Das Thema liegt, ähnlich wie das sprichwörtliche Geld auf der Straße - auf der Opernbühne. Denn die Gattung ist ohne starke Gefühle nicht denkbar. Aber welche sind die mächtigsten? Welche erreichen die Zuschauer am unmittelbarsten? Welche werden am stärksten, am häufigsten auf der Opernbühne erwartet?
Ich habe mich ein Leben lang mit diesem Themenkreis beschäftigt. Er stand immer wieder im Fokus, wenn ich in den letzten Jahren über Premieren zu berichten hatte. Und bei der Auswahl der Stücke, auf die ich in meinen Büchern als mein persönliches Kernrepertoire nicht verzichten wollte, tauchten immer wieder die Opern auf, in denen es ums Ganze geht: um alles oder nichts. Was aber ist das Ganze?
Neben dem, was für jeden Menschen lebenswichtig ist, also was seinen Alltag zwangsläufig begleitet wie Essen und Trinken, Information und Kommunikation, Familienleben und Arbeit, schälen sich bei näherem Hinsehen vor allem drei zentrale Bereiche heraus, die die meisten Menschen umtreiben, auf die sie nicht verzichten wollen, ja für die sie zuweilen alles aufs Spiel setzen: LIEBE samt Hass und Eifersucht; GLAUBE samt Unglaube und Fanatismus - und schließlich alles, was um den TOD kreist, also Krankheit, Siechtum und Sterben. Besonders heftig schlagen diese Gefühle zu, wenn zwei von ihnen, oder gar alle drei, sich zu einem Knäuel verfilzen und sich gegenseitig verstärken. Dann ist, so meine ich, die Oper ganz bei sich zu Hause. (Und es dürfte wenige Opern geben, in denen alle drei Bereiche total fehlen.)
Beispiele:
In so unterschiedlichen Stücken wie Rigoletto und Tristan spielt die Liebe in sehr unterschiedlicher Gestalt die Hauptrolle. Der Hofnarr liebt seine Tochter abgöttisch, sie verfällt dem Herzog auf den ersten Blick, und sogar der gerät in einem Moment, wo er sie sich entrissen glaubt, in diesbezügliche Gefühlsverwirrung.
Aber auch Tod und Sterben durchzieht das Geschehen: Rigoletto zieht Monterones tödlichen Fluch auf sich, Sparafucile führt dessen Vollzug aus, und Gilda ist ihm (aus Liebe!) ein williges Opfer.
Tristan und Isolde sind schon vor Beginn der Bühnenhandlung füreinander bestimmt, aber erst im Tode. Beide wissen das - und gehen dem gelassen entgegen. Dabei reißen sie noch Kurwenal und Melot mit sich - und lassen Marke fassungslos in der tödlichen Leere seiner Verlassenheit stehen.
Zum Komplex des Glaubens kommen wir noch, aber nicht unter dem Aspekt des Institutionellen wie im Thread über die Religion, sondern als Emotion, die ebenso viel Schaden anrichtet wie Glück verheißt.
Vorerst viel Freude am Lieben und Sterben - und herzliche Grüße von Sixtus