Giovanni Martinelli - Noch ein Vergessener

  • Der ital. Tenor Giovanni MARTINELLI (1885-1969) wurde zuweilen als "bedeutendster Nachfolger Enrico Carusos" (Quelle: Wikipedia) bezeichnet. Dennoch ist er heute nahezu vergessen. Selbst hier im Forum gibt es keine fünfzehn Threads, in denen sein Name fällt.



    Sein Debüt erfolgte bereits 1910 in Mailand. Er stand seitdem bis ins Jahre 1967 (!) auf der Bühne, zuletzt als Kaiser in Turandot. Allein über dreißig Jahre war er an der MET engagiert, zunächst als Carusos Nachfolger, später mit Gigli und schließlich allein.


    Eine der größten Stimmen des 20. Jahrhunderts, die nunmehr endlich entsprechend im Forum gewürdigt wird.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo zusammen,


    schön, dass an Giovanni Martinelli erinnert wird. Ich halte ihn tatsächlich für einen der ganz Großen, die auf Tonträger dokumentiert sind.


    Allerdings: dem Urteil "eine der größten Stimmen des 20. Jahrhunderts" kann ich nicht recht zustimmen, denn gerade die Stimme ist es meiner Meinung nach nicht, die die Größe dieses Sängers ausmacht. Sie ist zwar fähig zu leisen Tönen, sie hat in der hohen Lage überhaupt keine Probleme und sie kann sich wegen der "schneidenden", manchmal fast krähenden Klangfarbe gegen jedes Orchester durchsetzen (was Martinelli letzten Endes auch den Weg ins "spinto eroico"-Fach erlaubte, ohne dass ihm Kraft und Volumen wie etwa Zanelli oder Vickers oder als Extremfall gar Melchior zur Verfügung gestanden hätten), aber "schön" in Hinsicht auf "sinnliche Schönheit" wie sie etwa die Stimmen McCormacks, Björlings oder wieder die von Melchior bieten, das trifft hier nicht zu.


    Viel bedeutender als der "physische" Teil der Stimme ist, wie er dieses Instrument für dramatische Zwecke einsetzt: mit intelligentem Phrasieren und mit bewusst eingesetzter Dynamik kann Martinelli Charaktere in Exremsituationen imaginieren. Aus mancher seiner alten Aufnahmen schlagen auch heute noch Flammen - wie muss dieser Sängerdarsteller auf der Bühne gewirkt haben! - In vieler Hinsicht ist Martinelli ein Vorgänger von Maria Callas.


    Meine Vorzugsaufnahmen des Tenors:


    - Das Duett "Invano, Alvaro,...", in dem er aus Verdis "La Forza del destino" den Alvaro singt, (den Carlos gibt Giuseppe da Luca), ist ein Klassiker, gleichwertig ist das Finale der selben Oper mit Rosa Ponselle als Leonora ind Ezio Pinza als Guardiano. Dass Aufnahmen mit solchen Partnern "gut" werden würden, ist zwar nicht eigentlich überraschend, aber Tatsache ist: das Feuer, die Lebendigkeit und die dramatische Zuspitzung bekommen diese Szenen im Wesentlichen vom Tenor.


    - Otello war eine Grenzpartie für Martinelli, und diese Tatsache nutzt er dramatisch, wieder wird eine menschliche Grenzsituation dargestellt (und als führender "Otello"-Interpret seiner Zeit wird Martinelli erst von Vinay abgelöst).


    - Die jugendlich heldische und noch völlig intakte Stimme hört man am Besten in Aufnahmen aus der Zeit von 1915 bis 1920, z. B. aus Rossinis "Tell" das "O muto asil" mit seiner schwierigen hohen Tessitura.


    Gruß
    Pylades

  • Hallo Felipe und Pylades,


    auch ich finde, dass Giovanni Martinelli zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, aber dieses Schicksal teilt er wohl mit vielen Sängern seiner Zeit, obwohl er die meisten seiner Zeitgenossen ja, was die Dauer der Karriere angeht, übertroffen haben dürfte.


    Ich glaube gern, dass er mit seiner robusten, metallischen Stimme im Theater großen Eindruck gemacht haben muss - auf Tonträgern höre ich jedoch am liebsten diejenigen seiner Aufnahmen, die zeigen, dass er zumindest zu Anfang noch etwas von der "Alten Schule" des Belcantos mitbekommen hatte, und dass er auch zu lyrischen, empfindsamen Tönen fähig war.


    Der Grund dafür ist gar nicht mal so sehr meine Vorliebe für lyrische Tenöre, sondern manchmal das Empfinden des "Überdimensionierten" in seinen dramatischen Aufnahmen, der "Überdruck" seines Singens, der auf Tonträgern wohl stärker zum Ausdruck kommt als im Großraum des Theaters.


    In etwas lyrischeren Stücken zeigt er dagegen ein genuines Pathos, das ich sehr gern höre (und bei heutigen Operntenören manchmal schmerzlich vermisse). Und sie zeigen eine wirklich schöne Stimme, z.B.


    - aus dem Jahr 1915 die Sortita des Ernani
    - aus demselben Jahr das "Miserere" aus dem "Trovatore" mit Emmy
    Destinn
    - die Arie des Alvaro aus "La Forza del Destino" (das "Siviglia! Leonora! Oh, rimembranza!" vergisst man nicht so schnell)


    - und meine Lieblingsaufnahmen von Martinelli: die Szenen aus dem "Trovatore" mit der Azucena Louise Homers (aufgenommen Ende der 20er Jahre), besonders das Duett aus dem 4. Akt.
    Obwohl sich Louise Homer im Herbst ihrer Karriere befand und ihre Stimme von manchen Kritikern als "fahl" bezeichnet wird, singt sie mit schmerzlichem Pathos und ohne das "Keifen", das ich von manchen moderneren Azucenas gehört habe.


    :hello: Petra

  • Martinelli war für mich immer zwiespältig. Seine ersten Aufnahmen stammen glaube ich aus 1913. "Überdruck" trifft es auch für mich ganz gut, zeitweise auch ein übertriebenes Pathos, ABER:
    zu Martinelli gehe ich wegen der herrlichen großen Legato-Bögen und vor allem wegen der Rezitative - die sind bei Verdi ja bekanntlichh die halbe Miete.
    Großartig zum Beispiel die Ernani Arie und auch das "Celeste Aida". (und - das darf man fast gar nicht schreiben eine Aufnahme der "Giovinezza" - politically natürlich keineswegs korrekt, aber toll gesungen)

  • Hallo zusammen,


    ich habe soeben eine alte Giovanni-Martinelli-Schallplatte wiedergefunden: Aufnahmen von 1912 für Edison (seine ersten Aufnahmen überhaupt), 1929 und 1968. Die Platte erschien bei "Mark56 Records", USA. Sein "Che gelida manina" von 1912 hat PEARL später auch veröffentlicht, jedoch um einen halben Ton transponiert. Zudem habe ich vor kurzem noch einmal seine "Ernani"-Arie "Come rugiada al cespite" aufgelegt - ich kenne keine bessere Version des Stückes.


    Gruß
    Manfred

    "Menschen, die nichts im Leben empfunden haben, können nicht singen."
    Enrico Caruso


    "Non datemi consigli che so sbagliare da solo".
    ("Gebt mir keine Ratschläge, Fehler kann ich auch allein machen".)
    Giuseppe di Stefano

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  • Ernani - eine absolute Referenzaufnahme für mich. Kann mich noch erinnern, wie Shicoff die Partie in Wien gesungen hat und ich mich gefreut habe, die Oper endlich einmal live zu sehen. Die Musik habe ich stellenweise echt nicht wiedererkannt...


    Die - warum auch immer - damals unveröffentlichten Aida-Duette mit Rosa Ponselle gehören für mich auch zu Martinellis besten Aufnahmen. Die Tell-Ausschnitte ebenfalls, die Forza-Szenen (das Finale!) sowieso. Und obwohl ab etwa Ende der 1920er Jahre auch viele steife und nicht immer schöne Töne dabei waren muß man, finde ich, seine live-Mitschnitte aus Otello, Maskenball und Pagliacci haben.


    Toscanini hat zu ihm in seinen frühen Jahren gesagt: "Du klingst wie ein Polizeihund (cane poliziotto)."
    Ich finde, das trifft es recht gut. :thumbsup:

  • Hallo!


    Giovanni Martinelli ist bei mir beileibe kein Vergessener. Ich besitze drei CD von diesem großen Caruso-Konkurrenten. Eine sehr schöne CD von PREISER, eine von PEARL und von NIMBUS. Ich müßte auch Schellacks von Martinelli haben, aber leider ist meine große Sammlung nicht katalogisiert. Das Finale aus "Die Macht des Schicksals" mit Rosa Ponselle und Ezio Pinza ist wunderbar und eine Klasse für sich.



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Hallo zusammen,


    ich habe mir vor kurzem eine wunderschöne Doppel-CD von Giovanni Martinelli zugelegt: "6 decades of immortal performances". Wie der Titel schon aussagt, ist Martinelli mit Aufnahmen von 1912 - 1968 vertreten. Die Aufnahmen aus den fünfziger Jahren hatte ich bis dahin noch nie gehört. Das unvermeidliche "O sole mio" ist ebenso zu hören wie Ausschnitte aus "Tristan und Isolde" oder "Gianni Schicchi".



    Gruß
    Manfred


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  • Heute jährt sich wieder der Todestag von Giovanni Martinelli. Er starb am 02.02.1969. Daher habe ich vorhin die eingestellte Schallplatte gehört: "Giovanni Martinelli - Bravo Leone". Zu hören sind überwiegend Liveaufnahmen des Sängers aus den Jahren 1924-1948. Die Stretta aus Verdis "Trovatore" (live, 1939), "Torna a Surriento" samt phänomenalem hohen C (1928) oder die Szenen aus Halevys "La Juive" (1924) sind eine Wucht!


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  • Er stand seitdem bis ins Jahre 1967 (!) auf der Bühne, zuletzt als Kaiser in Turandot.


    Martinelli (Bildmitte) als "Kaiser" in Turandot (Seattle, 1967). Kürzlich habe ich mir noch den Mitschnitt angehört.

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