Ich erlaube mir, einen Thread zu einem Thema zu eröffnen, zu dem ich selbst nicht viel weiß:
Eigentlich bin ich kein Freund der Operette und auch die Gattung, um die es mir hier geht, ist mir eher fremd: die "Posse mit Gesang". Doch in den letzten Tagen habe ich, auf Anraten eines Kollegen, dieses gelesen:
(Bild: Wikipedia)
Johann Nestroy
Der böse Geist Lumpazivagabundus
oder
Das liederliche Kleeblatt
Zauberposse mit Gesang
Nach der Lektüre schwanke ich etwas, ob ich die Witze für flach oder tiefgründig halten soll. Wahrscheinlich liegt das auch daran, daß ein Stück wie dieses nicht gelesen werden will, sondern auf die Bühne gehört.
Ein Beispiel: Schneidermeister Zwirn hat unbemerkt einen Taler gestohlen.
LEIM. Meine lieben Leut', es ist ein Taler wegkommen, halten Sie daher alle, wie Sie hier im Zimmer sind, die Händ' in die Höh'.
(Alle tun, wie Leim gesagt.)
LEIM. Haben alle die Händ' in der Höh'?
ALLE. Ja!
LEIM. Der auch, der den Taler g'nommen hat?
ZWIRN (Bemerkt in diesem Augenblick, daß er sich verschnappt hat, und schlägt sich mit der Hand an die Stirn.) O je!
KNIERIEM. Haben wir dich erwischt!?
ZWIRN. (den Taler zurückgebend). Nur nit kindisch - ich hab' den Taler nur wechseln wollen.
KNIERIEM. Ja, du bist der, der's Geld wechselt.
Auf der Bühne könnte ich mir das recht witzig vorstellen.
Das Stück enthält auch einige musikalische Einlagen, komponiert von dem mir völlig unbekannten Adolf Müller (1801-1886): Lieder und am Ende des 2. Akts ein Quodlibet: Terzett mit Chor, mit einigen Zitaten aus Werken, die 1833, zur Entstehungszeit, in Wien populär gewesen sein müssen (interessant, wie sich völlig Vergessenes mit noch heute Bekannten versammelt):
Rossini: La donna del lago
Hérold: Zampa
Peter von Winter: Das unterbrochene Opferfest
Bellini: Romeo und Julia
Auber: Maurer und Schlosser
Mozart: Die Zauberflöte
A. Müller: Der Zaubermond
Rossini: Armida
Angely: Das Fest der Handwerker
Rossini: Der Barbier von Sevilla
Über den Komponisten lese ich, daß er sich stilistisch zwischen Beethoven und Johann Strauß (Vater) bewege.
Wenn ich es richtig sehe, gibt es noch keinen Thread über das Wiener Volkstheater des Johann Nestroy (1801-1862). Dem möchte ich abhelfen, indem ich folgende Fragen in den Raum stelle:
- Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy: Was gibt es Wissenswertes über diesen Urwiener Dichter und Komödianten und seine Werke?
- Sind seine Possen (neben Lumpazivagabundus: z. B. Der Talisman, Einen Jux will er sich machen) es wert, heute noch aufgeführt zu werden? Wenn ja, in welcher Form: textgetreu oder aktualisiert?
- Wie sind die musikalischen Einlagen, etwa die des erwähnten Adolf Müller?
- Und dann noch ganz speziell (da ich selbst aus genau der entgegengesetzten Ecke des deutschen Sprachraums stamme): Was schwingt für einen Wiener im Namen "Lumpazivagabundus" mit? "Lump" und "Vagabund" hört man leicht heraus - gibt es noch mehr?
Es würde mich freuen, hier ein paar aufschlußreiche Beiträge zum Wiener Volkstheater zu lesen - vielleicht bin ich dann bei meinem nächsten Wien-Besuch noch besser vorbereitet...?