Es ist nur ein kleines Kompendium, das Peter Cornelius an Klavierliedern hinterlassen hat, eben mal gerade – wenn ich richtig gezählt habe – neunundachtzig für Singstimme mit Klavierbegleitung und sieben Duette. Nur etwas mehr als ein Dutzend wurden zu seinen Lebzeiten publiziert. Mit Opus-Zahlen versehen hat er sechs Gruppen: „Sechs Lieder op.1“, „Neun geistliche Lieder op.2“, „Trauer und Trost op.3“, „Drei Lieder op.4“, „Sechs Lieder op.5“ und „Weihnachtslieder op.8“. Die sogenannten „Brautlieder“ und einzelne der „Rheinischen Lieder“ wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht.
Gleichwohl kommt diesem kleinen Werk ein beachtlicher Rang in der Geschichte des deutschen Kunstliedes zu, so dass Peter Cornelius, wie ich finde, im Tamino-Liedforum einen ihm gewidmeten Thread verdient, der sich einer in Auswahl vorgenommenen und in deskriptivem und analytischem Ansatz durchgeführten Betrachtung seiner Lieder widmet.
Der Rang des liedmusikalischen Werks von Peter Cornelius gründet letzten Endes in seiner historischen Originalität. Er war Zeitgenosse von Franz Liszt und Richard Wagner, stand in engem Kontakt zu den beiden und partiell sogar in ihren Diensten, so dass man ihn, was seine Publikationen in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ anbelangt, historisch als der Neudeutschen Schule zugehörig betrachten kann. In seinen Liedern, deren größter Teil in der Zeit der unmittelbaren Nähe zu Franz Liszt in Weimar entstand, also in den Jahren 1852/53, ist davon freilich nicht viel wahrzunehmen, wenn man nicht die ausgeprägte Wortorientiertheit der Liedmusik als Indiz dafür nimmt. Es lassen sich vereinzelte Anklänge, ja sogar einmal ein entferntes Zitat, an die Musik von Liszt und Wagner ausmachen, die sind aber im Grunde peripher. Die Liedsprache von Peter Cornelius ist eine hochgradig originäre.
Und eine, die auf seltsame Weise wie aus der historischen Zeit gefallen daherkommt. Cornelius machte den spätromantischen Trend zu einem von einem starken subjektiven Aussagewillen geprägten liedmusikalischen Ausloten der Semantik des lyrischen Wortes nicht mit. Hinzu kam, dass die meisten seiner Lieder auf von ihm selbst verfasste lyrische Texte komponiert wurden. Er betrachtete sich als „Dichtermusiker“, wie er sich selbst bezeichnete, und die Wortorientiertheit seiner Liedmusik war für ihn eine Selbstverständlichkeit, was dem rezitativischen Gestus eine Gleichberechtigung neben dem auf gebundene Kantabilität ausgerichteten verschaffte.
Die musikalische Melodik ist bei ihm wesenhaft eine der Sprachmelodie abgelauschte, auf sie gestützte und sie reflektierende. Was aber keineswegs zur Folge hat, dass sie dabei ihrer Kantabilität verlustig ginge und in rhetorischer Deklamation verödete. Ganz im Gegenteil: Die Liedmusik von Cornelius besticht geradezu durch ihre eingängige, gebunden sich entfaltende und sich am Ideal volksliedhafter Einfachheit orientierende Melodik.
Wie aus der Zeit gefallen wirkt auch sein Wille zur Objektivierung der kompositorischen Aussage im hochgradig geordneten liedmusikalischen Satz. Bezeichnend für seine Grundhaltung als Komponist sind Äußerungen wie diese, die er seinem Tagebuch anvertraute:
„Wie irrig ist es doch anzunehmen, von vielen, zu glauben, der Dichter oder Musiker greife in der vorübereilenden oder auf ihm lastenden Stunde zur künstlerischen Form, den augenblicklichen Streit seiner Seele in ihr auszufechten. (…) Das Kunstwerk entsteht frei von diesem auf das Leben des Dichters bezüglichen Zweck. Es spiegelt wohl Erlebtes, aber nicht unmittelbar.“
Zur „schwierigen dritten Szene“ seiner Oper „El Cid“ meinte er brieflich:
„Heil mir, ich darf sagen, sie ist mir vortrefflich gelungen. Ich war so ängstlich, so trüb in diesen Tagen, denn diese Vermittlungsszenen wollten jenen innerlichen Gesang nicht wecken, der immer da sein muß, ehe ich Worte finde, und wenn ich einmal arbeite, ohne daß die Musik ertönt, so werde ich gleich zaghaft und denke, die Sache wird kalt und glutlos.“
Hier ist der Quell des kompositorischen Schaffens, also auch das Lied betreffend, angesprochen:
Das Zusammenfallen, das genuine Eins-Sein von Wort-Erfahrung und Ton-Erlebnis. Es ereignet sich im – darin liedhistorisch singulären, nur bei ganz wenigen anderen Liedkomponisten noch gleichsam in Ansätzen gegebenen, aber nicht derart ausgeprägten - Schaffensprozess des „Dichtermusikers“ Cornelius.
Er hat sich auch, in gleichsam herkömmlicher Weise, auf die „Vertonung“ von Texten aus dem Bestand der deutschen Lyrik eingelassen, - in seinem Opus 5 und in einer Reihe nachgelassener Liedkompositionen. Es handelt sich um Lieder auf Gedichte von Hebbel, Platen, Droste-Hülshoff, Hölty, Heine, Bürger, Hölderlin und Eichendorff. Darauf wird hier auch einzugehen sein, insbesondere im Hinblick auf die Frage, welche Folgen die kompositorische Auseinandersetzung mit „fremder“ Lyrik für die eigene Liedsprache hatte, insbesondere das Verhältnis von Wort und Musik betreffend. Denn nach seinen eigenen Worten generiert sich die Liedkomposition bei Cornelius aus dem „inneren Wort-Ton-Gesange“. Der ist bei der Komposition auf eigene lyrische Texte sozusagen a priori gegeben. Ob er sich auch in gleicher Weise bei der der Begegnung mit der Lyrik anderer Autoren einstellt, das ist eine Frage, die gerade bei ihm als Liedkomponisten eine große Bedeutung hat.
Sich darauf einzulassen wird freilich nur in begrenztem Umfang möglich sein und sich auf die Betrachtung der Lieder des Opus 5 beschränken. Der Grund ist ein rein technischer (und ärgerlicher): Die Verfügbarkeit des Notenmaterials. Da – für mich jedenfalls – hinreichend konkrete und gesicherte Aussagen über die Liedmusik, die Struktur der melodischen Linie, den Klaviersatz und die Harmonik also, nur über einen Blick in den Notentext möglich sind, ist die Frage nach der Auswahl der Cornelius-Lieder, die von mir hier vorgestellt werden sollen, höchst einfach zu beantworten: Es werden alle sein, für die mir ein Notentext vorliegt.