Bruckner-Dirigenten - gestern und heute

  • Simone Young!


    Meines Wissens war von ihr hier praktisch nie die Rede. Ich glaube auch, dass es die einzige Dirigentin ist, von der ich überhaupt je gehört habe. Und jetzt mal an dieser Stelle die 3. Bruckners mit den Hamburgern Philharmonikern.
    Was da geschieht, ist für mich etwas ganz besonderes. Es ist ein Bruckner, der eine ganz eigene überraschende Beweglichkeit zeigt. Die Generalpausen sind hier auf neue Art eingebettet, klingen irgendwie ganz anders mit. Die leisen Stellen sind leiser als sie sein dürften und fordern den Zuhörer auf überraschende Weise. Die Pauken sind ganz weit hinten, dräuen fast unbemerkt. Die Bläser bekommen Zeit und Raum, zu brummen und zu drohen. Alles ist rauh und wie entzündet, jeder Ton wie ein kleiner Schmerz. Die Steigerungen verhallen im Unklaren, befreien nicht, sondern weisen zu noch Größerem und finden sich dann im Kleinen, Leisen. Streichelnd, besänftigend dann die Melodiebögen.
    Ich erlebe Bruckner hier völlig anders. In dieser provokanten Aufführung steckt für mich ein ganz besonderer Reiz.


    Bitte einmal anhören
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Simone Young!


    Frau Young habe ich einmal in der Kölner Philharmonie live erleben dürfen, als sie eine Aufführung von Bruckners 9. Sinfonie leitete. Entgegen dem sehr guten Ruf, der ihr vorauseilt, muss ich allerdings zugeben, relativ unberührt geblieben zu sein.


    Aufgrund einigen zeitlichen Abstands (das Konzert dürfte mindestens 1 Jahr her sein) kann ich leider keine genauen Details mehr liefern, aber aus der Erinnerung heraus schien mir vieles doch allzusehr dem braven Durchschnitt verhaftet. Und wenn das Konzert zweifellos ein wirklich gutes war, fehlte mir doch jedes Aha-Erlebnis.


    Ihre Aufnahme der 3. Sinfonie kenne ich allerdings nicht... Sollte sich das ändern, sag' ich bescheid. :)

  • Simone Young! ... Ich glaube auch, dass es die einzige Dirigentin ist, von der ich überhaupt je gehört habe.

    Klaus 2


    Vielleicht hast Du auch schon etwas mit Jeanne Lamon gehört, natürlich nichts von Bruckner, aber Bach, Händel usw. mit dem Ensemble "Tafelmusik"?

    mfG
    Michael

  • Furtwänglers Bruckner ist so weit ich weiß ausschließlich live

    Das ist nicht richtig. Das Adagio der Siebten hat er 1941 oder 1942 für Telefunken aufgenommen; wenn ich mich nicht irre, wurde diese Aufnahme auch noch am 1. Mai 1945 bei der Nachricht von des Führers Heldentod im Reichsrundfunk gespielt. So wird jedenfalls in dem phantasievollen Fu-Film "Taking sides" behauptet. Habe den Ton noch aus dem Volksempfänger vom 1.5.45 im Ohr (da war ich 12, und die Amerikaner hielten Göttingen schon seit dem 8.4. besetzt. Und im Oktober 1944 hat Furtwängler in Wien die Achte und in Berlin die Neunte aufs Magnetofonband aufgenommen, das waren auch Aufnahmen nur für den Rundfunk und wohl ohne Publikum. Es sind jedenfalls Aufführungen nicht für kommerziellen Vertrieb gewesen, aber ohne mehrere "Takes". Dazu muß man bedenken, daß Furtwängler Bruckner bis zu seinem Tode noch für international undurchgesetzt hielt (und das mit Recht). Er hat 1931, 1937 und 1951-52 noch nur erst die Vierte (1931), danach die Siebte in England (1937, 1951) und dann in Rom und Paris aufgeführt , meist mit Unverständnis von Kritik und auch Publikum. Jedenfalls war das sein Eindruck von England.
    Der eigentliche Brucknerdirigent war (nach Schalk und dem Münchener Hausegger) bis in die Siebziger Jahre Eugen Jochum, und es war eine deutschsprachige Angelegenheit. In Jochums letzten Jahren fing Günter Wand an, ihn zu überflügeln, woran auch die Musikkritik kräftig mitgewirkt hat, die Joachum dann gern als zu pathetisch-religiös abqualifizierte. Einzelne Sinfonien wie die Sechste machte z.B. in Italien Muti. Der große internationale Brucknerboom kam seit den Sechziger Jahren mit dem Langspielplattenboom, ebenso wie mit leichter Zeitverzögerung der Mahlerboom. Vor der Langspielplatte war das alles undenkbar.

    KVS

  • Simone Young!

    Ich war von Frau Youngs Aufführung der Erstfassung der Dritten Bruckner in Berlin (ich glaube mit dem DSO vor einigen Jahren) durchaus beeindruckt; sie kann ja proben und dirigieren. Aber ich fand die meist gespielte Endfassung doch für den Konzertsaal geeigneter und nicht ohne Grund verändert. Nebenbei ist Frau Youngs ausladender Dirigierstil für mich etwas kommandösenhaft, aber man kann ja wegschauen, und was ins Ohr dringt, hat hohes Niveau. Ist nur ein bißchen schade.
    Ähnlich war mein Eindruck, als Michael Gielen im Berliner Konzerthaus vor einigen Jahren zu Silvester die Erstfassung der Achten Sinfonie spielte. Da war ich auch höchst beeindruckt, fand aber auch, daß alle etwas anders klingenden kleinen Stimmführungen den überzeugenderen Charakter der sogenannten Originalfassungen von Robert Haas oder auch der neueren Originalfassung von Leopold Nowak nicht auslöschen konnten. Nur eins beeindruckte mich bleibend: die Symmetrie in der Entsprechung von dem ursprünglichen Tuttischluß von erstem Satz und Finale. Da ist es dann doch eine ganz andere Sinfonie, und die überaus wirksame Dramatisierung mit dem pianissimo-Schluß des ersten Satzes wirkt eigentlich brucknerisch nicht echter. Trotzdem wird wohl diese dramatisierte (durch Weglassen) Ur- und Endfassung nicht mehr zu verdrängen sein. Sie hat sich im musikalischen Gedächtnis so überzeugend bewährt.
    Ein schwieriges Problem, die Fassungen. Aber vor allem ein Zeichen der wundersamen Vermehrung von Musik und Musikern in der letzten Generation, während in den ersten 50 Jahren die ganze Welt außerhalb der "deutschen Zone" Bruckner nicht mit den spitzen Fingern anfassen mochte. Ein musikalisches Wirtschaftswunder, eben nicht ohne kommerzielle Züge. Auch die viersätzige Neunte ist so ein problematischer Fall: dreisätzig ist sie vollkommen, viersätzig fällt der restaurierte, in Wahrheit nur konstruierte und "eingefühlte" Finalsatz doch gegen das vorher Gehörte ab.

    KVS

  • Celis Bruckner? Meine Erfahrung: Vor 40 Jahren in Ludwigshafen mit dem "Pfalzorchester", eine spannende Vierte Bruckner, vor allem mit einer sehr nervig genommenen Finalcoda. Die von Richard von Weizsäcker durchgesetzte Versöhnungssiebte 1992 mit den Berliner Philharmonikern: kaum erträglich lyrisch ausgewalzt. Konnte die Freundschaft nicht wiederherstellen. Wands Siebte mit dem DSO eine Woche zuvor war besser, aber sicher "zu sachlich". Der Wand war ja ein rechthaberischer Pedant und Buchstabierer, trotzdem als Greis live hinreissend. Aber den stärksten Beifall löste doch seine Fünfte Tschaikowsky in Hamburg aus. Wenn die trockenen Hanseaten mal so richtig aus dem Häuschen sind! Bewundert habe ich Celis Brucknerachte mit den Münchenern in Berlin in den Acjhtzigern, aber kaum erträglich breit war das Adagio auch da schon. Vor dem Finale mußte ich leider mit dem Taxi zum Nachtzug nach Rom eilen. Der überzeugendste Celi war für mich einmal der noch junge in Rom mit Santa Cecilia, Ravel und so was, und dann in den Achtzigern mit dem Schleswig-Holstein-Festival-Jugendorchester, Prokofieffs Skythische Suite und andere Stücke, die seine rümänisch-romanische Klangsinnlichkeit herausforderten.
    Bruckner kann man immer wieder neu hören. Großartig machte z.B. der alte Schwede, wie heißt er gerade, die Achte mit dem DSO, obwohl die drei fallenden Schlußtöne unisono so langsam dahinbuchstabiert wurden, daß die motivische Identität mit dem Pianissimoschluß des ersten Satzes verschwand. Nagano verschleift die Orgelabsätze, aber auch das macht er inzwischen genial. Und Georges Prêtre mit Bruckners Siebter mal zu hören - eine wahre Freude, ohne alle Feierlichkeit, aber erzmusikalisch. Es wäre schlimm, wenn nur noch Wands Alterspedanterie den Maßstab setzen sollte. Er ist einfach zu störrisch genau gewesen. Aber hinreissend einmal so als Korrektiv, die Verbreiterungen in der Achten penibel im Tempo durchbuchstabiert, und siehe da, das Stück fällt auch so nicht auseinander. Aber das Scherzo so breit mit allen Wiederholungen gespielt, das war schon entnervend. Viel besser Furtwänglers stürmisches Tempo, das nichts vom "Deutschen Michel" übrigließ.

    KVS

  • Zum Tagesausklang höre ich gerade noch einmal die Romantische. -Weil es am einfachsten ist Eugen Jochum mit der Staatskapelle Dresden. Am einfachsten, weil die Box jeder Symphonie eine eigene Cd zugesteht. Weil keine lange Sucherei entsteht.
    Natürlich ist es schön. die 4. ist immer schön. Man kann sie nicht spielen, dass sie nicht schön ist. Das ist eine sehr polemische Feststellung, bitte reagiert!!
    Aber immer wieder wird es mir deutlich. Jochum reduziert hier auf das Notwendige. Jede Note ist da, aber Begeisterung??
    Mein Eindruck ist immer wieder: Diese Symphonie sollte von hervorragenden Amateurorchestern gespielt werden. Nur die sind in der Lage, das "romantische" wirklich herauszuarbeiten. Perfektionisten wie Jochum könne nur den Rahmen darstellen.
    Da fehlt etwas!!

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Zitat

    KVS: Der Wand war ja ein rechthaberischer Pedant und Buchstabierer, trotzdem als Greis live hinreißend.

    Ja wie denn nun?



    Zitat

    KVS: Es wäre ja schlimm, wenn nur noch Wands Alterspedanteirie den Maßstab setzen sollte.

    Der war immer schon so, auch als junger Kerl, als er der jüngste GMD Deutschlands war.



    Zitat

    KVS: Großartig machte das der alte Schwede, wie heißt er gerade, die Achte mit dem DSO.

    Der Alte Schwede heißt Herbert Blomstedt.



    Zitat

    KVS: Er (Wand) ist einfach zu störrisch genau gewesen.

    Ist das denn schlecht, wenn man genau ist? Vielleicht solltest du mal dieses Buch lesen:





    Viele Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Jaap van Zweden ist dabei, für Exton einen weiteren Bruckner Zyklus aufzunehmen …


    Inzwischen ist der Zyklus (fast) vollendet – allerdings mit 2 Labels:



    Was mich wundert, dass dieser Zyklus kaum erwähnt wird: Bei dem Temperament, bei diesem mitreisenden Sound … :thumbsup: :thumbsup:


    Haben die Bruckner-Spezialisten hier etwas verpasst :?:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Also wenn ich so etwas hier lese, schlägt mein Puls nicht gleich höher:


    This is a typically orthodox performance of the Eighth Symphony, in the sense that it pushes all the right buttons without offering a particularly compelling vision of the work. The slow movement is really, really slow (27-plus minutes), which is understandable, but then so is the first movement, which is less so. It renders some of Bruckner’s most angst-filled music almost serene. Jaap van Zweden isn’t helped by cavernous SACD multi-channnel sound and overly blended, often timid brass playing. The scherzo is fleet but so lacking in impact that it sounds pointlessly repetitious, while the finale similarly starts out quickly, but this only diminishes its grandeur without offering excitement in exchange. The coda, though, is predictably slow and “spiritual”. There was a time when Bruckner was special. He is special. Not now, and not here. - See more at: http://www.classicstoday.com/r…ch=1#sthash.H1q3rhx4.dpuf

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  • Also wenn ich so etwas hier lese, schlägt mein Puls nicht gleich höher:


    Da kann man eigentlich nur sagen: Hurwitz … :baeh01: :untertauch:


    Nicht lesen, sondern auch mal reinhören …

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Klar, mit Hurwitz stimme ich auch nicht immer überein, aber manchmal auch doch. Und mal reinhören ist hier relativ kostspielig. 30-Sekundenschnipsel helfen gerade bei Bruckner nicht weiter.

  • Bruckner - neben Wagner mein zweiter Hausgott, inzwischen lebe ich sogar quasi in seiner Heimatstadt. Ich möchte aber gar nicht so weit ausholen und direkt zum Punkt kommen. Beginnen wir mit der Gegenwart:

    Markus Poschner, Chefdirigent des Linzer Bruckner Orchesters, entdeckte ich für mich hier in Linz. Seine Aufnahmen besorgte ich mir erst nachdem ich ihn hier bei Konzerten und in der Oper erlebte. Poschner verfügt ein unglaubliches Gefühl für den effektvollen Moment und das Spiel mit den Emotionen. Vermutlich liegen ihm deshalb Wagner, Strauss und Bruckner so gut. Poschner arbeitet aktuell mit seinem Bruckner Orchester und dem RSO an einem Brucknerzyklus. Dieser soll 2024 erscheinen und alle Sinfonien Bruckners in allen Fassungen enthalten. Bisher erschienen:

    die "Nullte"

    ,

    die "Dritte"

    die "Vierte" (1874)

    die "Sechste"

    die "Achte"

    im November erscheint außerdem die "Vierte" in der Fassung von 1876

    .


    Neben Poschner schätze ich momentan Andris Nelsons Einspielungen mit dem Gewandhausorchester und hier insbesondere Bruckners 5. und die 8..


    Marek Janowski nahm mit dem Orchestre de la Suisse Romande einen phänomenalen Brucknerzyklus auf, den womöglich nicht jeder auf dem Radar hat (hier vermutlich alle ;) )


    Das wären meine Favoriten von heute. Die von gestern folgen gesondert. Meine acht Monate alte Tochter will gefüttert werden, weshalb ich hier abbrechen muss. Ich bitte um Nachsicht.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“