Lumpen, Vagabunden und andere liederliche Gesellen: Johann Nestroys "Possen mit Gesang"

  • Ich erlaube mir, einen Thread zu einem Thema zu eröffnen, zu dem ich selbst nicht viel weiß:


    Eigentlich bin ich kein Freund der Operette und auch die Gattung, um die es mir hier geht, ist mir eher fremd: die "Posse mit Gesang". Doch in den letzten Tagen habe ich, auf Anraten eines Kollegen, dieses gelesen:



    (Bild: Wikipedia)


    Johann Nestroy


    Der böse Geist Lumpazivagabundus


    oder


    Das liederliche Kleeblatt


    Zauberposse mit Gesang


    Nach der Lektüre schwanke ich etwas, ob ich die Witze für flach oder tiefgründig halten soll. Wahrscheinlich liegt das auch daran, daß ein Stück wie dieses nicht gelesen werden will, sondern auf die Bühne gehört.


    Ein Beispiel: Schneidermeister Zwirn hat unbemerkt einen Taler gestohlen.

      LEIM. Meine lieben Leut', es ist ein Taler wegkommen, halten Sie daher alle, wie Sie hier im Zimmer sind, die Händ' in die Höh'.
      (Alle tun, wie Leim gesagt.)
      LEIM. Haben alle die Händ' in der Höh'?
      ALLE. Ja!
      LEIM. Der auch, der den Taler g'nommen hat?
      ZWIRN (Bemerkt in diesem Augenblick, daß er sich verschnappt hat, und schlägt sich mit der Hand an die Stirn.) O je!
      KNIERIEM. Haben wir dich erwischt!?
      ZWIRN. (den Taler zurückgebend). Nur nit kindisch - ich hab' den Taler nur wechseln wollen.
      KNIERIEM. Ja, du bist der, der's Geld wechselt.

    Auf der Bühne könnte ich mir das recht witzig vorstellen.


    Das Stück enthält auch einige musikalische Einlagen, komponiert von dem mir völlig unbekannten Adolf Müller (1801-1886): Lieder und am Ende des 2. Akts ein Quodlibet: Terzett mit Chor, mit einigen Zitaten aus Werken, die 1833, zur Entstehungszeit, in Wien populär gewesen sein müssen (interessant, wie sich völlig Vergessenes mit noch heute Bekannten versammelt):

      Rossini: La donna del lago
      Hérold: Zampa
      Peter von Winter: Das unterbrochene Opferfest
      Bellini: Romeo und Julia
      Auber: Maurer und Schlosser
      Mozart: Die Zauberflöte
      A. Müller: Der Zaubermond
      Rossini: Armida
      Angely: Das Fest der Handwerker
      Rossini: Der Barbier von Sevilla

    Über den Komponisten lese ich, daß er sich stilistisch zwischen Beethoven und Johann Strauß (Vater) bewege.


    Wenn ich es richtig sehe, gibt es noch keinen Thread über das Wiener Volkstheater des Johann Nestroy (1801-1862). Dem möchte ich abhelfen, indem ich folgende Fragen in den Raum stelle:

      - Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy: Was gibt es Wissenswertes über diesen Urwiener Dichter und Komödianten und seine Werke?


      - Sind seine Possen (neben Lumpazivagabundus: z. B. Der Talisman, Einen Jux will er sich machen) es wert, heute noch aufgeführt zu werden? Wenn ja, in welcher Form: textgetreu oder aktualisiert?


      - Wie sind die musikalischen Einlagen, etwa die des erwähnten Adolf Müller?


      - Und dann noch ganz speziell (da ich selbst aus genau der entgegengesetzten Ecke des deutschen Sprachraums stamme): Was schwingt für einen Wiener im Namen "Lumpazivagabundus" mit? "Lump" und "Vagabund" hört man leicht heraus - gibt es noch mehr?

    Es würde mich freuen, hier ein paar aufschlußreiche Beiträge zum Wiener Volkstheater zu lesen - vielleicht bin ich dann bei meinem nächsten Wien-Besuch noch besser vorbereitet...?

  • Lieber Gurnemanz,


    als ein Liebhaber Nestroys freue ich mich, dass Du den Thread eröffnet hast, auch wenn er eigentlich eher in den Literaturthread gehört. Aber er hat es durchaus verdient und ich werde mich auch gerne an der Diskussion beteiligen.



    Da ich das Stück schon mehrfach gesehen habe: Mit den richtigen Schauspielern auf der richtigen Bühne entwickelt der Witz Nestroys die Tiefgründigkeit, die er hat. Natürlich hat er die ganze Palette zur Verfügung. Vieles entwickelt sich aus einer Situation, wo dann auch ein (durchaus zeitgemäßes) Beiseitesprechen am Platz ist. Diese Stellen zum Improvisieren sollten in keiner guten Aufführung fehlen, es war eine große Kunst des Schauspielers Nestroy, dieses en passant-Sprechen, die Sprache ist oft anspielungsreich und bezieht die Welt jenseits der Bühne mit ein.


    Gleich ein anderes Zitat


    Zitat


    LEIM mit einem Felleisen, tritt gleich nach der Verwandlung auf. Da wär' ich beim Tor. Es ist aber, soviel ich merk', eine ungefällige Stadt; denn wenn sie gefällig wär', so wär' sie mir auf halbem Weg entgegengekommen. Im Grund betracht, ist's a Schand, ich bin ein ausgelernter Tischler, und es gehn mir ordentlich d' Füß aus'n Leim. Ist's denn aber anders möglich? Die Wirt' auf der Straßen haben ja Herzen, so hart als ein Ast in ein buchsbaumenen Pfosten. Woher kommt das aber? Weil die Leut' keine Bildung haben auf'n Land. Und warum haben s' auf'n Land keine Bildung? Weil s' lauter eichene Möbeln haben, drum kennt das Volk keine Politur; und wer keine Politur kennt ist ein Sozius.


    Dem Auftritt von Leim ist eine Szene vorangegangen, die noch die Nabelschnur des Nestroyschen Schaffens zeigt, es ist seine vorletzte Zauberposse, er knüpft an das Werk von Raimund an. Doch hat sich der Akzent bei ihm schon von demr idealistischen Kommödie Raimunds zur realistischen, später auch zynischen Posse verschoben.


    Die Atmosphäre wird geschaffen durch einen barocken Wortwitz, der solche Darsteller wie Josef Meinrad braucht, um in allen Farben beziehungsreich zu schillern. Aber dann wird er von nichts im deutschen Sprachraum übertroffen, steht auf einer Ebene mit "Leonce und Lena".


    Zitat

    Das Stück enthält auch einige musikalische Einlagen, komponiert von dem mir völlig unbekannten Adolf Müller (1801-1886)


    Adolf Müller war schon kein unwichtiger Wiener Musiker und Komponist. Er zählte zu den zwölf Männern, die Beethovens Sarg tragen durften. Er schrieb eine große Anzahl von komischen Opern und gehörte zu den beliebtesten Komponisten seiner Zeit.


    Er hat den unübertrefflichen Ton der Lieder zu Nestroys Stücken gefunden, wobei Nestroy ein ausgezeichneter Sänger war, immerhin hatte er auf der Opernbühne u.a. den Sarastro gesungen.


    Zitat

    Sind seine Possen (neben Lumpazivagabundus: z. B. Der Talisman, Einen Jux will er sich machen) oes wert, heute noch aufgeführt zu werden? Wenn ja, in welcher Form: textgetreu oder aktualisiert?


    Auf jeden Fall sind sie aufführungswert. Die Stücke müssen beides sein: textgetreu und aktuell - aktualisieren muss man sie mE nicht, sie spiegeln moderne Erfahrungen wider.


    Zitat

    Wie sind die musikalischen Einlagen, etwa die des erwähnten Adolf Müller?


    Vielleicht sollte das nicht ein so großer Liebhaber Nestroys beantworten, für mich sind sie ein integraler Bestandteil der Stücke (und die CD, auf denen Meinrad singt, ein Muss - allerdings leider nicht mehr im Repertoire.)


    Liebe Grüße Peter

  • Nestroy zählt zu meinen Lieblingsautoren, besonders seine unnachahmliche Art, mit der Sprache zu spielen, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue, weil man auch bei jeder Lektüre wieder etwas Neues entdeckt. Leider ist es so, dass das Verständnis für diesen großen Sprachakrobaten immer mehr verloren geht, weil viele der von ihm verwendeten (und verdehten) Begriffe heutzutage bereits unbekannt sind und nicht mehr die Lacher evozieren, die Nestroy im Sinn gehabt hat. Auch viele der Berufe, die Nestroy durch den Kakao zieht, sagen einem jungen Menschen von heute gar nichts mehr, und ich fürchte sehr, in spätestens 50 Jahren werden sein Stücke nicht mehr die Wertschätzung genießen, die ihnen zusteht, weil der tiefere Sinn verloren geht und der bloße Klamauk, der dann übrig bleibt, mit den französischen Pendants (Die Nestroy ja sehr oft adaptiert hat, seine Stücke sind selten genuine Schöpfungen!) nicht konkurrieren kann.
    Typisch für Nestroys Stücke ist die ironische, reflektierende Gestaltung der Monologe, die Vielschichtigkeit der Wortspiele, deren oft hintergründiger Witz, der den Verstand des Publikums anspricht. Denn Nestroy schrieb keineswegs primitive Unterhaltung für die "ungebildete Vorstadt", wie das oft behauptet wird, sondern wandte sich (auch) an die gebildete Leserschaft, die alle seine Anspielungen verstand. Über Sätze wie "Wer da nicht den Appetit verliert, der hat keinen zu verlieren" kann nur lachen, wer seinen "Hamlet" kennt!
    Die Techniken, die Nestroy auf sprachlicher Ebene anwendet, sind mannigfach:
    Gerne legte er "Der Red' ein Feiertagsg'wandl" (Zitat aus Talisman) an, um einfache Sachverhalte parodistisch zu überhöhen, so wenn Titus auf die FRage nach seinem Vater antwortet: "... er betreibt ein stilles, abgeschiedenes Geschäft, bei der die Ruhe das einzige Geschäft ist; er liegt von höherer Macht gefesselt, und doch ist er frei und unabhängig, denn er ist Verweser seiner selbst - er ist tot." (Wobei man auch da natürlich den Doppelsinn von "Verweser" verstehen muss, um lachen zu können!)
    Zahlreich sind die Wortspiele in Nestroystücken, die oft "Wortstammspielereien" betreffen, wie z.B. "Mit so einem G'hilfen wär ihr schon g'holfen!" (Talisman) Komische Wirkung erzielt er oft, indem er einen Begriff mit seinem Gegenteil konterkariert: "Herr, diese Äußerung empört mein Innerstes!" (Talisman)
    Er liebte auch wortschöpferische Analogien ("Der Zorn überweibt sie!") oder kreative Neuschöpfungen: ".....aus millionärrischer Gewinnvermehrungspasssion" Wie gesagt, jedes Nestroystück ist eine wahre Fundgrube für sprachverliebte Leser!!!! Vieles muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    Übrigens stammt meine Otto-Schenk-Aversion nicht so sehr von der Oper, sondern von seinen Nestroyinszenierungen. Vom Publikum und Kritik gefeiert, erfasste mich nur ein maßloser Zorn, wie man Nestroy auf eine derartige Primitivstufe herabwürdigen kann, ohne den leisesten Versuch zu unternehmen, das, was an Sozialkritik usw. in den Stücken steckt, auch nur ansatzweise herauszuschälen.
    Nestroy war zwar kein politischer Dichter im Sinne des Jungen Deutschland, er war treuer Monarchist, Anhänger des Zentralismus, gegen den Separatismus der Nationalitäten, auf der anderen Seite aber ein unbarmherziger Kritiker gesellschaftlicher Misstände, die er in seinen Stücken - oft satirisch überspitzt - thematisierte und bloß stellte, weshalb er Zeit seines Lebens Probleme mit der Zensurbehörde hatte. (Und einmal sogar auf offener Bühne verhaftet wurde!) Er kritisierte den Adel, unter dem er arbeitsscheue Schmarotzer ortete, den typischen Emporkömmling seiner Zeit (den Geldadel), aber auch generell menschliche Borniertheit und Vorurteile. (Siehe Talisman) Sein Herr von Lips (Zerrissener) z.B. mutet geradezu modern an mit seiner blasierten Lebenslangeweile, der Unfähigkeit zum Genuss als Folge der Wohlstandsübersättigung.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina, lieber Peter,


    vielen Dank für Eure Antworten: Der barocke Wortwitz Nestroys spricht mich schon an, auch wenn ich manches erst nachschlagen muß (was den Genuß wieder mindert) - das mir vorliegende Reclamheft enthält dankenswerterweise ein Glossar.


    Beim weiteren Recherchieren ist mir ein Stück (ebenfalls eine "Zauberposse mit Gesang") begegnet, das allein schon im Titel begeistert:



    Und danke auch für den Tip mit Josef Meinrad: Habe ihn lange nicht mehr gesehen, erinnere mich allerdings noch entfernt, aus der Frühzeit meines Fernsehlebens, an seinen "Pater Brown" und andere schauspielerische Glanztaten!


    Übrigens fällt mir gerade ein, daß ich vor ein paar Jahren Frühere Verhältnisse am Schauspielhaus in Stuttgart erlebt habe - eine Aufführung allerdings, die ich als flach und belanglos in Erinnerung habe.


    PS: Gegen eine Verlegung in den Literatur-Bereich hätte ich grundsätzlich nichts einzuwenden, auch wenn die Gattungsbezeichnung "Posse mit Gesang" das nicht unbedingt nahelegt. Ich überlasse das gern der wohlweisen und geneigten Moderation.

  • Zitat

    Original von severina
    Nestroy zählt zu meinen Lieblingsautoren, besonders seine unnachahmliche Art, mit der Sprache zu spielen, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue, weil man auch bei jeder Lektüre wieder etwas Neues entdeckt. Leider ist es so, dass das Verständnis für diesen großen Sprachakrobaten immer mehr verloren geht, weil viele der von ihm verwendeten (und verdehten) Begriffe heutzutage bereits unbekannt sind und nicht mehr die Lacher evozieren, die Nestroy im Sinn gehabt hat. Auch viele der Berufe, die Nestroy durch den Kakao zieht, sagen einem jungen Menschen von heute gar nichts mehr, und ich fürchte sehr, in spätestens 50 Jahren werden sein Stücke nicht mehr die Wertschätzung genießen, die ihnen zusteht, weil der tiefere Sinn verloren geht und der bloße Klamauk, der dann übrig bleibt, mit den französischen Pendants (Die Nestroy ja sehr oft adaptiert hat, seine Stücke sind selten genuine Schöpfungen!) nicht konkurrieren kann.


    Liebe Severina,


    als Nicht-Wiener darf ich einen kleinen Widerspruch wagen ...


    Alles an der Literatur des 19. Jahrhunderts ist fußnotenbedürftig für das 21. - und gerade die komische Literatur ist die schwierigste. Ich habe schon ein paar Pröbchen von Dumas' Kapitän Pamphile meinem Nachwuchs zum Besten gegeben - es war eine Vielzahl von Wortwitzen, die bei ihm nicht ankam, weil historisches Wissen fehlte - und trotzdem ergötzte er sich, u.a. weil ein ausgezeichneter Vorleser am Werk war. Hin und wieder stoppte ich die Wiedergabe und erläuterte das eine oder das andere. Hinterdrein disputierten wir dann noch ein wenig über die Begriffe Ironie, Sarkasmus und Zynismus, die wohl schon an der Schule terminologisch ein wenig angehoben worden waren.


    Was ich meine: Wenn es eine gute Darbietung und eine Bereitschaft gibt, auf sie einzugehen, wird vielleicht nicht alles verstanden, doch viel mehr, als nur das Wortverständnis herzugeben meint. Bei dem obigen Monolog des Leim ist es eigentlich nur der Sozius, der entweder sprachlich ersetzt werden müsste (was hier leicht geht) oder eben sonst sprachlich erklärt werden muss.


    Natürlich gerät man mit der Literatur des 19. Jahrhunderts an Schwellen des naiven Verstehens, wo sie offenkundig werden, halte ich das noch nicht einmal so schlecht. Aber einen Dylan Thomas kann ich auch nicht einfach in meinen Straßenschuhen abholen.


    Voraussetzung ist schon, dass ich ein Interesse an Literatur und eben auch an vergangener Sprache habe. Für mich sind es eigentlich viele wunderbare Explosionen an den Synapsen meines Sprachverständnisses, wenn ich - als Nicht-Wiener - Nestroy genieße. Da ich vor Zeiten auch schon einmal wissenschaftlich über ihn gearbeitet habe, ist die Tür zu ihm bei mir immer angelehnt, den Schlüssel habe ich - auch wenn ich mit ihm immer erst am Eingang stehe. Aber ein Kampl lässt mich nicht lange draußen stehen, auf seine umständliche, doch liebenswerte Art hat er mich bald herein gebeten.


    Zitat

    Übrigens stammt meine Otto-Schenk-Aversion nicht so sehr von der Oper, sondern von seinen Nestroyinszenierungen. Vom Publikum und Kritik gefeiert, erfasste mich nur ein maßloser Zorn, wie man Nestroy auf eine derartige Primitivstufe herabwürdigen kann, ohne den leisesten Versuch zu unternehmen, das, was an Sozialkritik usw. in den Stücken steckt, auch nur ansatzweise herauszuschälen.


    Dass Joseph Meinrad mein Polarstern in Sachen Nestroy ist, habe ich ja schon festgestellt. Einiges von ihm habe ich auf Video - und da frage ich eigentlich überhaupt nicht mehr nach Inszenierung oder sonstiges. Ich habe auch einen von Schenk dabei (Inszenierung Flimm) - am Ende gewinnt immer Nestroy, selbst bei der ein wenig zu stark modernierten Fassung des "Juxes" von 2000. Ansonsten: "An Scheidungsgründen fehlt es nie, wenn nur der gute Wille da ist." (Nestroy) ...


    Liebe Grüße Peter

  • Kennt dies jemand:


    ?


    Von den Salzburger Festspielen 1962.


    Zum Stück noch: Wie Nestroy hier Gut und Böse kunterbunt durcheinander würfelt (wer gewinnt eigentlich?) - das hat was!


  • Lieber Gurnemanz!


    Das ist wohl die beste Inszenierung mit dem herrlichen Atilla Hörbiger als Knieriem, wenn auch in SW, bitte besorgen,


    noch dazu die Opernparodie im 2. Akt, einfach herrlich, mit Elfriede Ott, der Einzigartigen, wer sie nicht kennt versäumt viel. :jubel: :jubel:


    daher ein Tipp:



    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Lieber Peter,
    d'accord! Ich beziehe mich in erster Linie auf die umjubelten Schenkinszenierungen für die Salzburger Festspiele (Talisman, Zerrissener), die für mich einfach unerträglich sind.
    Josef Meinrad war auch für mich ein ganz großer Nestroydarsteller, weil er sich eben nie mit billigem Klamauk begnügte.
    (Und den Rest haben wir ja schon abgehandelt ;) :D )
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Lieber Peter,
    d'accord! Ich beziehe mich in erster Linie auf die umjubelten Schenkinszenierungen für die Salzburger Festspiele (Talisman, Zerrissener), die für mich einfach unerträglich sind.
    Josef Meinrad war auch für mich ein ganz großer Nestroydarsteller, weil er sich eben nie mit billigem Klamauk begnügte.
    (Und den Rest haben wir ja schon abgehandelt ;) :D )
    lg Severina :hello:


    Liebe Severia!


    Da sind wir einer Meinung. Danke und liebe Grüße sendet Dir Peter. :hello:


  • Dem kann ich mich ohne Vorbehalte ;) anschließen, Attila Hörbigers Knieriem ist :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    Und dann noch ganz speziell (da ich selbst aus genau der entgegengesetzten Ecke des deutschen Sprachraums stamme): Was schwingt für einen Wiener im Namen "Lumpazivagabundus" mit? "Lump" und "Vagabund" hört man leicht heraus - gibt es noch mehr?[/list]


    Ausführliches, lieber Gurnemanz, wird Dir wohl nur ein(e) WeanerIn vermitteln können, von mir der philologische Bestand. Die Wiener Volkskomödie entwickelte sich u.a. aus dem barocken Theater und ist seine Fortsetzung wie seine Parodie. Sich spreizende lateinische Namen auch gerade im Titel sind da keine Seltenheit. Diese Nachbildung hat - wie Du richtig genannt hast - den Lump und den Vagabund, dann sicher auch noch den Bazi im Gepäck - und vieles wird noch in einer Sprache mitklingen, die zu dieser Zeit das barocke Gepräge noch nicht verloren hatte.


    Liebe Grüße Peter

  • Auch philologische Unterstützung, lieber Peter, ist natürlich willkommen, und neben den wahrscheinlich nur echten Wienern zugänglichen Bedeutungsschichten gibt es ja auch noch Gattungsgeschichte und vor allem so etwas wie eine (moralische) Weltsicht, die Nestroy entwirft, so im Lumpazivagabundus: Am Ende verbannt der Feenkönig Stellaris die lasterhaften Handwerksgesellen Zwirn und Knieriem "in den Abgrund, wo der ganze Troß der bösen Geister haust":

      STELLARIS (winkt, Musik fällt ein, die beiden Seitenversenkungen öffnen sich, auf jeder Seite kommen zwei Furien herauf.)
      ZWIRN (in höchster Angst zu Stellaris' Füßen). Gnade! Barmherzigkeit!
      KNIERIEM (ebenfalls zu seinen Füßen) Ich werd' mich bessern.
      ZWIRN. Ich bin schon gebessert.
      STELLARIS. Es ist zu spät. Fort mit beiden!
      (Musik fällt ein, die Furien packen Zwirn und Knieriem und versinken zu beiden Seiten mit ihnen.)

    Doch auf Fürbitte der Amorosa, die ihre Wette gegen Fortuna gewonnen hat, werden beide Halunken begnadigt und das Schlußbild feiert Familienglück und arbeitsame Tugend in einer Weise, die etwas Anarchisch-Antibürgerliches ähnlich durchscheinen läßt wie weiland bei der Läuterung des Papageno: Die Liebe besiegt die Liederlichkeit, und das mit einem kräftigen Augenzwinkern des Dichters, der insgeheim weiß, wohin es wirklich geht mit den Menschen...


    Vielleicht besorge ich mir wirklich noch die vom Wiener Peter und Severina heiß empfohlene Aufführung mit Attila Hörbiger u. a. - unsere Weaner/innen müssen's ja schließlich wissen!


  • Hallo Gurnemanz,
    und das kräftige Augenzwinkern gilt vor allem Knieriem, der als einziger nicht Geläuterter sicher mehr Spaß im Leben haben wird als Leim und Zwirn in ihrer (spieß)bürgerlichen Familienidylle ;) :D
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    [...] das kräftige Augenzwinkern gilt vor allem Knieriem, der als einziger nicht Geläuterter sicher mehr Spaß im Leben haben wird als Leim und Zwirn in ihrer (spieß)bürgerlichen Familienidylle ;) :D


    Wenn ich es richtig lese, liebe Severina, landet Knieriem (=Nestroy?) ebenfalls, wie es zunächst scheint, in biedermeierlicher Idylle: "Im ersten Stockwerke sieht man durch das offene Fenster Knieriem auf dem Dreifuß arbeiten, indem er dabei immer zärtlich nach einem ihm zur Seite stehenden jungen Weibe in bürgerlicher Hauskleidung blickt", so die Regieanweisung, doch dann:

      KNIERIEM (zu seinem Weibe). Ist das ein Glück, Weib, der Komet is aus'blieb'n, die Welt steht alleweil noch, und wir stehen mitten drauf mit unserer unsinnigen Familie.

    Der Schlußchor ist dann wohl nur noch ironisch zu verstehen:

      CHOR. [...] Häuslich und arbeitsam - nur so allein
      Kann man des Lebens sich dauernd erfreu'n.

    Irgendwie kommt mir das vor wie eine groteske Zuspitzung der Zauberflöte!

  • Lieber Gurnemanz,


    Nestroy hat noch eine Fortsetzung zum "Lumpazivagabundus" verfaßt, in der seine pessimistische Weltsicht und sein Zynismus noch wesentlich ätzender ausgedrückt werden: "Die Familien Zwirn, Knieriem und Leim" oder "Der Welt-Untergangs-Tag". Das Stück wurde kein Erfolg, worüber sich der Autor selbst weidlich lustig machte.
    In diesem Zauberspiel geraten nicht nur die bisher vermeintlich Untadeligen arg ins Wanken, insbesondere Leim und seine Peppi, sondern auch der scheinbar mächtige Feenkönig Stellaris weiß sich nicht anders zu helfen, als seinen vermeintlich omnipotenten Oheim Fatum anzurufen, der aber nur kurz aus seinem Permanenzschlummer erwacht und den Zuschauern kundtut:


    Ich weiß alles. (Vortretend, für sich). Ich weiß gar nichts, aber ich bin viel zu faul, die ganze Geschichte anzuhören. Es ist etwas Prächtiges, das Schicksal zu sein, man tut rein gar nichts, und am Ende heißt es bei allem, was geschieht, das Schicksal hat es getan.


    Das gute Ende wirkt daher auch recht künstlich und gewollt.


    Aktualisierung ist bei Nestroy erlaubt und dort geboten, wo er selbst dazu die Möglichkeiten eröffnet hat. Es war ja schon damals Tradition, aktuelle Anspielungen auf politische oder soziale Mißstände etc. einzubauen. Insbesondere bei den Couplets ist es auch heute - so wie bei Raimund auch - üblich, einige neu gedichtete Strophen im Nestroy-Ton anzuhängen, die kabarettmäßig die Übel entlarven und anprangern.


    Es besteht natürlich die Gefahr, daß der alte Wiener Duialekt, den Nestroy so unnachahmlich verwendet, mehr und mehr zur toten Sprache wird. Nestroy im Vulgärjargon von heute kann aber nicht funktionieren.


    Wenn Du brillanten Nestroyton und-geist erleben willst, schau Dir den alten SW-Streifen "Einen Jux will er sich machen" an (mit Josef Meinrad und Inge Konradi neben anderen Burgtheatergrößen). Wenn man den mit der späteren, noch immer sehr sehenswerten Version vergleicht, in der Rudolf Buczolich den Weinberl gibt, dann erkennt man, wieviel da schon an Feinheit abgeschliffen ist.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Es besteht natürlich die Gefahr, daß der alte Wiener Duialekt, den Nestroy so unnachahmlich verwendet, mehr und mehr zur toten Sprache wird. Nestroy im Vulgärjargon von heute kann aber nicht funktionieren.


    Wenn Du brillanten Nestroyton und-geist erleben willst, schau Dir den alten SW-Streifen "Einen Jux will er sich machen" an (mit Josef Meinrad und Inge Konradi neben anderen Burgtheatergrößen).


    Lieber Waldi,


    das wird die Aufführung sein, die auch (der Rheinländer) Peter preist. Auf DVD scheint das nicht erschienen zu swein, dagegen habe ich diese Aufnahmen gefunden, die ich ich hier mal aufliste; vielleicht gibt es da die eine oder andere Empfehlung?



    Die diversen Aufführungen mit Otto Schenk habe ich hier mal weggelassen, da er hier nicht den allerbesten Ruf genießt - die Kritik kann ich teilweise nachvollziehen, aber mangels eigener Erfahrung nicht selbst bewerten: Ich gebe zu, daß ich Schenk nur als jovial-freundlichen Opern-Opa aus dem Fernsehen kenne und fand seine Einführungen damals ganz witzig - aber das ist schon viele Jahre her.


  • Lieber Gurnemanz,
    zufällig steht in der gestrigen Presse eine euphorische Besprechung der Salzburg-DVD des "Lumpazivagabundus", leider bin ich zu PC-blond, um sie hierher zu kopieren. Aber wenn du in den ONline-Merker gehst (der Link liegt unten auf der Taminoseite) und dann dort Aktuelles anklickst, findest du es. (Bitte etwas Geduld, die Merkerianer haben momentan Serverprobleme!)
    Zu den von dir geposteten DVDs: Eine Empfehlung ist schwer, weil ich jetzt nicht genau weiß, welchen Regiestil du goutierst. Ich finde z.B. "Höllenangst" in der Kusej-Regie genial (Habe es aber live gesehen, die DVD kenne ich nicht, weiß aber nicht, ob sie gut geschnitten ist), aber Nestroy-Puristen werden sich wohl mit Grausen abwenden und meinen "Das geht doch nicht!" (Das ist jetzt bitte keine Wertung, Verurteilung etc., sonern nur eine nüchterne Tatsachenfeststellung, dass die Inszenierung wie alles von Kusej eben polarisiert) Was mich betrifft, so liebe ich sowohl "Nestroy traditionell" wie auch "Nestroy modern", bei der zweiten Variante kommt meines Erachtens die Gesellschaftskritik und auch die sprachliche Brillianz besser zum Tragen, aber das ist wie gesagt meine subjektive Sicht Als Nestroy-Einsteiger würde ich dir eher die konservativen Inszenierungen empfehlen, also den schon erwähnten Lumpazi und "Höllenangst" mit Hans Moser & Co, das könntest du dann sehr spannend mit der modernen Kusej-Produktion kontrastieren.
    lg Severina :hello:

  • Lieber Gurnemanz,


    Warum nur die eine oder andere? Aber bitte: "Höllenangst" mit Hans Moser ist ein Kultklassiker.
    Den "Jux" müßte es inzwischen als DVD geben. Wenn ich wieder zum Saturn gehe, werde ich hoffentlich nicht vergessen, einmal nachschauen.


    Bei Otto Schenk denke ich äußerst positiv. Das heißt nicht, daß er nicht auch Mittelmäßiges und Schwächeres geliefert hat, aber ich verdanke sowohl seiner Schauspiel- als auch Regiekunst etliche Sternstundenerlebnisse. Manche mögen ihn nicht, das ist eben Geschmacksache. Schenk sah eigentlich immer das Gesamtkunstwerk und nahm die Stücke ernst. Seinen Hang zum Realismus übertrieb er vielleicht ab und zu ein bißchen. Marcel Prawy berichtet die köstliche Anekdote, wie sich Schenk und Bernstein über Schenks bevorstehende "Fidelio"-Inszenierung unterhalten. Lennie: Das ist unmöglich, was Du willst. Warum soll der Minister mit Staub bedeckt sein. Schenk: Weil er den weiten Weg von Sevilla gekommen ist. Lennie: Nonsense, er ist doch der deus ex machina. Er muß von oben hereinschweben wie ein gottgesandter Engel. Schenk (grinsend): Zeig mir doch einmal vor, wie Du das meinst. Lennie hüpft auf, denkt etwas nach, macht dann einige hilflose Bewegungen mit den Armen, setzt sich wieder und sagt resigniert: OK, Ottie, er kommt aus Sevilla.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von severina
    Eine Empfehlung ist schwer, weil ich jetzt nicht genau weiß, welchen Regiestil du goutierst.


    Das ist einfach, liebe Severina: Es sollte lebendig, witzig und spannend sein :D Und eine solche Realisierung scheint mir bei Nestroy heute keineswegs unproblematisch, ganz gleich, ob die Regie alte oder neue Wege sucht; Du hast das ja gestern schon anschaulich erläutert.


    Lieber Waldi,
    gut - auf Schenk werde ich mich dann auch irgendwann einmal einlassen.

  • Mit Freude bemerke ich, daß neuerdings im Forum Nestroy-Leseproben angeboten werden, nämlich hier. Die vertrackte Weisheit eines Spruchs wie dieser: "Ich möcht' mich einmal mit mir selbst zusammenhetzen nur um zu sehen, wer der Stärkere is, ich oder ich" dürfte sich auch Nicht-Wienern ohne weiteres erschließen.

  • Lieber Gurnemanz!


    Nestroy war der erste Jupiter in Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" und er hat uns Offenbach nach Wien geholt,


    dafür geührt in schon Dank, und eine seiner ersten Rollen war der Sarastro in der "Zauberflöte".


    Übrigens "Höllenangst" mit Hans Moser und Hans Putz sowie Elfriede Ott kann man ur empfehlen -obwohl diese Aufführung des Theatres i.d. Josefstadt in SW ist.


    Übrigens bin ich der Meinung von Waldi, dass Otto Schenk schon ein guter Nestroy Regisseur war,


    da ich aber Otto Schenk persönlich gut kenne, und auch seine Arbeitsweise gut kenne, und ich mit der ganzen Familie seit Jahrzehnten befreundet bin, kann ich ihn nicht als schlechten Regisseur betrachten, auch bei Nestroy.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :hello: :hello: :hello:

  • Lieber Gurnemanz!


    Nestroy war der erste Jupiter in Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" und er hat uns Offenbach nach Wien geholt,


    dafür gebührt in schon Dank, und eine seiner ersten Rollen war der Sarastro in der "Zauberflöte".


    Übrigens "Höllenangst" mit Hans Moser und Hans Putz sowie Elfriede Ott kann ich nur empfehlen - obwohl diese Aufführung des Theaters i.d. Josefstadt in SW ist.


    schon allein wegen der Opernparodie, mit Elfried Ott u.a.


    Übrigens bin ich der Meinung von Waldi, dass Otto Schenk schon ein guter Nestroy Regisseur war,


    da ich aber Otto Schenk persönlich gut kenne, und auch seine Arbeitsweise gut kenne, und ich mit der ganzen Familie seit Jahrzehnten befreundet bin, kann ich ihn nicht als schlechten Regisseur betrachten, auch bei Nestroy nicht.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :hello: :hello: :hello:

  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    Mit Freude bemerke ich, daß neuerdings im Forum Nestroy-Leseproben angeboten werden, nämlich hier. Die vertrackte Weisheit eines Spruchs wie dieser: "Ich möcht' mich einmal mit mir selbst zusammenhetzen nur um zu sehen, wer der Stärkere is, ich oder ich" dürfte sich auch Nicht-Wienern ohne weiteres erschließen.


    Lieber Gurnemanz,


    die - aus anderen Gründen - umstrittene Travestie des Hebbelschen Stückes hat mir nicht zuletzt wegen solcher Sprüche (aber auch weil ich den Hebbel hinreichend kenne) viel Spaß gemacht. Hebbel, eigentlich ein Nestroy-Freund, soll nicht ganz so begeistert gewesen sein (immerhin existieren unterschiedliche Reaktionen von ihm).


    Nun, mit dem Mut des 68er, in die Rrrrevolution, die in Krähwinkel stattfindet - als Revolutionär muss man dort soviel Humor mitbringen wie es Hebbel bei seiner stark verkürzten Judith tun musste.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    [...] die - aus anderen Gründen - umstrittene Travestie des Hebbelschen Stückes [...]


    Lieber Peter (Leverkusen),


    spielst Du damit auf den (wirklich vorhandenen?) Antisemitismus an? Habe es eben bei Wikipedia gelesen und weiß nicht, was ich davon halten soll. Wie gehen die Wiener Nestroy-Anhänger heute damit um, da muß es sicher Diskussionen geben?!


    Lieber Peter (Wien),


    daß Höllenangst mit dem auch von mir geschätzten Hans Moser ein Treffer ist, glaube ich Dir gern, Danke für die Empfehlung! Und ich kann es verstehen, wenn Du Dich bei Otto Schenk für befangen erklärst.

  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    spielst Du damit auf den (wirklich vorhandenen?) Antisemitismus an? Habe es eben bei Wikipedia gelesen und weiß nicht, was ich davon halten soll. Wie gehen die Wiener Nestroy-Anhänger heute damit um, da muß es sicher Diskussionen geben?


    Lieber Gurnemanz,


    als ich vor Zeiten das Stück kennen lernte, sind mir - ehrlich gesagt - diese Bezüge entgangen. Nun werden Assyrer wie Hebräer gleichermaßen durch den Kakao gezogen. Aber würdest Du das hier als Antisemitismus bezeichnen?



    "Rebach" heißt Gewinn, "bettitutti" zugrunde gegangen.


    Dass Handwerk und Ackerbau den Hebräern verhasst ist, sie ihren Lebensunterhalt aus dem verzinsten Kapital erwerben, ist eine anachronistische Umdeutung. Damit man die Stelle richtig interpretieren kann, muss man allerdings das "Original" bei Hebbel kennen:



    Man kann an dem Beispiel hübsch Verkürzung und Persiflage studieren. Ein Verächtlichmachen der Juden kann ich hier aber trotz der für uns heute sicherlich kritischer zu lesenden Zeilen nicht sehen, sondern halte hier den Vorwurf des Antisemitismus für weit übertrieben. Wunderbar dieses "Man sattele mir das buckligste meiner Kamele".


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Aber würdest Du das hier als Antisemitismus bezeichnen? [...]


    Nun, Nestroy arbeitet hier mit dem altbekannten Stereotyp Jude = geldgierig - allerdings, bevor ich da antisemitische Tendenzen ausmachen wollte, müßte ich erst das ganze Stück kennen (werde es wohl demnächst mal lesen): Wenn, wie Du andeutest, alle Beteiligten, also nicht nur die Juden, ihr Fett abbekommen, dann müßte man das sicher sehr differenziert betrachten und bewerten.


    Übrigens: Bei der von mir eingangs zitierten Stelle aus Lumpazivagabundus - die kurze Affäre mit dem gestohlenen Taler - hatte ich schon beim ersten Lesen den leisen Verdacht, daß da ein boshafter Seitenhieb auf (jüdische) Geldwechsler enthalten sei.

  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    Übrigens: Bei der von mir eingangs zitierten Stelle aus Lumpazivagabundus - die kurze Affäre mit dem gestohlenen Taler - hatte ich schon beim ersten Lesen den leisen Verdacht, daß da ein boshafter Seitenhieb auf (jüdische) Geldwechsler enthalten sei.


    Lieber Gurnemanz,


    es bleibt dabei (auch bei den weiteren Szenen), dass da mit dem Cliché des geschäftstüchtigen Juden - auch wenn er hier Hebräer heißt - gespielt wird. Wer das bedenklich findet, kann ich aus den historischen Erfahrungen heraus verstehen, die etwa Schwaben und Schotten nicht erleiden mussten. Insoweit ist zwischen der Persiflage eines anderen Bevölkerungsteils und jenes der Juden schon ein Unterschied (mit dem sich damals ja auch Fassbinder befassen musste).


    Ob man aber solche Persiflagen auch gleich als antisemitisch bezeichnen - also die Bedenklichkeitsstufe deutlich heraufsetzen - muss, ist sicher auch der Umgang und die Konnotationen bestimmt, die heute damit verbunden sind. Dass hier explizit rassistische Tendenzen spürbar werden, eine Minderwertigkeit als Mensch postuliert wird, gar ihre Ausrottung verlangt wird, ist sicher auf Nestroy nicht zutreffend. Dass sich aus den Vorurteilen allerdings eben das alles entwickelt hat, kann man auch nicht einfach wegstecken.


    Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine historische Rekonstruktion auf der Bühne nie möglich ist, weil nun eben andere Menschen mit einem anderen Vorwissen im Publikumsraum sitzen. Sicher kann man die Tendenz vom Ende des Stückes her beurteilen, es ist nicht antijüdisch (so müsste man wohl richtiger sagen) geprägt, sondern zieht seinen Reiz daraus, dass Holofernes List sich am Ende als zwecklos erweist: Zwar hat er Judith einen Pappkopf abschlagen lassen, aber auch der erfüllt seine Wirkung, die fliehenden Assyrer lassen sich nicht dadurch zurückhalten, dass Holofernes ihnen nachruft, dass es ja nur der falsche Kopf gewesen sei. Israel feiert den Triumph und der Vorhang fällt.


    Das Problem ist halt - trotz des Schlusses: Wie kann man heute das Stück aufführen? Da nun die Identifizierung des jüdischen Volkes mit dem modernen Geldjuden sozusagen der running gag in dem Stück ist, womit er Hebbels geschichtsphilosophisch geprägtes Werk unterläuft, hängt es davon ab, ob und wie es einem gelingt, diese Identifikation als humorige Persiflage zu vermitteln, mit dem Sprengstoff muss eine moderne Inszenierung leben. Und eine konservative würde wahrscheinlich in alle Fallgruben hüpfen, die das Stück zu bieten hat.


    Possen sind wie Karikaturen: Sie versuchen mit dem Charakteristischen, mit dem Typischen ihren Spaß zu machen. Die Pappkameraden sind sozusagen die Voraussetzung des guten wie üblen Scherzes, der da getrieben wird. Dass wir heute unsere Probleme haben, Juden als Pappkameraden auf die Bühne zu stellen, ist nicht das schlechteste Zeichen. Wenn wir sie irgendwann wie die Ostfriesen, die Schwaben und die Schotten wieder sehen können, dann haben wir unsere Geschichte bewältigt. Das wird wohl nicht ganz so schnell gehen, wie es die Herren Fassbinder oder Martin Walser meinten ...


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Dass wir heute unsere Probleme haben, Juden als Pappkameraden auf die Bühne zu stellen, ist nicht das schlechteste Zeichen. Wenn wir sie irgendwann wie die Ostfriesen, die Schwaben und die Schotten wieder sehen können, dann haben wir unsere Geschichte bewältigt. Das wird wohl nicht ganz so schnell gehen, wie es die Herren Fassbinder oder Martin Walser meinten ...


    Liebe Grüße Peter


    Lieber Peter!


    Ich hoffe doch sehr, dass auch unsere Zeit es erleben wird Juden, und das jüdische Volk, endlich als den Kulturfaktor ansehen wird, der ihnen gebührt,


    heißt es doch schon in der Ethiklehre Jerusalem / Athen.


    Unsere abendländische Kultur steht nicht nur in der griechisch / römischen Kultur,sondern auch in der jüdisch / christlichen Kultur.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien.

  • Zitat

    Original von oper337
    Ich hoffe doch sehr, dass auch unsere Zeit es erleben wird Juden, und das jüdische Volk, endlich als den Kulturfaktor ansehen wird, der ihnen gebührt,


    heißt es doch schon in der Ethiklehre Jerusalem / Athen.


    Unsere abendländische Kultur steht nicht nur in der griechisch / römischen Kultur,sondern auch in der jüdisch / christlichen Kultur.


    Lieber Peter,


    Dein Wort in Gottes Ohr. Dass man heute deutlich empfindlicher ist und Dinge schnell aus dem Gleichgewicht geraten, zeigt ja nicht zuletzt der Fall Williamson.


    Zurück zu Nestroy: ihm kann man ja nicht vorwerfen, zu welchem Ungeheuer sich Vorurteile gegen die jüdischen Mitbürger entwickelt haben. Aber man kann ihn auch nicht einfach naiv auf die Bühne bringen, wenn er diese Vorurteile einbringt. Welche Lösungen man dazu gewählt hat, interessiert mich schon. Hat es in Wien in den letzten Jahren mal "Judith und Holofernes" von Nestroy gegeben?


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter!


    Leider Nein, es wird jetzt in Wien bedauerlicherweise wenig Nestroy gespielt, und wenn dann vollkommen verfremdet. :yes:


    Otto Schenk hat noch einen echten Nestroy gebracht, auch wenn er manchen hier nicht als Regisseur gefällt, aber ich bin bei Otti befangen, ich bin mit ihm und seine ganze Familie seit 1970 befreundet.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :hello: :hello: