Friedrich Gulda - "Mogst di hab'n?'"- Clavichord-Bänder

  • Diese Scheibe ist einzigartig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zugegeben, der Klang des Instrumentes ist schon speziell, gewohnheitsbedürftig, dazu in Mono aufgenommen. Wenn der Interpret Friedrich Gulda nicht eine pianistische Grösse wäre, würde man der Aufnahme keine Beachtung schenken.


    Aus der Produktinformation des Werbepartners, welche die eine oder andere Information enthält, die nicht allzu bekannt sind:


    Gulda spielt Bach am Clavichord. Was so simpel klingt, birgt einen Schatz an musikalischer Tiefe und Wirkungskraft. Rund um das Jahr 1978 nahm der berühmte Pianist Friedrich Gulda bei etlichen Gelegenheiten sein Clavichordspiel auf. Sei es bei kleineren Konzerten oder seinen vormittäglichen Spielübungen, in denen er sich séance-artig in die Musik vergrub – Aus der einzigartigen Kombination von brillantem Musiker, effektvollem Instrument und herausragendem Komponist entstand etwas Einzigartiges.


    Das Clavichord führte nach seiner Hochphase bis Mitte des 18. Jahrhunderts ein Schattendasein. Durch seine einfache Konstruktion, bei der ein Tastendruck durch einen kleinen Metallstift, Tangente genannt, die Saite in Schwingung versetzt, entsteht ein einzigartiger Klang. Im Zuge der Alte-Musik-Bewegung war Friedrich Gulda einer der prominentesten Pianisten, die sich wieder mit diesem Instrument auseinandersetzten. Neben der Orgel war es das Lieblingsinstrument Johann Sebastian Bachs, der viele seiner Werke daran und dafür schrieb.


    Ursprünglich nur zur Selbstkontrolle seines Spiels aufgenommen, wurden die Bänder an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Situationen eingespielt: Mal im kleinen Konzertsaal, im Hotelzimmer oder in Guldas Künstler-Klause in Weißenbach am Attersee. Sein Schüler Thomas Knapp staunte nicht schlecht, als sein Lehrer ihm die Bänder eines Tages entgegen hielt und ihn fragte: »Mogst di hab’n?« Und wer hätte da nicht Ja gesagt? Die einfache Aufnahmetechnik und der schlechte Zustand der mittlerweile 40 Jahre alten Bänder hatten einen aufwendigen Restaurationsprozess zur Folge, an den sich eine digitale Bearbeitung anschloss. Zwar glänzen die professionell aufgearbeiteten Aufnahmen nicht durch herausragende Tonqualität, sehr wohl jedoch durch ihre Bedeutung als überraschend intimes Zeugnis eines charismatischen Musikers.


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Noch eine kleine Ergänzung


    https://www.concerti.de/multim…gulda-und-das-clavichord/



    Ein wahrer Liebhaber des Instruments war der Pianist Friedrich Gulda, der sich in den siebziger Jahren intensiv mit dem Clavichord auseinandersetzte, um die Tastenwerke von Johann Sebastian Bach zu interpretieren und im Originalklang wiederzugeben.


    Link: "https://www.youtube.com/watch?v=A8GrWzcY0lY" hier erklärt Friedrich Gulda ein wenig seine Liebe zum Gerät und führt praktisch vor, wieso ein Clavichord ohne Elektronik im Konzert nicht brauchbar ist.


    Wer sich den kleinen Vortrag zu Gemüte geführt hat kann dann diesem Konzert lauschen



    Keine Angst, Schubert und Debussy erklingen auf dem Flügel im Hintergrund ;)

  • Ursprünglich nur zur Selbstkontrolle seines Spiels aufgenommen, wurden die Bänder an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Situationen eingespielt: Mal im kleinen Konzertsaal, im Hotelzimmer oder in Guldas Künstler-Klause in Weißenbach am Attersee.

    Ich muss zugeben, dass mir solche ungefragt posthum veröffentlichten Einblicke in die Übewerkstatt nicht sympathisch sind. Schon bei den "Mozart-Tapes" bin ich mir ziemlich sicher, dass Gulda da über weite Strecken bestimmte musikalische Aspekte trainiert, aber keine musikalischen Aussagen für die Öffentlichkeit getroffen hat. Dass sie trotzdem veröffentlicht wurden, hat einen einfachen Grund: Man konnte damit Geld verdienen.

  • Vielleicht hört man nach den Bach-Stücken auf dem Clavichord nicht weiter, was ich nicht empfehlen kann, denn dann folgt Schuberts Lied Der Wanderer in einer Klavierfassung und von Debussy Reflets dans l'eau und La soirée dans Grenade sowie Prélude and Fugue for Paul das Gulda für seinen Sohn komponiert hatte.

    Am Schluss der Aufzeichnung spielt Friedrich Gulda ein Stück auf dem Clavichord, das er seinem anderen Sohn Rico gewidmet hat.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Bei allem Respekt vor Gulda: nach dem Hineinhören in die jpc-Schnipsel dieser Scheibe würde ich davon dringend abraten; trotz des sicher unglaubliches Restaurationsprozesses ist der Klang einfach furchtbar und nicht gerade eine gute Werbung für das schätzenswerte Instrument: insbesondere die Aufnahmen ab Spur 8 klingen besonders verzerrt und so, als würde Gulda ständig den Bebungseffekt nutzen (was bei den Tempi aber gar nicht geht). Das gilt auch für den ersten Teil des Youtube-Videos. Allenfalls etwas für Gulda-Liebhaber, nicht jedoch für Clavichord-Fans.


    Der authentische Klang des Clavichords ist noch schwerer einzufangen als der des Klaviers oder Hammerflügels; das Clavichord eignet sich vorwiegend als Übeinstrument


    Zitat

    Jene [Fortepiani, Anm. von mir] braucht man insgemein zu starcken Musicken, diese [Clavichorde, Anm. von mir] zum allein spielen. [...] Sie thum gut beym allein spielen und bey einer nicht gar zu starck gesetzten Musick, ich glaube aber doch, daß ein gutes Clavichord, ausgenommen daß es einen schwächern Ton hat, alle Schönheiten mit jenem gemein und überdem noch die Bebung und das Tragen der Tone voraus hat,weil ich nach dem Anschlage noch jeder Note einen Druck geben kann. Das Clavichord ist also das Instrument, worauf man einen Clavieristen aufs genaueste zu beurtheilen fähig ist.


    Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788): „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753), Einleitung Teil I, § 11


    und allenfalls für konzertante Kostproben im Wohnzimmer:


    Zu weit entfernte Mikrophone lassen das Instrument überhaupt nicht zur Geltung kommen, der filigrane Klang geht unter; zu nah positionierte Mikrophone (z.B. in unmittelbarer Nähe zu den Saiten / zum Resonanzboden) lassen es so klingen, wie der Spieler, der direkt davor sitzt, es hört - nicht aber der 2-3 m entfernte Zuhörer. Die Aufnahmen von z.B. Miklós Spányi sind bewundernswert transparent, da sehr nah aufgenommen; zum Hören allerdings sollte man die Boxen auf recht leise stellen - das Clavichord erreicht kaum einen sonoren und raumfüllenden Klang wie z.B. das Cembalo, es sei denn, man hämmert wie bekloppt darauf herum, so daß das Ding anfängt zu leiern (je stärker der Anschlag, desto stärker der unmittelbare Druck der Plektren auf die Saiten, was ein unangenehmes und meist unerwünschtes Nachschwingen der Saiten zur Folge hat, denn es gibt keinen Dämpfer wie bei Fortepiano oder modernem Klavier). Vielmehr sind die Tasten mit Gefühl und Bedacht zu streicheln.


    Die Bebung kann als sinnvolles stilistisches Mittel eingesetzt werden, ähnlich dem Vibrato bei Streichern; nützlich ist die Bebung vor allem zum längeren Aushalten von Tönen.


    Der klare Vorteil des Instruments ist seine (nicht vorhandene) Lautstärke, die auch das Üben und Komponieren in der Nacht ermöglicht, ohne als Unruhestifter denunziert werden zu können (übrigens hat Mozart weite Teile seiner Zauberflöte auf dem Clavichord komponiert).


    Das Instrument reagiert besonders stark auf schwankende Raumtemperaturen und verstimmt sich schnell, denn die (Stimm-) Stifte sind direkt im Holzboden am Rand des Resonanzbodens einfach eingeschraubt - kein Stahlrahmen. Holz arbeitet, die Spannung variiert je nach Anschlag und Raum-Temperatur - ideal ist eine gleichbleibende Temperatur von 16 °C, wobei auch diese - je nach Spielweise und Länge und Art der Komposition - keine Gewähr für langanhaltende Stimmung ist; der Clavichordist sollte im Stimmen geübt sein, der Stimmschlüssel liegt immer griffbereit, notfalls muß satzweise nachkorrigiert werden (wie übrigens auch bei Hammerclavieren). Das viele Nachstimmen höhlt auch die Fassung/Holzwindung des Stimmstiftes mit der Zeit aus, dadurch wird die Stimmung zunehmend instabiler, so daß mit der Zeit die Stifte gegen solche mit größerem Durchmesser ausgetauscht werden müssen. So ein Clavichord als Haustier ist manchmal schlimmer als Tamagochis ... aber ich kann es nur jedem empfehlen!


    Aus der Entfernung aufgenommen gehen Details teilweise unter; aber der Klang lässt sich hier erahnen:



    Hier dagegen recht nah aufgezeichnet - nicht zu laut wiedergegeben klingt das sehr real:



    Falsche Raumtemperatur und zu heftiger Anschlag ergeben dann dieses Fiasko:



    Ich glaube, Brauchli hat auch den IKEA-Bausatz Äggskärare verwendet ...

    :hello:

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Wie toll! Einer der kenntnisreichen Beiträge von Ulli! Das ist ja schon ganz enorm! Alle Wetter, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Das freut mich sehr, zumal in Sachen Mozart Ullis Beiträge für mich immer sehr gehaltvoll und interessant gewesen sind.
    Danke, Alfred, danke, Ulli! Ich hoffe, dass noch viele weitere Beiträge folgen werden.

  • Zu den Clavichord-Bändern, die Gulda seinem Schüler Thomas Knapp überlassen hat. Wie ChKöhn schreibt, die Bänder waren nicht zur Veröffentlichung gedacht.

    Ich muss zugeben, dass mir solche ungefragt posthum veröffentlichten Einblicke in die Übewerkstatt nicht sympathisch sind. Schon bei den "Mozart-Tapes" bin ich mir ziemlich sicher, dass Gulda da über weite Strecken bestimmte musikalische Aspekte trainiert, aber keine musikalischen Aussagen für die Öffentlichkeit getroffen hat. Dass sie trotzdem veröffentlicht wurden, hat einen einfachen Grund: Man konnte damit Geld verdienen.

    Die Gründe, weshalb Gulda die Bänder weiter gegeben hat und weshalb sie auf Tonträger herausgekommen sind, kennen wir nicht. Es muss Spekulation bleiben.


    Wenn bisher unbekannte Aufzeichnungen eines sehr bekannten Pianisten veröffentlich werden, werden die Fans jubeln. Für Gulda war es Übungsinstrument im Hotelzimmer, um niemanden zu stören. Und im Konzert konnte er dem Publikum mit elektronischer Unterstützung das Instrument vorführen. Auf Konzerttournee musste er kein Cembalo mitführen sonden den besser zu transportierenden Kasten des Clavichords.


    Das Clavichord führt heute ein Schattendasein, von dem nur Kenner die historische Bedeutung einordnen können. Für mich hat die CD nur dokumentarischen Wert. Allzu viele Aufnahmen mit Clavichord gibt es nicht. Auf der Konzertbühne wird man diesem Tasteninstrument nicht begegnen, dafür ist es aus bautechnischen Gründen nicht geeignet.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Die Gründe, weshalb Gulda die Bänder weiter gegeben hat und weshalb sie auf Tonträger herausgekommen sind, kennen wir nicht. Es muss Spekulation bleiben.

    Ein bisschen wissen wir schon: Die "Mozart Tapes" sind sieben Jahre nach Guldas Tod und natürlich nicht mit seiner Zustimmung veröffentlicht worden (die Initiative dazu ging von seinem Sohn Rico und seiner ehemaligen Lebensgefährtin Ursula Anders aus). Zu Lebzeiten hatte er sich mit Mozart-Einspielungen - vor allem von Sonaten - bemerkenswert skrupulös zurückgehalten, ganz anders als z.B. bei seinen Beethoven-Einspielungen. Das alles macht die posthume Veröffentlichung von privaten Übe-Mitschnitten des ganzen Sonaten-Zyklus' schon einmal sehr zweifelhaft. Vor allem aber hört man etlichen dieser "Tapes" nicht nur durch die miserable (Cassettenrekorder-) Klangqualität sondern auch durch die Spielweise an, dass sie keine wirklichen künstlerischen Äußerungen sondern Übungen, Zwischenschritte sind. Ich kann mir nicht helfen: Mir ging es beim Hören so, als würde ich einem bewunderten Schauspieler durchs Schlüsselloch seiner Garderobe beim Umziehen zusehen. Auch da mag es "Fans" geben, die über solche Einblicke jubeln würden; ich gehöre nicht dazu... Ich habe die CDs deshalb seinerzeit nach wenigen Tagen wieder abgegeben.

  • Lieber ChKöhn


    Ich gehe mit dir einig, dass man nicht autorisierte Aufnahmen nicht veröffentlicht.


    Was die Erben mit einem Nachlass machen, ist ihre Sache. Leider. 70 Jahre sind sie die finanziellen Nutznießer. Mit den "Mozart"-Bändern wurde die von uns gesetzte Linie (siehe oben) überschritten.


    Gulda hatte die "Clavichord"-Bänder an seinen Schüler weitergegeben. Vielleicht mass er ihnen keine künstlerische Qualität zu oder wollte ihm ein Geschenk machen. Zitat: "Ursprünglich nur zur Selbstkontrolle seines Spiels aufgenommen, wurden die Bänder an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Situationen eingespielt: Mal im kleinen Konzertsaal, im Hotelzimmer oder in Guldas Künstler-Klause in Weißenbach am Attersee."

    Was Knapp nach dem Tod des Meisters damit gemacht hat, kann finanzielle Gründe haben oder Ausdruck einer naiven Verehrung sein, ohne den künstlerischen Wert zu berücksichtigen.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.