"Samson und Dalila" im Opernhaus Köln

  • Ich habe mir aufgrund der Mediendiskussionen im Vorfeld erlaubt, mit Knuspis Beitrag zur Kölner Produktion einen eigenen Thread zu dieser Produktion zu eröffen.
    TP


    Mein Vater rief mich gestern noch an: "Jung, pass op. In der Stadt ist der Mob los, da liefern sie sich Strassenschlachten. Willste wirklich in die Oper?"


    Wacklige Zeiten in Köln, erst recht im maroden, intendantenlosen Haus am Offenbachplatz. Da stand ich also im Foyer, inmitten des Premierenpublikums. Egal, in welcher Stadt ich bin, ich fühle mich in dieser Gesellschaft nicht wohl. Küsschen hier, Küsschen da. Nebenbei noch ein paar Geschäftsanweisungen ins Handy getrötet und dann wieder zum Prosecco.


    Foyergedanken


    Uah, da kam mir dann doch der Gedanke, ob es der selbsterklärte Sinn des Regietheaters ist, dagegen anzugehen: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen"? Nur, dass meine arme Hütte dabei auch weggefegt wird und es ja eher mein Unvermögen ist, dass ich mich bei "Palasts" nicht wohl fühle, also warum Krieg? Und überhaupt: War das gestern überhaupt Regietheater? Die Geschichte wurde relativ geradlinig erzählt - nur halt nicht in historischen Kostümen, geschweige denn, dass es einen Tempel gab. Es sei denn der gesamte Riphahnbau sollte der Tempel sein, quasi der Musentempel, der von Samson am Ende mittels Selbstzündung in die Luft gejagt wird.


    Viel Lärm um????


    So wird es wohl sein. Denn noch bevor die ersten Takte erklingen, saust eine akustische Granate duch die Luft, es kracht, die Lichter im Zuschauerraum gehen aus und der Vorhang enthüllt ausschnittweise eine Trümmerlandschaft: Schiefe Blechpaneelen, Waschmaschienen, Stapelbretter, drei Feuerchen, viel Rauch, der bald den gesamten Zuschauerraum einnebelt, so dass man die Übertitel kaum mehr lesen kann. Aus diesem Szenario schält sich der Chor heraus. Und der singt richtig gut. Dank Andrew Ollivant. Auch das Dirigat von Enrico Delamboye hat mir sehr gefallen. Er umreißt alle Klangfarben - sofern man sie denn hören darf, denn jetzt kommt der erste Schwachpunkt der Inszenierung: Rein instrumentale Parts verkommen zur Untermalungsmusik. Die Statisterie gibt sich alle Mühe, Verwundete zu spielen. Es wird geschrien, gejammert und gewehklagt, so dass es die Partitur zerfetzt.


    Als dann Samson auf den Plan tritt ist erst mal Ruhe im Karton. Besser so, denn Ray M. Wade jr. singt wirklich kraft- und glutvoll. Kein Wunder, dass er den Hebräern ihren Glauben zurückgibt. Mit der Stimme! Doch der Regisseur vertraut da nicht ganz drauf und lässt noch fleißig Waffen verteilen. Die Philister, die eben noch die Nase zienmlich oben trugen werden überwältigt und größtenteils niedergemäht. Eine Zündschnur wird gelegt, es kracht etwas popelig und ein Teil der Rückwand macht den Weg frei. Aha, das sollte eher ein Gefängnis sein, als nur eine Trümmerlandschaft. Aber warum sind dann die Hebräer nicht einfach zwischen den Paneelspalten entfleucht? Ich würde jede Gelegnheit zur Flucht nutzen.


    Noch mehr Lärm


    Das anschließende Dankgebet und die Ballettmusik werden benutzt um die Greuel der Hebräer zu illustrieren: Frauen werden an Haaren hereingezerrt und in Zeitlupe geschändet. Der Chor dreht zu diesen Aktionen den Rücken hin. Die blonde Delila wird von Samson gerettet und ohne Pause geht es dann weiter.


    Wir sehen keinen Garten sondern Dalilas Etablissement, ein lindgrün gestrichenes, neonbeleuchtetes Bordell, wo sie ihre Intrigen mit dem Oberpriester spinnt. Der hatte sich schon im 1. Akt seines orientalischen Kopfschmucks entledigt und kommt im geschniegelten Outlook, also im edlen Zwirn daher.


    Dalila wird gespielt von der stimmlich indisponierten, ranken und schlanken Ursula Hesse von den Steinen. Und das mit vollem Körpereinsatz, in Reizwäsche, rauchend, Champagnerflaschen an die Wand knallend und die Mähne lasziv schüttlend - wie weiland Jennifer Jones in "Duell in der Sonne". Gesungen wird sie am Bühnenrand von der MET-erfahrenen Irina Mishura. Bravo! Bravo! Bravo!


    Taktgenau zum Höhepunkt


    Der Oberpriester ist Egils Silins. Ebenfalls: Bravo! Die beiden giften sich an, bringen sich dadurch in Ekstase und schieben zum rhytmischen Racheduett eine Nummer, bei der Delila schier zu jodeln beginnt. Sorry, aber da reicht mir die Musik voll und ganz. Die ist eindeutig genug, da brauche ich nicht so eine lächerliche Softpornonummer. Kontraproduktiv!


    Samson kommt, lässt die Hosen runter, zieht sie wieder hoch und sinkt dann endgültig in Delilas Bett. Der Vorhang schließt sich und öffnet sich wieder zu einem Tableau: Da liegt Samson. Das Bett ist blutig. Das biestige Weib Delila wedelt mit seinem Haarschopf und zehn Schergen mit dem Maschinengewehr im Anschlag johlen und lachen.


    Wie bei Winnetou


    Pause gibt es auch diesmal nicht. Der 3. Akt zeigt das Bühnenbild des ersten Aktes. Samson wimmert geblendet zu dem unsichtbaren Wehklagen der Hebräer. Das ging mir jetzt wirklich unter die Haut - auch wenn ich mich wieder geärgert habe, dass ich den Chor durch Samsons Wehklagen nicht verstehe. Ein Arzt stellt ihn dann auch mittels Spritze ruhig. Die Hebräer verstecken sich unter Militärdecken, werden aber von der feisten Philistergesellschaft, die lautstark durch den Zuschauerraum prollt, entdeckt.


    Zu der wunderschönen Ballettmusik gibt es jetzt hier eine Massenvergewaltigung. Sorry, ich kann damit nix anfangen. Ich finde so etwas unangemessen, will sagen: plump und ich bin null betroffen. Wie bei einem Winnetoufilm: Da wird auch geschossen, aber man weiß, am Ende des Drehtages gehen alle in die Kantine. Merke: Je weniger man sieht, um so gruseliger und verstörender ist es. Leider hält sich der Regisseur nicht an dieses simple Erfolgsrezept von Gruselfilmen. Er lässt die Musik in Grund und Boden schreien, stöhnen, ächzen, johlen und splattern.


    Der mitleidige Arzt wird erschossen, hat dem Samson aber vorher noch einen Selbstzünder angelegt, die Menge verteilt sich im Zuschauerraum, Samson entblösst den Sprengsatz. Ende! Kein Tempeleinsturz, dafür aber ein Bravo- und Buhkonzert.


    Und wieder im Foyer


    Tja, das wars also, der skandalumwitterte Kölner Samson, wo sich dann anschließend im Foyer beim Prosecco und vor laufenden WDR-Kameras betroffen über den Nahostkonflikt geäußert wird. Ganz ehrlich, ich wollte nicht hingehen. Ich lehne derartige Pseudo-Skandalkonstrukte ab. Da ich aber eine Karte geschenkt bekam ... Musikalisch war es wirklich ein Geschenk, doch die Inszenierung hat mich nicht überzeugt. Das werde ich mir nicht noch einmal ansehen. Dagegen habe ich mir die opulente MET-Produktion bereits mehrfach zu Gemüte geführt - via DVD - in meiner Hütte.

  • Lieber Christoph,


    vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht.


    Wer in die "Kölner Oper" geht wird nicht enttäuscht,


    denn, er weiß was ihn erwartet. :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Liebe Forianer ,


    nach wochenlangem , zum Teil unsinnigen Streit in der breiten Öffentlichkeit über die Kölner Neuinszenierung von "Samson und Dalila" , war es endlich soweit , dass wir heute auch zumindest in den Online-Ausgaben von Tageszeitungen etwas über dieses "historische Musikereigenis" lesen konnten .


    F a z i t insgesamt : Ausser Lärm nichts gewesen , so die Rezensentenzunft , auf die Thomas Pape hier schon einmal in Zusammenhang mit der Kölner Medienlandschaft hingewiesen hatte .


    Das Publikum war überweigend angetan gewesen ; einige Buh-Rufer .


    Auch zeh der "krankgeschriebenen" Chormitglieder etrugen diese Inszenierung nun ohne posttraumatisches Stress-Syndrom .


    Es war gut und sinnvoll , hier n i c h t über eine Aufführung zu berichten und zu spekulieren , die niemand zuvor gesehen hatte .


    Die Musikwelt wird sich sicherlich wichtigeren Aufführungen zuwenden . Die Kölner , vertraut man ihren Presseorganen , sollen nach langem Opernfrust enbdlich weider wenigestens eine Diskussionsstoff von Lokalbedeutung ( gehabt ) haben .


    Frank


    PS.: In der Onlinepresse gibt es meines Wissens keinen Hinweis darauf , dass man diese Inszenierung n i c h t anschauen sollte ; aber auch keine Hinweise , dass diese Aufführung ein Muss wäre .

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Zitat

    Original von Frank Georg Bechyna


    Das Publikum war überweigend angetan gewesen ; einige Buh-Rufer .


    Das stimmt nicht. Es gab massive und sehr viele Buhs. Unter mir in der Gondel hörte es überhaupt nicht mehr auf und auch im Parkett war ein fester Buhchor zu vernehmen.

  • Zitat

    Original von Zwischenrufer2
    Die Kritiken sind doch überwiegend positiv! Ich freue mich für die Kölner Oper! Am 23. kann ich mir dann selber ein Bild machen.


    Jetzt hätte ich fast geschrieben, dass das die beste Voraussetzung dafür ist, dass es dem Publikum nicht gefällt....

    :stumm:


    Gleich ein Beispiel dafür: vor zwei Wochen hatte "Die Liebe zu den drei Orangen" in Graz Premiere. Ich war schon erstaunt, dass die Premiere dieses selten gespielten Werkes sehr gut besucht war. Und die Gekommenen hatten ihren Besuch nicht zu bereuen! Die aus Berlin übernommene Inszenierung wurde ein voller Erfolg. So einstimmigen Jubel - auch für das Leading-Team! - gibt es bei uns für Premieren ganz ganz selten!


    Ernst Scherzer fand in seinem Artikel in der Wiener Zeitung wenig Positives zu berichten und obwohl sich das Publikum hörbar amüsierte, fand er es auch gar nicht lustig...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Also, was ich im Radio und in der Zeitung mitbekommen habe, ist Tillman Knabe wohl diesmal wohl ein drastischer aber gelungener Einblick gelungen. Ein paar Beschreibungen hörten sich sehr interessant an.

  • Leider konnte ich nicht zu der verschobenen Premiere und musste meine Karte wieder verkaufen. Den Besuch werde ich aber noch nachholen. Im Kölner Stadt-Anzeiger gibt's neben einem langen Premierenbericht auch einen interessanten Einblick ins Premierengeflüster.
    Das scheint ja wirklich einen Besuch zu lohnen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich bin mehr als geneigt, Theophilus recht zu geben. Die Presse bietet ein verdrehtes Bild vom Premierenabend. Es gab keinen einhelligen Jubel und auch nicht nur ein paar Buhs seitens des Publikums. Das stimmt einfach nicht.


    Die Buhs und Bravos waren sehr massiv und hielten sich die Waage, wobei es sich mir als Kleinkrieg darstellte: Sobald gebuht wurde, dröhnten zwei, drei Baritonbravi umso lauter durch den Zuschauerraum. Und: Der Applaus wurde deutlich dünner, sobald Herr Knabe auf die Bühne trat.


    Ich kann kaum glauben, wie das jetzt wieder verdreht wird, habe aber in diesem Zusammenhang beobachtet, wie die Journalistinnen sich gezielt die begeisterten Zuschauer rauspickten. Andere wurden - bis auf eine Ausnahme - gar nicht befragt.

  • Lieber Christoph,


    Du weißt doch, daß wir einen Journalisten im Forum hatten,


    der sich wahrscheinlich auch positiv über die Aufführung,


    geäußert hätte.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Lieber Herbert,


    ich bin einfach fassungslos.


    Sowas ist doch Stimmungsmache. Purer Weichspüler! PR! Ich kann es echt kaum glauben.


    Und es bleibt die bohrende Frage. "Wäre es jetzt ein Samson in historischen Kostümen gewesen, hätte die Presse dann nur die erbosten Regietheaterbefürworter befragt?"


    Die einzigst wirklich objektive Rezension habe ich beim Tagesspiegel gefunden:


    "http://www.tagesspiegel.de/kultur/art772,2794723


    :hello:


    Knuspi

  • Es hat mich doch sehr überrascht , als ich heute noch zu nächtlicher stunde u.a. in der "Westdeutschen Zeitung" , Düsseldorfer Ausgabe , eine Rezension las als habe es nicht nur eine Wunderinszenierung gegeben , sondern als seien auch Sängerinnen wie Sänger von einzigartiger Güte gewesen .


    Da man sich doch gelegentlich an rezensionen orientiert , ob man in solch eine Aufführung gehen soll , ist es doch interessant alles einmal mehr unter dem Blickwinkel des Zeitungsbetriebes zu sehen .


    Mein Fazit , anders als das , was ich bisher lesen konnte : Nicht nach Köln zu dieser Produktion fahren .


    Danke für Eure Beiträge über Eure persönlichen Eindrücke !


    Grüsse ,


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin