Austausch über Höreindrücke zu den Sänger-Jubilaren

  • Nur noch ein Nachwort: Interessanterweise hat übrigens Jürgen Kesting die gleichen Einwände gegen Cappuccillis Auftritt in der Signoria vorgebracht, die ich auch angedeutet hatte!

    Meiner bescheidenen Meinung nach sollten wir es an dieser Stelle unterlassen, etwaige Autoritätsbeweise heranzuziehen. Es geht hier um unsere Höreindrücke und nicht um die von Kesting.

  • Lieber Melomane,
    da ich zur Zeit in Ungarn bin kann ich in unserem Tamino-Klassik-Forum nur sporadisch mitwirken. Sehr positiv sind mir jedoch Deine fundierten Beiträge aufgefallen. Du bist eine ausgezeichnete Verstärkung und Bereicherung unserer Opernfraktion und hast Dir gleich eine aufmerksamkeitsstarke Reaktion im Forum erworben. Weiter so - ich freue mich auf weiteren Gedankenaustausch über Sänger und Gesangskunst.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Es geht hier um unsere Höreindrücke und nicht um die von Kesting.

    Das ist sehr richtig, es geht hier um unsere Höreindrücke. Ich habe meine beschrieben, du deine und "Caruso 41" seine, so soll das sein.


    Was ich nicht verstehe, sind Beiträge, welche die Diskussion abwürgen wollen und einfach ein weiteres Video einstellen, aber kein einziges Wort über den eigenen Höreindruck verraten. Das hat mit einem "Austausch über Höreindrücke" nichts zu tun.


    Jeder, der Cappuccilli (oder wen auch immer) positiver, ukritischer hört als andere Beteiligte in dieser Rubrik, hat natürlich das Recht dazu - dann aber - im Falle seiner Beteiligung an dieser Rubrik - auch die Pflicht, diesen eigenen Höreindruck kundzutun und möglichst ebenso detailliert zu belegen und möglichst auch auf die deailliert geschilderten Höreindrücke der anderen konkret einzugehen, denn andernfalls ist eine wirkliche Beteiligung an einem "Austausch über Höreindrücke nicht möglich. Wem es nur darum geht, längst bestehende, fest zementierte Meinungen immer und immer wieder vor sich herzutragen und wer daher nicht wirklich auf die Höreindrücke der anderene eingehen möchte, ist in dieser Rubrik nicht am rechten Platz, dazu eignen sich dann (vielleicht?) die jeweiligen Sängerrubriken besser.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    kann mich aber nicht so recht für diesen grobschlächtigen Brüll-Tenor begeistern


    das ist für mich Stimmprotzerei ohne Sinn und Verstand und keine glaubwürdige musikalische Gestaltung und Erfüllung eine Rolle!


    inzwischen hat Dir Melomane ja schon entschieden widersprochen und seinen Widerspruch recht detailliert an Beispielen festgemacht.
    Ich vermute mal, dass Du zuvor noch kaum mit Pertile-Aufnahmen in Berührung gekommen bist. Da hast Du denn über die Undiszipliniertheiten, Affektlaute und Zwischenatmer gar nicht die Vorzüge entdeckt. Ich hatte ja auch angedeutet, daß Technik, Stil und Geschmack durchaus zu wünschen übrig lassen. Trotzdem war er nun wirklich "kein grobschlächtiger Brüll-Tenor" oder "Stimmprotzerei ohne Sinn und Verstand". Dafür hatte er einfach zu viel Kultur und Differenzierung. Vielleicht muss man aber erst mal kommen.


    Für mich ist das das Hören von Pertiles Aufnahmen eine doppelte Zeitreise.


    Zu einen eine Zeitreise in meine eigene Jugend. Ich habe ihn schon früh durch einige 78er Schellackplatten kennen gelernt. Da war ich wohl 13 oder 14 Jahre alt und dieses heroische Ungestüm hat mich einfach begeistert. Wie etwa auch die Aufnahmen von Cesar Vezzani!


    Zum anderen eine Zeitreise in eine andere Epoche. Wie man diese Epoche auch immer etikettieren will, es ist eine Zeit gewesen, in der leidenschaftlicher Ausdruck und exaltierte Rhetorik gang und gäbe waren. Davon bekommt man bei Pertile sehr viel mit. Interessant ist gerade in dem Zusammenhang, dass Pertile in Italien der Held der Tenöre war. aber an der Met er zurückhaltend aufgenommen wurde.


    Aber Pertiles Singen erschöpft sich nicht in der Aneinanderreihung histrionischer Gesten und Exaltiertheiten. Vielmehr wird es geradezu skrupulös modelliert. Nicht von ungefähr nannte man ihn Italien den "scultore della melodia"! Wie genau berechnet und mit feinen Mitteln dieser Bildhauer arbeiten konnte, zeigt die von Melomane eingestellte Lohengrin-Aufnahme.


    Dass man ihn nicht nur als den emphatischen Veristen sehen darf, belegt auch diese Lohengrin-Aufnahme (auch eine seiner erfolgreichen Bühnenrollen), bei der man alles hören kann, was für mich die Faszination dieses Sängers ausmacht: Legato, Mezzavoce, Ausbrüche, dynamische Extreme, perfekte Atemtechnik:


    Dafür, lieber Melomane, herzlichen Dank!


    Giacomo Lauri-Volpi hat in seinen "Misteri della voce umana" (1957) mitgeteilt, Pertile habe zu Beginn seiner Karriere streng im Belcanto-Sil gesungen habe. In seinen Aufnahmen, die vor 1925 gemacht wurden, kann man das auch bewundern. Da glaubt man fast Anselmi oder Bonci zu hören. Leider ist aber keine Aufnahme davon bei Youtube eingestellt! Sehr schade!
    Immerhin klingt davon in der Aufnahme aus dem Lohengrin noch recht viel nach!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Gerne möchte ich den 9. Todestag von Miriam Makeba nutzen, um dieses Video einzustellen:




    https://www.youtube.com/watch?v=U6AAtKmx6Qk



    Miriam Makeba war zeitlebens mehr als "nur" eine Sängerin, sie war eine Stilikone und eine Kämpferin gegen Rassenwahn und Diskiriminierung. Wer sie jedoch als Sängerin unterschätzt, macht einen großen Fehler. In der afrikanischen Originalversion von "The Lion sleeps tonight" kann man erkennen, wie viel musikalisches Können und welch eine wahnsinnige Stimme hinter den bekannten Songs stand. Bereits die von langen Tönen dominierte Einleitung bläst den Zuhörer fast weg. Wer meint, es sei nun keine Steigerung mehr möglich, wird eines besseren belehrt. Mit jeder Wiederholung der "Hauptmelodie" kommt mehr Leidenschaft dazu. Schöner wird es nicht, aber immer existentieller, dann folgt eine leise Wiederholung. Ganz zum Schluss folgt die Wiederholung des Einleitungthemas, sie klingt erschöpft, aber nicht ungesund. Das Singen hat hier einen wahrhaft existentiellen Charakter, man hat das Gefühl der stimmlichen und emotionalen Verausgabung der Sängerin. Miriam Makeba ist häufig vor einem Massenpublikum aufgetreten. Von der reinen Stimmgröße her hätte sie wohl jedes Opernhaus ohne Mikrofon füllen können. Über ihr tragisches Leben, mit emhrfacher Ausbürgerung und der Annahme von insgesamt neun Staatsangehörigkeiten, ist hier nicht der richtige Platz. Wer aber die Gelegenheit hat, den aus dem Jahr 2011 stammenden Dukumentarfilm "Mama Africa" zu sehen, sollte das tun, es lohnt sehr.
    Ihr Gesang entspringt einer großen musikalischen Tradition in den südafrikanischen Townships. Traditionelle afrikanische Musik traf hier aus Gospels. Wer sich davon überzeugen möchte, wie viele hervorragende Sänger aus Südafrika kommen, der höre sich einmal ein Konzert mit dem Chor der Cape Town Opera an. Ich habe 2012 dieses Ensemble mit den Berliner Philharmonikern in einer konzertanten Aufführung von "Porgy und Bess" erlebt und selten hat ein Chor live auf mich einen so großen Eindruck gemacht.
    Ob Miriam Makeba in diese Rubrik gehört, wo es doch in erster Linie um klassische Sänger geht, sei einmal dahingestellt. Eine besondere Stimme hatte "Mama Africa" aber allemal. Und eine lange Karriere übrigens auch, buchstäblich bis zum letzten Augenblick: Gestern vor 9 Jahren trat sie 76jährig bei einem Benefizkonzert in Italien auf. Kurz nach ihrem Auftritt brach sie zusammen. Einen Tag später starb sie.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber Melomane,
    da ich zur Zeit in Ungarn bin kann ich in unserem Tamino-Klassik-Forum nur sporadisch mitwirken. Sehr positiv sind mir jedoch Deine fundierten Beiträge aufgefallen. Du bist eine ausgezeichnete Verstärkung und Bereicherung unserer Opernfraktion und hast Dir gleich eine aufmerksamkeitsstarke Reaktion im Forum erworben. Weiter so - ich freue mich auf weiteren Gedankenaustausch über Sänger und Gesangskunst.
    Herzlichst
    Operus

    Herzlichen Dank für diese freundliche Begrüßung, auch ich freue mich auf einen regen Gedankenaustausch!

  • Lieber Melomane,


    Das ist eine neue Stimme für mich. Ich wüsste nicht, warum sie hier nicht in den Thread passen sollte. Die Stimme ist ausdrucksstark und ganz souverän beherrscht. Da wundert es nicht, dass dann aus einem Land, in dem solche Sängerinnen wirken, hervorragende Sänger für das klassische Repertoire kommen: Levy Sekgapane und Pretty Yende werden wohl nicht die letzten sein.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich vermute mal, dass Du zuvor noch kaum mit Pertile-Aufnahmen in Berührung gekommen bist.

    Lieber Caruso, doch, als Jüngling bin ich mal an seine Aida-Gesamtaufnahme geraten, danach habe ich ihn und historische Aufnahmen generell erst einmal gemieden...


    Aber wir müssen ja nicht immer einer Meinung sein, der Austausch muss nicht zu einem verbindlichen Konsens führen.


    Und nun stehen neue Jubilare an, einen muss ich in Willis Rubrik, glaube ich, erst einmal nachtragen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Als ich heute kurz nach Mitternacht, wohl zum ersten Mal überhaupt, den Bariton Joseph Schwarz in folgendem Video hörte, fiel mir fast die Kinnlade runter:



    https://www.youtube.com/watch?v=Nh1Njm3HhW8


    Natürlich ist die Tonqualität nicht so gut wie bei modernen Aufnahmen, natürlich lingt das Orchester wie ein alter Leierkasten, wodurch vielleicht verständlich wird, warum Verdis Musik auf als "Leierkastenmusik" verpont war , natürlich ist auf Deutsch gesungen- aber: Was für eine Stimme!!!


    Dass sich technisches Vermögen und emotionale Ausdruckskraft in einer Stimme derart vollkommen vereinen, habe ich bei dieser Arie nur sehr selten bis gar nicht gehört.


    Diese Stimme spricht mich sehr an, es ist sozusagen "Liebe auf den ersten Ton"! Das leicht weinerliche Timbre passt nach meinem Geschmack ganz hervorragend zu dieser Arie. Die Stimme ist in allen Lagen klangvoll und ausgeglichen, klingt für mich wunderschön und ist bis zu den höchsten Spitzentönen klangvoll geführt. Die technische Versiertheit, der perfekte Sitz der Stimme auch in den höchsten Höhen, sind für mich sehr beeindruckend. Die hohe technische Versiertheit zeigt sich meines Erachtens auch in der Ausführung der Fiorituren.


    Einige Manierismen wie Schleifer, Vokalverfärbungen und rhythmische Freiheiten, kann ich angesichts eines solches Ergebnisses gut verzeihen. :)
    Und was für ein Sitzenton am Beginn der Kadenz!!!
    Es ist immer mehr Klang als Kraftaufwand vorhanden, was leider nicht bei allen Baritonen so ist!
    Auch die Verbindung von Legatolinie und nahezu perfekter Textverständlichkeit (wenn man von einigen Vokalverfärbungen absieht), finde ich bewundernswetr!


    Ich verneige mich bewundernd vor dieser Gesangsleistung! :jubel: :jubel: :jubel: :hail: :hail: :hail:


    Das ist für mich ganz große Gesangskunst! :yes:
    (Das lässt mich allerdings einige andere Leistungen von - von der Platteninstustrie auf Verkaufsgründen gepuschten? - "Stars" der LP-Zeit noch kritischer sehen.)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dass sich technisches Vermögen und emotionale Ausdruckskraft in einer Stimme derart vollkommen vereinen, habe ich bei dieser Arie nur selten selten bis gar nicht gehört.

    Da möchte ich gar nicht widersprechen. Zwei Punkte möchte ich aber gerne hinzufügen, weil sie die Stellung von Schwarz besonders untermauern:


    1. Die Verbindung von inhaltlicher Durchdringung und einer prachtvollen Stimme, zeichnet Schwarz in der Tat aus. Häufig wurde und wird die zweite Strophe von "Di provenza" gestrichen. Schwarz stellt unter Beweis, warum man das nicht tun sollte. Zum einen setzt er den von "Stimmenliebhaber" richtig erkannten larmoyanten Ton in der zweiten Strophe nicht nur fort, sondern steigert ihn sogar noch und zeigt auf diese Weise sehr eindrucksvoll, wie Vater Germont immer stärkere Geschütze auffährt, um seinen Sohn zu beeinflussen. Die Kadenz am Ende der zweiten Strophe ist nicht nur technisch hervorragend erzeugt, sondern auch höchstes Ausdrucksmittel. Selten hat man den Eindruck, dass eine Koloratur so sehr der inhaltlichen Situation entspricht wie hier. (Noch deutlicher wird der gekonnte Einsatz vokaler Ornamente übrigens bei seiner "Il-Balen-Aufnahme", die ich am Schluss hinzufüge.) Nicht ganz zufällig musste ich beim Anhören an Battistini denken, über den wir vorgestern sprachen. Schwarz vereint Klangschönheit mit Mitteln der klassischen Belacanto-Schule und erzielt so eine enorme Wirkung.



    2. Die Wortdeutlichkeit von Schwarz ist, auch im vorgestellten Beispiel, zwar in Ordnung, trotzdem fällt die für einen deutschsprachigen Sänger sehr weiche Behandung der Konsonanten und die bevorzugte Stellung der Vokale auf. Hier steht ganz klar der Klang im Vordergrund. Das verweist deutlich auf den Ursprung von Schwarz' Gesangsausbildung, nämlich den Synagogalgesang, wo ja auch die Vokale das A und O darstellen. In dieser Hinsicht erinnert er mich, auch nicht ganz zufällig, an Leonard Warren, wobei ich dem Timbre von Schwarz mit der sprichwörtlichen "Träne" darin in puncto Schönheit sogar den Vorzug geben würde.


    Es ist ein Jammer, dass Schwarz so früh gestorben ist, es hätte sicher noch viele eindrucksvolle Aufnahmen von ihm mehr gegeben. Dass er durch seinen frühen Tod der Verfolgung durch die Nazionalsozialisten entging, ist immerhin ein Trost.




    https://www.youtube.com/watch?v=OjruOf9IOk8

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Die Stimme ist in allen Lagen klangvoll und ausgeglichen, klingt für mich wunderschön und ist bis zu den höchsten Spitzentönen klangvoll geführt. Die technische Versiertheit, der perfekte Sitz der Stimme auch in den höchsten Höhen, sind für mich sehr beeindruckend. Die hohe technische Versiertheit zeigt sich meines Erachtens auch in der Ausführung der Fiorituren.


    Häufig wurde und wird die zweite Strophe von "Di provenza" gestrichen. Schwarz stellt unter Beweis, warum man das nicht tun sollte. Zum einen setzt er den von "Stimmenliebhaber" richtig erkannten larmoyanten Ton in der zweiten Strophe nicht nur fort, sondern steigert ihn sogar noch und zeigt auf diese Weise sehr eindrucksvoll, wie Vater Germont immer stärkere Geschütze auffährt, um seinen Sohn zu beeinflussen. Die Kadenz am Ende der zweiten Strophe ist nicht nur technisch hervorragend erzeugt, sondern auch höchstes Ausdrucksmittel. Selten hat man den Eindruck, dass eine Koloratur so sehr der inhaltlichen Situation entspricht wie hier


    Lieber Stimmenliebhaber, lieber Melomane!


    Erst mal muss ich feststellen, dass der Kalender uns ein perfekt aufgebautes Curriculum beschert: Nach Battistini und Lisitian nun Joseph Schwarz!


    Ich habe mir gleich das eingestellte Video noch mal angehört obwohl ich Aufnahmen von Joseph Schwarz gar nicht so selten höre. Nur die Arie des Germont überspringe ich meist, weil ich diese Arie schlichtweg nicht mag! Aber beim Hören der Aufnahme war ich aufs Neue gefangen: von der Schönheit der Stimme, von der technischen Meisterschaft des Gesanges und von der beeindruckenden Gestaltung!
    Eure Eindrücke habt Ihr so treffend gefaßt, da kann ich nur voll zustimmen!
    Diese mühelose Tonproduktion, der weiche und dabei doch männlich charaktervolle Klang, das schlanke und stets beherrschte Spannen von weiten Bögen sind einfach ein Ereignis! Mich beeindruckt besonders, wie er durch kleine Vorhalte, Farbwechsel und feine Auszierungen der Gesangslinie dem Stück, das so leicht nach Leierkasten klingt, Spannung und Dringlichkeit gibt!


    Leider ist die Aufnahme von Joseph Schwarz, die ich am eindrucksvollsten finde, nicht bei Youtube: Das Duett mit Gilda vom Ende des 2. Aktes mit Claire Dux. Sein "Si vendetta" verschlägt einem den Atem! Aber leider kann ich es hier nicht einstellen. Da macht es auch wenig Sinn, eingehender von diesem Hörerlebnis zu berichten!


    Aber wenigstens habe ich eine andere Arie gefunden, die noch andere Seiten von Joseph Schwarz zeigt: die Arie des Dappertuto aus "Hoffmanns Erzählungen".
    Schon der dunkle Strom der melodischen Linie des Anfangs wird in seinen ganzen Unheimlichkeit entfaltet. Dann intensiviert er zunehmend die Linien, hellt sie auf, ohne den gefährlichen Klang zu verlieren, steigert die Spannung wieder durch eine kleine Auszierung (auf "er") und führt schließlich die Stimme auf ein unglaublich gleißendes 'Gis'! Sensationell!!
    Und dann die zweite Strophe, der Joseph Schwarz ganz andere Farben gibt. Der Schluß hat tatsächlich mit seinen Wiederholungen eine hypnotische Wirkung. Und wer bei dem abschließenden morrendo-'e' nicht in Trance fällt, der ist für die Oper verloren!


    https://www.youtube.com/watch?v=-e1Ij_HLd5Y


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber "Melomane" und Lieber "Caruso41",


    es freut mich, dass ihr meine überaus positiven Höreindrücke so eindeutig teilt.


    Die Wortdeutlichkeit von Schwarz ist, auch im vorgestellten Beispiel, zwar in Ordnung, trotzdem fällt die für einen deutschsprachigen Sänger sehr weiche Behandung der Konsonanten und die bevorzugte Stellung der Vokale auf. Hier steht ganz klar der Klang im Vordergrund. Das verweist deutlich auf den Ursprung von Schwarz' Gesangsausbildung, nämlich den Synagogalgesang, wo ja auch die Vokale das A und O darstellen.

    Ich habe mir das jetzt noch einmal angehört und muss dir zustimmen, allerdings verstehe ich den deutschen Text in der Germont-Arie trotzdem sehr gut - in der dankenwerterweise von dir zusätzlichen Luna-Arie hingegen nicht ganz so ideal. Trotzdem ist gerade diese Luna-Arie - nach der gestrigen subjektiv so empfundenen "kalten Dusche" mit gleicher Arie - wirklich eine Offenbarung!!! So klingt ein Edelmann: männlich strahlend, stolz und schön, siegesgewiss! Dass das Rezitativ im Original krönende "Leonora mia", dass bei dieser Aufnahme gar nicht dabei ist, höre ich bei ihm in jedem gesungenen Ton der Arie! Eindrucksvoll auch die Kadenz mit ihrer unglaublichen Spannweite, selbst wenn der ganz tiefe Ton nicht optimal erwischt wird und etwas wegrutscht, aber das sind innerhalb eines Taktes oder zweier Takte stolze zwei Oktaven weniger eines Ganztones, das ist für einen Bariton schon "ein starkes Stückl", weshalb die meisten Baritone eine vom Tonumfang weit weniger ausgedehnte Kadenz bei dieser Arie bevorzugen. Es ist wirklich ein tolles Erlebnis für mich, diese Arie zu hören!


    Die von "Caruso41" eingestellt Spiegel-Arie werde ich gleich noch anhören.


    Es ist ein Jammer, dass Schwarz so früh gestorben ist, es hätte sicher noch viele eindrucksvolle Aufnahmen von ihm mehr gegeben. Dass er durch seinen frühen Tod der Verfolgung durch die Nazionalsozialisten entging, ist immerhin ein Trost.


    Naja, wenn ich bei Wikipedia richtig zwischen den Zeilen lese, hat er sich totgesoffen! Das ist ein Jammer und für mich wenig tröstlich! Hätte er das nicht getan, hätte er noch sechs Jahr in Deutschland singen können und dann - wie andere auch - in Amerika weiter machen können. Insofern finde ich sein frühes Ende zutiefst tragisch, auch wenn dies gar nichts mit den Nazis zu tun hat.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Aber wenigstens habe ich eine andere Arie gefunden, die noch andere Seiten von Joseph Schwarz zeigt: die Arie des Dappertuto aus "Hoffmanns Erzählungen".

    Sensationell!!

    Lieber "Caruso41",


    in der Tat ist diese Arie großartig gesungen und diminuendos auf langen Tönen weiß ich immer sehr zu schätzen, viel mehr als das Nachdrücken und Nachschieben bei langen Tönen, das man leider viel öfter hört.
    Doch obwohl die Stimme wirklich toll eingefangen ist, ist die Tonqualität dieser Aufnahme doch sehr dürftig und das, was einem da als "Orchester" geboten wird, ist eine qualvolle Pein für die Ohren - das ist so grenzwertig, das sich dann Leute verstehen kann, die sagen, sie wollen so etwas nicht hörn - trotz der tollen Stimme!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Bei allen Baritonnen-Wonnen sollten wir nicht ganz vergessen, dass der Countertenor Andreas Scholl heute seinen 50. Geburtstag feiert. Willi hat dankenswerter Weise darauf in seinem Thread hingewiesen.



    Unter allen Countertenören der Gegenwart ist Andreas Scholl für mich der makelloseste und zugleich am beseeltesten singende. Die Stimme ist ziemlich dunkel, wie man beim eingestellten Vivaldi-Beispiel hört. Er ist tatsächlich ein männlicher Alt, ein "Altus". Die Stimme kann ruhig und klar strömen (manchmal staut sich bei den langen Tönen der Ton etwas), die Koloraturen sind von einer natürlich wirkenden Leichtigkeit, dass man sie eigentlich nur als perfekt bezeichnen kann. Außerdem habe ich bei seiner schlichten, niemals extrovertierten Ausdrucksweise immer das Gefühl, dass er ganz genau weiß, was er singt, udn den Showeffekt, den andere gerade in diesem Fach so lieben, nicht nötig hat.


    Ab Mitte der 1990er Jahre habe ich ihn in zweistelliger Abendanzahl live erlebt und war fast immer schwer begeistert. Ich habe mir auch mit großer Freude zigfach seine frühen Solo-CD's gekauft und angehört. Damals klang die Stimme noch heller und engelsgleicher als später, die natürliche Virtuosität und Mühelosogkeit war noch beeindruckender als später.


    2002 erlebt ich ihn als grandiosen Julius Cäsar in Kopenhagen - den DVD-Mitschnitt davon kann ich nur wärmstens empfehlen.


    Dass er diese Partie dann noch 2011 in Salzburg und zuetzt 2016 in Frankfurt am Main wiederholt hat, spricht für sein großes Können.


    Wenn ein Countertenor 50 wird, ist das, als wenn ein Tenor 65 oder ein Bass 75 wird. Es ist schon in den letzten Jahren etwas ruhiger um ihn geworden. Ich wünsche ihm dennoch von Herzen Alles Gute und bedanke mich für die vielen großartigen Aufnahmen, die er uns allen hinterlassen hat. :hail: :hail: :hail:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Dass er diese Partie dann noch 2011 in Salzburg und zuetzt 2016 in Frankfurt am Main wiederholt hat, spricht für sein großes Können.

    Ich habe ihn 2012 in Salzburg als Cesare erlebt (2011 gab es da meines Wissens keinen "Cesare") sowie auch 2016 noch in Frankfurt. Beide Male trotz bereits fortgeschrittenen Alters noch sehr gut, nicht mehr sehr groß an Volumen, dafür mit feinster Phrasierung und stilistisch makellos. Gerade die Besetzung in Salzburg war schon sehr gut: Scholl, Jaroussky, Dumaux, Bartoli, von Otter und Jochen Kowalski als Nireno (letzterer überzeugte in seinem fortgeschrittenen Alter mehr als Typ denn vokal). Auch in Frankfurt hatte er mit Louise Alder und Jamie Barton sehr starke Partner und konnte immer noch sehr gut mithalten.


    Auch im vorgestellten Vivaldi-Video findet man vieles von dem wieder, was den Reiz dieses Sängers ausmacht: Einen unprätentiösen Tonansatz, zarte Phrasen und eine ebenmäßige Tonproduktion. Andere Counter klangen oft spektakulärer, da explosiver, Andreas Scholl überzeugte stets durch die reine Qualität der von ihn produzierten Töne.


    Sicher in seinem Fach einer der bedeutendsten Vertreter, er hat Maßstäbe gesetzt.

  • Bin unterwegs und kann leider deshalb zu dem großartigen Andreas Scholl und zu den Jubilaren der kommenden Tage nichts beitragen.
    Tschüss

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Zu Andreas Scholl will ich mich ausnahmsweise auch zu Worte melden, wenngleich ich dem Anspruch eines Austausches mangels Fachwissen nicht genügen kann. Andreas Scholl war der erste Countertenor, mit dem ich überhaupt in Berührung gekommen bin, und er hat mich für dieses Stimmfach begeistert. Ich habe ihn mehrfach live erlebt und habe sehr viele Aufnahmen von ihm. Und obwohl es inzwischen sehr viele exzellente Countertenöre gibt, ist er mir immer noch der liebste. Stimmenliebhaber und Melomane haben seine Stimme bereits treffend charakterisiert, ich kann dem Gesagten nur nachdrücklich zustimmen (auch wenn ich es so nicht hätte formulieren können). Mir kommen - ganz laienhaft - die Attribute nobel und kultiviert als Charakterisierung seiner Stimme in den Sinn. Zwei Hörbeispiele möchte ich noch ergänzen. Erstens einen Ausschnitt aus Händels "Rodelinda" in Glyndebourne, wo ich ihn in der Rolle des Bertarido live erleben durfte - letztlich ist er die Ursache dafür, dass ich unter diesem Nickname hier aktiv bin ;) :



    Eine Aufzeichnung dieser Aufführung gibt es auf DVD, die ich (auch wegen der Inszenierung) sehr empfehlen kann.


    Als zweites verlinke ich ein Stück aus der wunderbaren CD "English Folk Songs and Lute Songs":


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich habe ihn 2012 in Salzburg als Cesare erlebt (2011 gab es da meines Wissens keinen "Cesare")

    Sorry, mein Fehler, man soll eben nicht noch schnell was in die Tasten hauen, wenn man auf dem Sprung zu einem Konzert ist... :untertauch:


    Auch im vorgestellten Vivaldi-Video findet man vieles von dem wieder, was den Reiz dieses Sängers ausmacht: Einen unprätentiösen Tonansatz, zarte Phrasen und eine ebenmäßige Tonproduktion. Andere Counter klangen oft spektakulärer, da explosiver, Andreas Scholl überzeugte stets durch die reine Qualität der von ihn produzierten Töne.


    Sicher in seinem Fach einer der bedeutendsten Vertreter, er hat Maßstäbe gesetzt.


    Das sehe ich ganz genau so. :yes:


    Andreas Scholl war der erste Countertenor, mit dem ich überhaupt in Berührung gekommen bin, und er hat mich für dieses Stimmfach begeistert.


    Das kann ich gut verstehen. Bei mir war er zwar nicht der erste, Kowalski (1992) hatte ich erstmalig drei Jahre vor Scholl (1995), Popken und Visse ebenso, Köhler zwei Jahre vor Scholl, aber als ich Scholl das erste Mal hörte, war das schon etwas ganz Besonderes.


    Als zweites verlinke ich ein Stück aus der wunderbaren CD "English Folk Songs and Lute Songs"


    Wenn das die von "Harmonia mundi" ist (und vom Höreindruck scheint sie es zu sein, ich habe diese CD seinerzeit mindestens 50 Mal gehört), dann ist das (neben den Deutschen Barockarien und -liedern beim gleichen Label) eine der prägendsten CD's meines Lebens.
    Leider sind aktuell bei jpc die ganzen frühen Harmonia mundi-Sachen und die "Cesare"-DVD aus Kopenhagen nicht im Angebot, sonst hätte ich da schon was verlinkt. Einiges hat er später so ähnlich bei anderen Labels nochmal produziert, die beiden Händel-Solo-CD's kamne damals bei seinem Wechsel von Harmonia mundi (letzte Aufnahme dort) zu DECCA (erste Aufnahme dort) beinahe parallel auf den Markt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"


  • Wenn das die von "Harmonia mundi" ist,


    Davon bin ich ausgegangen, ohne das YouTube-Video jetzt mit der CD verglichen zu haben, weil ich keine zweite Aufnahme dieser Lieder durch Andreas Scholl kenne.




    dann ist das (neben den Deutschen Barockarien und -liedern beim gleichen Label) eine der prägendsten CD's meines Lebens.


    Schau an, dann haben wir etwas gemeinsam (wobei mich die Barock-Lieder nicht in gleichem Maße berührt haben).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Die Barocklieder und -arien kamen etwa ein Jahr früher raus als die englischen Volks- und Lautenlieder. Da war meine allererste Solo-CD, die ich mir nach der ersten oder zweiten Live-Begegnung mit ihm geleistet habe, da habe ich seine Stimme erst so richtig kennen und lieben gelernt - aber die englischen Volks- und Lautenlieder griffen emotional mehr an, waren wesentlich stimmungsvoller, das stimmt schon. Die habe ich auch öfter gehört als die andere.


    Scholl hat dann später bei DECCA noch diese CD mit ähnlichem, teilweise identischem Repertoire, aufgenommen, die hat mich aber nicht so sehr berührt wie die von Harmonia mundi:


    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich bin der Meinung, dass heute endlich mal wieder eine Sängerin drankommen sollte, und zwar eine Sopranistin, die heute vor 100 Jahren geboren wurde - und zwar nicht Liselotte Losch, sondern die andere, gewichtigere. ;)


    Aber lassen wir Willi in seiner Rubrik erst einmal den Vortritt. :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der Schluß hat tatsächlich mit seinen Wiederholungen eine hypnotische Wirkung. Und wer bei dem abschließenden morrendo-'e' nicht in Trance fällt, der ist für die Oper verloren!

    Ihr geschätztes Terzett von Melomanen, Gesangsexperten und Stimmliebhabern, (diese Bezeichnung ist überhaupt nicht ironisch, sondern ausschließlich anerkennend gemeint),


    Ich bin fast ein wenig stolz, dass ich mit meinen Höreindrücken, auch wenn diese aus dem eingebauten Lautsprecher eines Note Books kommen, in Teilen nicht Eure Begeisterung teilen oder gar in Trance fallen kann. Mit 83 Jahren schreckt es mich auch kaum mehr, dass ich der Oper verloren sein soll. Das ist der natürliche Verlauf der Dinge. Nun zur Sache: Joseph Schwarz hat eine kultivierte Stimme, leichte Höhen, fließende Registerübergänge und er singt mit vorbildlicher Artikulation und dadurch hoher Wortverständlichkeit. Was mich stört ist das fast durchgängig larmoyante Timbre und deshalb ein gleichbleibender, wenig variabler Ausdruck. Der Sänger weckt bei mirAssoziationen an den Evangelisten von Karl Erb, der für mich seit ich Wunderlich hören durfte viel von seinem Glorienschein einbüßte. Mein Gott, wenn ich Josef Metternich oder kürzlich live Eike Wilm Schulte als Dappertutto höre, dann reißt mich deren Vortrag allein durch die Kraft des Singens vom Hocker. der so hochgelobte Joseph Schwarz dagegen lässt mich kalt. Sängerischer Feingeist versus Vollblutsänger!
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Mein Gott, wenn ich Josef Metternich oder kürzlich live Eike Wilm Schulte als Dappertutto höre, dann reißt mich deren Vortrag allein durch die Kraft des Singens vom Hocker. der so hochgelobte Joseph Schwarz dagegen lässt mich kalt.

    Lieber Hans, mir geht es genauso. Ich habe mir gestern den Schwarz mit der Dapertutto-Arie gehört. Er hat ohne Zweifel eine feine, gefühlvolle Stimme, aber einen Bösewicht kann ich mir beim besten Willen so nicht vorstellen. Da schneidet Metternich zwei Klassen besser ab, auch George London ist ein richtig fieser Dapertutto. Ich erinnere mich auch an Walter Berry, der diese Arie mit Verve und voller Temperament sang. Leider finde ich diese Aufnahme nicht, das ist nur Erinnerung.


    Danach habe ich mir die so gelobte Arie des Grafen Luna reingezogen. Ach, wie gut gefällt mir Bastianini, das ist pure Männlichkeit, auch Cappuccilli oder Schlusnus und wieder Metternich. Da kann ich Schwarz gar nichts abgewinnen. Man traut ihm Hintergedanken gar nicht zu, seine Interpretation ist brav und bieder. Dabei interessiert es mich auch gar nicht, ob er einen bestimmten Ton besonders gut und ohne Druck singen kann, er ist für mich kein Graf Luna. Während Bastianini mit dem Säbel für Leonore kämpfen würde, kann ich mir bei Schwarz einen Kampf gegen Manrico nur mit dem Zahnstocher vorstellen.


    Dagegen hat mir Schwarz sehr imponiert im "o Du mein holder Abendstern". Seine Stimme ist für lyrische Momente wesentlich besser geeignet als für heldische Rollen, jedenfalls ist das meine Empfindung.


    Aber ich betrachte das nur aus dem Bauch heraus, mit den Ohren eines normalen Theatergängers und nicht mit dem Fachverstand, den manche im Forum haben (oder zu glauben haben).


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • dann reißt mich deren Vortrag allein durch die Kraft des Singens

    Das ist eben die Frage, inwieweit "Kraft" das alles dominierende Entscheidungsmerkmal sein soll, oder ob Kraft nicht bestenfalls ein Mittel zum Zweck - nämlich des Klanges! - ist, der im Vordergrund stehen sollte? Ich vertrete die Auffassung, dass heute, aber auch schon in den letzten 30 oder 40 Jahren viel zu viel ohne Sinn und Verstand rumgebrüllt wurde und pure Kraft dadurch beinahe zum Fetisch wurde. Da fasziniert mich ein unforcierter Klang, der dann auch mehr Differenzierung zulässt, weit mehr. Es ist ja auch nicht so, dass die Stimme von Schwarz keine Kraft aufweisen würde. Sie wird bei ihm nur nicht zum Fetisch, zum Selbstzweck, sondern ordnet sich dienend der Gesamtinterpretation unter. Schade, dass man davon immer mehr abkommt...


    Übrigens war Eike Wilm Schulte nie ein Sänger, der versucht hat, seine Stimme durch übertriebene Kraftmeierei künstlich zu verbreitern auf Kosten des Klanges, sondern der immer mit sehr guter Technik und festem Stimmsitz (dadurch klanglich auch manchmal mit einer gewissen Tendenz zur Einförmigkeit) sehr fokussiert gesungen hat und durch diese sehr gute Technik zu tollen Klangergebnissen kam - nicht durch einen besonders großen Kraftaufwand, mit der er sich seine eher schlanke, wenn auch metallische Stimme schon vor Jahren ruiniert hätte. Die Tatsache, dass er immer noch so gut singen kann, beweist gerade, dass er kein "Kraftmeier" war und ist - und dafür habe ich Schulte immer bewundert, wie souverän er mit seinem Material umging und wie gepflegt er es einsetzte - da gab es andere Sänger, die trotz größerer Stimmen mit weit mehr Kraftaufwand gesungen haben und sich längst verbraucht haben. Für einen Sänger, der "allein durch die Kraft des Singens" begeistert, ist Eike Wilm Schute meines Erachtens ein denkbar schlechtes Beispiel.


    aber einen Bösewicht kann ich mir beim besten Willen so nicht vorstellen.


    Da ist die Frage, was ein "Bösewicht" ist? Ein polternder Depp, der sich lächerlich macht, oder ein intellektuell überlegender, süffisant verstohlen und geheimnisvoll seine Pläne schmiedender Feingeist? Genau solch einen Letzteren höre ich in der eingestellten Spiegelarie. Jeder Takt ist die pure Demonstration der Überlegenheit gegenüber Hoffmann, ganz im Sinne der Rolle. Ein dumpf polternder oder ohne Sinn und Verstand rumbrüllender "Bösewicht" kann eine solche Wirkung nicht im Entferntesten erzielen. Wenn ich siegesgewiss bin und alles nach Plan läuft, muss ich nicht rumbrüllen!



    der diese Arie mit Verve und voller Temperament sang.


    Wie gesagt: Warum soll Dappertutto, wenn er allein auf der Bühne ist und quasi ein Selbstgespräch führt, mit (womöglich noch italienisch-veristischer?) "Verve" und mit "Temperament" singen? Das wäre dann eine eindrucksvolle Konzertarie, hat aber nur wenig bis gar nichts mit der Rolle zu tun, die hier verkörpert werden soll.
    Schön das geheimnisvolle Vorspiel zu dieser Arie verrät doch, dass es hier gerade nicht um Kraftmeierei geht. Es ist nicht das Vorspiel zu einer Verdi-Stretta!


    Nachbemerkung: Dass alle, die sich jetzt kritisch zu Joseph Schwarz geäußert haben, zu Andreas Scholl geschwiegen haben, spricht auch Bände - der brüllt einigen wahrscheinlich auch nicht laut genug, als dass man ihn ernst nehmen müsste... :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ich habe diesen Thread im Schnelldurchgang gelesen und manche Sänger wiederentdeckt, die ich sehr schätze.
    Besonders gefreut habe ich mich über die mehrfach geäußerte Wertschätzung von Elisabeth Grümmer. Bei Partien wie Agathe, Figaro-Gräfin, Desdemona, Micaela: d´accord! Es gibt wenige Sängerinnen, die, trotz der Studiobedingungen, so viel Gemüt, so viel Seele transportieren.
    Wenn ich nichts übersehen habe, gibt es bei ihr etwas zu ergänzen: Sie war eine unübertreffliche Eva. Wenn ich die Meistersinger-Aufnahme unter Kempe höre, wird mir bei der Duettszene mit Sachs (Ferdinand Frantz!) regelrecht warm ums Herz, wenn sie mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Koketterie, Charme und Innigkeit Sachs schwach zu machen versucht: "Könnt´s einem Witwer nicht gelingen?" Besser habe ich solche Stellen nie gehört, von beiden. Überhaupt eine der gelungensten Einspielungen dieser Oper. Selbst Schock, auf der Bühne etwas schwach auf der Brust, ist hier im Studio fast rollendeckend. Und ein Kabinettsstück: Erich Kunz als Beckmesser. Da gerät selbst Sixtus ins Schwärmen...

  • Besonders gefreut habe ich mich über die mehrfach geäußerte Wertschätzung von Elisabeth Grümmer. Bei Partien wie Agathe, Figaro-Gräfin, Desdemona, Micaela: d´accord! Es gibt wenige Sängerinnen, die, trotz der Studiobedingungen, so viel Gemüt, so viel Seele transportieren.
    Wenn ich nichts übersehen habe, gibt es bei ihr etwas zu ergänzen: Sie war eine unübertreffliche Eva. Wenn ich die Meistersinger-Aufnahme unter Kempe höre, wird mir bei der Duettszene mit Sachs (Ferdinand Frantz!) regelrecht warm ums Herz, wenn sie mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Koketterie, Charme und Innigkeit Sachs schwach zu machen versucht: "Könnt´s einem Witwer nicht gelingen?" Besser habe ich solche Stellen nie gehört, von beiden. Überhaupt eine der gelungensten Einspielungen dieser Oper. Selbst Schock, auf der Bühne etwas schwach auf der Brust, ist hier im Studio fast rollendeckend. Und ein Kabinettsstück: Erich Kunz als Beckmesser. Da gerät selbst Sixtus ins Schwärmen...

    Das (vor allem das Gesagte zu Grümmers Evchen selbst) kann ich sehr gut nachvollziehen.



    Ich bin der Meinung, dass heute endlich mal wieder eine Sängerin drankommen sollte, und zwar eine Sopranistin, die heute vor 100 Jahren geboren wurde - und zwar nicht Liselotte Losch, sondern die andere, gewichtigere. ;)


    Aber lassen wir Willi in seiner Rubrik erst einmal den Vortritt. :)


    Das mit dem Vortritt für Willi hat nun wegen seines Chortages auch nicht geklappt...


    Ich muss gestehen, in der letzten Stunde einige von der gemeinten Gertrude Grob-Prandl auf Youtube gehört zu haben, mehr und weniger Überzeugendes - letzteres u.a. die Rezia, die natürlich auch schwer ist, und einges andere, was mich nicht begeistert hat, während ich folgende Schlusszene der Brünnhilde schon ziemlich gut finde:



    https://www.youtube.com/watch?v=Bs7PyipPwlM


    So richtig Lust auf eine detaillierte Beschreibung habe ich trotzdem nicht, Möchte vielleicht ein anderer, den Anfang machen?
    Die große dunkle Stimme ruht ziemlich in sich - das ist gewiss sehr positiv zu konstatieren. Negativ fiel mir bei diesem und anderen Beispielen auf, dass die Artikulation des Textes bei ihrer Art des Singens doch sehr in den Hintergrund tritt, ich höre fast nur Vokale...


    Ich bin gespannt, ob sich andere finden, die dazu vielleicht ein wenig mehr und detaillierter Stellung nehmen wollen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es ist ja auch nicht so, dass die Stimme von Schwarz keine Kraft aufweisen würde.

    Das möchte ich doch mal in aller Deutlichkeit unterstreichen. Nur weil Schwarz größtenteils scheinbar mühelos singt, heißt das nicht, dass sein Vortrag kein Volumen oder sogar keine Kraft hätte. Es ist sowieso ein großer Trugschluss, von einem kultivierten Vortag auf mangelnde Dramatik zu schließen, Dramatik hat in erster Linie nichts mit Lautstärke zu tun, sondern mit einem griffigen Tonansatz. Bei Battistini tritt hin und wieder das selbe Missverständnis auf, nämlich dass er von einigen als fein säuselnder Belcantist hingestellt wird. Liest man aber die Beschreibungen der Aufführung, in der er neben Tamagnos Otello den Jago sang, so kann man lesen, dass einem der dramatischsten Sänger seiner Generation an Klangfülle ebenbürtig war. Und das hat er sicher nicht erreicht, indem er just in dieser Aufführung angefangen hat, zu brüllen.
    Auch die Beschreibungen, die über Schwarz' Auftritte von Zeitgenossen angefertigt wurden, beeinahlten häufig die Adjektive "raumfüllend" und "sonor", was nicht unbedingt dafür spricht, dass er der lyrische Säusler war, zu dem ihn hier einige machen wollen. Neben dem italienischen Fach waren Wotan und Wanderer seine erfolgreichsten Partien - das wäre doch schwer vorstellbar, wenn man ihn nicht gut dabei gehört hätte.


    Während Bastianini mit dem Säbel für Leonore kämpfen würde, kann ich mir bei Schwarz einen Kampf gegen Manrico nur mit dem Zahnstocher vorstellen.

    Damit, dass du dir das nur so vorstellen kannst ist zunächst nichts unter Beweis gestellt, außer dein eingeschränktes Vorstellungsvermögen. Wenn man liest, was in der englischen Presse über Schwarz' Debüt als Rigoletto in London zu lesen war, nämlich sein Vortrag sei "schaljapinesk" gewesen, so spricht vieles dafür, dass sein - auch darstellerischer - Vortrag überaus mitreißend gewesen sein muss, denn Schaljapin galt damals als der Inbegriff eines überaus präsenten Bühnendarstellers.
    Nicht jeder, der kultiviert singt und seine Stimme technisch im Griff hat, ist deswegen ein kleinstimmiger Langweiler und nicht jeder der brüllt, verfügt deswegen über große Dramatik (womit ich ausdrücklich nicht Bastianini meine, Metternich in einigen Aufnahmen schon eher).

  • nicht jeder der brüllt, verfügt deswegen über große Dramatik (womit ich ausdrücklich nicht Bastianini meine.

    Richtig, gerade Bastianini ist für mich gar kein "Brüll-Bariton", seine besten Rollen sind für mich der Luna und der Posa. In einigen "expressionistischeren" wie Rigoletto ist er weniger mein Ideal und den Scapia hat er vemrutlich gar nicht gesungen, oder? Und wenn doch mal, dann sicher nicht häufig und sicher gehört der nicht zu seinen Paradepartien.


    Und dass einige italienische Landsleute nach Bastianini (aber auch andere) meinten, ihn bezüglich an Kraft und Lautstärke übertrumpfen zu müssen, führte meiner Meinung nach gerade dazu, dass sie ihn künstlerisch nicht übertrumpfen konnten.


    Aber es ist auch schwer, sich zu beherrschen und nicht zu brüllen, die Bedingungen wurden diesbezüglich in den letzten Jahrzehnten nicht besser, die Orchesterstimmung immer höher, die Opernhäuser größer, die Dirigenten mit den Orchestern im lauter - und Studiobedingungen, gerade auch mit Trichter, sind sicher trotz des großen zeitlichen Abstandes nicht weniger optimal als Live in einem überdimensionierten Haus (ich nenne nur mal die neue MET) mit einem zu lauten Orchester vor rasender Menge, von denen einige hundert genau diese Kraftprotzerei wollen und fordern. Da ist es dann auch nicht so einfach, unforciert und ohne Brüllen durch den Abend zu kommen - das gebe ich gerne zu!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    In einigen "expressionistischeren" wie Rigoletto ist er weniger mein Ideal und den Scapia hat er vemrutlich gar nicht gesungen, oder? Und wenn doch mal, dann sicher nicht häufig und sicher gehört der nicht zu seinen Paradepartien

    Bastianini hat den Scarpia zwar gesungen, es gibt einen Mitschnitt aus Brüssel 1958 (neben Tebaldi und di Stefano), vom Hocker haut er mich da aber ganz und gar nicht. Zu keinem Zeitpunkt hat man den Eindruck, er würde über der Rolle stehen. Die überwiegend im passagio gelagerte Partie kommt seiner Stimme mit ihren überragenden Spitzentönen auch so ganz und gar nicht entgegen. Trotzdem hat er den Scarpia einige Male gesungen (an der Met dreimal, in Wien 11 Mal).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose