lieber Helmut, diese Frage habe auch ich mir gestellt. Die Suche nach einer Antwort hat mich zu Magnus Hirschfeld geführt. Der vertritt die Auffassung, dass Cornelius bisexuell gewesen sein soll, ohne diese Vermutung weiterführend zu begründen oder seine Quellen zu bezeichnen. Irgendwoher muss er es aber schon haben. Weißt Du mehr? Wenn man so will, handelt es sich um eine Form von Quting. Es liegt also nahe, diesen Aspekt in die Betrachtung einzubeziehen.


    Nicht uninteressant finde ich, dass der von Cornelius selbst verfasste Text zu dem Lied "In Lust und Schmerzen" auch von Alexander Ritter komponiert worden ist. Ritter kam genau in dem Jahr als Cornelius an der Vertonung arbeitete, nämlich 1854 als Musiker nach Weimar. Dort weilte ja auch Cornelius.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nein, lieber Rheingold, über die angebliche Bisexualität von Peter Cornelius weiß ich nichts. Die beiden Biographien, auf die ich mich – mangels eines entsprechenden modernen Werks – stützen muss, wurden zu einer Zeit verfasst, in der man sich auf solche Aspekte nicht einließ.


    Dass Alexander Ritter dieses Gedicht von Cornelius vertont hat (op.7, Nr3), ist mir zwar bekannt, ich habe aber keine Aufnahme einer gesanglichen Interpretation davon. Da ich auch nicht über die Noten verfüge, kann ich mir noch nicht einmal von daher wenigstens ein Bild davon machen, wie dieses Lied klingt.
    Ritter und Cornelius kannten einander. Er wurde ja 1854 Mitglied der Weimarer Hofkapelle und schloss sich dem Liszt-Kreis an, dem auch Cornelius angehörte.
    Er hat übrigens – neben Texten von Lenau, Eichendorff und Heine - noch mehr Cornelius-Gedichte vertont. Sein Opus 16 enthält 5 Lieder auf Cornelius-Texte mit den Titeln:
    Verschlungene Wurzeln
    Nimm´s mit
    Treue
    Mit einem Strauß
    Buntes Treiben


    Von seiner Komposition auf das Gedicht „Treue“, das Cornelius ja als Nr.5 in sein Opus 3 aufgenommen hat und von mir oben vorgestellt wurde, kann ich mir eine ungefähre klangliche Vorstellung machen, da mir die Noten vorliegen. Sie wirkt in der Anlage ein wenig schlichter als die von Cornelius. Und das scheint ja ohnehin sein liedkompositorisches Grundkonzept gewesen zu sein, da er den Begriff „Schlichte Weise“ geprägt hat, den Reger später aufgriff.
    Ich kenne von ihm leider nur eine gesangliche Interpretation: Das - höchst gefällige! - Lied „Primula veris“, op.10, Nr.1 (Text: N. Lenau), das Dietrich Fischer-Dieskau in seine Sammlung „Stilwandlungen des Klavierliedes“ aufgenommen hat

  • „Komm, wir wandeln“, op.4, Nr.2

    Komm, wir wandeln zusammen im Mondschein!
    So zaubrisch glänzt jedes Blatt,
    Vielleicht steht auf einem geschrieben,
    Wie lieb mein Herz dich hat.

    Komm, wir wandeln zusammen im Mondschein!
    Der Mond strahlt aus Wellen bewegt,
    Vielleicht, daß du ahnest, wie selig
    Mein Herz dein Bildnis hegt.

    Komm, wir wandeln zusammen im Mondschein!
    Der Mond will ein königlich Kleid
    Aus goldenen Strahlen dir weben,
    Daß du wandelst in Herrlichkeit!

    Dieses Lied hat wohl den höchsten Bekanntheitsgrad von allen Cornelius-Liedern erreicht und wurde zu so etwas wie dem Inbegriff der cornelianischen Liedmusik. Und das wohl zu Recht, vereinigt es doch in sich all das, was diese auszeichnet:
    Klangliche Schönheit und Eingängigkeit, Tiefe der musikalischen Empfindung, zugleich aber kompositorische Durchgestaltung im Sinne eines durchgeformten, klar gegliederten und dem Prinzip der Transparenz und Einfachheit verpflichteten Satzes.
    Mit gutem Grund konnte sein Biograph Max Hasse in – für die zwanziger Jahre üblichem – schwärmerischem Ton feststellen: „Wenn die schönsten deutschen Lieder genannt werden sollten, wird es unter ihnen stehen müssen. Es gleicht in diesem Liederzyklus einem Rubin, den die anderen Lieder einfassen.“

    Dem Lied liegt ein Dreivierteltakt zugrunde, und es soll „mäßig bewegt“ vorgetragen werden. Was seine Harmonik anbelangt, so ereignet sich bei den beiden Verspaaren aller drei Strophen eine höchst ausdrucksstarke, weil im Quintenzirkel weit ausgreifende Rückung: Bei den beiden ersten Strophen jeweils vom Des-Dur- Bereich nach dem von F-Dur, und bei der dritten Strophe gar eine von Des-Dur in den Bereich von E- und A-Dur, dies allerdings nur in der Harmonisierung der melodischen Linie des dritten Verses. Allein schon diese spezifische Eigenart in der harmonischen Anlage der Komposition lässt erkennen, wie kunstvoll diese in ihrer Faktur ist. Denn diese harmonischen Rückungen reflektieren die semantische Struktur der Liedstrophen.

    Die beiden ersten Verse enthalten den mit dem appellativen „Komm“ eingeleiteten und den mit dem Verweis auf die dazu einladende Natur begründeten Wunsch, mit der Geliebten im Mondschein zu wandeln. Die jeweils folgenden zweiten Verspaare bringen die seelische Dimension in diesen Wunsch ein: Die Liebe, die beim lyrischen Ich dahintersteht, und die Vision, dass aus diesem „Wandeln“ eines „in Herrlichkeit“ werden möge. Das Bild von den ein „königlich Kleid“ webenden „goldenen Strahlen“ des Mondes fällt dabei so stark aus dem Rahmen der Metaphorik dieser Verse, dass Cornelius ihm eine klanglich ausdrucksstarke und harmonisch geradezu kühne Rückung vom B-Bereich Des-Dur in den Kreuzton-Bereich E- und A-Dur beigegeben hat. Und wie liedkompositorisch tief durchdacht dies ist, lässt der Schluss des Liedes vernehmen und erkennen: Bei dem Wort „Mondschein“ ereignet sich im Klaviersatz eine kurze Rückung von Des-Dur nach A-Dur und wieder zurück.

    Wenn bei dieser Komposition, die Harmonik betreffend, von einem hohen Grad an Kunstfertigkeit in der Anlage gesprochen wurde, so gilt das auch für den Bereich Melodik und Klaviersatz und deren Zusammenspiel. Wobei sich allerdings – und dies ist ein bemerkenswerter, weil das Wesen der Liedmusik von Cornelius betreffender Sachverhalt – dieser wesenhaft artifizielle Charakter der Lied-Faktur in dem klanglichen In-Erscheinung-Treten in einer Weise und einem Grad zu verbergen weiß, wie man dem nur noch bei Johannes Brahms begegnet,- dort allerdings in noch höherem Grad. Aber immerhin: Dieses Lied vermag seine Hörer stark anzusprechen, ja sogar in Bann zu schlagen, und dies deshalb, weil seine Musik die lyrische Aussage in vollkommener Weise reflektiert und mit ihren Mitteln zum Ausdruck zu bringen vermag.

    Die Komposition ist als Strophenlied nach dem Schema „A-A-B“ angelegt. Ein Dreivierteltakt liegt ihr zugrunde, und er ist maßgeblich für die innere Beschwingtheit verantwortlich, die der Liedmusik innewohnt. Schon im viertaktigen Vorspiel klingt sie auf: Das Klavier lässt eine Folge von bitonalen Achtel-Sekunden erklingen, aus denen sich in Gestalt von Vierteln eine aufsteigende und in Dominantseptharmonik gebettete Linie herausschält, die wie ein Auftakt zum Einsatz der melodischen Linie in der Tonika Des-Dur wirkt. Und in dieser, wie sie sich auf den Worten „Komm, wir wandeln zusammen im Mondschein! So zaubrisch glänzt jedes Blatt“ entfaltet, begegnet man der Melodik des Cornelius-Liedes in ihrer gleichsam vollendeten Gestalt. In triolischen, syllabisch exakten und teilweise repetierenden Sekundschritten senkt sie sich von einem hohen „F“ zu einem „As“ in mittlerer Lage ab und geht bei dem Wort „Mondschein“ in einen nun leicht gedehnten, weil in Gestalt von Vierteln deklamierten Terzfall über, der dieses Wort mit einem Akzent versieht. Das Klavier, und hier zeigt sich der artifizielle Charakter dieser Komposition, beschreibt zunächst mit Oktaven im Diskant und Einzeltönen eine genau gegenläufige Bewegung und stimmt erst bei dem Terzfall in die Bewegung der melodischen Linie ein. Schon hier wird vernehmlich, dass dem Klavier in diesem Lied eine gewichtige Rolle zukommt.

    Bringt diese anfängliche im Dreivierteltakt rhythmisierte Fallbewegung der melodischen Linie den einladend-auffordernden Charakter des ersten Verses in geradezu vollkommener Weise musikalisch zum Ausdruck, so gilt das auch für die Melodik auf den Worten „so zaubrisch glänzt jedes Blatt“. Weil es sich hier um ein ruhendes, ohne innere Bewegtheit sich darbietendes lyrisches Bild handelt, senkt sich die melodische Linie nun in mittlerer Lage langsam, weil nun in Schritten von Viertelnoten um zwei Sekunden ab und beschreibt dann bei den Worten „jedes Blatt“ eine melismatische, weil triolisch angelegte kleine Bogenbewegung. Hier, bei dieser zweiten kleinen Melodiezeile folgt das Klavier nun der Bewegung der melodischen Linie mit Achteln in Diskant und Bass, dies aber wieder auf der Basis der bereits im Vorspiel erklingende bitonalen Sekunde, das heißt also in Dominantseptakkord-Harmonisierung. Damit wird nun ein harmonischer Vorhalt für den Einsatz der melodischen Linie auf dem zweiten Verspaar der Strophe geschaffen.

    Man erwartet bei der Melodik auf den Worten des zweiten Verspaares eigentlich Des-Dur Harmonik. Nach der fermatierten Achtelpause nach dem Wort „Blatt“ setzt die melodische Linie aber auftaktig nicht auf einem „“As“, sondern auf einem „A“ ein. Dort verharrt sie zunächst in Tonrepetitionen, die das Klavier mit Terzen im Diskant mittvollzieht, und das ereignet sich in reiner, heller F-Dur-Harmonik. Und der Grund für wird alsbald vernehmlich und einsichtig: Es sind die Worte „wie lieb mein Herz dich hat“, die diese Rückung von Des-Dur nach F-Dur regelrecht fordern, weil das, was sie zu sagen haben, nur in dieser Tonart seine volle klangliche Strahlkraft erlangt. Diese Worte werden wiederholt, und das in Gestalt eines Aufstiegs der melodischen Linie in hohe Lage, der beim ersten Mal über einen Quartsprung zu einem hohen „F“ führt, beim zweiten Mal aber, eine Sekunde höher ansetzend, sogar zu einem „G“. Und nun ereignet sich eine Steigerung der melodischen Expressivität dadurch, dass auf dem Wort Herz“ eine Dehnung liegt, die melodische Linie danach über einen neuerlichen Quartsprung wieder zum hohen „F“ emporsteigt und anschließend danach einen Fall zurück beschreibt, der in eine lange Dehnung auf dem Wort „hat“ mündet.

    Auch die Harmonik und der Klaviersatz leisten einen Beitrag zur Expressivität der Liedmusik auf dem zweiten Verspaar der ersten (und natürlich auch zweiten) Strophe. Nach dem beim ersten Mal sich ereignenden kleinen, in eine Dehnung mündenden Sekundfall auf den Worten „dich hat“ macht die Harmonik eine Rückung in die Subdominante B-Dur, und das Klavier lässt – und dies für die ganze nachfolgende melodische Linie - eine vom Diskant in den Bass sich erstreckende, arpeggienartige Folge von Achteln erklingen. Die Rückung in die Subdominante hat ganz offensichtlich das Ziel, die letzte bogenförmige Aufgipfelung der melodischen Linie auf den Worten „dich hat“ in umso strahlenderes klangliches Licht zu rücken. Denn hier kehrt das F-Dur zurück.

    Die dritte Strophe setzt mit demselben Vers ein wie die beiden vorangehenden, nun aber sind die liedmusikalischen Rollen von melodischer Linien und Klaviersatz vertauscht. Während sich jene nun – wieder in Des-Dur-Harmonisierung - mit ruhigen deklamatorischen Schritten in einem Auf und Ab in oberer Mittelage entfaltet, lässt das Klavier beim ersten Vers immer wieder im Diskant die melodische Linie erklingen, die in der ersten und der zweiten Strophe auf diesen Worten liegt. Beim zweiten Vers, den Worten „Der Mond will ein königlich Kleid“ also, geht die melodische Linie, weiterhin ihren ruhig schreitenden Gestus beibehaltend, zu einer Aufstiegsbewegung über, die sie übrigens bis zu den Worten „aus goldenen“ (Anfang des dritten Verses) einschließlich fortsetzt, das Klavier geht aber zur Artikulation seiner repetierenden Folge von bitonalen Sekunden über, wie sie vom Vorspiel her bekannt sind. Verbunden ist das, wie an den Parallelstellen der beiden vorangehenden Strophen, mit einer Rückung in die Dominantsept-Harmonik „As“.

    Und wieder ereignet sich danach harmonisch Bemerkenswertes. Die ruhige mit einer melismatischen triolischen Sekundsprung-Figur auf dem Wort „goldenen“ eingeleitete Fallbewegung der melodischen Linie auf den Worten „Strahlen dir weben“ setzt auf einem hohen „Gis“ ein und ist in E-Dur harmonisiert. Bei dem gedehnten Terzfall, der auf dem Wort „weben“ liegt, beschreibt dieses eine Rückung in die Subdominante A-Dur, und das Klavier lässt wieder im Diskant die melodische Figur auf dem einleitenden Hauptvers erklingen. Hier ereignet sich also harmonisch etwas Ähnliches wie an der entsprechenden Stelle der vorangehenden Strophen, nur dass die Rückung harmonisch noch kühner ist: Sie greift in den Kreuzton-Bereich aus, und die klangliche Helle, in die das Bild von den „goldenen Strahlen“ damit gerückt wird, wirkt auf diese Weise noch stärker.

    Bei den Worten „Daß du wandelst in Herrlichkeit“, wo sich in der melodischen Linie ein veritabler Septsprung mit nachfolgendem Quartfall und Sekundanstieg ereignet, der das Wort „Herrlichkeit“ mit einem starken Akzent versieht, rückt die Harmonik wieder nach Des-Dur und moduliert kurz zur Dominante. Wieder begleitet das Klavier hier mit der sich drei Mal wiederholenden Eingangsmelodik und geht dann in der fast zeitaktigen Pause für die Singstimme zu einer Wiederholung des ganzen Vorspiels über, derweilen die Singstimme auf einer in ruhigen Schritten bogenförmig sich entfaltenden und am Ende mit einem Quintsprung in eine Dehnung in hoher Lage mündenden melodischen Linie noch einmal die Worte des alle Strophen einleitenden Verses deklamiert.

    Und hier, bei der Dehnung in Gestalt eines hohen „Des“ auf der zweiten Silbe von „Mondschein“, ereignet sich harmonisch wieder Bemerkenswertes: In den Des-Dur-Akkord, mit dem das Klavier diese Schlussdehnung der melodischen Linie begleitet, rückt im zweitletzten Takt ein A-Dur-Akkord, der dann über ein „Heses“ zurück zum Schlussakkord Des-Dur moduliert.
    Noch einmal klingt die Dimension heller Klanglichkeit auf, die in diesem Lied den zweiten Verspaaren zugeordnet ist, jenen also, in denen das lyrische Ich sein seelisches Innere offenbart.

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  • „Möcht´ im Walde“, op.4, Nr.3

    Möcht´ im Walde mit dir geh'n,
    wo im Laub sich Vöglein wiegen,
    möcht´ im Walde mit dir geh'n,
    denn der Wald ist so verschwiegen.

    Wo der Lärm der Stadt verhallt,
    blüh'n so schön die wilden Rosen,
    so verschwiegen ist der Wald,
    so geheim der Quelle Kosen.

    Lieblich dort am vollen Strauch,
    Blüten sich an Blüten schmiegen,
    an den Stamm der Epheu auch
    und der Wald ist so verschwiegen.

    Wo das Reh entflieht alsbald,
    hört's ein Rauschen in den Zweigen
    so verschwiegen ist der Wald,
    so beredsam ist sein Schweigen!

    Wenn mein Lied zu Ende geht,
    sing' ich's weiter in Gedanken.
    Wie's im Wald verschwiegen weht,
    wie die Rosen sich umranken!

    Das konjunktivische „Möcht´“, das die erste Strophe beherrscht, der ihrerseits eine Ouvertüren-Funktion in diesem Gedicht zukommt, enthüllt sich in der letzten Strophe als nicht an ein „Du“ gerichtet, sondern als sprachliches Element eines Monologs, der sich als „Lied“ verstanden wissen will, - ein Lied das in dem Raum gesungen wird, den die Zwischenstrophen metaphorisch entwerfen und charakterisieren. Es ist ein Raum der naturhaften Idylle, ein Raum, der sich in seiner Stille und Verschwiegenheit vom Lärm der Stadt abhebt. Und als solcher bietet er sich der Phantasie des lyrischen Ichs als der Ort an, in dem das Zusammensein mit dem Du ein verschwiegenes bleiben kann. Ein bewusstes lyrisches Spiel mit dem berühmtesten aller monologischen Liebesgesänge dieser Art, - Walthers „Unter der linden“?

    Wie auch immer, - diese Verse fordern geradezu eine sich in lieblicher Klanglichkeit schwelgerisch ergehende Liedmusik. Und diese hat ihr poetischer Schöpfer ihnen als Komponist auch zugemessen, in dem Sinne, dass er sie in vollkommen bruchloser Weise hat in sie eingehen lassen. Herausgekommen ist dabei beeindruckendes, sich in einschmeichelnder Melodik und von keinerlei Chromatik verstörter Klanglichkeit entfaltendes Lied, dessen Schönheit sich gleichwohl nicht im schieren sinnlichen Reiz erschöpft, weil sie aus dem musikalischen Ausloten der poetischen Aussage und der sie generierenden Bilder hervorgeht. Es stellt formal ein Strophenlied nach dem Schema „A-B-C-A-D“ dar, es steht in B-Dur, bzw. seiner Moll-Parallele „G“ als Grundtonart, weist einen Dreivierteltakt auf und soll „ziemlich schnell“ vorgetragen werden. Und das ist eigentlich verwunderlich, geht man einmal von den lyrischen Bildern aus, die sich ja doch durch ihren statisch-deskriptiven, jegliche innere Bewegtheit meidenden Charakter auszeichnen.

    Aber die Liedmusik selbst offenbart schon im Vorspiel, erst recht aber in der Art und Weise, wie sie die Verse der ersten Strophe aufgreift, wie sie aufgenommen und verstanden wissen will. Das dreitaktige Vorspiel wirkt mit seinen repetierenden Achtel-Quinten im Bass und den zweimal aus einem Achtel-, bzw. Sechzehntel-Anlauf hervorgehenden dreistimmigen g-Moll-Akkorden wie ein Aufbruch der Liedmusik zu einer vom Dreivierteltakt getragenen und von ihm mit Beschwingtheit versehenen Entfaltung. Es ist freilich keine äußerliche, sich vordergründig in schierem Tempo ergehende. Ganz im Gegenteil. Vielmehr lässt die melodische Linie in ihren mäßig bewegten Schritten eine innere Beschwingtheit vernehmen, die aus der Imagination des Vorhabens kommt, die mit den Worten des ersten Verses eingeleitet wird. Der auf der auftaktigen Tonrepetition hervorgehende Quartsprung bei den Worten „Möcht´ im Walde“ bringt dies gleich am Anfang zum Ausdruck. Und die melodische Linie senkt sich danach aus der hohen Lage, die sie mit diesem Sprung erreicht hat, über das gleiche Intervall und eine zusätzliche Terz erst einmal wieder ab, geht danach bei den Worten „mit dir geh´n“ gleich wieder in einen Aufstieg über, der in eine Dehnung mündet. Und das Klavier verleiht dem mit den g-Moll-Terzen, die es zur Liedmusik beiträgt, die Anmutung von Innigkeit.

    Seinen klanglichen Reiz bezieht das Lied zu einem wesentlichen Teil aus dem harmonischen Wechselspiel der Tongeschlechter. Und es scheint so, als habe Cornelius hier ein kompositorisches Spiel walten lassen: Dur-Harmonik dort, wo die lyrischen Verse in deskriptiver Weise Aussagen über den Wald treffen, Moll-Harmonik in dem Augenblick, wo in die lyrischen Bilder die Emotionen des lyrischen Ichs einfließen, und am Ende, dort also, wo das lyrische Ich vom Weitersingen seines Liedes in Gedanken spricht, ausschließlich Dur-Harmonik. Bemerkenswert aber – und für die Subtilität dieses kompositorischen Umgangs mit dem Tongeschlecht sprechend – ist die Tatsache, dass sich in den Zwischenspielen der letzten Strophe doch wieder die Grundtonart g-Moll in die Liedmusik drängt, und dass das Nachspiel nach einer kurzen Modulation hinüber zur Dur-Parallele „B“ in g-Moll endet.

    Schon die Liedmusik der ersten Strophe, die sich ja in der vierten ohne irgendwelche Variationen wiederholt, lässt dieses kompositorische Konzept in der Harmonisierung der melodischen Linie recht deutlich erkennen. Sie setzt in g-Moll-Harmonik ein. Aber schon bei der melodischen Linie auf dem zweiten Vers, die an die auf dem ersten mit der Wiederholung der Tonrepetition am Anfang anknüpft, ereignet sich auf der wiegend angelegten melodischen Figur auf dem Wort „wiegend“ (Kombination aus gedehntem Sekundsprung und –fall) eine Rückung von diesem g-Moll nach Es-Dur, der Subdominante zur Dur Parallele. Und da das lyrische Ich in den restlichen beiden Versen noch einmal seinen Wunsch und Willen bekundet und ihn mit dem Verweis auf die Verschwiegenheit des Waldes begründet, verbleibt die Harmonik durchweg im Dur-Bereich. Aber, und schon hier zeigt sich der hochgradig artifizielle Charakter dieser Liedkomposition im Bereich der Harmonik, keineswegs in Gestalt simpler Modulation zwischen Tonika, Dominante und Subdominante. Vielmehr ereignet sich bei der melodischen Linie auf dem dritten Vers eine Rückung in den Kreuzton-Bereich, nämlich nach D-Dur, das am Ende dieses Verses erst einmal in G-Dur übergeht, welches beim letzten Vers über eine Rückung nach C-Dur auch die Harmonisierung des lang gedehnten Sekundsprungs auf der zweiten Silbe des Wortes „verschwiegen“ bildet.

    Die Rückung in das Tongeschlecht Dur und in dessen Kreuzton-Bereich ist hier ganz offensichtlich kompositorisch motiviert durch das lyrisch positive Bild vom „Wald“ und seine Verschwiegenheit. Und um den Wald, dem ja eine zentrale Rolle in diesem lyrischen Text zukommt, hier in der ersten Strophe gleich mit dem angemessenen musikalischen Akzent zu versehen, legt Cornelius eine lange, taktübergreifende Dehnung in der hohen Lage eines „E“ auf dieses Wort und harmonisiert sie mit einem hellen und klaren C-Dur, - in einer Liedmusik, die in g-Moll einsetzt und darin auch endet.

    Auch in den beiden nachfolgenden Strophen ist der artifzielle Charakter der Liedmusik, der sich in diesem seinem Charakter aber sehr wohl zu verbergen weiß, in allen Bereichen, der Melodik, dem Klaviersatz und der Harmonik, zu vernehmen und recht klar zu erfassen. Das soll nun nicht in allen Einzelheiten aufgezeigt werden, damit dieses in seiner Schönheit dem vorangehenden nicht nachstehende Lied keinen Schaden leidet. Nur wirklich aussagekräftige, also unter diesem Aspekt der Liedbetrachtung relevante Details sollen zur
    Sprache kommen.

    In der Melodik begegnet man auffällig häufig der sich auftaktig gebenden Tonrepetition, entweder in Gestalt einer Folge von einem punktierten Achtel und einem Sechzehntel, oder in der Aufeinanderfolge von zwei Achteln. So setzt die melodische Linie ja ein, so wiederholt sie sich gleich danach beim zweiten Vers und bei den Worten „denn der Wald“ am Anfang des vierten. Und all dem begegnet man auch in der Melodik der zweiten Strophe auf den Worten „Wo der Lärm“ und „So verschwiegen“, jedes Mal gefolgt von einer melodischen Sprungbewegung. Man kann das durchaus als melodische Geste der Haltung des lyrischen Ichs auffassen und verstehen, die diesem lyrischen Text zugrundeliegt: Dem der einladenden Ansprache an das Du in Gestalt eines monologischen „Liedes“. Und dass dieser interpretatorische Ansatz so falsch nicht sein kann, zeigt die Tatsache, dass sich dieser Gestus der Tonrepetition in gleichsam expressiv gesteigerter Form wiederholt, - dort nämlich, wo der „Wald“ ins Spiel kommt. Auf den Worten „möcht´ im Wald“ (Anfang dritter Vers, erste Strophe) und „so verschwiegen“ (dritter Vers, zweite Strophe) beschreibt die melodische Linie, mit einem ausdrücklichen Crescendo versehen, eine Tonrepetition in Gestalt von nun zwei Vierteln und einem nachfolgend sogar punktierten.

    Die Worte „so verschwiegen ist der Wald, so geheim der Quelle Kosen“ werden wiederholt. Die melodische Linie, die nun auf ihnen liegt, ist die gleiche wie die auf dem zweiten Verspaar der ersten Strophe, und sie kehrt in unveränderter Gestalt wieder auf den Worten „so verschwiegen ist der Wald, so beredsam ist sein Schweigen!“(Vers 3 und 4, vierte Strophe). Die melodische Linie setzt mit der bereits beschriebenen Tonrepetition ein und geht nach einer kurzen Aufstiegsbewegung bei dem Wort „Wald“ in eine erste Dehnung über. Bei dem Wort „geheim“ ereignet sich erneut eine Tonrepetition, der über einen Quartsprung eine lange Dehnung nachfolgt, und schließlich endet diese Melodiezeile auch in einer Dehnung in Gestalt eines Terzsprungs auf dem Wort „Kosen“. Der Wald ist zentrales Thema dieses Liedes, und so weisen denn die Verse, in denen er in seinem Wesen unmittelbar angesprochen wird, drei Mal die gleiche, anmutig wirkende Melodik auf. Und in allen Fällen ist sie in G-Dur harmonisiert, setzt aber in der Dominante D-Dur ein und beschreibt bei der langen Dehnung auf dem hohen „E“ eine kurze Rückung in die Subdominante C-Dur, die über die Dominante dann hin zur Tonika G-Dur moduliert. Das harmonisch Bedeutsame ist dabei freilich, dass in allen Fällen g-Moll-Harmonik vorausgeht, die in den letzten beiden Takten eine Rückung nach Es-Dur beschreibt. Auch über die Harmonik kommt diese Melodiezeile also zu einer herausgehobenen Position in diesem Lied.

    Der Klaviersatz ist komplex. In seinem Kern generiert er sich, wie das ja gleich in der Liedmusik der ersten Strophe vernehmlich wird, aus zwei Grundfiguren: Der Repetition von zwei- und dreistimmigen Akkorden und aus Achteln gebildeten Figuren, die fallend angelegt sind oder sich auf mittlerer tonaler Ebene entfalten. Auch hier verfährt Cornelius überaus kunstvoll. Die Akkordrepetitionen erklingen in der Regel dort, wo der lyrische Text einen konstatierenden Gestus einnimmt, die Achtelfiguren kommen in ihren vielen Varianten hingegen dort zum Einsatz, wo die Emotionen des lyrischen Ichs in die lyrischen Bilder einfließen.

    Bei den Worten „Wo der Lärm der Stadt verhallt, blüh'n so schön die wilden Rosen“ (Vers 1 und 2, 2.Strophe) zum Beispiel beschreibt die melodische Linie, in E-Dur harmonisiert, zunächst eine leicht rhythmisierte Bewegung auf und ab in oberer Mittellage, die das Klavier mit repetierenden Achtel-Quinten in Bass und Diskant begleitet. Im zweiten Teil der Melodiezeile reflektiert sie aber das Bild von den Rosen, indem sie in eine wellenartige Bewegung übergeht, und die Harmonik rückt von E-Dur nach e-Moll, verleiht ihr damit also eine Anmutung von Lieblichkeit. Bei den Worten „Wo das Reh entflieht alsbald“ (4.Strophe), also ebenfalls einem zarten Wald-Bild, beschreibt die melodische Linie ebenfalls eine solche eine solche, den tonalen Raum einer Sexte ausfüllende Wellenbewegung, und wiederum ist sie in Moll (g-Moll) harmonisiert. Dieses Mal begleitet das Klavier sie aber mit aus fallenden Achteln gebildeten Figuren im Diskant.

    In der letzten Strophe erfährt das Lied eine Steigerung in seinem Grundton anmutiger klanglicher Lieblichkeit. In Melodik und Klaviersatz mutet die Liedmusik an wie eine Abfolge von Zitaten aus den vorangehenden Strophen. Die melodische Linie weist in ihren Zeilen wieder diese auftaktige, aus Tobrepetition mit nachfolgendem Sprung am Anfang gebildete Struktur auf, nur dass sie dieses Mal nicht so weit ausgreifend phrasiert ist. Die Melodik setzt sich in dieser Schlussstrophe aus vier, jeweils nur einen Vers umfassenden und durch längere Pausen voneinander abgehobenen Zeilen zusammen. Herausragend unter ihnen ist, was ihre musikalische Expressivität anbelangt, die zweite Zeile, also die auf den Worten „sing ich´s weiter in Gedanken“. Die melodische Linie beschreibt dabei strukturell die gleiche Bewegung wie auf dem ersten Vers der Strophe, nur dass die anfängliche Tonrepetition um eine Sekunde angehoben ist und der nachfolgende Sprung sich nicht über eine Quarte, sondern über eine Sexte bis hin zu einem hohen „A“ erstreckt, wobei die Harmonik dadurch das Ihre zur Expressivität der Melodik beiträgt, dass sie eine Rückung vom anfänglichen E-Dur nach D-Dur beschreibt. Das Klavier begleitet hier – und das ist ungewöhnlich – mit einem einzigen taktübergreifenden vierstimmigen Akkord und lässt die melodische Linie bei dem Fall aus hoher Lage auf den Worten „weiter in Gedanken“ allein, indem es eine Pause einlegt.

    Mit zwei überaus lieblich anmutenden kleinen Zeilen schließt die Melodik des Liedes. Sie ähneln einander in ihrer aus einer Tonrepetition mit nachfolgender Bogenbewegung bestehenden Grundstruktur. Und wieder ereignet sich eine Steigerung im Grad der musikalischen Expressivität dadurch, dass die melodische Linie bei den Worten „wie die Rosen sich umranken“ mit dem Bogen, den sie beschreibt, in höhere Lage ausgreift und vom Klavier darin mit aufsteigenden Terzen begleitet wird, die schon kurz vor dem Gipfel des Bogens in dreistimmige Akkorde übergehen.
    B-Dur ist nun – mit einer kurzen Rückung in die Dominante F-Dur - die dominante Harmonik, die Dur-Parallele zum g-Moll also, mit dem das Lied einsetzt. Aber sie hat nicht das letzte Wort in diesem Lied. Schon bei Zwischenspielen in den langen Pausen für die Singstimme meldet sich das g-Moll zu Wort. Und das Nachspiel übernimmt es, nach einem anfänglichen B-Dur in der sich weiter fortsetzenden Fallbewegung der nun wieder zweistimmig werdenden Akkorde, ganz und gar bis zum Schlussakkord.

    Man mag das nicht als negativen Ausklang des Liedes empfinden, - im Sinne eine Sich-Bewusstwerdens des lyrischen Ichs vom fiktionalen Charakter Visionen vom gemeinsamen „Gang im Walde“. Eher mutet das g-Moll-Nachspiel wie ein Nachklingen der Innigkeit an, die die Liedmusik im Aufgreifen der lyrischen Bilder entfaltet hat.

  • Hier der Link zu einer - zweifellos herausragenden - Aufnahme mit Tiana Lemnitz. Wunderschön, in welcher Zartheit sie die melodische Linie auf den Worten "denn der Wald ist so verschwiegen" gesanglich gestaltet:


  • „Botschaft“, op.5, Nr.1

    Liebendes Wort dich send ich fort!
    suche dir dort am Rheinesstrande,
    suche dir dort den schönsten Ort.

    Liebender Mut, der nimmer ruht,
    kühl´ in der Flut am Rheinesstrande,
    kühl´ in der Flut der Sehnsucht Glut!

    Liebender Sinn, wo ich auch bin,
    fliege mit hin zum Rheinesstrande,
    fliege mit hin, ihr Herzgewinn!

    Liebender Sang töne nicht bang,
    dir zum Empfang am Rheinesstrande,
    dir zum Empfang tönt süßer Klang!

    Liebender Brust werde bewußt,
    wie jede Lust am Rheinesstrande,
    wie jede Lust ich missen mußt.

    Liebendem Drang folg' ich so lang
    bis ich errang am Rheinesstrande,
    bis ich errang dein Ziel, mein Sang!

    (Dichter unbekannt)

    Das Opus 5 enthält insgesamt sechs Lieder. Mit Ausnahme des ersten, eben dieses mit dem Titel „Botschaft““, entstanden sie Anfang der sechziger Jahre, also in der Zeit von Cornelius´ Aufenthalt in Wien. Das Lied „Botschaft“ gehört zur Gruppe der „Rheinischen Lieder“, die 1856 in Weimar entstanden. Auf diese, wie auf die „Brautlieder“, die ebenfalls dieser Zeit angehören, soll im Anschluss an die Gruppe des Opus 5 eingegangen werden. Das Besondere an diesem Opus ist, dass Cornelius dieses Mal Texte vertont, die nicht von ihm stammen. Und noch ein weiteres zeichnet diese Gruppe von Liedern aus: Cornelius lässt sich, wie schon das Lied „Botschaft“ erkennen lässt, auf kompositorische Experimente ein.

    Das „Experimentelle“ an diesem Lied erfasst man erst gar nicht, so gut ist es in der Faktur verborgen. Erst beim genauen Hinhören fällt einem auf: Das Klavier folgt der melodischen Linie in allen ihren Bewegungen um einen halben Takt verzögert nach. Es handelt sich um ein Strophenlied nach dem Schema „A-B-A-B`“. Die A-Strophe geht ohne Pause in die B-Strophe über, und der melodische Gestus bleibt auch der gleiche. Was sich ändert, das ist die Grundtonart und damit das Klangbild: Während die A-Strophe in h-Moll als Grundtonart steht, wobei dieses in der zweiten Hälfte phasenweise in die Dur-Parallele „D“ übergeht, ist die melodische Linie in der B-Strophe in H-Dur harmonisiert, mit Rückungen nach Cis-Dur, Gis-Dur E-Dur und eine kurzen Moll-Passage. Man könnte also die A- und die B-Strophe auch als eine liedmusikalische Einheit betrachten und von einem Strophenschema „A-A´“. sprechen, wobei die Variationen sich auf das Ende der Liedmusik beschränken und dort im wesentlichen nur den Klaviersatz in zwei Takten und die Schlusskadenz der melodischen Linie betreffen. Ein Sechsachteltakt liegt der Liedmusik zugrunde, und sie soll „ziemlich bewegt“ vorgetragen werden.

    Wie intensiv die Liedmusik von Cornelius sich dem lyrischen Wort verpflichtet fühlt, und wie groß die Nähe ist, die die melodische Linie zu ihr sucht – und auch findet -, das lässt dieses Lied, wie so viele andere hier bereits vorgestellte, wieder einmal auf beeindruckende Weise vernehmen. Es ist gewiss keine liedmusikalisch große Komposition, dazu ist der lyrische Text in seinem evokativen Potential auch viel zu flach und unbedeutend. Aber bemerkenswert ist: Die Melodik dieses Liedes reflektiert in ihrer Grundstruktur auf geradezu vollkommene Weise die ganz eigene sprachliche Gestalt des lyrischen Textes, dessen Verfasser unbekannt ist.

    Der poetische Gestus, wie er sich in der prosodischen Gestalt dieses Textes niederschlägt, ist der einer permanenten Wiederholung lyrisch-sprachlicher Figuren und semantischer Gehalte. Und dies in der Intention, durch die Beschwörung eines Ortes, des „Rheinesstrandes“ nämlich, die ersehnte Liebes-Erfüllung zu finden. Und so ist auch die Melodik des Liedes darauf angelegt. Die sich wiederholenden Versanfänge in den einzelnen Strophen reflektiert die melodische Linie mit dem durchgängig gleichen Einsatz der Melodiezeilen: Auf drei deklamatorische Schritte in Gestalt von Achteln, die zumeist als Sekundsprung oder -fall angelegt sind und vom Klavier am Ende des Vorspiels vorgegeben werden, folgt mit einem neuerlichen Sprung oder einem Fall über ein größeres Intervall eine Dehnung im Wert eines Viertels.

    Bei der melodischen Linie auf dem ersten Vers der Strophe begegnet man dieser Figur gleich zweimal. Bei allen Strophen ist sie strukturell gleich angelegt. Bemerkenswert aber, dass Cornelius auch hier Differenzierungen vornimmt, und dies in der Absicht, die jeweilige lyrische Aussage in die Liedmusik eingehen zu lassen. Bei den Worten „Liebendes Wort dich send ich fort!“ beschreibt die melodische Linie zunächst einen Sekundsprung und -fall, dem ein Quartsprung zu einer leichten Dehnung auf „Wort“ nachfolgt. Nach einer Achtelpause beschreibt die melodische Linie auf den Worten „dich send ich fort“ erneut die Grundfigur, nun aber in Gestalt eines doppelten Sekundfalls. Die Harmonik macht hier eine Rückung von h-Moll nach e-Moll, und das Klavier lässt im Anschluss an die Fallbewegung der melodischen Linie eine Folge von dreistimmigen Akkorden erklingen, bei denen der oberste Ton exakt die gleiche Bewegung vollzieht. So ist dies durchweg in diesem Lied: Das Klavier folgt der melodischen Linie in ihren Bewegungen einen halben Takt später mit zwei- oder dreistimmigen Akkorden.

    Bei der melodischen Linie auf dem ersten Vers der zweiten Strophe sind zwar die deklamatorischen Schritte strukturell die gleichen, sie erfolgen jedoch in anderer Gestalt. Hier wird nicht das „liebende Wort“, sondern der „liebende Mut“ angesprochen, und so beschreibt die melodische Linie nun zunächst einen Sekundfall mit nachfolgendem Sekundanstieg in tiefer Lage, dies aber nur deshalb, damit die nachfolgende Sprungbewegung eine umso größere Expressivität entfaltet. Nun ist es nämlich ein Quintsprung, und der ist überdies nicht in h-Moll harmonisiert, sondern in D-Dur, wobei sich hier sogar eine Rückung in den Dominantsept-Bereich ereignet. Das lyrische Ich fordert sich dazu auf, den Mut aufzubringen, „der Sehnsucht Glut“ in der Flut des Rheins zu kühlen. Das verträgt keine Moll-Harmonik, und es motiviert die melodische Linie zu gleich zwei Sprungbewegungen über große Intervalle, denn dem Quintsprung auf dem Wort „Mut“ folgt sogar noch ein veritabler Oktavsprung am Ende der melodischen Bewegung auf den Worten „der nimmer ruht“ nach, die anfänglich identisch ist mit der auf dem Wort „liebender“.

    Bemerkenswert – und ein Indiz für die Subtilität der Harmonik im ausgereiften Cornelius-Lied – ist aber, dass die Dominantsept-Harmonik, in der das Klavier den ersten Teil der melodischen Bewegungen dieser Zeile nachvollzieht, nicht dazu führt, dass dies im zweiten Teil nun in G-Dur erfolgt, wie man eigentlich erwarten würde, sondern der Klaviersatz (Einzeltöne im Diskant, dreistimmige Akkorde im Bass) steht nun in g-Moll. Und das ereignet sich im weiteren Verlauf der Liedmusik dieser zweiten Strophe noch einmal. Bei den Worten „kühl´ in der Flut am Rheinesstrande“ beschreibt die melodische Linie, wieder mit der Grundfigur „drei Achtel ein Viertel“ einsetzend, eine bogenförmige, bei dem Wort „Flut“ ihren Höhepunkt erreichende Bewegung, die nach einem Fall bei „Rheinesstrande“ wellenartig wieder aufsteigt, und danach, bei den Worten „kühl´ in der Flut der Sehnsucht Glut!“, aus tiefer Lage einen Sprung hin zum dem Wort „Flut“ beschreibt, um anschließend wieder zu einem Anstieg in tiefer Lage zurückzukehren. Und während alle Bewegungen der melodischen Linie zuvor in D-Dur und G-Dur harmonisiert sind, erfolgt der Nachvollzug des Sekundanstiegs auf den Worten „der Sehnsucht Glut“ in Gestalt von zweistimmigen Akkorden im Klaviersatz in h-Moll. Die Liedmusik weiß, wie diese Moll-Eintrübungen in der Dur-Harmonik der zweiten Gedicht-Strophe erkennen lassen, dass mit diesem ihrem hier als Thema fungierenden Wort „Mut“ ein Wunsch, eine Hoffnung angesprochen wird, der keine Erfüllung beschieden ist, - wie es ja die letzte Strophe explizit zum Ausdruck bringt.

    Wieder anders ist die Liedmusik auf dem Eingangsvers der dritten Strophe kompositorisch gestaltet. Man könnte sagen: Auf geradezu raffinierte Weise. Denn die melodische Linie ist absolut identisch mit der auf dem ersten Vers der ersten Strophe, mit dem feinen, aber liedmusikalisch höchst bedeutsamen Unterschied, dass die anfängliche Kombination aus Sekundsprung und –fall, die melodische Grundfigur dieses Liedes also, nun nicht von einem „Fis“ zu einem „G“ führt, sondern zu einem „Gis“, - will heißen: Mit einem Mal rückt die Harmonik mitten in der Liedmusik, ohne dass da eine Pause darauf vorbereitete, von h-Moll nach H-Dur. Und dieses Tongeschlecht bleibt nun – mit einer nur eintaktigen Ausnahme, nämlich bei der melodischen Fallbewegung auf den Worten „ihr Herzgewinn“ – prägend und bestimmend für die Harmonisierung der melodischen Linie bis zu ihrem Ende auf den Worten „Herzgewinn“, bzw. „Ziel, mein Sang“ in der letzten Gedichtstrophe.

    Die Worte „Liebender Sinn“ liefern das Motiv für die Rückung der Liedmusik in die Dur-Harmonik. Denn in ihnen, wie auch in jenen, mit denen die letzte Gedichtstrophe eingeleitet wird, „Liebender Drang“ also, findet das lyrische Ich zum Kern all dessen, was es hier zu sagen hat: Der Liebe, die der Quell all seiner Appelle und Wünsche ist. Und so behält die melodische Linie hier zwar ihren Gestus bei, in Gestalt der Einleitung aller Zeilen auf den drei Versen mit der Grundfigur, sie entfaltet sich aber sowohl in der Art und Weise, wie diese Figur hier angelegt ist, wie auch in den Bewegungen, die ihr nachfolgen, in größeren tonalen Räumen und Aufstiegs- und Fallfiguren, wie sie sich im ersten Teil dieser Strophe (der A-Strophe, wenn man denn diese hier als B-Strophe bezeichnen möchte, was eigentlich nicht sinnvoll ist) nicht finden. So steigt sie bei den Worten „zum Rheinesstrande“ nun nicht – wie im ersten Teil mit einem schlichten Sextsprung in hohe Lage auf, sondern nun in Gestalt einer Folge von Achteln und Sechzehnteln in Sekundschritten, und bei den Worten „fliege mit hin, ihr Herzgewinn“ steigt sie mit einer Folge von zwei Sekund- und einem Quartsprüngen in hohe Lage empor, um von dort aus in einen Fall über das Intervall einer Septe überzugehen.

    Er ist in cis-Moll harmonisiert, was wohl sagen will: Dieser Flug ist in seinem Ergebnis ungewiss. Und eben deshalb lässt Cornelius diese Worte noch einmal deklamieren. Nun aber in Gestalt einer ganz und gar in Dur-Harmonik („H“, „E“, „Gis“) erfolgenden Aufstiegsbewegung der melodischen Linie auf den Worten „ihr Herzgewinn“. In der letzten Strophe begleitet das Klavier die melodische Linie – genauer: vollzieht ihre Bewegungen nach – hier mit Oktaven, statt mit Einzeltönen, wie in der dritten Strophe.
    Damit wird dem Nachdruck verliehen, was die Liedmusik am Ende ihrer beiden Strophen sagen will: Das lyrische Ich hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sein „Sang“ sein „Ziel“ erreichen werde.

  • „Auf ein schlummerndes Kind“, op.5, Nr.2

    Wenn ich, o Kindlein, vor dir stehe,
    Wenn ich im Traum dich lächeln sehe,
    Wenn du erglühst so wunderbar,
    Da ahne ich mit süßem Grauen:
    Dürft' ich in deine Träume schauen,
    So wär' mir alles, alles klar.

    Dir ist die Erde noch verschlossen,
    Du hast noch keine Lust genossen,
    Noch ist kein Glück, was du empfingst.
    Wie könntest du so süß denn träumen,
    Wenn du nicht noch in jenen Räumen,
    Woher du kamest, dich ergingst ?

    (Friedrich Hebbel)

    Es ist doch etwas anderes, möchte man denken, wenn man die Komposition von Cornelius auf diese Verse Hebbels vernimmt, wenn nicht ein eigener Text, sondern große Lyrik der Liedmusik zugrunde liegt. Die Inspiration, die von ihr ausgeht und die Herausforderung an den liedkompositorischen Schöpfungsakt dürften in diesem Falle größer sein, als dies beim einem lyrischen Text der Fall ist, der ein eigenes, nicht einer gleichsam fremden Quelle entsprungenes, und damit eine fremde Welt- und Menschensicht beinhaltendes sprachliches Kunstwerk darstellt.

    Friedrich Hebbels Lyrik scheint in der Tat für Cornelius eine höchst bedeutsame Inspirationsquelle gewesen zu sein, - wie auch der Dichter selbst, in dessen Haus er in Wien verkehrte. Er schien damals begriffen zu haben, dass seine eigene Lyrik wohl nicht an das poetische Format heranzureichen vermochte, dem er in dessen Gedichten begegnete. Seine Bemerkung, dass seine lyrische Sprache an „Altersschwäche“ zu leiden scheine, deutet darauf hin. Hebbels Lyrik betreffend meinte er, „daß sie aus der Tiefe hervor einer Pointe die Blüte gibt“. Eine gewisse künstlerische Geistesverwandtschaft kann man, wie ich denke, zwischen beiden sehr wohl konstatieren: Der sprachlich herbe, jegliche blumige Metaphorik meidende Grundton der Hebbelschen Gedankenlyrik ist in Ansätzen auch in den lyrischen Texten von Cornelius zu finden.

    Er hat insgesamt fünf Gedichte von Hebbel in Gestalt von Liedern vertont, von denen zwei Inhalt des Opus 5 sind, nämlich „Auf ein schlummerndes Kind“ und „Auf eine Unbekannte“. Auf sie soll hier eingegangen werden. Bei den drei übrigen Liedern, nämlich „Dämmerempfindung“, „Abendgefühl“, und „Reminiszenz“, ist das aus dem hier immer wieder maßgeblichen Grund nicht möglich: Mir fehlen die Noten dazu. Diese Lieder entstanden im Mai und Juni 1861, sowie im Oktober 1862.
    Der Hebbel-Biograph Max Hasse meint mit Blick auf die kompositorische Auseinandersetzung von Cornelius mit der Lyrik Hebbels, dieser habe hier „die höchste Höhe seiner Liederlyrik“ erreicht. Und er fügt – bemerkenswerterweise – hinzu: „Es geht daraus hervor, daß das Dichtermusikertum immer als Ausnahmeerscheinung zu gelten haben wird; daß, mit anderen Worten, ein neuer Schubert immer wieder möglich erscheint.“ Ich verstehe diese Bemerkung als Bestätigung dessen, was ich zu dem Aspekt des inspiratorischen und evokativen Potentials von nicht-eigener Lyrik im Hinblick auf Liedkomposition anmerkte.

    In seiner etwas bedeutungsschweren Sprache der zwanziger Jahre kommentierte Hasse die Hebbel-Lieder von Cornelius mit den Worten: „Eins war der Wort-Ton-Lyrik des Cornelius so wie so versagt: das sich mit menschlich bedeutungsvollem Gehalte vertiefende Weltgefühl; eine größte Weite lyrischer Spannung, die über die Erde hinausreicht, ein Zug in das Schrankenlose, Unendliche, Kosmische“. Dieses „Weltgefühl“ habe sie nun, in der Begegnung mit Hebbels Lyrik, erreicht.
    Geht man mit nüchtern-liedanalytischem Blick an das Hebbel-Lied heran, das hier zur Besprechung ansteht, so kann man tatsächlich einen Gewinn an Tiefe in der liedmusikalischen Aussage auf der Grundlage einer kompositorisch intensiven und das semantische Potential in höchst differenzierter Weise auslotenden Auseinandersetzung mit dem lyrischen Text feststellen. Das „tiefe Weltgefühl“, das Hasse in der vorangehenden Liedmusik von Cornelius vermisste – wenn ich ihn denn, ohne diese Auffassung zu teilen, recht verstanden habe -, ist hier ein von der Lyrik Hebbels generiertes: Das Eintauchen in den Raum kindlicher Existenz, in der es noch „süße Träume“ geben kann, weil ihr die Erde „noch verschlossen“ ist.

    Bei Cornelius wird aus dem zweistrophigen Hebbel-Gedicht ein dreistrophiges Lied, dies dadurch, dass die erste Gedichtstrophe wiederholt wird, allerdings mit einem leicht modifizierten ersten Vers. Er lautet nun: „Drum wenn, o Kind, ich vor dir stehe“. Die melodische Linie bleibt unverändert, der Klaviersatz erfährt aber bei den Worten „Da ahne ich mit süßem Grauen“ eine Variation. Am stärksten wirkt sich, was die Aussage der Liedmusik anbelangt, die Tatsache aus, dass nun, vor allem im ersten Teil der Strophe, Moll-Harmonik dominiert. Von einer Zweiteiligkeit der Strophen kann insofern gesprochen werden, als jeweils mit dem dritten Vers der zugrundeliegende Takt von drei Halben zu vier Vierteln übergeht, überdies auch noch ein leichter Wandel in den Gestus der melodischen Linie und in ihre Harmonisierung tritt. Das hat freilich nicht zur Folge, dass ein deutlich vernehmlicher Bruch in das klangliche Bild der Liedmusik treten würde. Die Vortragsanweisung lautet: „Ruhig (ziemlich bewegte Achtel)“.

    Der Gedankenlyrik Hebbels liegt die meditative Versenkung in die Situation eines schlummernden Kindes zugrunde. Die Liedmusik reflektiert diese situative Gegebenheit mit einer Melodik, die sich, getragen und umspielt von einem akkordisch geprägten und überaus klangschönen Klaviersatz, in gebundenen Schritten und auf Kantabilität hin angelegter Struktur ruhig entfaltet. Das zweitaktige Vorspiel schlägt diesen Grundton der Liedmusik auf beeindruckende Weise an: In Es-Dur und der Dominante harmonisierte Terzen und sextenbetonte Achtel-Akkorde senken sich bogenförmig nach unten ab und erheben sich wieder, im Bass vollziehen Achtel eine gegenläufige Bewegung. Das ist auch der Gestus, mit dem das Klavier die melodische Linie im ersten Teil der A-Strophe die melodische Linie begleitet. Auch diese weist hier in der Art ihrer Entfaltung auf den ersten beiden Versen eine wellenartige, den Raum einer Sexte ausfüllende Struktur auf. Charakteristisch für sie ist, und das gilt für die Melodik des ganzen Liedes, dass die deklamatorischen Schritte in der Regel in Gestalt von Achteln erfolgen, am Ende der Zeilen aber in einen Doppelschritt in Gestalt von Vierteln münden, die Melodik hier also eine Art Dehnung aufweist. Man kann dies durchaus als liedmusikalischen Niederschlag der meditativen Situation verstehen, in der das lyrische Ich sich äußert.

    Im zweiten Teil der A-Strophe geht die melodische Linie zu einem neuen Gestus über. Hier zeigt sich wieder, wie stark bei Cornelius die Melodik darauf ausgerichtet ist, bei aller Kantabilität doch auch die lyrische Aussage sowohl in ihrer sprachlichen Struktur, wie auch ihrem semantischen Gehalt aufzugreifen und zu erfassen. Hier, in dieser zweiten Versgruppe, geht das lyrische Ich von der Betrachtung des schlafenden Kindes zum Ausdruck seiner eigenen Gedanken und Empfindungen über. Das hat zur Folge, dass die melodische Linie nun von ihren bogenförmigen Bewegungen abgeht und einen mehr konstatierenden Gestus in Gestalt von zunächst zwei kleinen Zeilen annimmt. Eingeleitet wird dies mit einem Anstieg aus tiefer Lage bei den Worten „Wie du erglühst so wunderbar“, wobei nicht nur die Struktur der melodischen Linie, sondern auch ihre Harmonisierung die Wirkung einer Eröffnung dessen entfalten, was nun melodisch nachfolgt. Denn die Harmonik vollzieht hier die bemerkenswerte Rückung von Es-Dur nach G-Dur, das nun die Funktion eines Vorhalts für die nachfolgende Melodiezeile übernimmt.

    Diese besteht aus nur vier syllabisch exakten Deklamationsschritten auf den Worten „Da ahne ich“, denen eine Achtelpause nachfolgt. Sie stellt eine vollkommene Umsetzung der Semantik in Melodik dar, denn nach einem in eine kleine Dehnung mündenden Terzsprung geht sie in ein Verharren auf der tonalen Ebene eines „C“ in oberer Mittellage über, - darin den Gestus des „Ahnens“ ausdrückend. Und harmonisiert ist das in As-Dur, was dieser kleinen Zeile starkes Gewicht verleiht. Bei den nachfolgenden Worten „mit süßem Grauen“ vernimmt man wieder diese starke Spiegelung der lyrischen Aussage in der melodischen Linie und ihrer Harmonisierung: Bei „süßem“ beschreibt sie einen expressiven Sextfall, erhebt sich danach mit einem Terzsprung wieder und geht in einen Sekundfall über, und dies, darin die Semantik von „Grauen“ reflektierend, in c-Moll-Harmonisierung. Bei den Worten „in deine Träume schauen“ des nachfolgenden Verses beschreibt sie hingegen einen Septsprung, der nach einem Sekundfall bei dem Wort „schauen“ in eine lange Dehnung in hoher Lage anschließendem doppeltem Terzfall übergeht. Das Klavier begleitet hier mit arpeggierten Akkorden im Diskant und die Harmonik vollzieht eine Rückung von Es-Dur nach As-Dur.
    Alle diese Strukturmerkmale in Melodik, Klaviersatz und Harmonik sind Niederschlag der kompositorischen Intention, dem zentralen Gedanken des „In-die-Träume-Schauens“ das ihm angemessene liedmusikalische Gewicht zu verleihen.

    In der zweiten Gedichtstrophe geht das lyrische Ich ganz und gar in den sprachlichen Gestus der Ansprache über, und dies schlägt sich auch in der Struktur der melodischen Linie nieder. Bemerkenswert ist aber, dass Cornelius auch hier eine Differenzierung vornimmt. Die Liedmusik auf den ersten drei Versen der B-Strophe weist in allen ihren Bereichen – Melodik, Klaviersatz und Harmonik – einen anderen Charakter auf als die auf den Versen vier bis sechs. Ganz offensichtlich schlägt sich darin der lyrisch-sprachliche Sachverhalt nieder, dass diese letzte Versgruppe einen Komplex von Fragen beinhaltet, die das lyrische Ich monologisch-fiktional an das Kind richtet, Fragen, die einen hohen Gehalt an eigener Emotionalität und Gedanklichkeit aufweisen.

    Bei der ersten Dreier-Versgruppe ist die melodische Linie – darin eben diesen Ansprache-Gestus reflektierend – zunächst stark von ruhigen, in tiefer Lage und dort in Gestalt von Tonrepetitionen erfolgenden deklamatorischen Schritten geprägt. Sie geht danach aber zu stärkerer Expressivität über, und darin deutet sich schon die wachsende personale Betroffenheit des lyrischen Ichs von dem an, was es an Fragen artikuliert. Die Melodiezeilen auf den Versen „Du hast noch keine Lust genossen“ und „Noch ist kein Glück, was du empfingst“ sind beide Male als fallende Linien angelegt, mit dem Unterschied freilich, dass die zweite in der tonalen Ebene um eine Quarte höher ansetzt. Die Nachdrücklichkeit, die Cornelius hier in die Aussage der Liedmusik legt, zeigt sich auch darin, dass sich permanent Rückungen in der Harmonik und im Tongeschlecht ereignen: Von c-Moll nach A-Dur bei der ersten Melodiezeile, von g-Moll nach F-Dur bei der zweiten, und von a-Moll nach E-Dur bei der dritten. Auch das Klavier leistet zu diesem Anstieg der Expressivität, der sich auch in einem ins Forte führenden Crescendo niederschlägt, einen Beitrag: Durch im Diskant bogenförmig ansteigende und wieder fallende Akkord-Bewegungen, die im Bass von Achteln begleitet werden.

    Im zweiten Teil der B-Strophe nimmt die Liedmusik einen Ton an, der auf faszinierende Weise zwischen Lieblichkeit, Innigkeit und Nachdrücklichkeit changiert, wobei die Anmutung von klanglicher Lieblichkeit nicht nur durch die harmonische Rückung nach E-Dur und die Subdominante A-Dur bedingt ist, sondern auch ganz wesentlich durch den Klaviersatz. Denn das Klavier geht nun dazu über, die melodische Linie immer wieder mit bogenförmig in hohe Lage ausgreifenden Achteln zu umspielen, die sich von den sie tragenden terzen- und sextenbetonten Akkorden lösen und wieder zu ihnen zurückkehren. Die melodische Linie behält zwar den sich in Tonrepetitionen niederschlagenden Gestus der Anrede bei, sie entfaltet sich nun aber, darin den höheren Grad an emotionaler Anteilnahme reflektierend, in tonal größeren Räumen, dies in Gestalt eines aus einem Fall hervorgehenden Aufstiegs bei den Worten „Wie könntest du so süß denn träumen“, und mit einem Sextsprung und nachfolgendem Fall aus hoher Lage auf den Worten „in jenen Räumen“, der diesen einen starken musikalischen Nachdruck verleiht, weil hier auch die Harmonik nach von A-Dur nach cis-Moll rückt.

    Beim Schlussvers dieser Strophe, den Worten „Woher du kamest, dich ergingst“ also, beschreibt die melodische Linie am Ende noch einmal eine Fallbewegung. Aber nun, als wolle sie ausklingen, aus einer Dehnung in mittlerer Lage auf der zweiten Silbe von „woher“ mit einem Terzsprung hervorgehend und in Gestalt von ruhigen Schritten über eine Sekunde und eine Quarte erfolgend, wobei das Klavier sie mit einer Folge von dreistimmigen Akkorden im Wechsel mit Einzeltönen im Diskant begleitet und die Harmonik eine Rückung von Gis-Dur nach h-Moll beschreibt. Mit einem in eine Dehnung mündenden melodischen Sekundsprung auf dem Wort „ergingst“, bei dem die Harmonik wieder zu Gis-Dur zurückkehrt, klingt die Liedmusik der B-Strophe aus.

    Aber dieses Gis-Dur wandelt sich im Nachspiel zu Ges-Dur, und dieses rückt nach B-Dur. Denn das eintaktige Nachspiel ist ja – mit der klanglichen Lieblichkeit, in dem es sich akkordisch entfaltet – nur ein Zwischenspiel. Die Liedmusik der ersten Strophe kehrt wieder, und sie verleiht, nun in ihrem ersten Teil bei identischer Melodik und nicht verändertem Klaviersatz, durch ihre Harmonisierung in es-Moll mit Modulationen nach B-Dur und As-Dur, der musikalischen Aussage der B-Strophe einen bemerkenswerten Akzent. Es ist der einer von Wehmut geprägten Einkehr des lyrischen Ichs in all seine Gedanken, Emotionen und Fragen, die es gerade geäußert hat und nun teilweise wiederholt. Sie muten nun aber an, als schwinge in ihnen das tiefe Bedauern darüber mit, dass diese „Räume“, in denen das „schlummernde Kind“ verweilt, dem erwachsenen Menschen ein für allemal verschlossen bleiben müssen.
    Es ist wirklich eine große Liedkomposition, die Cornelius, inspiriert von Hebbels Versen, hier geschaffen hat.

  • Als ich vor kurzem die Vorstellung und Besprechung dieses zweiten Liedes des Opus 5 mit dem Titel „Auf ein schlummerndes Kind“ vornehmen wollte und nach einer Aufnahme davon bei YouTube suchte, fand ich keine. Und nicht nur das: Ich musste feststellen, dass es auch von den weiteren Liedern des insgesamt fünf Kompositionen umfassenden Opus 5 keine Aufnahmen gibt, die ich per Link meiner Besprechung beigeben könnte.
    Das ließ mich erst einmal innehalten. Ich musste mich fragen, ob es einen Sinn hat, diesen Thread fortzusetzen, wenn es keine Möglichkeit gibt, das, was gerade in deskriptiver und analytischer Betrachtung zu einem Lied ausgeführt wurde, im Anschluss daran über einen Link zu einer Aufnahme davon für die Leser erfahrbar werden zu lassen und es damit gleichsam zu konkretisieren. Und wenn ihnen auch die bei Naxos erschienenen Aufnahmen davon nicht vorliegen, dann müssen die Liedbesprechungen abstrakt und damit von geringem Wert bleiben.
    Es bliebe mir nur, mich auf die Lieder zu beschränken, von denen Aufnahmen bei YouTube zur Verfügung stehen, und das wären, neben den „Brautliedern“ nur noch die „Weihnachtslieder“. Von letzteren gibt´s anlässlich ihrer Beliebtheit Aufnahmen die Menge, aber eine Beschränkung auf sie vermittelte ein ganz und gar unzureichendes und unangemessenes Bild des Liedkomponisten Peter Cornelius.


    Nun lese ich bei Hermann Kretzschmar am Anfang seiner kleinen Cornelius-Biographie:
    „Mit seiner stillsinnigen, hingebenden und in sich fertigen Natur gehört er unter die erfreulichsten Erscheinungen der Künstlergeschichte, unter die originellen und lehrreichen, sofern man die Form seiner Werke in Betracht zieht. Aus manchen Gründen (…) ist er dem Publikum nicht so bekannt geworden, wie er es verdiente.“
    Und er schließt mit der Klage:
    „Es liegt etwas Trauriges in der Thatsache, daß alle diese reichen Arbeiten eines so gehaltvollen und originellen Künstlers wie Cornelius so wenig bekannt sind.“


    Das schrieb er 1880. Geändert hat sich daran bis heute im wesentlichen nichts. Und das könnte doch, so denke ich gerade, Ansporn sein, die Betätigung in diesem Thread fortzusetzen, - praktischen Problemen wie dem Mangel an verlinkbaren Aufnahmen zum Trotz.
    Es mag ein in seiner Kühnheit verwegener Gedanke sein, aber vielleicht kann man ja auf diese Weise ein ganz klein wenig dazu beitragen, dass das liedkompositorische Werk von Peter Cornelius einen höheren Bekanntheitsgrad erreicht.

  • Als ich vor kurzem die Vorstellung und Besprechung dieses zweiten Liedes des Opus 5 mit dem Titel „Auf ein schlummerndes Kind“ vornehmen wollte und nach einer Aufnahme davon bei YouTube suchte, fand ich keine. Und nicht nur das: Ich musste feststellen, dass es auch von den weiteren Liedern des insgesamt fünf Kompositionen umfassenden Opus 5 keine Aufnahmen gibt, die ich per Link meiner Besprechung beigeben könnte.
    Das ließ mich erst einmal innehalten. Ich musste mich fragen, ob es einen Sinn hat, diesen Thread fortzusetzen, wenn es keine Möglichkeit gibt, das, was gerade in deskriptiver und analytischer Betrachtung zu einem Lied ausgeführt wurde, im Anschluss daran über einen Link zu einer Aufnahme davon für die Leser erfahrbar werden zu lassen und es damit gleichsam zu konkretisieren. Und wenn ihnen auch die bei Naxos erschienenen Aufnahmen davon nicht vorliegen, dann müssen die Liedbesprechungen abstrakt und damit von geringem Wert bleiben.

    Lieber Helmut, wir haben uns wohl zu schnell daran gewöhnt, dass bei YouTube vieles kostenlos dargeboten wird. Geht die Suche ins Leere, wundern oder ärgern wir uns, nicht fündig geworden zu sein. Die Lieder aus der so genannten Raucheisen-Edition, für die einst ein angemessener Preis fällig war, werden heute ratzfatz mit dem Argument online gestellt, dass ja die Aufnahmen selbst frei seien. Das ist richtig, und ich will das nicht kritisieren, weil ich für ein freies Netz bin. Wer sich aber die Mühe unterzogen hat, diese Edition mit einigem Aufwand digitalisiert auf dem Markt zu bringen, geht inzwischen leer aus. Es steht leider zu erwarten, dass dieser Produzent seine Aktivitäten einstellt. Auch das ist nachvollziehbar. Die Netzfreiheit wirkt hier kontraproduktiv und letztlich verknappend. Sie richtet sich gegen sich selbst. Wir hatten dieses Thema schon mal an anderer Stelle. Ich finde es interessant und sehr zeitgemäß.

    „Es liegt etwas Trauriges in der Thatsache, daß alle diese reichen Arbeiten eines so gehaltvollen und originellen Künstlers wie Cornelius so wenig bekannt sind.“


    Das schrieb er 1880. Geändert hat sich daran bis heute im wesentlichen nichts. Und das könnte doch, so denke ich gerade, Ansporn sein, die Betätigung in diesem Thread fortzusetzen, - praktischen Problemen wie dem Mangel an verlinkbaren Aufnahmen zum Trotz.

    Wer sich wirklich für die Lieder von Cornelius interessiert, wird die Ausgabe von nicht viel mehr als zehn Euro für die Gesamteinspielung bei Naxos (jpc) nicht scheuen. Hier nur mal Vol. 1 für 2,99!



    Als ich sie mir anschaffte, waren sie deutlich teurer. Alternativen sind beispielsweise Spotify (mit Werbung kostenlos, ohne Werbung 9.99 Euro monatlich für hunderttausende Titel und Neuerscheinungen aus allen musialischen Genres oder der Streaming-Dienst bei Amazon, wo der Cornelius auch im Angebot ist. Selbst bediene ich mich dort oft und gern. Schließlich muss ich nicht jede CD mehr physisch haben. Wenn es aber darauf ankommt und Titel sehr selten sind, greife ich gelegentlich auch noch zu CDs. Du siehst, Anlass für Resignation ist nicht gegeben. Jeder kann jedes Lied, dass Du analysierst, irgendwo hören. Man muss nur wollen. Ist das nicht auch eine Ermutigung für Dich, weiterzumachen?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

    3 Mal editiert, zuletzt von Rheingold1876 ()

  • Das ist hilfreich für mich, was Du da zu bedenken gibst, lieber Rüdiger. Hab Dank dafür!


    Die Erkenntnis, dass für fast den ganzen Rest meiner zur Besprechung vorgesehenen (und schon fertig vorliegenden) Cornelius-Lieder kein YouTube-Link zur Verfügung steht, war ein Schock für mich. Dies auch deshalb, weil mir in diesem Zusammenhang die ganze Problematik meiner liedanalytischen Betrachtungen bewusst wurde. Die sind ja - was ich inzwischen gar nicht mehr so gut finde - so umfangreich und so sehr ins Detail der Komposition gehend, dass sie nur einen Sinn haben, wenn dem Leser eine Aufnahme von dem jeweiligen Lied zur Verfügung steht und er hörend nachvollziehen kann, was er an Aussagen zu seiner Faktur vorfindet.

    Ich denke gerade darüber nach, wie ich die Liedbesprechungen anders gestalten und anlegen könnte. Kürzer, weniger Analyse, stattdessen allgemein gehaltene Beschreibung des Charakters der Liedmusik.

    Oder vielleicht zweiteilig: Erst dieses, und dann, als Beitrag deutlich davon abgesetzt, eine ins Detail der Faktur gehende analytische Betrachtung für diejenigen, die sich mit dem Lied gründlicher beschäftigen und etwas über sein liedkompositorisches Wesen erfahren wollen.

    Mal sehen, ob und wie ich das hinkriege.

  • „Auf eine Unbekannte“, op.5, Nr.3

    Die Dämmerung war längst hereingebrochen,
    Ich hatt´ dich nie gesehn, du tratst heran,
    Da hat dein Mund manch mildes Wort gesprochen
    In heil'gem Ernst, der dir mein Herz gewann.
    Still, wie du nahtest, hast du dich erhoben
    Und sanft uns allen gute Nacht gesagt,
    Dein Bild war tief von Finsternis umwoben,
    Nach deinem Namen hab´ ich nicht gefragt.

    Nun wird mein Auge nimmer dich erkennen,
    Wenn du auch einst vorübergehst an mir,
    Und hör' ich dich von fremder Lippe nennen,
    So sagt dein Name selbst mir nichts von dir.
    Und dennoch wirst du ewig in mir leben,
    Gleich wie ein Ton lebt in der stillen Luft,
    Und kann ich Form nicht und Gestalt dir geben,
    So reißt auch keine Form dich in die Gruft.

    Das Leben hat geheimnisvolle Stunden,
    Da tut selbstherrschend die Natur sich kund;
    Da bluten wir und fühlen keine Wunden,
    Da freu'n wir uns und freu'n uns ohne Grund.
    Vielleicht wird dann zu flüchtigstem Vereine
    Verwandtes dem Verwandten nah gerückt,
    Vielleicht, ich schaudre, jauchze oder weine,
    Ist's dein Empfinden, welches mich durchzückt.

    (Friedrich Hebbel)

    Das ist Gedankenlyrik, die von ihrer lyrisch-sprachliche Gestalt und ihrem Gehalt her eigentlich nicht so recht zur Vertonung einlädt. Im Wechsel von klingender und stumpfer Kadenz folgen die Verse mit ihren fünffüßigen Jamben aufeinander, wobei in den drei Strophen narrative Sprachlichkeit, ichbezogene Reflexion und allgemeine, in philosophische Dimensionen sich ausweitende Betrachtungen aufeinander folgen.
    Was mag den eigentlich in seiner Liedsprache primär auf musikalische Lyrik ausgerichteten Peter Cornelius dazu bewogen haben, sich kompositorisch auf dieses Hebbel-Gedicht einzulassen? Seine sprachliche Gestalt und die prosodischen Gegebenheiten können es nicht gewesen sein, die sperren sich regelrecht gegen eine Vertonung. Es hat einen Grund, dass kein anderer Komponist sich an sie herangewagt hat. Die einzige Vertonung, die es gibt, ist die von Cornelius.

    Vielleicht gibt das Lied ja die Antwort auf diese Frage. Unter formalem Aspekt betrachtet ist es durchkomponiert und weist einen Viervierteltakt auf. Als Vorzeichen sind zwar drei Kreuze vorgegeben, und in fis-Moll setzt sie auch tatsächlich ein. Im weiteren Verlauf moduliert die Harmonik jedoch ungewöhnlich stark und greift dabei weit im Quintenzirkel aus, einschließlich der B-Tonarten. Auch Dynamik und Tempo sind wechselhaft: Zwar gilt die Vortragsanweisung „Langsam“, mit dem Zusatz für den Pianisten „dem Sänger folgend“, für den Charakter des ganzen Liedes, im Mittelteil finden sich jedoch die Anweisungen „etwas bewegter“, „noch belebter“ und „bewegt“. Ähnliches gilt auch für die Dynamik: Im Grunde ist es ein leises Lied, größtenteils sich im Bereich des Pianos entfaltend, aber dort, wo die Liedmusik größere Expressivität entfaltet, finden sich Passagen, die im Mezzoforte vorgetragen werden müssen. Aber sie setzt im Piano ein und versinkt am Ende im Pianissimo.

    Es ist nicht eine sich einschmeicheln wollende, auf klangliche Lieblichkeit und Kantabilität angelegte Melodik, mit der das Lied zu beeindrucken vermöchte. Davon ist es weit entfernt. Die lyrische Sprache lässt es gar nicht zu. Sie generiert eine Melodik, die in ihrer deklamatorischen Struktur stark rezitativisch geprägt ist, dem lyrischen Wort in seinem spezifischen Gestus geradezu strikt folgt und sich aus dieser Gebundenheit daran nicht zu kantabler Linie und weit gespannter Phrasierung aufzuschwingen vermag. Aber gerade darin vermag die Komposition zu beeindrucken: In dem, was sie aus diesem wesenhaft sperrigen lyrischen Text liedmusikalisch zu machen vermag.


    (Nachfolgend wird unter dem Titel "Zu Gestalt und Aussage der Liedmusik" aus analytischer Perspektive näher auf die spezifische Faktur der Komposition eingegangen. Das ist für diejenigen gedacht, die sich nicht nur in allgemeiner Weise über das Lied informieren, sondern sich rezeptiv und reflexiv näher auf seine Musik einlassen wollen. In Zukunft werde ich alle meine Liedbesprechungen in dieser Zweigliedrigkeit anlegen.)

  • Zu Gestalt und Aussage der Liedmusik

    Zwar ist die erste Liedstrophe, sie entspricht wie die beiden nachfolgenden der Gedichtstrophe, melodisch ganz und gar im rezitativischen Gestus befangen, den aber führt sie in einer Konsequenz aus, die den lyrischen Text in seinem narrativen Gestus voll und ganz in Liedmusik umzusetzen und auf diesen Weise in seinem semantischen Gehalt auszuloten vermag. Und in der zweiten und der dritten Liedstrophe ereignet sich nun das, was den spezifischen Charakter dieses Liedes ausmacht und sein liedkompositorisches Format bedingt: Die Binnenspannung zwischen Kantabilität und rezitativisch-deklamatorischem Gestus in der Melodik. Sie ist musikalischer Niederschlag einer liedkompositorischen Verpflichtung der lyrischen Text gegenüber, wie sie für Cornelius charakteristisch ist. Und er hat sie in diesem Fall auf höchst beeindruckende Weise eingelöst.

    Dies nachzuweisen, soll Inhalt der nachfolgenden, und sich eben darauf beschränkenden analytischen Betrachtung des Liedes sein. Das achttaktige Vorspiel, in dem die Singstimme am Ende auftaktig einsetzt, präsentiert sich in seiner höchst gewichtigen Klanglichkeit als gleichsam programmatische Ouvertüre zur nachfolgenden Liedmusik. Es entfaltet sich ausschließlich im Klavierbass, und dies in Gestalt von vier- bis sechsstimmigen Akkorden im Wert von halben und zum Teil punktierten Noten, die eine die Chromatik klanglich geradezu auskostende Folge durch die Tonarten fis-Moll, cis-Moll, Es-Dur, h-Moll, A-Dur und Cis-Dur durchlaufen. Dieses Vorspiel will sagen: Es ist eine existenziell höchst relevante, tief bewegende und ambivalente Erfahrung, die Gegenstand der nachfolgenden Liedmusik ist.

    Und so erfährt man sie auch. In der ersten Strophe entfaltet sich die melodische Linie in ruhigen, syllabisch exakten und darin rezitativisch anmutenden deklamatorischen Schritten, wobei sie das Klavier mit lang – teilweise den ganzen Takt über - gehaltenen Oktaven und dreistimmigen Akkorden begleitet, die nur bei den Worten „der dir mein Herz gewann“ in eine Legato-Folge von Viertel-Akkorden übergehen. Hier, an dieser Stelle, geht die melodische Linie auch, abweichend von ihrem Gestus in dieser Strophe, zu Sprung- und Fallbewegungen über größere Intervalle (Quinte und Septe) über, und die Harmonik vollzieht eine Rückung von fis-Moll nach Cis Dur. Es ist schließlich eine bedeutsame Aussage, die das lyrische Ich trifft: Die Begegnung mit der Unbekannten ist eine, die das Herz berührt. Ansonsten erfolgen die deklamatorischen Schritte in dieser Strophe in kleineren Intervallen, zumeist sogar nur Sekunden, allerdings durchlaufen die häufig bogenförmigen Linien, die sie dabei beschreiben, größere tonale Räume. Lyrisch wichtige, das Wesen der Frau betreffende Worte werden durch eine kleine Dehnung mit einem Akzent versehen: Die ist bei „still“, sanft“ und „Bild“ der Fall.

    Schon die Liedmusik der ersten Strophe lässt die tiefe Betroffenheit des lyrischen Ichs durch die Begegnung mit dieser Geheimnisvoll-Unbekannten vernehmen, - und dies gerade, weil die melodische Linie im Gestus deklamatorisch-rezitativischer Zurückhaltung verbleibt. Schließlich reflektiert sie darin die narrative Struktur des lyrischen Textes, der die für das lyrische Ich so bedeutsame Begebenheit aus der Distanz des temporalen Imperfekts gleichsam berichtend wiedergibt. Umso stärkere Wirkung entfalten darin dann jene Passagen, in denen die melodische Linie von ihrem ruhigen Dahinschreiten ab und zu Sprungbewegungen, Dehnungen und kleinen Aufgipfelungen übergeht. Bei den Worten „und sanft uns allen gute Nacht gesagt“ geht sie zum Beispiel mit einem Sekundsprung in eine Dehnung bei dem Wort „sanft“ über und setzt anschließend ihre Bewegung in Gestalt eines bogenartigen Falls in tiefe Lage mit nachfolgendem Wiederanstieg fort. Bei dieser Dehnung ereignet sich aber eine durchaus expressive Rückung von dem vorangehenden Gis-Dur über B-Dur (bzw. His-Dur), G-Dur nach c-Moll. Und die nachfolgende melodische Bewegung auf den Worten „Dein Bild war tief von Finsternis umwoben“ stellt in ihrer Grundstruktur eine Wiederholung dieser wellenartigen Bewegung dar, nur dass sie nun auf höherer tonaler Ebene erfolgt, eine aus einem Terzsprung hervorgehende Dehnung auf „Bild“ aufweist und in einer harmonischen Rückung von es-Moll über As-Dur nach B-Dur erfolgt.

    Mit der zweiten Strophe geht die Liedmusik zu lebhafterer Bewegung über (Anweisung: „etwas bewegter“), und die melodische Linie entfaltet sich in stärker gebundenen deklamatorischen Schritten und weiterer Phrasierung. Auch das Klavier lässt nun in der Begleitung der Singstimme von seinen lang gehaltenen Akkorden ab und folgt deren Bewegung mit Akkorden und Einzeltönen, entfaltet dabei aber in Gestalt von darin einfließenden Figuren und kurzen Zwischenspielen in den Pausen der melodischen Linie eigene kommentierende Aussagen. Auch hier reflektiert die melodische Linie die Aussage des lyrischen Textes im Sinne einer Akzentuierung derjenigen Worte und Wortgruppen, denen im Hinblick auf die Gedanken und Empfindungen des lyrischen Ichs besondere Relevanz zukommt. Diese Akzentuierungen erfolgen zumeist über Dehnungen, Sprungbewegungen, Aufgipfelungen und gedehnte Endungen. Und dort, wo Cornelius die im Zentrum des Hebbel-Gedichts stehende Erfahrung der Begegnung mit der „Unbekannten“ auf ihren Kern gebracht sieht, greift er sogar, was bei ihm nicht häufig vorkommt – zum kompositorischen Mittel der Wiederholung. Und dies unter Nutzung des Prinzips der Variation, - so hier bei den Worten „So sagt dein Name selbst mir nichts von dir“.

    Es ist nicht möglich – und auch nicht sinnvoll – nun alle Passagen der Liedmusik hier aufzulisten, in denen sich dieses Aufgreifen der lyrischen Aussage im Sinne einer interpretierenden Akzentuierung ereignet. Nur auf besonders markante – und die Wortbezogenheit der cornelianischen Liedmusik dokumentierende – Passagen sei hingewiesen. Bei den Worten „Nun wird mein Auge nimmer dich erkennen“ beschreibt die melodische Linie auf dem Wort „Auge“ einen leicht gedehnten Sekundfall in tiefer Lage und geht danach, nach einer Achtelpause, zu einem höchst expressiven Sextsprung bei dem Wort „nimmer“ über, das auf diese Weise einen starken Akzent erhält. Und bei dem Wort „erkennen“ geschieht das gleich noch einmal: Nun in Gestalt eines in tiefe Lage führenden Sextfalls. Hier beschreibt die Harmonik, um die Aussage der melodischen Linie ihrerseits zu akzentuieren, eine Rückung von e-Moll nach A-Dur.

    Die Variation der melodischen Linie mitsamt ihrer Harmonisierung bei der Wiederholung des vierten Verses ist ebenfalls überaus aufschlussreich, die spezifische Eigenart der Liedmusik von Cornelius betreffend. Diese zeichnet sich nämlich durch hochgradige Subtilität und Differenziertheit im Sinne einer Vermeidung unangemessener Expressivität aus.
    Bei den Worten „So sagt dein Name selbst mir nichts von dir“ beschreibt die melodische Linie zunächst einen aus einer Tonrepetition in unterer Mittellage hervorgehenden Quintsprung, dem eine zweimalige, in der Wiederholung um eine Sekunde angehobene und nun gedehnte Fallbewegung nachfolgt. Die Harmonik rückt dabei von h-Moll nach Fis-Dur. Bei der Wiederholung ereignet sich die Tonrepetition aber in oberer Mittellage, die nachfolgende Fallbewegung erfolgt nicht aus einer Sprungbewegung heraus, sondern aus dieser Lage abwärts. Der Sprung ereignet sich nun vor dem Wort „nichts“ und verleiht ihm auf diese Weise einen starken Akzent. Und das gilt auch für die Worte „von dir“. Denn auf diesen liegt nun ein verminderter Sekundfall mit nachfolgender Dehnung in mittlerer Lage, verbunden mit einer harmonischen Rückung von e-Moll nach D-Dur. Die Erfahrung der Fremdheit in der Begegnung mit einem anderen Menschen, die so weit gehen kann, dass selbst der Name nichts zu sagen weiß, findet durch diese subtile Variation der melodischen Linie den ihr angemessenen musikalischen Ausdruck.

    Aber diese personale Fremdheit ist bei Hebbel ja eine, die in der Begegnung mit der „unbekannten“ Frau zur Erfahrung von menschlicher, das Herz berührender Nähe wird, und zu philosophischen Betrachtungen über die „geheimnisvollen Stunden“ des menschlichen Lebens Anlass gibt. Denen kann keine Liedmusik gewachsen sein. Und doch gelingt es der von Cornelius, die in die Nähe der Abstraktheit geratende Gedankenlastigkeit der lyrischen Sprache Hebbels in eine liedhafte Klanglichkeit umzusetzen, die deren semantischen Gehalt sinnlich vernehmbar werden lässt. Zunächst kehrt die Liedmusik zu ihren Anfängen zurück. Das geschieht schon mit der Akkordfolge, mit der das Klavier zu dieser Strophe überleitet: Es ist gleichsam eine Kurzfassung des Vorspiels. Auf den Worten „Das Leben hat geheimnisvolle Stunden“ liegt die gleiche melodische Linie wie auf dem ersten Vers der ersten Strophe. Die Harmonik ist wieder zu fis-Moll zurückgekehrt und auch das Klavier begleitet nun wieder mit gehaltenen Akkorden, - allerdings nur im Bass. Am Ende der ersten Melodiezeile lässt es eine fallend angelegte Folge von dreistimmigen Akkorden erklingen, die deutlich machen, dass es nun in stärkerer Weise klanglich kommentierend auftreten wird.

    Und das geschieht auch. Den Worten „Da bluten wir und fühlen keine Wunden“ verleiht Cornelius dadurch das der lyrischen Aussage angemessene liedmusikalische Gewicht, dass er ihnen zwei kleine Melodiezeilen zuordnet, die von einer Dreiachtelpause getrennt werden, die das Klavier mit den repetierenden Achtel-Terzen in Bass und Diskant, mit denen es schon zu Beginn der ersten Melodiezeile einsetzte, ausfüllt. Auch die zweite Zeile akzentuiert es mit ihnen. Die melodische Linie bewegt sich bei der erste Zeile bogenförmig in hoher Lage, bei der zweiten beschreibt sie bei dem Wort „Wunden“ aus mittlerer Lage einen Quintsprung mit nachfolgendem Quartfall, und sie ist durchweg in Moll harmonisiert (gis-Moll, fis-Moll). Bei dem Vers „Da freu'n wir uns und freu'n uns ohne Grund“ verfährt Cornelius melodisch in fast gleicher Weise: Wieder zwei kleine Zeilen, wieder die erste in hoher Lage, die zweite in mittlerer Lage angelegt und mit einem Quintsprung am Ende (bei „Grund“). Die Harmonik moduliert allerdings nun zwischen Cis-Dur und fis-Moll, und das Klavier begleitet mit sforzato ausgeführten Achtel-Akkordfolgen, in den sich partiell Repetitionen ereignen. Bei aller Untergliederung der melodischen Linie in kleine Zeilen behält die Liedmusik doch ihre innere Gebundenheit bei, was wesentlich auf die klangliche Dominanz des Klaviersatzes zurückzuführen ist.

    Bei den Versen „Vielleicht wird dann zu flüchtigstem Vereine / Verwandtes dem Verwandten nah gerückt“ geht die melodische Linie zu lebhafteren Bewegungen über und steigert sich in ihrer Expressivität dadurch, dass sie aus mehrfachen Tonrepetitionen auf der Ebene eines „Gis“ in mittlerer Lage in einen wiederum sich in Repetitionen ereignenden Anstieg um eine große und eine kleine Sekunde übergeht, der mit einer Rückung von fis-Moll nach gis-Moll verbunden ist. Das wirkt wie die Hinführung zur Liedmusik auf den letzten beiden Versen, die in ihrer Aussage Cornelius so bedeutsam gewesen sein mussten, dass er wieder zum Mittel der Wiederholung griff, und dies in der Absicht, nicht nur eine vordergründige Steigerung der liedmusikalischen Expressivität herbeizuführen, sondern die lyrische Aussage in ihrer emotionalen Tiefe auszuloten.

    Der in hoher Lage ansetzenden Fallbewegung der melodischen Linie auf den Worten „jauchze oder weine“, geht zunächst ein durch eine Achtelpause abgesetzter Sextsprung von dem Wort „schaudre“ voraus, und bei dem Wort „weine“ ereignet sich ein solcher Sprung, nun über eine Quinte, gleich noch einmal. Die Harmonik rückt dabei von Gis-Moll nach cis-Moll. Bei der Wiederholung beschreibt die melodische Linie bei „schaudre“ nun statt eines kleinen Sekundfalls einen Quintfall in tiefe Lage, und dies in dis-Moll-Harmonisierung. Und der nachfolgende Sprung zu dem Wort „jauchze“ hin erfolgt jetzt über eine None, dies nun in gis-Moll-Harmonik. Das Klavier begleitet alle Bewegungen mit akkordischen Achtelfiguren im Diskant und gegenläufigen Achteln im Bass.

    Es wird vernehmlich, wie tief das lyrische Ich von dem Gedanken innerlich berührt, ja aufgewühlt wird, dass es die imaginative Gegenwart dieser unbekannten Frau sein könnte, die das Ineinander von Jauchzen und Weinen ausgelöst haben könnte. Und Cornelius wird dem „Vielleicht“, mit dem Hebbel diese beiden letzten Verse einleitet, auf beeindruckende Weise dadurch gerecht – und interpretiert sie darin auch -, dass er bei der Wiederholung der letzten Worte die melodische Linie nach einer langen Dehnung in mittlerer Lage auf dem Wort „Empfinden“ über Tonrepetitionen und nachfolgende Sekundfall-Bewegungen langsam in tiefe Lage absinken, dann aber, auf der zweiten Hälfte des Worten „durchzückt“ einen überraschenden Quartsprung mit nachfolgender Dehnung beschreiben lässt, - überraschend deshalb, weil die Harmonik hier eine Rückung von dis-Moll nach His-Dur beschreibt, das im fünftaktigen Nachspiel aus fünfstimmigen Akkorden im Wert von halben Noten über eine kurze Rückung nach h-Moll in Gis-Dur übergeht.

    Die Begegnung mit der unbekannten Frau wird damit am Ende liedmusikalisch als eine positive, weil das lyrische Ich bereichernde Erfahrung interpretiert. Und vielleicht ist hierin die Antwort auf die anfänglich aufgeworfene Frage zu finden, warum sich Cornelius auf diesen lyrischen Text Hebbels liedkompositorisch eingelassen hat. Sein Gegenstand ist eine singuläre, lyrisch-sprachlich tief durchdrungene und reflektierte existenzielle Erfahrung.

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