Haydn, Joseph: Sinfonia Concertante B-Dur Hob. I:105

  • Joseph Haydn: Sinfonia Concertante B-Dur Hob. I:105



    Nach Mozarts Tod, im Jahre 1792, komponierte Joseph Haydn die Sinfonia Concertante B-Dur Hob. I:105 für Violine, Oboe, Violoncello, Fagott und Orchester. Die Uraufführung des Werks fand am 9. März 1792 in den Hanover Square Rooms, London, statt. Eine gute Woche zuvor führte Ignace Pleyel ebenfalls eine Concertante (für Violine, Viola, Violoncello, Flöte, Oboe und Fagott) im Beisein Haydns auf. Ganz offenbar fand hier so eine Art musikalischer Wettstreit der beiden freundschaftlich verbundenen Komponisten statt, der sicherlich beiden Komponisten werbetechnisch zugute kam. Wegen der kleineren solistischen Besetzung, dafür aber größeren Orchesterbesetzung mit Trompeten und Pauken, machte denn Haydns Schöpfung auch als Grand Simphonie Concertante die Runde. Bei der Uraufführung von Haydns Werk spielte der Initiator Johann Peter Salomon die Sologeige. Während Mozarts bekannte Concertante Es-Dur für Violine und Viola KV 364 mehr ein Doppelkonzert ist, ist Haydns Werk durchaus sinfonischer angelegt und m. E. zurecht den Sinfonien unter Hoboken-Werkgruppe I eingereiht.


    Bei Mozart verschmelzen Solisten und Orchester mehr zu einer Einheit, als dies bei Haydns Werk der Fall ist: hier wechseln ständig die solistischen und orchestralen Phasen sehr plakativ.


    Das Werk ist dreisätzig - Haydn gab sich hier keine besondere Mühe, Satzbezeichnungen mit Liebkosungen zu versehen, sondern teilte die Sätze seines Werkes wie folgt ziemlich kaltherzig ein:


    I Allegro
    II Andante
    III Allegro con spirito


    Alles andere als kaltherzig ist jedoch die Musik selbst.


    Die Beschreibung der einzelnen Sätze überlasse ich lieber Berufeneren - nur soviel Senf gebe ich dazu: Bemerkenswert ist der Einsatz der Solovioline im Finalsatz - nach einem kurzen Ritornell "singt" die Violine ein Rezitativ, sogar ein accompagnato wie in der Opera seria, einige Male vom Orchester unterbrochen. Erst danach beginnt der eigentliche spritzige Finalsatz - ein wahrer Ohrwurm, ein wirkliches Feuerwerk! Es wäre interessant zu wissen, welche Worte Haydn diesem Rezitieren der Violine im Geiste unterlegt hat...vor dem feurigen Schluß wird das Rezitativ nochmals wiederholt, Haydnscher Witz ohnegleichen.


    Mir liegt folgende Einspielung vor:



    Joseph Haydn [1732-1809]
    Sinfonie Concertante B-Dur Hob. I:105


    Julia Schröder, Violine
    Matthias Arter, Oboe
    Christoph Dangel, Cello
    Matthias Bühlmann, Fagott


    kammerorchesterbasel
    Christopher Hogwood


    Die Einspielung ist wenig aggressiv und dennoch sehr mitreißend! Außerdem beinhaltet die CD noch eine bemerkenswerte Fassung von Mozarts Concertante als Arrangement für Streichsextett des großen Anonymous. Nach eigenen Angaben hat sich Matinu, dessen Concertante hier ebenfalls enthalten ist, von Haydns Hob. I:105 inspirieren lassen... er hätte die Partitur richtig herum halten sollen...


    :hello:


    Ulli

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Zitat

    Original von Ulli
    Bemerkenswert ist der Einsatz der Solovioline im Finalsatz - nach einem kurzen Ritornell "singt" die Violine ein Rezitativ, sogar ein accompagnato wie in der Opera seria, einige Male vom Orchester unterbrochen. Erst danach beginnt der eigentliche spritzige Finalsatz - ein wahrer Ohrwurm, ein wirkliches Feuerwerk! Es wäre interessant zu wissen, welche Worte Haydn diesem Rezitieren der Violine im Geiste unterlegt hat...vor dem feurigen Schluß wird das Rezitativ nochmals wiederholt, Haydnscher Witz ohnegleichen.


    Eingangs muß ich gestehen, daß ich kaum eines der konzertanten Werke Haydns so hoch schätze wie selbst eher unbekannte Sinfonien. Gewiß sind sie, selbst das frühe Cellokonzert, keineswegs schlecht. Aber doch eher Nebenwerke, die m.E. überproportional häufig eingespielt werden, angesichts der Vernachlässigung etlicher anderer Stücke. Beim Trompetenkonzert kann man das verstehen, weil das Repertoire hier so klein ist.
    Eigenartigerweise gibt es auch von der Sinfonie concertante relativ viele Einspielungen; ich besitze zwei historische (Busch und Markevitch), die in der Fischer-Box und eine HIPpe unter Kuijken. Früher mochte ich das Stück nicht besonders und der Kopfsatz kann mich auch immer noch nicht so recht begeistern. Das Andante ist dagegen großartig, wunderschön kammermusikalisch, in einem schlichten, mal ein wenig melancholischen, dann eher schwärmerischem Ton, leider sehr kurz. Auch das Finale gefällt mir sehr gut. Den Rezitativ-Effekt hast Du ja schon erwähnt und der Rest ist auch sehr überzeugend, die Verbindung eines Rondos mit sinfonischen Entwicklungsabschnitten und dem konzertanten Element völlig bruchlos und selbstverständlich (m.E. gelungener als im Kopfsatz).


    Fischers Aufnahme ist nicht schlecht, Solisten (Streicher von den Wiener Philharmonikern, Bläser vielleicht auch) sehr gut, leider das Orchester etwas matschig und im Hintergrund.
    Kuijkens Aufnahme ist im Tutti sehr schlank besetzt, aber ziemlich direkt aufgenommen (dieses Cover hält die Concertante nicht mal der Erwähnung wert...)




    Zitat


    Außerdem beinhaltet die CD noch eine bemerkenswerte Fassung von Mozarts Concertante als Arrangement für Streichsextett des großen Anonymous.


    Man lehnt sich vermutlich nicht allzuweit aus dem Fenster, wenn man vermutet, daß Du die CD hauptsächlich dieses Arrangements wegen gekauft hast... ;)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Man lehnt sich vermutlich nicht allzuweit aus dem Fenster, wenn man vermutet, daß Du die CD hauptsächlich dieses Arrangements wegen gekauft hast... ;)


    Ich habe sicher nicht gezielt nach dieser Bearbeitung der Mozartschen Concertante gefahndet, von deren Existenz ich ja nichts wusste. Ich weiß auch nicht, welche Fahndungsgelüste mich just zu dieser CD trieben. Aber es dürfte klar sein, daß das Mozartarrangement die letzten Zweifel über das Ja oder Nein dieses CD-Kaufs ausräumte.


    :hello:


    Ulli

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Hallo miteinander,


    die beste Einspielung dieses Werkes, die mir bis jetzt untergekommen ist, stammt von Dorati. Selbige zeichnet sich neben einem inspirierten Spiel der Solisten und des Orchester besonders dadurch aus, dass dieser eingangs erwähnte plakative Einsatz der Tutti und Soli vermieden wird, sondern tatsächlich das eine aus dem anderen gleichsam organisch heraus wächst, wobei die Einzelstimmen - für diese Aufnahme typisch - deutlichst eingefangen sind.
    Ansonsten spielt er dieses Werk charmant, elegant und schön, so dass es sich zumindest von dieser Interpretation her in die Reihe der großen Mozartkonzerte einreiht.


    Viele Grüße
    John Doe

  • Begeistert bin ich momentan von dieser preisgünstigen Aufnahme:


    Haydn, Franz Josef (1732-1809)
    Sinfonia Concertante

    Kölner Kammerorchester
    Helmut Müller-Brühl




    Wunderbares, transparentes Orchesterspiel, die Solisten treten deutlich hervor.
    Hatte ich von dieser Aufnahme nicht erwartet.

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

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  • Die Sinfonia concertante B-Dur für Oboe, Fagott, Violine, Violoncello und Orchester Hob. I:105 (op. 84), teilweise auch etwas schwammig "Symphonie Nr. 105" genannt, ist wirklich eines der tollsten Werke dieses etwas eigentümlichen Genres. Auch zwei Hörner, zwei Trompeten und Pauken sind mit von der Partie, also zum Glück keine reine Streicherbesetzung.


    Blickt man in die Diskographie, so wurde sie bereits seit den 1930er Jahren häufig eingespielt und liegt somit deutlich öfter auf Tonträger vor als viele der "wirklichen" Symphonien.


    Ich benenne meine favorisierte Interpretation, die es m. W. aber bis heute nicht auf CD geschafft hat, was angesichts der Qualität in künstlerischer wie auch klanglicher Hinsicht einen wirklichen Jammer darstellt:


    R-6858447-1428142094-8271.jpeg.jpg


    Otto Winter, Oboe

    Helman Jung, Fagott

    Walter Forchert, Violine

    Hans Häublein, Violoncello

    Bamberger Symphoniker
    Dirigent: Theodor Guschlbauer

    Aufnahme: 1971 (Erato/RCA)


    Die gesamte Platte bietet ein Hörvergnügen sondergleichen, ist doch auch die für meine Begriffe vielleicht beste Einspielung des Haydn'schen Trompetenkonzerts (mit Maurice André) enthalten. Als Bonus gibt es die selten eingespielte Ouvertüre zu "L'incontro improvviso".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Sinfonia concertante B-Dur für Oboe, Fagott, Violine, Violoncello und Orchester Hob. I:105 (op. 84), teilweise auch etwas schwammig "Symphonie Nr. 105" genannt, ist wirklich eines der tollsten Werke dieses etwas eigentümlichen Genres.

    Lieber Joseph II.,


    auch ich schätze dieses Werk besonders hoch, vielleicht auch deshalb, weil es innerhalb des Haydn'schen Schaffens ein Unikat ist. Deshalb halte ich die Bezeichnung "Sinfonie Nr. 105" auch für deplaziert.


    Leider kenne ich die von Dir favorisierte Aufnahme nicht, obwohl Guschlbauer in meiner Sammlung recht häufig vertreten ist. Kennengelernt habe ich das Werk mit dieser alten Aufnahme:

    DGG ; 5-digits monaural catalog & record jackets (19 151~200) - Youngrok  Lee's Music page

    Igor Markevitch dirigiert das Lamoureux-Orchester, Paris (Aufnahme: 10/1957, Paris).

    Eine schöne, gut durchgeformte Interpretation, aber leider, trotz ordentlicher Klangqualität, nur Mono. Die namentlich aufgeführten Solisten sind mir gänzlich unbekannt, es handelt sich vermutlich um Mitglieder des Orchesters.


    Zwei Stereo-Aufnahmen sind es, die ich heutzutage bevorzuge:

    Sinfonia Concertante B / Es-Dur

    Václav Neumann und das Gewandhausorchester Leipzig (Aufnahme: 1966).

    Die Solisten: Gerhard Bosse (Violine), Friedemann Erben (Cello), Peter Fischer (Oboe) und Werner Seltmann (Fagott).

    Auch in diesem Fall dürfte es sich um Gewandhausmusiker handeln. Besondes sticht (für mich) der Geiger Gerhard Bosse mit seinem wunderschönen, schlanken Violinton heraus. Der Tscheche Václav Neumann wurde 1964 zum Gewandhauskapellmeister berufen, legte dieses Amt aber 1968 aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in sein Heimatland nieder und ging zurück nach Prag.


    Haydn:Symphonies No.91&92

    Karl Böhm und die Wiener Philharmoniker (Aufnahme: 1973, Wien).

    Die Solisten sind Rainer Küchl (Violine), Robert Scheiwein (Cello), Karl Meyrhofer (Oboe), Dietmar Zeman (Fagott).

    Das sind allesamt zweifelsfrei Mitglieder der Wiener Philharmoniker; Rainer Küchl spielt übrigens die Solovioline auch in der GA von Adam Fischer (Denon).


    Beide Aufnahmen sind, wie bei mir nicht anders zu erwarten, natürlich "olle Kamellen"^^, aber damit kann ich gut leben. Künstlerisch sind sie hervorragend, und das genügt mir.


    Es würde mich interessieren, ob Du diese beiden Aufnahmen (oder eine davon) kennst.


    LG Nemorino :hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,


    schön, wieder vermehrt von Dir zu lesen!

    Ich danke für die Hinweise auf Böhm (liegt mir vor, aber lange nicht gehört) und Neumann (war mir hier ganz neu). So sehr ich Markevitch schätze, aber der Monoklang würde es mir verleiden. Nach dem Neumann werde ich mal Ausschau halten. Da glaube ich sofort, dass das eine großartige Interpretation sein muss. Gerhard Bosse war übrigens lange Zeit Konzertmeister des Gewandhausorchesters (1955-1987) und griff mitunter auch selbst zum Taktstock.


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    Beste Grüße
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II.,


    vielen Dank für Deinen Hinweis auf die CD mit Aufnahmen unter Gerhard Bosse. Mir war nicht geläufig, daß er sich auch als Dirigent betätigt hat.

    So sehr ich Markevitch schätze, aber der Monoklang würde es mir verleiden.

    Das geht mir ebenso, schade. Nur einen Monat später, im November 1957, stellte die DGG ihr Aufnahmesystem auf STEREO um! Ein ähnliches Schicksal hatte auch die schöne Aufnahme der "Scheherazade" von Rimsky-Korssakov unter Fricsay. Gerade bei solch farbig instrumentierten Werken vermißt man die Stereotechnik besonders.

    Nach dem Neumann werde ich mal Ausschau halten. Da glaube ich sofort, dass das eine großartige Interpretation sein muss.

    Ich gebe Dir einen Tip: es gibt die CD momentan für € 2,94 + Versandkosten "gebraucht, sehr gut". Ich will aus bekannten Gründen die Bezugsquelle nicht nennen, aber ich bin sicher, Du wirst Bescheid wissen. Die Aufnahme klingt zwar gut, aber es fehlt ein wenig an Transparenz und Brillanz. Trotzdem: Sehr zu empfehlen!


    Auch ich freue mich, daß wir wieder Kontakt miteinander haben.


    LG Nemorino :hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Die Sinfonia Concertante ist in meiner Meinung keine Sinfonie, sondern ein Konzert für vier Solisten und Orchester. Haydns Einsatz von Solisten ist dann am effektivsten, wenn die Solisten nicht im Gegensatz zum Orchester stehen, sondern vom Orchester hervorgehen, so wie bei den Tageszeiten Sinfonien, 31 und 72, aber auch einige Solos der Londoner Sinfonien. Von allen Haydns Konzerten kommt die Sinfonia Concertante diesem Prinzip am nähersten und ist daher, meiner Meinung nach, Haydns größtes Konzert.


    Interessanterweise schreibt Haydn hier für eine Solistengruppe die als unabhängiges Kammermusik-Ensemble agieren könnte. Das schlägt sich auch in der Musik nieder, denn Haydns Concertante ist weniger ein Dialog zwischen Solisten und Orchester, sondern eher einer zwischen den Solisten selber. Das Orchester tritt hier mehr in den Hintergrund und bildet einen Ramen für das ganze Geschehen und die Solisten bestreiten viele längere Passagen alleine oder mit minimaler Begleitung, allem voran die ausgeschriebene Kadenz für die vier Solisten am Ende des ersten Satzes. Die kammermusikalische Atmosphäre wird im zweiten Satz sogar noch gesteigert, in dem fast nur noch die Solisten zu Wort kommen. Der Satz bekommt dadurch einen intimen Charakter und erinnert etwas an die langsamen Sätze der Nocturnen. Im Finale ändert sich das etwas, das Orchester kommt mehr zum tragen und die Violine, die gleich am Anfang des Satzes als Opern-Diva auftreten darf, übernimmt die Dominanz bei den Solisten. Es entwickelt sich ein Dialog zwischen Violine und Orchester und ähnelt etwas einem Violinkonzert. In der zweiten Hälfte des Finales kommen die anderen Solisten wieder mehr zu Wort, wobei das Orchester immer noch am Diskurs beteiligt ist und schließlich das Werk zu Ende bringt.


    Konzerte waren nie im Mittelpunkt von Haydns Schaffen und die meisten von ihnen sind frühe Werke für Mitglieder des Esterhazy Orchesters. Ich persönlich kann mich für die Concertante begeistern, aber nicht für viel mehr. Sie sind zwar alle ganz schön, aber ich finde Werke wie zum Beispiel die kaum bekannten Baryton-Oktette viel lohnender.


    LG aus Wien.:hello:

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  • Die Sinfonia Concertante ist in meiner Meinung keine Sinfonie, sondern ein Konzert für vier Solisten und Orchester.

    Die Abgrenzung ist begrifflich schwierig. Konzertante Sinfonie oder sinfonisches Konzert?


    Ich habe bei Mozarts bekannter Sinfonia Concertante Es-Dur KV 364 (für Violine und Bratsche) stets den Eindruck, ein (Doppel-) Konzert zu hören und nicht eine konzertante Sinfonie. Haydns Sinfonia Concertante B-Dur hat auf mich formal (ohne, daß ich das vorerst differenziert auseinander zu nehmen gedenke) einen völlig anderen Charakter; spontan: mehr Sinfonie mit konzertanten Einlagen - Mozarts KV 364 hat für mich hingegen rein gar nichts sinfonisches an sich, dafür alles, was ein reines Concerto ausmacht.


    Charles Rosen (Der klassische Stil, Bärenreiter, 3. Auflage, 1999) meint auf Seite 174 z.B., wo er das sinfonische Konzept Haydns mit dessen Concertante vergleicht:

    Zitat von Charles Rosen

    Soloinstrumente wirken [in der Sinfonie; Anm. durch mich] nicht mehr wie unabhängige Concertinos (abgesehen von der Sinfonia Concertante aus der Londner Zeit natürlich), sondern sind in eine wahrhaft orchestrale Konzeption eingebettet.

    Das ist imo des Pudels Kern: Die Concertante ist zunächst eine Sinfonie mit konzertanten Einlagen der Solisten, die als Concertino (also kleines Konzertchen innerhalb der Sinfonie) hervortreten, aber eben nicht die Hauptacteure sind, allenfalls das Bonbon. Das ist - wie erwähnt - bei Haydn klar der Fall, bei Mozart nicht - da ist es gerade umgekehrt, also so, daß die beiden Soloinstrumente doch den Schwerpunkt setzen (anders wiederum ist es bei Mozarts Serenaden für Orchester, in deren Binnensätzen die sogenannten Concertanten auftauchen: kleine solistische Einlagen ggfs. verschiedener Instrumente, meistens Violine solo). Wie kommt also Mozart dazu, sein Werk Sinfonia Concertante zu nennen? Worin unterscheidet sich Mozarts Sinfonia Cocertante für Violine und Bratsche Es-Dur KV 364 von dem Konzert für Flöte und Harfe KV 299 formal?


    Zitat von Charles Rosen

    [S. 244] Einige Jahre scheint Mozart die Konzertform wenig gereizt zu haben, abgesehen von einer bemerkenswerten Ausnahme, der Sinfonia Concertante Es für Violine und Viola KV 364 = 320d.

    Rosen dürfte das also ganz ähnlich betrachten wie ich (ich habe noch die blaue Ausgabe, die allmählich zu einer Loseblattsammlung zerfleddert ...).


    Auch die NMA sortiert KV 364 bei den Konzerten (Band I, S. 409) ein. Da das Autograph nicht vollständig erhalten ist, lässt sich nicht einmal mit Sicherheit bestimmen, ob die Genrebezeichnung von Mozart selbst stammt; das etwa aus derselben Entstehungszeit (1779/80) stammende Fragment A-Dur KV 320e hat Mozart jedoch mit //Sinfonia Concertante à tre istromenti// Violino, Viola, e Violoncello. betitelt, das Fragment KV 315f hingegen mit //Concerto per il Cembalo e Violino// (1778). Eine Sonder(bare)stellung nimmt letztlich auch noch die Concertone für 2 Violinen KV 190 ein... die Autoren der NMA meinen hierzu, Mozart wollte einen eigenen Genrebegriff für die bis dahin sich nicht durchgesetzt habende Sinfonia Concertante bilden...


    Hob.I:105 ist für mich weder Fisch noch Fleisch, gleichwohl ein wunderschönes Werk. Die Absens des Menuetts per se ist keine Disqualifizierung des Sinfoniestatus' (vgl. Mozart KV 504 „Prager“), für Haydn aber - in dieser Schaffensperiode - ist eine Sinfonie ohne Menuett nicht vorstellbar. Abers herum aber würde ein Schuh daraus: hätte #105 ein Menuett, wäre die Balance sicher zu Gunsten der Sinfonie leichter zu entscheiden. Für mich ist dies ein eher ein Konzert mit sinfonischen Elementen, formal aber eine Sinfonie mit konzertanten Elementen, was ja die Titelgebung „Sinfonia conecrtante“ wörtlich beschreibt.

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“

  • Das ist imo des Pudels Kern: Die Concertante ist zunächst eine Sinfonie mit konzertanten Einlagen der Solisten, die als Concertino (also kleines Konzertchen innerhalb der Sinfonie) hervortreten, aber eben nicht die Hauptacteure sind, allenfalls das Bonbon. Das ist - wie erwähnt - bei Haydn klar der Fall, bei Mozart nicht - da ist es gerade umgekehrt, also so, daß die beiden Soloinstrumente doch den Schwerpunkt setzen

    Das sehe ich etwas anders. Die Solisten in Haydns Concertante dominieren das Stück, während das Orchester eine eher untergeordnete Rolle hat (zumindest in den ersten beiden Sätzen). Sie sind sehr wohl die Hauptakteure des Werks. Ich finde auch, dass das Orchester in Mozarts KV 364 viel mehr zur Geltung kommt als in Haydns Concertante. Deine Beschreibung trifft eher auf Werke wie die Tageszeiten-Sinfonien oder 31 und 72 zu. Eine vielleicht bessere Kennzeichnung des Werks wäre so etwas wie Konzert für Kammermusik Ensemble und Orchester.


    LG aus Wien.:hello:

    LG aus Wien.:hello:

  • Das täuscht eben:


    Während Mozart sich der klassischen Konzertform bedient - Einleitung mit Orchester, zunächst ohne Soloinsturment(e); das Orchester „dominiert“ also zunächst - geht Haydn gleich in medias res: die Flöte gleich zu Beginn solistisch (mit 1. Violinstimme) nicht eigentlich zum Solistenquartett gehörend, dann aber ab Takt 19 übernehmen gleich die Soloinstrumente die Themen. In der „reinen“ Konzertform ist das unüblich (Ausnahme KV 271 und später Beethoven 4 & 5). Bis zum eigentlichen (normalerweise: überraschenden) Solisteneinsatz T. 49 ist da bereits (für ein „normales“ Solisten-Konzert zu) viel solistisches passiert, was eben eher dem Typus Serenade nahe kommt.


    Einige Partiturausgaben verwenden als Kompromiss den - wie ich finde logischen - Begriff „Concertante“ ( = konzertierend, konzerthaft, wie ein Konzert - aber eben nicht „Concerto“) ohne den irreführenden Zusatz „Sinfonia“.


    Daß es mehr Konzert denn Sinfonie ist, dem habe ich ja zugestimmt.

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  • [...] Begriff „Concertante“ [...]

    Louis Spohr verwendet den ja auch mehrmals - wobei ich nicht genau weiß, ob hier eine Besonderheit vorliegt oder es sich eben um ganz normale Solokonzerte handelt - meines Wissens und soweit ich sie kenne: (nur? primär?) um Doppelkonzerte für zwei Soloinstrumente.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Flöte mit Violinen gekoppelt ist relativ häufig, also kein Solo für die Flöte, sondern eine Klangfarbe aus dem Orchester. Auch der Auftritt der Solisten in der Orchester-Exposition ist zwar, wie Du schon schriebst, ungewöhnlich aber nicht beispiellos. Ich verstehe aber nicht, was daran „sinfonisch“ sein soll. Auch die Struktur des ersten Satz deutet eher auf ein Konzert hin. Es gibt keine langsame Einleitung (bei Haydns Sinfonien der Zeit schon Standard), noch gibt es eine Wiederholung der Exposition. Die Kadenz am Ende des Satzes ist auch eher nicht sinfonisch (Ich weiß, es gibt Kadenzen in Nr.7 und Nr. 54, das sind eher Ausnahmen und finden im langsamen Satz statt, nicht im ersten). Für mich eindeutig ein Konzert oder ein Concerto Grosso, aber keine Sinfonie.


    LG aus Wien.:hello:

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  • Ist es nicht so, dass man in der Vergangenheit die Begriffsbezeichnungen eher "großzügig" behndelte, und dass selbst die Komponisten den Werken oft falsche Bezeichnungen spendierten und damit die Musikwissenschaftler späterer Jahr in Verlegenheit brachte ?


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • In der Zeit wurden m.E. fast alle solche Stücke als "Sinfonia concertante" bezeichnet, nicht als Doppel/Tripelkonzert. Bei Haydn verschwinden die konzertanten Elemente weitgehend aus den Sinfonien schon in den 50er Nummern (51 mit den extremen Hornpassagen dürfte eine der letzten sein, sofern man nicht kleine Soli in Trios oder langsamen Sätzen zählt) und die Concertante 105 scheint auf die besondere Gelegenheit (s.o.) bei der ersten Londonreise zurückzugehen.

    Die Gattung war ziemlich populär, vgl. die zahlreichen Stücke von Joh. Chr. Bach, auch noch eine Generation nach Haydn: Reicha, Danzi... Daher vermute ich, dass Haydn kein so großes Interesse (oder eben keine andere klare Gelegenheit) hatte, sonst wären von ihm durchaus weitere solcher Werke aus den 1780er-90ern zu erwarten gewesen, zB für Paris oder auf der 2. Londonreise.

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    (Bob Dylan)

  • Wenn man Wikipedia Glauben schenken darf, betitelte Haydn sein Werk selbst autograph als „Concertante“; dies bestätigt das bei der IMSLP hinterlegte Manuskript. Auch in den Kritiken wird das Werk nicht als Sinfonie mit dem Zusatz Concertante, sondern lediglich als „Concertante“ erwähnt:

    Zitat von Wikipedia (Morning Herald 12.03.1792)

    „Die letzte Aufführung in Salomons Konzerten verdient als einer der reichsten Genüsse erwähnt zu werden, die diese Saison bisher geboten hat. Eine neue „Concertante“ von Haydn verband alle Vortrefflichkeit an Musik, sie war gründlich, lebhaft, anrührend und originell, und die Aufführung stand im Einklang mit dem Rang der Komposition. [...]“

    Das bestätigt eigentlich meinen Eindruck, daß es sich um ein konzerthaftes Werk handelt, das sich keiner der beiden Genres Sinfonie oder Konzert eindeutig zuordnen lässt.


    Wikipedia definiert die Sinfonia Concertante u.a. folgendermaßen:


    Zitat von Wikipedia (Sinfonia Concertante)

    Bei der Sinfonia concertante handelt es sich um eine sinfonische Gattung für zwei bis neun Soloinstrumente und Orchester, die besonders in der Zeit zwischen 1770 und 1825, also der Klassik, geschätzt wurde. Sie stellt eine Verschmelzung von Elementen des Divertimento, der Serenade, der Kassation, der Sinfonie und des Solokonzerts dar.

    Was sie vom Konzert unterscheidet:


    Zitat von Wikipedia zu I:105

    Haydn eröffnet die Sinfonie piano (ungewöhnlich für ein Konzertstück, das keine Aufmerksamkeit gebietende Einleitung hat), indem die Streicher mit Flöte das viertaktige erste Thema vorstellen.

    Zitat von Wikipedia zu Hob. I:105

    Die Solistenparts sind insgesamt relativ ausgeglichen verteilt. [...] Im Gegensatz zu anderen (Solo-)Konzerten bzw. dem früheren Concerto grosso stehen sich Orchester und Soloinstrumenten-Gruppe nicht mehr blockhaft-kontrastierend gegenüber.

    Also: im üblichen Konzert stellt das Orchester ein Thema vor, daß vom/den Solisten aufgenommen (und ggfs. fortgesponnen) wird - oder umgekehrt (blockhaft-kontrastierend). Hier bei I.105 ist das nicht oft der Fall, vielmehr sind die Solisten vollständig in das Geschehen involviert (das empfinde ich eben als eher sinfonisch, wenn Solisten die eigentichen Orchesterparts eher willkürlich übernehmen; vgl. #93).


    Ein besonderes Merkmal der „Concertante“ ist die Beteiligung von holzblasenden und streichenden Soloinstrumenten (Ausnahmen bestätigen wie stets die Regel). Nachdem die Holzbläser aus dem Pool verschwanden, konkretisierten sich im 19. Jahrhundert Bezeichnungen wie Doppel- oder Tripelkonzert.


    Die Martern-Arie (Mozart: „Entführung“) weist ebenso „concertante“ Merkmale durch den Einsatz solistischer Instrumente auf (Flöte, Oboe, Violine, Violoncello). Es bleibt aber eine konzertante Arie und ist kein Quadrupelkonzertsatz mit Gesangseinlage. Vorbild war einmal mehr Johann Chrisitan Bach (La Clemeza di Scipione), der mehr als ein Dutzend „Concertante“ komponierte.


    Das „concertante“ ist also formal als Zusatz zur Sinfonia (näher beschreibendes Adjektiv) zu verstehen.

    Ist es nicht so, dass man in der Vergangenheit die Begriffsbezeichnungen eher "großzügig" behandelte, und dass selbst die Komponisten den Werken oft falsche Bezeichnungen spendierten und damit die Musikwissenschaftler späterer Jahr in Verlegenheit brachte ?

    Falsch nicht; eher willkürlich.


    Man sollte die „Concertante“ (nota bene: ohne Sinfonia) als eigene Form akzeptieren. Die Bezeichnung sagt eigentlich schon mehr als alle bisherigen Worte darüber.

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  • Mit „richtigen“ Instrumenten gespielt gibt es nicht so viel Auswahl, wohl aber diese:



    Helmut Hucke, Oboe

    Peter Mauruschat, Fagott

    Franzjosef Maier, Violine

    Rudolf Mandalka, Violoncello


    Collegium Aureum

    Hans- Martin Linde



    Das klingt schonmal sehr gelungen, wird dann hoffentlich im Rahmen des Haydn2032-Projekts noch adäquat ergänzt.

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  • Kuijken (wobei auf älteren Covers die Concertante nichtmal auf dem Cover steht!) wäre ein bißchen neuer als Coll. Aureum und meiner Erinnerung nach gut, auch die Cellokonzerte. Brüggen hat auch eine mit histor. Instrumenten, evtl. nur in größeren Boxen (war IIRC einzeln mit 88+89 gekoppelt)


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    (Bob Dylan)

  • Ich habe mir soeben Haydns Sinfonie Concertante HOB I:105 angehört, und zwar in der hier gezeigten Aufnahme (eine andere hab ich - noch - nicht)

    Sie ist bereits gestrichen - Wie fast alle Aufnahmen dieses Werks.

    Gestrichen !! Mein Gott, da fällt mir ein was für einen Hype in den siebziger Jahren 19 das Label "harmonia mundi" um alle Aufnahmen mit dem Collegium Aurem im Zedernsaal des Schlosses Kirchheim gemacht hat !!!

    Aber schon die hier gezeigte Aufnahme der Serie "Baroque Esprit" ist eine Wiederveröffentlichung, sprich Zweitverwertung der 1969 gemachten Analog-Aufnahme

    kernstuck-ist-die-einzigartige.jpg?w=1200&h=-1&s=1


    Diese "sinfonia Concertante entstand um 1792, während eines Londoner Aufenthaltes von Hayd. Dort hatte er ein Werk dieses Genres von seinem Schüler Pleyel gehört - und er wollte ihm nacheifern.

    Obwohl die Gattung in jenen Tagen bereits nicht mehr aktuell war, waren die "Concertanti" ein sensationeller Erfolg und zwei weitere Aufführungen mussten stattfinden.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • So - nur habe ich eine weitere Aufnahme der Sinfonia Concertante Hob 105

    Der Grund für diesen Kauf ( nur mehr gebraucht erhältlich), war eigentlich weil mich seit einigen Tagen die Geschichte der Camerata Academica mit ihren unzähligem Namenswechseln interessiert hat und ich die diesbezügliche Dammlung erweitern wolte

    Camerata Academica des Salzburger Mozarteums

    Camerata Academica Salzburg

    Camerata Academica

    Camerata Salzburg.

    Mit ihren Chefdirigenten hatten sie durchwegs Pech - mit Ausnahme von ihrem Gründer Bernhard Paumgartner und Sandor Vegh.

    Die Ära Vegh war teilweise bereits in der Stereozeit des Rundfunks, sodaß wir mehr Aufnahmen von ihm kennen als von Baumgartner. Er ist heute eine Legende


    mfg aus Wien

    Alfred

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