Die meisten von uns sind mit einem Bild von Haydn als stets gut gelaunter und fröhlicher Komponist groß geworden. Hinzu kam die Tatsache, dass sehr viele Kommentatoren (meiner Meinung nach) den humoristischen Aspekt Haydns Musik überbewerteten und kaum auf ihre anderen Eigenschaften eingingen. Zwar haben wir heute ein differenzierteres Bild von Haydns Musik, dennoch sehen die meisten Haydn als ein überwiegend positiven Komponist. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Haydn sehr viele Werke in Moll-Tonarten schrieb, weit mehr als Mozart, der für viele als der große tragische Komponist der klassischen Periode gilt. Nicht weniger als 11 Sinfonien, 11 Streichquartette und 8 Klaviertrios hat Haydn in Moll komponiert, um nur drei Werkgruppen zu nennen. Verglichen dazu hat Mozart gerade einmal 2 Sinfonien, 2 Quartette und keine Klaviertrios (dafür aber ein Klavierquartett) in Moll geschrieben. Darüber hinaus gibt es bei Haydn einige Werke die zwar in Dur stehen, aber einen großen Anteil an Musik in Moll haben. Beispiele dafür sind die Sinfonie Nr. 70 in D-Dur, die gleich 2 Sätze in Moll hat, und einige der Baryton-Oktette, bei denen die Mittelsätze in Moll stehen und weit länger als die anderen zwei sind.
Ein faszinierender Aspekt von Haydns Moll Werken ist, wie unterschiedlich sie zu einander sind. Die Sinfonie 49, zum Beispiel, ist durchwegs in Moll gehalten und ein eher düsteres Werk. In Gegensatz dazu beginnt die Sinfonie 83 in G-Moll, aber der erste Satz endet schon in G-Dur und G-Moll als Grundtonart wird nicht mehr aufgegriffen, nicht einmal im Trio des Menuetts. Das Werk endet mit einem munteren Jagd-Rondo. Das soll jetzt keine Wertschätzung sein, denn ich liebe die 83 genauso wie die 49. Dieses Beispiel zeigt auch wie sich Haydns Einstellung zur Moll-Tonart über die Zeit gewandelt hat, denn gute 17 Jahre trennen diese beiden Werke. Aber auch Moll Werke die zeitlich nahe zu einander liegen weisen oft ganz unterschiedliche Charakterzüge auf. Die Sinfonien 44, 45 und 52 entstanden alle um 1771/1772 herum, sind aber unter einander sehr unterschiedlich. Das gilt nicht nur für Haydns Sturm und Drang Phase. Die F-Moll Variationen für Klavier (1793) sind Welten entfernt von der etwa zeitgleichen Sinfonie 95 (1791) und auch das Reiterquartett ist sehr unterschiedlich zum Quintenquartett, obwohl sie nur vier Jahre trennen.
Interessant ist auch Haydns Einstellung zur Moll-Tonarten in verschiedenen Werkgruppen. So fällt gleich einmal auf, dass Haydn zwar 11 Sinfonien in Moll komponiert hat, aber kein einziges Konzert. Meines Wissens nach gibt es nicht einmal einen langsamen Konzertsatz in Moll (bei authentischen Werken). Hat sich Haydn die Moll-Tonart für Werkgruppen aufgespart, die ihm am Herzen lagen? Bei Haydns späten Moll-Sinfonien fällt auf, dass sie alle in Dur enden und gesamt gesehen eher positive Werke sind. Eine davon (Nr. 80) könnte man fast als Komödie bezeichnen. Bei der späten Kammermusik finden sich aber Werke die nicht so positiv sind. Das Fis-Moll Quartett aus op 50 und das Fis-Moll Klaviertrio enden in Moll und selbst die F-Moll Variationen für Klavier und das Quintenquartett enden zwar in Dur, sind aber doch eher ernstere und teils melancholische Werke.
Ich glaube, dass man sich generell die Frage stellen muss, ob Haydns Dur Endungen einen plötzlichen Ausbruch von Heiterkeit im Alter geschuldet sind, oder ob es dafür andere Gründe gab. Ich sehe auch nicht die Werke die in Dur enden als alle gleich. Das Dur-Ende vom Reiterquartett ist viel mehr „vorbereitet“ als das vom Quintenquartett. Alle Sätze beim Reiterquartett enden in Dur und weisen schon aus das Dur-Ende vom Finale hin. Beim Quintenquartett kommt das Dur-Ende im Finale eher überraschend. Das Finale der Sinfonie 95 ist ein jubelnder Satz, während das Agnus Dei der Nelsonmesse eher verhalten ist.
Schlußendlich muss auch die Frage gestellt werden, ob Haydn auch ein tragischer Komponist ist. Viele schreiben ihm diese Fähigkeit ja ab. Ich persönlich finde, dass Haydn sehr wohl auch eine tragische Seite hat. Sie ist natürlich nicht dasselbe wie die Tragik der Romantiker. Haydn war schließlich ein Mann des 18. Jahrhunderts, da wurden Emotionen viel subtiler ausgedrückt als wie im 19. Jahrhundert. Außerdem bin ich der Meinung, dass Haydns Tragik eher universell als individuell ist. Beispielsweise die Tragik der Sieben Letzten Worte ist die vom Tode Christi, eine Tragödie die die gesamte Menschheit betrifft. Die Tragik der Nelsonmesse ist die des Krieges und damit ein Leid für alle und nicht nur eines Individuums.
Das was ich hier geschrieben habe, ist meine persönliche Meinung und natürlich subjektiv. Ich bin gespannt was Eure Meinungen zu diesem spannenden Thema sind.
LG aus Wien.