MAHLER 2010 - Die Sinfonien - Riccardo Chailly

  • Und hier ein weiteres Schwergewicht in Sachen Mahler am Podium.
    Die Aufnahmen der Mahler Sinfonien mit dem Concertgebouw Orkeest Amsterdam unter Riccardo CHAILLY für DECCA wurden bei ihrem Erscheinen von vielen Kritikern einhellig bejubelt. Von analytischer Deutung, optimaler Durchhörbarkeit und von Betonung des fratzenhaft skurrilen war die Rege. Gelegentlic wurde dereinst, ich erinnere mich noch, eine gewisse "Kühle" festgestellt.


    Ich muß sagen, daß ich von Chailly nicht allzuviel in meiner Sammlung habe, der Funke wollte nie so richtig übespringen.


    Heute habe ich aber zumindest in einige Soundschnippsel hineingehört, die jpc ins Netz stellt. Ich muß sagen, daß ich die Betonung (nicht Übertreibung !!) des Grotesken sehr wohl heraushören konnte eine "Kühle" konnte ich indes nicht feststelllen. Ich bin eher begeistert von der Klarheit dieser Aufnahmen (soweit ich sie kenne) und zumindest Chaillys Sichtweeise von Mahler hat mein Interesse geweckt- ein oder zwei Sinfonien aus dieser Sereie werden mit Sicherheit in meiner Samlung landen....


    .


    Die DECCA Aufnahmetechnik hat wieder mal ganze Arbeit geleistet, räumlich optimal durchhörbar, klangfarbentreu und voluminös - so kommen die Aufnahmen daher. Es wundert mich ein wenig, daß es in letzter Zeit so still um diese Aufnahmen geworden ist......


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Bisweilen haben mich einige Tempi etwas erschreckt.


    Der Kopfsatz der Sechsten ist von enervierende, zermürbender Langsamkeit, die das Bedrohliche dieser Symphonie noch betont. 'Das Böse' braucht keinen Geschwindmarsch, es kommt langsam, aber stetig und unaufhaltsam. Diese sechste hat mich im positiven Sinne 'fertig gemacht'...


    Chaillys Box war dieses Jahr auf jeden Fall einer meiner Best-Buys!

  • Nachdem ich hier soviel euphorisches zu Chaillys Mahler gelesen hab, hab ich mir vor ca drei Wochen das (immer noch erhältliche) Schnäppchen aus Holland (Handelsblad) kommen lassen. Einiges kannte ich ja schon, einiges kam in der Zwischenzeit neu an die Ohren.


    Über das phänomenale Orchesterspiel des Concertgebouw-Orchesters ist ja schon genug geschrieben worden. Wirklich faszinierend. Und Chaillys Spiel ist in der Tat ein Leckerbissen für Klang“verliebte“ (nicht ironisch gemeint!). Wer alle Tiefen in den Partituren ausgelotet haben möchte und das Unerbittliche und Tiefschürfende in Mahlers Musik sucht, wird vielleicht nicht so glücklich werden und wird die Musik zu „schön“ empfinden; als solches empfinde ich sie auch. Allerdings nicht alles (soweit ich sie mittlerweile gehört habe). Die Zweite und Dritte ist wunderbar; mit der Fünften kommt er m.E. am besten zurecht; seine Vierte ist mir viel zu „laut“ und geschwätzig und auch wenn ich Travinius‘ Statement zur Sechsten absolut nachvollziehen kann, so ists doch nicht so recht Fisch oder Fleisch: Die Langsamkeit Ja, aber bisserl zuu lieblich gespielt. Seine Achte ist farbig und süffig – so wie die Covers (der OAs).


    Nicht so ganz nachvollziehen kann ich die Lobpreisungen in Sachen Klangqualität. :untertauch: Sicher ist alles höchst sauber, vollmundig und brilliant aufgenommen und läßt eigentlich keine Wünsche offen. Über meine „kleine“ Anlage (die so den ganzen Tag mitläuft) hört sich das auch alles toll und unglaublich süffig an. Über meine penibel im Raum ausgerichtete „Große“ (die so groß gar nicht ist) gehört bin ich jedesmal etwas ratlos. Die Billianz und die Durchhörbarkeit wurde offensichtlich mit ner ganzen Batterie Stützmikrophone erzielt. Und das hört man bei einer räumlich klingenden Anlage auch überdeutlich. Da stehen die Bläsersätze 5 Meter vor dem restlichen Orchester und Soloinstrumente hören sich satt, aber eben mit der Lupe herangezoomt an. Das verleidet mir das Hörvergnügen schon gewaltig. Glücklicherweise gibt’s Alternativen ;-)


    Alles in Allem aber durchaus eine sehr empfehlenswerte Anschaffung. Manchmal mag man es halt „schön“, genußreich und malend. Ich hab nicht immer Lust auf eine Auseinandersetzung mit der Musik – ich bin ein Genußhörer. Glücklicherweise machen es einem die Preise der verfübaren Boxen recht leicht, mehrgleisig zu fahren – und mehrgleisig zu genießen.

  • Zitat

    Original von Thomas Knöchel


    Nicht so ganz nachvollziehen kann ich die Lobpreisungen in Sachen Klangqualität. :untertauch: Sicher ist alles höchst sauber, vollmundig und brilliant aufgenommen und läßt eigentlich keine Wünsche offen. Über meine „kleine“ Anlage (die so den ganzen Tag mitläuft) hört sich das auch alles toll und unglaublich süffig an. Über meine penibel im Raum ausgerichtete „Große“ (die so groß gar nicht ist) gehört bin ich jedesmal etwas ratlos. Die Billianz und die Durchhörbarkeit wurde offensichtlich mit ner ganzen Batterie Stützmikrophone erzielt. Und das hört man bei einer räumlich klingenden Anlage auch überdeutlich. Da stehen die Bläsersätze 5 Meter vor dem restlichen Orchester und Soloinstrumente hören sich satt, aber eben mit der Lupe herangezoomt an. Das verleidet mir das Hörvergnügen schon gewaltig. Glücklicherweise gibt’s Alternativen ;-)


    Lieber Thomas,


    ob tatsächlich viele Stützmikrophone eingesetzt wurden, entzieht sich meiner Kenntnis, aber es scheint in der Tat so zu sein, daß zumindest stellenweise technisch nachbearbeitet wurde.


    Ich höre gerade die 3. Sinfonie (nebenbei, eine der "Highlights" der Gesamteinspielung) über Kopfhörer und stelle dort in einigen lauten Tutti-Passagen des ersten Satzes fest, daß einige Instrumente "künstlich nach vorne" gezogen klingen.
    Auch gibt es einige kleine Passagen, die nicht ganz so räumlich klingen wie die restlichen. Ich denke, daß es einige kleine Schnittfehler sein könnten, die die "totale Perfektion" verhindern, denn von der 5., die ich öfter höre, da sie zu meinen persönlichen "Referenzen" zählt, bin ich solche kleinen Fehler oder Eingriffe nicht gewohnt...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    Ich kann es leider auch nicht beurteilen, welche "Kniffe" die Technik angewandt hat, um zu dem Ergebnis zu kommen. Wie schon geschrieben, für "kleinere" Anlagen, die nicht so highendig(?!?) ausgerichtet und aufgestellt sind, ist das Ergebnis voll überzeugend. Es kommt viel Sound rüber (hier nicht abwertend gemeint), alles klingt vollmundig, sonor und extrem farbig. Die "Fehler" sind hier nicht auszumachen.


    Anyway...


    Nun sitz ich natürlich auch nicht vor den Lautsprechern und versuch, die Musik nach klanglichen Fehlern zu durchhören - dazu ist mir die Musik letztendlich zu wichtig. Aber (vor allem in Vergleich) zu anderen gut aufgenommenen Einspielungen ist der Hörgenuss getrübter, weil das Hören manchmal viel zu "stressig" ist. Absolute Gegenparts sind für mich derzeit je nach Tagesform die Einspielungen Inbals (die Denon-PCMs) oder die Solti-Aufnahmen der 70er (stellvertretend genannt für viele andere). Hier ein extrem räumliches, feinzisseliertes und höchstentspanntes Klangbild, dort ein vollmundiger Farbcoctail der Extraklasse - vollmundig, saftig und stimmig. Und eben stressfrei zu hören.


    Wie gesagt, alles tagesformabhängig ;-) Und interpretatorische Argumente hier mal außen vor gelassen.


    Grüße
    Thomas

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tja, lieber KSM, da wird eben noch richtig gestritten...


    Man muß Mahler ja auch nicht mögen, geschweige denn "lieben". Oftmals ist es sogar besser, seine Abneigung gegenüber Mahlers Musik klar zu artikulieren. Denn wie Chailly ganz treffend sagt, attackiert Mahlers Musik den Hörer geradezu körperlich. Dieses Gefühl hatte ich auch schon sehr oft, besonders im Finalsatz der Ersten und Zweiten und im Eröffnungssatz der Fünften und Neunten. Besonders im Finalsatz der Ersten zucke ich immer noch jedesmal zusammen, wenn er über mich hereinbricht. Ich nehme diesen Satz als extrem attackierend und sogar destruktiv wahr. Und ich denke, dass viele Hörer mit dieser Wucht und Aggressivität Mahlers nicht klarkommen. Es ist ungeschönter, ungehemmter, ungekünstelter Ausdruck, der direkt treffen und erschüttern will. Davor müssen sich eben viele Hörer schützen und werten seine Musik deshalb ab. Aber irgendwie spricht das ja auch für diese Hörer, denn sie haben erkannt, dass es da etwas bei Mahler gibt, das nicht zu bändigen und nicht totzukriegen ist, etwas das "heraus will", eben "wild herausfahrend". Im besten Falle muß man eine Mahlersinfonie durchleben, man wird in sie hineingeworfen, hin- und hergerissen, durchgeschüttelt, wachgerüttelt, alarmiert. Das ruft Gegenwehr hervor. Und deshalb verstehe ich heftige Abwehrreaktionen sehr gut. Mahler entzieht sich dem reinen Konsum. Und das ist gut so. Und deshalb sehe ich die heutigen interpretatorischen Domestizierungsversuche außerordentlich skeptisch.
    Danke an Riccardo Chailly für diese klaren und wahren Worte.



    Es grüßt
    Agon

  • Mahlers Musik attackiert nicht nur den Menschen körperlich. Habe vor kurzem einem Freund die 9. von Mahler geschenkt, da er einen Marder im Haus (Dachgeschoss) hatte. Er hat die Musik so laut gedreht, wie es nur ging. Hat mir danach versichert, der Marder ist weg.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)