Das neue Programm 2015/16 der Hamburgischen Staats­oper

  • Wer kennt Julia Maria Dan? Zum neuen Programm 2015/16 der Hamburgischen Staats­oper unter Georges Delnon (Opernintendant) und Kent Nagano (Generalmusikdirektor)


    Der erste Blick in das neue Programmheft ist ernüchternd. Hatte man gehofft, dass Nagano einen höheren Sängeretat ausgehandelt und auf große Namen gesetzt hat, ist die Zahl solcher Sänger (wie u.a. Klaus Florian Vogt) weiter reduziert.
    Von den in der jetzigen Saison von Simone Young engagierten Sängerinnen und Sängern finden sich jetzt nur noch ca. 17% auf der Sängerliste. Guten Ensemblemitgliedern wie Cristina Damian (Mezzosopran) oder Lauri Vasar (Bariton) wurde der Vertrag nicht mehr verlängert, eine stimmlich so herausragende Sängerin wie Katja Pieweck, die singuläre Leistungen als Ortrud oder Ariadne ablieferte, findet sich als Aufseherin (Elektra) wieder. Sie hat zwar noch gut 40 Abende zu gestalten, erhielt aber keine wirklich tragenden Rollen mehr (Filipjewna in Eugen Onegin, Gertrud in Hänsel und Gretel, Hedwig in Rossinis Tell, Marcellina im Figaro und Anna in den Trojanern (Berlioz)). Die wunderbare Hellen Kwon darf noch 5mal als Zweitbesetzung die Figarogräfin singen, wird sonst aber mit dem Fuchs (schlaues Füchslein) und der 5. Magd (Elektra) abgefunden. Von den Ehemaligen wird einzig dem wirklich gut singenden Dovlet Nurgeldiyev (Tenor) eine bessere Plattform geboten (Lenski, Steuermann, Ferrando, Alfredo, Alfred u.a., insgesamt ca. 35 Abende). Welche sängerischen Meriten hat aber die neu in das Ensemble eingetretene und mit gut 30 Abenden in Hauptpartien bedachte rumänische lyrische Sopranistin Julia Maria Dan? Sie singt jeweils 7mal in zwei von insgesamt 4 hauseigenen Premieren (im Großen Haus): Mathilde in Guillaume Tell und die Figarogräfin,
    daneben die tragenden Rollen im Freischütz, Eugen Onegin, Fledermaus und Cosi fan tutte.


    Kent Nagano dirigiert im Großen Haus etwas mehr als 2 Dutzend Aufführungen: Trojaner (Zhidkova, Kerl), Tristan (Gould, Merbeth, Braun), Pelleas (Addis, Vourc’h), Elektra (Watson, Merbeth, Fujimura) und eine Uraufführung, die sich mit dem japanischen Kernkraftwerkunglück auseinandersetzt (Stilles Meer). Insgesamt werden zwar 26 verschiedene Opern aufgeführt, aber nur zweimal Wagner (Tristan und Holländer), zweimal Mozart (Figaro und Cosi) sowie dreimal Verdi (Carlos, Luisa, Traviata); jeweils zweimal gibt es auch etwas von Strauss (Elektra und mit Daphne eine Übernahme aus Basel) und Puccini (Manon, Fanciulla). Was soll man also unter gesanglichen Aspekten besuchen, wenn die großen Namen fehlen: Vielleicht José Cura als Dick Johnson, Daniel Behle als Max, Rainer Trost als Eisenstein, Andreas Schager als Erik, Alexander Tsymbalyuk als Gremin und das von dieser Saison übernommene Liebespaar Machaidze/Magri aus Luisa.


    Entsprechend den Veröffentlichungen in der Hamburger Lokalpresse, die sich mit dem Thema Sängerinnen und Sänger (meiner Meinung nach mangels entsprechender Kenntnisse) überhaupt nicht befasst, versucht die Direktion über das Medium Oper mehr politische Inhalte zu transportieren. Dazu dienen angeblich u.a. die Neuinszenierungen der Trojaner (Berlioz, Inszenierung Michael Thalheimer, Thema Flüchtlinge) und von Mozarts Figaro (Inszenierung Stefan Herheim, individuelle Freiheit). Wahrscheinlich wurde deshalb auch der Konwitschny-Carlos wieder ausgegraben.


    Die Hamburger Oper existiert seit 1678, also seit mehr als 3 Jahrhunderten. Immer standen die sängerischen Leistungen im Vordergrund (Jenny Lind, Enrico Caruso), über Politik verkauften sich die mehr als 1.600 Plätze im Haus nicht, aber über die bekannten Sängerinnen und Sänger, welche die hamburgische Staatsoper in den 1970er und 1980er Jahren an die erste Stelle der deutschen Opernhäuser rückte. Tempi passati. Wir sind in das zweite Glied gerückt. Ob es Nagano musikalisch gelingt, in der öffentlichen Wahrnehmung wieder den Schritt nach oben zu tun und das Haus zu füllen, wird sich zeigen. Im Gegensatz zum Ballett unter Neumeier, der in der nächsten Saison an 85 Abenden immerhin 16, in der Regel ausverkaufte abendfüllende Stücke präsentiert, bleibt für die Oper zumindest abzuwarten, ob sich der Verzicht auf sog. Kassenmagneten wie u.a. K. F. Vogt oder E. Gruberova und die – gewollte - Hinwendung zum „Politischen“ wirklich rentiert.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Die Ernüchterung ist vielleicht ganz gut, sie wird den unbarmherzigen Kritikern von Simone Young noch die Augen öffnen, dass nicht alles so schlecht war in dem Jahrzehnt unter ihr.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nicht alle neuen Besen kehren auch gut, Wenn ein GMD wechselt sind die Ensemblesänger die ersten die gehen müssen. Wie oft hab ich das an der Rheinoper erlebt, Aber auf der anderen Seite sollte man auch dem Alten nicht immer nachtrauen sondern dem Neuen eine Chance geben weil das auch spannend sein kann. Und wenn ich lese, wie viele Vorstellungen Herr Nagono in Hamburg dirigiert dann dirigiert er dort mehr Vorstellungen als in München. Unser GMD Herr Kober dirigiert grade mal 2 Premieren und wenn es hoch kommt 4 Repertoire Stücke.

  • Rodolfo hat Recht. So habe ich das bei diversen Wechseln hier in Berlin auch beobachtet. Man kann das Neue nur haben, wenn man auf Altgewohntes verzichtet. Das müsste nicht zwangsläufig so sein, aber es ist so. Nagano ist schließlich bekannt dafür, dass er mit der Übernahme neuer Aufgaben entsprechende Akzente setzt, die ihn von seinen Vorgänger deutlich unterscheiden. Sie sind nicht immer mehrheitsfähig und kommen beim Publikum nicht nur gut an. Wer ihn haben will, dem muss das klar sein. Hamburg hat das natürlich gewusst, bevor er verpflichtet wurde. Das kennt man ja aus München, wo er so glorreich nun auch wieder nicht war. Außerdem hat er nebenbei noch das Orchestre symphonique de Montréal. Der Vertrag wurde bis 2012 verlängert. Für mein Empfinden ein Unding. Wie soll das passen, ohne dass die künstlerische Qualität leidet? Um die Eingangsfrage aufzugreifen: Wer kennt Julia Maria Dan? Die hat in München Waldvogel, eine der drei adligen Waisen im "Rosenkavalier" und so was gesungen. Sie dürfte große Gönner haben, wenn sie nun in Hamburg als erste Sängerin etabliert wird. ;) Vielleicht ist sie aber auch so gut. Ich habe sie nie gehört. Allerdings fand ich nicht einmal bei Youtube einen Ton mit ihr. Und das will auch was heißen. :(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die wunderbare Hellen Kwon darf noch 5mal als Zweitbesetzung
    die Figarogräfin singen, wird sonst aber mit dem Fuchs (schlaues Füchslein) und der 5. Magd (Elektra) abgefunden.


    Ob Frau Kwon noch so wunderbar ist, kann ich nicht beurteilen, aber der Fuchs ist nun wahrlich eine anspruchsvolle Hauptrolle. Wenn der Fuchs nicht mit einem Tenor, sondern original mit einem Sopran besetzt wird, singt die schwerere Sopranstimme in der Regel den Fuchs, die leichtere die Füchsin. Frau Benackova sang zum Beispiel den Fuchs.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Werther hat die neue Ensemblesängerin Julia Maria Dan bei YouTube ausfindig gemacht. Das klingt ja vielversprechend. Die klangliche Spannweite der Sopranistin geht ja bis weit in die Tiefe. Bei der ersten Arie (Le temps de lilias) dachte ich, mich verhört zu haben und bei einem Mezzo gelandet zu sein. Die nachfolgende "Semiramide" zeigte dann aber auch ihre Höhenkompetenz. Das könnte spannend werden.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv