Dirigenten - Ist ihr Stil abhängig vom erlernten Instrument?

  • „Ich dirigiere so, weil ich Geiger war. Toscanini spielte immer Cello, wenn er dirigierte, Koussevitzky Kontrabaß, Stokowski Orgel. Die Dirigenten, welche vom Klavier her kommen, haben fast immer einen schärferen Schlag, und das hört man an ihren Orchestern“, hat Eugene Ormandy bemerkt (zitiert nach Wolfgang Schreiber: „Große Dirigenten“, Aktualisierte Neuausgabe 2007, Seite 227)


    „Hat er Recht?“, frage ich mich.


    Bei vielen Dirigenten ist es nicht deutlich festzumachen, von welchem Instrument her sie kommen. Die allermeisten dürften Klavier spielen können. Karajan beispielsweise ist in jungen Jahren als Pianist aufgetreten. Kommt er aber deshalb vom Klavier her? Nein, wohl nicht, er hat ja sehr früh auf Dirigent umgesattelt. Viele Dirigenten haben zudem neben dem Klavier noch ein anderes Instrument erlernt, teilweise auch studiert. E. Kleiber war z. B. nicht nur Pianist, sondern auch Schlagzeuger. Meines Wissens trifft das auch auf Rattle zu.


    Angesichts dessen wäre eher anzunehmen, dass das erlernte Instrument vor allem dann Einfluss auf die Klanggestaltung des Dirigenten hat, wenn der Betreffende auf diesem Instrument tatsächlich viele Jahre musiziert hat (zeitgleich oder zuvor).


    Namen, die mir einfallen, sind: Barenboim, Bernstein und Mitropoulos als Pianisten (von Letzterem habe ich gelesen, dass er 1930 in letzte Sekunde für den Pianisten Petri eingesprungen sei und Prokofjews Klavierkonzert Nr. 3 nicht nur dirigiert, sondern auch eigenhändig am Klavier gespielt habe, ansonsten wäre er mir als Pianist nicht bekannt gewesen), Harnoncourt, Rostropowitsch und Toscanini als Cellisten (wie lange Toscanini Cellist war, weiß ich nicht). Geiger fallen mir spontan nicht ein (von Menuhins Dirigaten schweige ich). Bratschisten soll es auch gegeben haben …


    Ist es richtig, dass Barenboim, Bernstein und Mitropoulos einen schärferen Schlag haben als z. B. Harnoncourt und Toscanini? Meines Erachtens offensichtlich nicht. Bedeutet das, dass die Aussage Ormandys unzutreffend ist? Wohl ja. Hat das erlernte Instrument aber dennoch Einfluss? Kaum, meine ich. Typischerweise denkt ein Dirigent ja von der ganzen Partitur her, nicht nur von einer Einzelstimme.


    Was meint ihr?


    fragt freundlich grüßend
    Thomas

  • Szell, Solti: Klavier
    Marriner, Maazel: Violine (Maazel evtl. auch Klavier, Wunderkind halt)
    Giulini, Scherchen (?): Bratsche
    Colin Davis: Klarinette
    Gerard Schwarz: Trompete
    Frans Brüggen: (Block)flöte
    Leonhardt, Christie, Alessandrini, Hogwood: Cembalo (Orgel)
    (viele andere Leiter von Barockensembles, z.B. Goodman, Goebel): Violine
    Konrad Junghänel: Laute
    Holliger: Oboe
    Karl Richter: Orgel/Cembalo
    Peter Schreier, René Jacobs, Matthew Best: Gesang


    Einige Dirigenten, z.B. Busch und Fricsay spielten wohl eine ganze Anzahl von Orchesterinstrumenten recht ordentlich.


    Ich glaube auch nicht an einen direkten Einfluß (und kann die Einteilung von Ormandy nicht nachvollziehen). Aber ich habe oft gehört, daß es schon wichtig sein, nicht nur Klavier zu spielen. Klar haben auch diese Dirigenten eine gewisse Vertrautheit mit Orchesterinstrumenten. Aber es ist wohl doch ein Unterschied, ob man eins oder mehrere davon richtig gut spielen kann.
    Jedenfalls ist das gewiß nur ein möglicher Einfluß unter vielen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo zusammen,


    ein Gedanke dazu.


    Ist es beim dirigieren nicht ebenso wie beim musizieren, dass die eigene Interpretation den Ausschlag gibt?


    Wenn also der klavierspielende Dirigent das zu dirigierende Stück so interpretiert wie er es auch am Klavier tun würde, dann und nur dann träfe mE die Aussage Ormandys zu.


    Aber geht das überhaupt? Muss der Dirigent nicht zwangsläufig die Eigenarten jedes einzelnen Instrumentes berücksichtigen?


    Möglicherweise hat ein Dirigent der mehrere Instrumente beherrscht ein besseres Verständnis oder auch Gehör für den Zusammenklang der Instrumente in einem Orchester.



    LG


    Maggie

  • Man kann die Fragestellung auch umdrehen.
    Ist es nicht so, daß bestimmte Menschentypen sich ein bestimmtes Instrument aussuchen, ein Künstler auf der Querflöte als "Tastendonnerer" - schwer vorstellbar. Ebensowenig wie ein Tastenlöwe an der Harfe......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Ich denke schon, dass das erlernte Instrument die Interpretation beeinflusst.
    Und es ist sicher richtig, dass man sich ein bestimmtes Instrument aussucht, dass einem charakterlich nahe ist.
    Bekannte Dirigenten spielten/spielen ihre Instrumente ja nicht hobbymäßig, sondern waren ja meist auch recht gute, studierte Solisten bzw Musiker am jeweiligen Instrument. Und so, wie ein Streicher eben eher auch in der Gruppe übt (Orchester, Kammermusik), spielt ein Pianist eher allein. Der eine bewertet den Klang somit eher aus der Masse heraus, der andere eher aus der Sicht eines Solisten. Zum Klavier ist dabei zu sagen, dass es ja so eine Art Grundvoraussetzung für Musikstudenten bzw für Dirigenten darstellt. Der Korrepetitor an der Oper spielt ja in den Proben die PArtitur auf dem Klavier, wenn nur mit den Sängern geprobt wird. Gute Pianisten sind somit vermutlich die meisten Dirigenten. Sehr gute Pianisten (also solche, die auch solo auftreten) sind eher wenige. Die denken dann aber wohl ein bisschen mehr als Pianisten, also vom Soloinstrument aus, als ein Bratscher oder ein Kontrabassist.