Einer der faszinierendsten Aspekte von Haydns Sinfonien ist die Entwicklung der langsamen Einleitung. Anfänglich nur hin und wieder eingesetzt, formte Haydn sie in Laufe seiner Karriere zu einen unverzichtbaren Teil der spätklassischen Sinfonie. Hier ist einmal ein Überblick von allen Haydn Sinfonien die eine langsame Einleitung aufweisen:
+= mit Pauken, ++=mit Pauken und Trompeten
Sinfonie Nr. 6 in D-Dur
Sinfonie Nr. 7 in C-Dur
Sinfonie Nr. 25 in C-dur
Sinfonie Nr. 50 in C-Dur++
Sinfonie Nr. 53 in D-Dur+
Sinfonie Nr. 54 in G-Dur++
Sinfonie Nr. 57 in D-Dur
Sinfonie Nr. 60 in C-Dur++
Sinfonie Nr. 71 in B-Dur
Sinfonie Nr. 73 in D-Dur(++) (nur im letzten Satz)
Sinfonie Nr. 75 in D-Dur++
Sinfonie Nr. 84 in Es-Dur
Sinfonie Nr. 85 in B-Dur
Sinfonie Nr. 86 in D-Dur++
Sinfonie Nr. 88 in G-Dur(++) (erst ab den zweiten Satz)
Sinfonie Nr. 90 in C-Dur++
Sinfonie Nr. 91 in Es-Dur
Sinfonie Nr. 92 in G-Dur++
Sinfonie Nr. 93 in D-Dur++
Sinfonie Nr. 94 in G-Dur++
Sinfonie Nr. 96 in D-Dur++
Sinfonie Nr. 97 in C-dur++
Sinfonie Nr. 98 in B-Dur++
Sinfonie Nr. 99 in Es-Dur++
Sinfonie Nr. 100 in G-Dur++
Sinfonie Nr. 101 in D-Dur++
Sinfonie Nr. 102 in B-Dur++
Sinfonie Nr. 103 in Es-Dur++
Sinfonie Nr. 104 in D-Dur++
Ich habe hier keine Sonata di Chiesa Sinfonien dazu genommen und auch nicht Nr. 15 mit ihren langsam-schnell-langsam ersten Satz, da man hier nicht von einer Einleitung sprechen kann.
Falls ich hier keine ausgelassen habe, sind 29 von 106 Sinfonien mit einer Einleitung, also mehr als ein Viertel. Bei Mozart sind es weniger als ein Zehntel (3 Sinfonien von 40+). Auffällig ist natürlich die Häufung der Sinfonien mit Einleitung gegen Ende von Haydns sinfonischer Karriere. Das hatte auch Auswirkungen auf das frühe 19. Jahrhundert: 4 von Beethovens 9 Sinfonien weisen eine Einleitung auf, während 6 von Schuberts 8 (erhaltenen) Sinfonien mit einer langsamen Einleitung beginnen. Was noch hervorsticht ist, dass viele dieser Sinfonien mit Trompeten und Pauken besetzt sind. Eine langsame Einleitung verleiht einem Musikwerk zusätzliches Gewicht und lässt es auch erhabener wirken. Das wussten auch schon die Komponisten des Barocks. Die Ouvertüren der damaligen Zeit begannen meist immer mit einen langsamen Abschnitt, meist mit punktierten Rhythmen und Trillern. Das spiegelt sich in vielen Einleitungen der klassischen Sinfonie wieder: Haydns Nr. 7 und Nr. 54 sind von diesem Typus, aber auch Mozarts Nr. 39. Die majestätische Einleitung mit vollem Orchester verwendete Haydn bis zum Schluss, aber über Zeit entwickelte er eine andere Art von Einleitung: Leise gehalten und eher mysteriös, die dem Allegro erlauben mit voller Kraft (und Orchester) zu punkten. Die Sinfonie Nr. 92 ist ein gutes Beispiel dafür: Die Einleitung beginnt zart und etwas verträumt. Pauken und Trompeten kommen hier nie zum Einsatz. Dadurch erscheint das erste Tutti im Allegro, wo das volle Orchester erstmals einsetzt, um so wuchtiger.
Einleitungen zu Dur Werken die in Moll gehalten sind noch mysteriöser. Haydn verwendete das Prinzip erstmals in der Ouvertüre zu "Il Ritorno di Tobia". In den Sinfonien dann in 98, 101 und 104. Besonders in der Sinfonie 101 wirkt die Einleitung wie ein gespenstischer Vorhang zum Presto, das dadurch federleicht abheben kann.
Charles Rosen meinte in seinem Buch "The Classical Style", dass eine Einleitung nicht zu definiert sein darf um effektiv zu sein. Haydns Einleitungen sind meiner Meinung nach immer etwas "mysteriös" (ich finde jetzt kein besseres Wort dafür) und setzen immer eine gewisse Erwartungshaltung für das folgende Allegro. Ich werde im Laufe des Threads einige der Einleitungen unter die Lupe nehmen, um zu sehen wie sich Haydns Entwicklung diesbezüglich vollzog.
LG aus Wien.