Sir Simon vergeigt die "Walküre" auf ARTE

  • Zur Klarstellung: Ich mag Rattles Interpretationsansätze regelmäßig nicht (zu viel Gewicht auf einzelne Details, zu viele Blow-ups, zu wenig Großrhythmus etc.).


    Aber: Wenn in diesem Forum im Zusammenhang mit renommierten Dirigenten das Urteil recht undifferenziert auf "schlechtes Dirigat" o. ä. lautet, kann man nach meiner bisherigen Erfahrung ohne weiteres davon ausgehen, dass der "Rezensent" Anstoß an dem Interpretationsansatz des Dirigenten nimmt und diesen, weil er nicht seinen Vorstellungen (eher Hörgewohnheiten) entspricht, für ein angeblich "schlechtes Dirigat" nimmt. Es ist - gelinde gesagt - wenig überzeugend, bei einem Dirigenten, der in der Vergangenheit sein technisches Können schon vielfach unter Beweis gestellt hat und der sich die Erarbeitung der "Walküre" nach eigenem Bekunden nicht leicht gemacht hat, ohne ausführlichste Begründungen von schlechtem Dirigat zu sprechen. Die Regel müsste lauten: Je massiver und grundlegender ein Künstler kritisiert wird, desto gründlicher sollte die Begründung für diese Kritik ausfallen. Entsprechendes gilt natürlich für das Spiel weltberühmter Orchester.


    Insofern meine ich, dass calaf und Beren_fox uns einmal detaillierter darlegen, wo Dirigent und/oder Orchester so "schlecht" waren und - obwohl sie eigentlich gewollt hätten - ein Motiv etc. nicht anders spielen konnten. Eine Goldwaage ist dafür nicht erforderlich, lediglich ein permanent kritisches Hinterfragen der eigenen vorgefertigten Ansicht.


    Loge

  • Zitat

    Zitate Loge
    Ich mag Rattles Interpretationsansätze regelmäßig nicht (zu viel Gewicht auf einzelne Details, zu viele Blow-ups, zu wenig Großrhythmus etc.).


    Zitat

    kann man nach meiner bisherigen Erfahrung ohne weiteres davon ausgehen, dass der "Rezensent" Anstoß an dem Interpretationsansatz des Dirigenten nimmt und diesen, weil er nicht seinen Vorstellungen (eher Hörgewohnheiten) entspricht, für ein angeblich "schlechtes Dirigat" nimmt.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Loge
    Insofern meine ich, dass calaf und Beren_fox uns einmal detaillierter darlegen, wo Dirigent und/oder Orchester so "schlecht" waren und - obwohl sie eigentlich gewollt hätten - ein Motiv etc. nicht anders spielen konnten.
    Loge


    Lieber Loge,


    Du solltest Dir einfach mal den ganzen Thread in Ruhe durchlesen, dann würdest Du zum einen wissen, dass Beren_fox das Orchester so schlecht nicht fand und Du würdest auch meine Bemerkung über das schlechte Orchester nicht aus ihrem Zusammenhang reißen. Was ich mißlungen fand habe ich dargelegt.


    Kann es sein, dass sich hier Leute aufregen, die die Sendung gar nicht gesehen haben?


    Liebe Grüße,
    calaf

    Without deviation from the norm, progress is not possible.
    (Frank Zappa)

  • Lieber Edwin Baumgartner,


    ich wusste, dass Du hier irgendwo im Unterholz auf der Lauer liegen würdest :D, deshalb habe ich, um nicht in den Verdacht einer Baumgartner'schen "Rattle-Apologie" zu geraten, vorab klarstellen wollen, dass ich seine Ansätze tatsächlich regelmäßig nicht teile. Und nach dem, was Du an anderer Stelle geschrieben hast, meine ich, dass wir insofern ganz ähnliche Vorbehalte haben :baeh01:. Ich bin aber zugleich der Auffassung, dass Rattle sehr wohl in der Lage ist, seine interpretatorischen Vorstellungen auch weitestgehend umzusetzen. Insofern sehe ich in Deinen Hervorhebungen eigentlich keinen Widerspruch. Sobald man sich der eigenen (unentrinnbaren) Voreingenommenheit (Hörgewohnheiten) bewusst ist, ist schon Einiges gewonnen.


    Loge

  • Lieber Calaf,


    Zitat

    Kann es sein, dass sich hier Leute aufregen, die die Sendung gar nicht gesehen haben?


    kann ich Dir leider nicht beantworten. Die allgemeine Lebenserfahrung legt den Verdacht nahe, dass es so sein könnte. Ich jedenfalls habe die Sendung gesehen und vor allem gehört ;).


    Loge

  • Lieber Loge,
    nein, nein, das ist mir schon klar, daß Du Dir Deine Apologien für diesen anderen Dirigenten - Na, wie heißt er doch gleich? Ist mir jetzt glatt entfallen -
    aufhebst. ;) Bei Rattle dürften wir tatsächlich zu einer ziemlich ähnlichen Wertung kommen.


    Worauf ich hinweisen wollte, war, daß man, ich nehme mich keineswegs aus, eventuell Gefahr läuft, für das eigene subjektive Urteil die regelmäßige Enttäuschung der eigenen Hörgewohnheiten (wobei ich eher von Hör-Vorstellungen sprechen würde) allmählich zu einem Vorurteil zu verdichten.


    Insoferne bin ich fast froh, daß mir - ich sagte schon, daß ich die Aufführung erst ab dem zweiten Akt sehen konnte - Rattle zu Beginn dieses Aktes durchaus gefallen hat. Und zwar, weil es ihm gelang, der Musik nicht sozusagen von außen die Dramatik aufzudrücken, sondern sie quasi von innen zu entwickeln, nämlich durch ein sehr gekonnt entwickeltes Spannungsgeflecht zwischen den Hauptlinien und energiespendenden Details. Erst nach und nach stellte sich bei mir ein gewisses Befremden ein, weil der Klang weitgehend unnuanciert stets das Blech, und, wenn möglich, den Blech-Baß betonte.


    Die Kleinteiligkeit des Aufbaus fand ich zuerst ebenfalls nicht so ablehnenswert, weil ich den Eindruck hatte, daß Rattles Ansatz darin besteht, kleinteilige Abschnitte mit größeren Bögen zu kontrastieren. Allerdings stumpft das etwas ab, wenn es zu einer Manier erstarrt, und dieser Eindruck verdichtete sich bei mir zunehmend während des dritten Aktes - obwohl mich diese Facette schließlich weniger störte als die blechlastige Klangbalance.


    Wo wir aber, glaube ich, ebenfalls übereinstimmen, ist der Punkt, daß Rattle die "Walküre" nicht auf die leichte Schulter genommen hat, letzten Endes aber zu einer Auffassung gelangte, die von unseren Hör-Vorstellungen zu weit entfernt war, als daß wir zu einem positiven Gesamturteil kommen könnten.


    :hello:

    ...

  • Hallo,


    das mit den Hörgewohnheiten und -erwartungen lasse ich so nicht unbedingt gelten, denn ich für meinen Teil bin immer neugierig nach neuen Höreindrücken. Letzendlich ist es doch die Frage, ob einem die Darbietung gefallen hat. Und das kann sie auch, wenn der Höreindruck unerwartet war. Dann ist es sogar besonders gut!


    LG,
    calaf

    Without deviation from the norm, progress is not possible.
    (Frank Zappa)

  • Lieber Loge,


    Anlass meiner Klage über die Walküre-Aufführung waren weniger Rattle und die Berliner Philharmoniker, sondern vielmehr die Sänger. Das sollte eigentlich deutlich rübergekommen sein. Und auch wenn ich hier und da den falschen Ton getroffen habe, so ist mein Urteil doch durch meine oben beschriebenen Eindrücke einigermaßen gut begründet.
    Sicher, auch den Orchesterpart fand ich nicht sonderlich überragend - was garantiert auch an meinen Hörgewohnheiten und Vorstellungen liegt - aber das wurde von mir gar nicht weiter thematisiert, sondern erstens mit der Aussage relativiert, dass das Orchester noch das Beste an der ganzen Aufführung war (womit ich den vorhergehenden Beurteilungen widersprochen habe), und zweitens mit der ironischen Bemerkung zu erklären versucht, dass der Dirigent bei dem von mir als schlecht bewerteten Sängerensemble wahrscheinlich nicht sonderlich viel Lust hatte.

    Elen Rusco caluva tielyanna!

  • Lieber Edwin Baumgartner,


    Zitat

    nein, nein, das ist mir schon klar, daß Du Dir Deine Apologien für diesen anderen Dirigenten - Na, wie heißt er doch gleich? Ist mir jetzt glatt entfallen -


    an diesem Deinem Fixpunkt hast Du wohl mächtig gefeilt, bis Du ihn dann nachträglich einbauen konntest. Hast Du es jetzt, oder kommt hierzu noch was? :hahahaha:


    Loge

  • Lieber Beren_fox,


    Zitat

    dass der Dirigent bei dem von mir als schlecht bewerteten Sängerensemble wahrscheinlich nicht sonderlich viel Lust hatte.


    das gerade glaube ich nie und nimmer.


    - Erstens war das für Rattle nicht irgendeine beliebige Aufführung, dafür steht auch für ihn viel zu viel auf dem Spiel.


    - Zweitens kann man Rattle Lustlosigkeit jedenfalls nicht nachsagen; das passt nun gar nicht zu ihm. Das würde eher zu launischen Künstlernaturen wie Karajan oder Bernstein passen, und da hat man selbiges auch erlebt. Ich jedenfalls habe Rattle noch nie unengagiert erlebt. Ich habe den Eindruck, dass er stets bemüht ist, sein Bestes zu geben.


    - Drittens machte er (soweit man ihn sehen konnte) auch nicht den Eindruck. Auch das Orchesterspiel klingt jedenfalls nicht lustlos. Eher würde ich sagen, dass es hier und da ein wenig überengagiert klang.


    Loge

  • Zitat

    Original von Loge
    Lieber Beren_fox,



    das gerade glaube ich nie und nimmer.


    Ich auch nicht, deshalb ja auch mein Hinweis auf den ironischen Charakter dieser Aussage.

    Elen Rusco caluva tielyanna!

  • Lieber Beren_fox,


    schön, dann sind wir über Rattles Lust ja einer Meinung und haben nur noch ein unterschiedliches Verständnis vom richtigen Gebrauch der Ironie als rhetorisches Mittel der Verständigung.


    Loge

  • Wobei ich mich jetzt eines frage: Diese Aufführung hatte, ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns alle einig, für Rattle größere Bedeutung. Sollte er bei der Sängerbesetzung kein Wort mitzureden gehabt haben? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.


    Ich habe eher das Gefühl, daß Brünnhilde und Wotan mit völliger Absicht gegen die landläufigen Vorstellungen ihrer Charaktere besetzt waren, was etwa im dritten Akt durchaus auch aufgegangen wäre, hätte die Johansson nicht immer wieder allzu merklich neben die Töne gesungen.
    Nun bin ich aber in diesem Fall geneigt, von einer Tagesverfassung zu sprechen. Ich kenne die Johansson nämlich aus Wien als Senta, Ellen Orford ("Peter Grimes") und, wenn ich mich richtig erinnere, Jenufa, und habe sie in einer Erinnerung, in der falsche Töne eigentlich nicht vorkommen. Übrigens wird sie auch in Wien die Brünnhilde singen - ich werde also live beurteilen können, ob ihr diese Rolle eine Nummer zu groß ist, oder ob ihr unter Rattle eben doch die Tagesverfassung einen Streich gespielt hat.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Antracis
    also ich hab mal in den heiligen Tonmeisterhallen der Berliner Philharmonie etwas mit einem der beiden dort tätigen Herren plauschen dürfen und prinzipiell ist es so, das der Tonmeister natürlich alles neu nach gutdünken zusammenmischen kann, da es meist für alle Orchestergruppen eigene Mikros gibt.


    Jedenfalls müßten die "verstärkten" Instrumente räumlich näher wirken, als säßen sie vor dem Orchester. Das ist aber ein Effekt, den man nur mitkriegt, wenn man drauf achtet.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich kenne die Johansson nämlich aus Wien als Senta, Ellen Orford ("Peter Grimes") und, wenn ich mich richtig erinnere, Jenufa, und habe sie in einer Erinnerung, in der falsche Töne eigentlich nicht vorkommen.


    Hallo Edwin,


    Drau Johansson, die ich vor acht Jahren noch als grundsolide Eva erleben konnte, hat sich mittlerweile bis zur Elektra (a la Schnaut) hoch"gesungen" - und das ist ihr hörbar nicht bekommen. Ich konnte sie nun mehrfach als Senta erleben, u.a. in Berlin und WSO. Mein persönlicher Eindruck: In der DOB ein einziger Kampf, sie brüllte sich erbarmungslos durch die Partitur, ohne Rücksicht auf Verluste. Falls der Holländer von Grundheber da nicht wenigstens kurzfristig mit de Gedanken gespielt hat, nochmalsieben Jahre Single zu bleiben - ich wäre nicht überrascht gewesen. An der WSO, ein halbes Jahr später und ich schon das Schlimmste befürchtend, folgte eine akzeptale Senta. Ein Kampf war es gleichwohl, ein Sieg nach Punkten sozusagen, aber kein Vergleich mit Nina Stemme oder Anja Kampe, die in Brüssel und an der BSO brillierte. Kurzum: an guten Tagen akzeptable Leistung, an schlechten Tagen jedoch...

  • Zitat

    , aber kein Vergleich mit Nina Stemme


    Das wohl nicht - und man kann nur hoffen, daß sich die Stemme nicht auch vorzeitig einbildet, als Hochdramatische die Bühnen der Welt beglücken zu müssen. Als Senta war sie jedenfalls hinreißend.
    Anja Kampe eilt ein ausgezeichneter Ruf voraus - leider habe ich sie noch nicht in natura gehört.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Das wohl nicht - und man kann nur hoffen, daß sich die Stemme nicht auch vorzeitig einbildet, als Hochdramatische die Bühnen der Welt beglücken zu müssen. Als Senta war sie jedenfalls hinreißend.


    so gibt sie sich auch in ihrer strauss-einspielung mit den vier letzten liedern und der salome-schlußszene. so hochdramatisch ahbe ich die lieder noch nie gehört. meienr meinung nach verfehlt, dennoch sehr interessant. werde ich mir auf jeden fall noch besorgen als ergänzungsaufnahme. schade, daß pappano (?) so schnell dirigiert ...


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor