Das Lied von der Erde - Salzburger Festspiele

  • Nach über einem halben Jahr betrat ich gestern (14.08.2020) wieder einmal ein Opernhaus - die Felsenreitschule in Salzburg!

    Die Atmosphäre war etwas eigenartig. Es waren beinahe nur Einzelpersonen anwesend, weil es sehr schwer ist, zwei Karten für eine Vorstellung zu bekommen. Praktisch jeder zweite Sitz war gesperrt. Der Mund-Nasenschutz musste getragen werden bis die Vorstellung anfing, also auch in der Zeit, wo man bereits am Platz ist und wartet bis es losgeht. Aus diesen beiden Gründen hörte man vor dem Beginn kaum Theaterklatsch oder ähnliches, sondern jeder saß stumm und maskiert auf seinem Platz.


    Die aufgestaute Energie entlud sich übrigens dann offenbar im Schlussapplaus. Kaum habe ich zuvor einen so langen und herzlichen Applaus gehört. Sichtlich freuten sich Zuseher und Künstler über den Umstand, dass die Bühne wieder bespielt wurde.


    Unter solchen Bedingungen wurde das Musikalische für manche bestimmt zur Nebensache - Hauptsache man konnte wieder einmal Theaterluft schnuppern. Trotzdem wurde viel geboten.


    Gustav Mahlers Stück brauche ich hier nicht vorzustellen. Mir ist durch den Sinn gegangen, dass es - wie viele hier wissen - 1908 komponiert worden ist. Das ist die Zeit, über die wir in dem Thread "Jugendstil - gibt es den auch in der Musik?" diskutiert haben. Mahler hat mit diesem Stück Konventionen aufgebrochen und wusste es selber nicht wirklich einem Genre zuzuordnen. Das passt gut in die künstlerische Gedankenwelt dieser Zeit: Inspiriert gegen bestehende Formen ankämpfen. Auch das chinesische Thema, das den Liedern zugrunde liegt, passt zum Zeitgeist.


    Piotr Beczala ist sicher kein Tenor, der sich mit machtvoller Stimme über ein wuchtiges Orchester zu stemmen vermag. Das ist aber gerade beim Trinklied vom Jammer der Erde notwendig, auch wenn das Orchester hier bestimmt nicht übermäßig laut war. Seine Stärken spielte er in den lyrischen Momenten aus, wenn seine zweifellos wunderschöne Stimme durch den Raum strömte. In den Höhen wirkte er angestrengt. Beeindruckend war seine Wortverständlichkeit, die wohl auch seinen perfekten Deutschkenntnissen zu verdanken ist (Hier in der österreichischen Provinz schätzt man sich glücklich, dass Beczala seine ersten Sporen in Linz, aber auch am Salzburger Landestheater verdient hat).


    Tanja Ariane Baumgartner ist zur Zeit auch als Klytämnestra in Salzburg zu sehen bzw. zu hören. Ihr Mezzosopran beeindruckt von der ersten Note an mit warmem Wohlklang. Von den Worten habe ich nicht viel verstanden und in ihrem Gesang habe ich auch keine differenzierten Nuancen entdeckt.


    Star des Abends war wohl Kent Nagano mit seinem ORF RSO. Mahlers Musik verlangt dem Orchester schon einiges ab und es wurde perfekt geliefert. Nagano erwies sich dabei aber auch als Dirigent, der für die Sänger da war. Die Interaktion zwischen den Gesangssolisten und dem Dirigenten war deutlich zu sehen, zu hören und zu spüren.

    Der Herr neben mir meinte danach, dass er "Das Lied von der Erde" schon öfter live gehört habe, aber noch nie so beeindruckend.


    Nach den ersten fünf Liedern und vor dem langen "Abschied" presste man "Sechs kleine Klavierstücke op. 19" von Arnold Schönberg dazwischen ins Programm. Dazu kann und will ich nichts sagen.


    Es war sehr schön, ein gutes Orchester auf der Bühne beobachten zu können und einen Klang zu hören, der tatsächlich live im selben Raum erzeugt wird. Ich bin nun gespannt, ob die Theater im September wirklich öffnen werden. Die Festspiele liefern derzeit wohl Argumente dafür, dass es funktionieren kann.

  • Lieber greghauser2002,


    welch eindrucksvoller, informativer und zugleich ermutigender Bericht über die Salzburger Aufführung. Ich denke, dass die Salzburger Festspiele in diesem jahr wichtige Pionierarbeit leisten. Gab es Anzeichen, dass die Aufführung(en) für ein breiteres Publikum aufgezeichnet wurden? Immerhin sind die Festspiele vom österreichischen Steuerzahler ja bestens finanziert...


    VG
    Otello50