Dass Schubert sich nach der kompositorischen Auseinandersetzung mit den „Winterreise“-Gedichten Wilhelm Müllers dem Lyriker Heinrich Heine zuwandte, entbehrt nicht einer gewissen inneren Folgerichtigkeit. In beiden Lyrikern konnte er sich in seinem damaligen Lebensgefühl wiederfinden.
Vermutlich ist Schubert der Lyrik Heines bei den literarischen Lesungen begegnet, die Franz von Schober veranstaltete. Im Herbst 1828 komponierte er sechs Gedichte Heines, und er hatte wohl die Absicht, sie zusammen mit den sieben Kompositionen auf Texte Rellstabs in Form einer Liedergruppe zu veröffentlichen. Dazu kam es bekanntlich nicht mehr. Der Verleger Haslinger hat nach seinem Tod diese Lieder, ergänzt durch das Lied „Die Taubenpost“, unter dem von ihm kreierten Titel „Schwanengesang“ herausgegeben.
Was zog Schubert an Heines Lyrik an?
Man kann darüber natürlich nur Vermutungen anstellen, die sich aus den vorliegenden Liedkompositionen herleiten lassen. Wenn man sie unter dieser Fragestellung hört und analysiert, wird man aber wohl auf einige Antworten stoßen. Ganz allgemein kann man sagen: Es war wohl nicht die Ambivalenz von Heines lyrischer Sprache, dieses für diesen Dichter so ganz typische Zugleich von lyrischer Unmittelbarkeit und Gebrochenheit. Eher scheint Schubert vom Romantiker Heine angezogen worden zu sein, der, nach einem Wort Adornos, „vom Glück der Autonomie zehrte“. Zu dem anderen Heine, der dem Romantiker „die Maske heruntergerissen“ hat, fand Schubert offensichtlich keinen Zugang, - oder er wollte ihn nicht finden.
Ich glaube aber, dass Schubert sich mit seiner eigenen existenziellen Gebrochenheit (wie sie zum Beispiel auf einmalige Weise in der „Winterreise“ musikalische Gestalt annahm) in dem Lyriker Heine sehr wohl wiederfand. Diese existenzielle Gebrochenheit schlägt sich bei Heine ja nicht nur in seiner lyrischen Metaphorik nieder, sondern greift sogar bis in die Ebene der lyrischen Sprache aus. Und bei Schubert tut es das im Transzendieren der klassischen Musiksprache.
Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass die musikalisch kühnste Liedschöpfung, diejene, in der Schubert die Tonalität als kompositorische Grundlage verlässt, neben dem Lied „Der Leiermann“ das Lied „Die Stadt“ auf einen Text von Heinrich Heine ist. Hier scheint es eine tiefer reichende innere Verwandtschaft zwischen beiden gegeben zu haben.
Es zeugt von einem recht vordergründigen Umgang mit der Lyrik Heines, wenn man ihr Wesen an dem – von ihm selbst dafür benutzten! – Begriff der „Ironie“ festmacht und dazu auch noch deren gröbste Form, wie sie sich etwa in dem Gedicht „Das Fräulein stand am Meere“ vorfindet, als Beleg anführt. Die sprachliche Figur der „Ironie“ ist nur die grob-äußerliche Oberfläche von Heines Lyrik. Das, was sich darunter findet und gleichsam der Quellgrund dieser Ironie ist, war wohl auch das, was Schubert an Heine anziehend fand. Es ist die, aus der Erfahrung ihres Verlusts resultierende, Suche nach Heimat. Das ist ein zutiefst spätromantisches Phänomen, und es scheint Schubert und Heine in dem eben so genannten tieferen Sinne verbunden zu haben.
Allerdings ist Schubert bei dieser Suche Heine nicht so weit gefolgt, wie dieser in seiner Lyrik ging, - nicht bis dahin, das Scheitern dieser Suche künstlerisch zu artikulieren. Das nämlich ist die tiefere Wurzel von dem, was man mit dem Begriff „Ironie“ Heines Lyrik zuordnet. So weit wie Heine ging, dieses Scheitern nämlich im bewussten Bruch des hohen lyrischen Tons und in der ebenso bewussten Zerstörung der zugehörigen Metaphorik dichterisch zu artikulieren, konnte und wollte Schubert wohl nicht gehen. Deshalb hat er, im Unterschied zu Schumann, auch nicht zu solchen Gedichten Heines gegriffen, die sozusagen radikaler lyrischer Ausdruck jenes Scheiterns sind, also sprachlich-ironische Elemente aufweisen.
Keines der von Schubert „vertonten“ Heine-Gedichte weist „Ironie“ im Sinne dieses bewussten Zerbrechens überkommener klassisch-romantischer Metaphorik auf. Allenfalls zeigt das Gedicht „Am Meer“ ein Element, das Heine selbst möglicherweise – mit seinen eigenen Worten – als „maliziös-sentimental“ eingestuft hätte, - was man als eine Art Vorstufe der Entwicklung hin zur radikalen Ironie verstehen kann. Es zeigt sich dort, wo in die durchweg „heile“ romantische Metaphorik dieses Gedichts das eigentlich ja balladesk grobe Bild vom „unglückseligen Weib“ einbricht, das mit „seinen Tränen vergiften“ kann. Aber selbst darauf hat sich Schubert nicht wirklich kompositorisch eingelassen.